Ein Schiff, zwei Feinde und eine Reise nach Hispania- Pars Prima!

  • Primus- Noch in Ostia:


    Gell ertönte der Schrei der Möwe, die auf zartweißen Flügeln am blauen Firmament entlang glitt und ihren Kopf zur blau glitzernden Oberfläche gerichtet hatte. Abrupt stürzte sich der Vogel hinab und ergatterte sich einen Fisch aus einem der Körbe der Fischer. Wütend schlug der Fischer nach dem Vogel, der mit der Beute im Schnabel schon längstens entschwunden war. Schiffe schaukelten im Hafenbecken von Ostia, die Masten ragten wie leere Gerippe gen Himmel, laute Menschenrufe mischten sich mit dem Gebell eines Hundes und dem Poltern einiger Sklaven, die ein Handelsschiff von ihrer Ware befreite. Von der See glitte ein dickbäuchiges Schiff in den Hafen und reffte die Segel geschickt, damit es so an Fahrt verlor, um in dem Hafenbecken nur noch den Anker fallen lassen zu müssen. Mit leicht verengten Augen spähte Hannibal über die Schiffe und das Meer hinweg, mühte sich eine völlig gelassene Miene zu behalten, denn: Hannibal litt unter der Seekrankheit, hasste es auch nur auf einem kleinen Boot seinen Fuß setzen zu müssen. „Fünf Männer, sagte ich. Keine Pferde!“Schon seit einer viertel Hora verhandelte Hannibal mit dem Kapitän des Schiffes, was sich nach Tarraco begeben wollte, um dort einige römische Waren zu liefern und im Austausch von den hispanischem Wein zu dem Stammland der Römer zurück zu bringen. Der Kapitän spuckte in die Hand und streckte es Hannibal entgegen, der schwer seufzend dem Vorbild folgte und in dessen schwielige Hand einschlug.


    Entnervt wandte sich Hannibal um und stieß gegen einen der flavischen Sklaven, die mit auf die Reise kommen sollten. Ein schmerzhafter Ausdruck huschte über Hannibals Gesicht und er keuchte kehlig auf, hielt sich an einer großen Kiste fest, die vom Nachbarschiff herunter gelassen worden war. Blass im Gesicht versuchte Hannibal wieder Luft zu schnappen und unterdrückte das Verlangen an die schmerzhafte Seite zu fassen, wo sich der Dolch vor wenigen Tagen tief hinein gegraben hatte. Nur einige Fingerbreit daneben und er wäre wohl dort, wo alle Sklaven ihren letzten Weg hin antraten. Nach einigen heftigen Atemzügen verebbte der Schmerz deutlich und Hannibal richtete sich auf. „Tölpel!“ zischte er dem Sklaven entgegen, der ihn nur stumm ansah. Denn eigentlich war Hannibal gegen jenen gelaufen. Suchend sah sich Hannibal nach der kleinen Ratte, vielmehr der Kröte um, was sein Lieblingsspitznamen für Sciurus momentan war. Dieser sollte sich doch um die anderen Angelegenheiten der Organisation kümmern, wenn auch Hannibal durchaus skeptisch, ob der Fähigkeiten von Sciurus war. Denn Hannibal unterschätzte in dieser Hinsicht seinen sklavischen ‚Mitstreiter’ durchaus.

  • Während sich Hannibal um die Überfahrt zu kümmern hatte, ging Sciurus ganz eigenen Geschäften fern ihres Auftrages am Hafen von Ostia nach und drückte das flavische Familiensiegel in eine weiche Wachstafel. Sollte der listige Lurch sich ruhig alleine mit der Planung herumschlagen, denn beim Anheuern eines Schiffes konnte er immerhin wenig falsch machen. Sciurus hatte es ihm ebenso überlassen, die Männer für die Reise auszuwählen, er vertraute ohnehin keinem in der Villa Flavia außer Sica vielleicht - doch jenem auch nur so weit, wie dessen Klinge reichte - und verließ sich auf den durch Furcht erworbenen Respekt der Männer. Natürlich würde dies bei Hannibal nicht der Fall sein, doch der Sklave des Aristides war ohnehin der einzige und größte Störfaktor an dieser Reise. Vielleicht ließ sich jedoch auch in dieser Hinsicht die Reise gewinnbringend nutzen, schon manch unvorsichtiger Seemann war auf der langen Überfahrt über das gewaltige Meer inmitten des römischen Reiches von den Fängen der See erfasst und tief in sie hinab gezogen worden, und ein verlorener Sklave würde zwar bedauerlich sein, der Verlust sich jedoch in Grenzen halten.


    Als sich Hannibal suchend nach Sciurus umdrehte, war dieser nur noch wenige Schritt von ihm entfernt. Das Zusammenzucken des sklavischen Körpers entging dem blonden Sklaven in keiner Sekunde, war sein Auge doch geschult darauf, diese Art von Reaktion wahrzunehmen. Ein marginales diabolisches Grinsen überzog Sciurus' Lippen. "Hast du ein Schiff? Die Seeleute prophezeihen einen Sturm für den Abend, wir sollten uns dann besser schon auf See befinden, als gerade erst auslaufen. Auf dem offenen Meer wird ein Schiff nur hin und her geworfen, in Hafen- oder Küstennähe kann es leicht zerschellen." Ohne die Antwort abzuwarten drehte sich Sciurus weg und pfiff durch die Zähne, ehe er sich wieder Hannibal zuwandte. "Der Proviant wird dir gefallen. Weizenmehlgrütze mit Kohl, das stinkt wie der Inhalt der Cloaca Maxima, und den verleibst du dir doch sehr gerne ein, nicht wahr?"

  • Beständig stießen die Wellen im Hafen gegen die steinerne Mauer des Beckens, wogten die Schiffe auf dem Busen des Meeres hin und her und trieben immer wieder den Müll aus dem Hafen ins offene Meer, welche die Bewohner der Stadt in das Wasser warfen. Nur hin und wieder stibitzte sich eine Möwe etwas von den Innereinen, die ein Fischer mit einem Korb ins Wasser warf oder einem jungen Hund hinwarf, der sich zu seinen Füssen tummelte. „Eine Münze, Herr…“ Ein kleiner Betteljunge trat zu Hannibal und streckte seine dreckige Hand hoch. Ungerührt sah Hannibal auf ihn runter. „Verschwinde.“ Der Ausdruck des Jungen wandelte sich vom flehentlich-traurigen zu einer bitterbösen Miene und mit einem Fluch auf den Lippen verschwand er, um nach einem generöseren Spender Ausschau zu halten. Mit einer Hand hielt sich Hannibal noch an der großen Kiste fest als er Sciurus erblickte und die Lippen zusammen presste, um die Kröte nichts von seiner Schwäche bemerken zu lassen. Finster stierte Hannibal zu Sciurus, er konnte irgendwie nicht anders, wenn er dem Kerl begegnete. Denn nicht nur, dass er Sciurus Art als äußerst unangenehm empfand und in ihm mehr einen Lakaien von Sica sah, nein, er hatte sich auch noch an seiner Nadia vergriffen. Und wegen solchen wie Sciurus hatte Nadia Angst zurück in die Villa zu kommen.


    Die Rede von Sturm, Wind und Wetter auf hoher See gefiel Hannibal doch weit weniger als den Sturm im Hafen abzuwarten. Aber natürlich hätte Sciurus ihm dementsprechende Worte als Schwäche ausgelegt, als eine, die es auch war. Seine schreckliche Seekrankheit. Dennoch nickte er. „Das Schiff ist direkt vor Deiner Nase, Sciurus. Wie so vieles, was Dir auch stets zu entgehen scheint. Der Kapitän will auch bald den Anker lichten.“ Hannibal wandte sich um und hob nur eine Augenbraue, meinte dabei beiläufig. „Aber Sciurus, “ gab er mit einem süffisanten Tonfall das Sticheln von seinem blonden Mitsklaven zurück. „Du solltest nicht immer von Dir auf Andere schließen. Tsts!“ Obwohl seine Seite wieder schrecklich schmerzte, er nicht wusste, ob er die Planke zum Schiff überhaupt überwinden konnte, ging er mit festen Schritt voran. Wenn man ganz genau hinsah, bemerkte man auch den kalten Schweiß, der auf Hannibals Stirn trat.


    Kind und Kegel oder mehr Sklaven und Gepäck kamen auf das Schiff und die letzten Waren wurden in das dickbäuchige Handelsschiff gepackt. Der bärtige Hispanierkapitän rief mit dröhnender Stimme. „Holt den Anker ein, an die Ruder, macht die Seile los…“ Fußgetrappel donnerte laut über die Planken des Schiffes und die Sklaven wurden erst mal unter das Deck verfrachtet. Erst als das Schiff mit Ruder und einer sanften Brise das Becken verlassen hatte, wurde auch den Mitreisenden erlaubt, wieder an Deck zu kommen. Völlig blass trat Hannibal von dem Deck mit den Ruderern, wo sie auch zu nächtigen hatten, auf das Oberdeck und ging entlang der Rehling zum hinteren Teil des Schiffes. Obwohl das Schiff erst sachte im Wellengang schaukelte, war Hannibal bereits speiübel. Er hätte doch auf das Frühstück heute verzichten sollen. Als eine Woge aufgischte und das Schiff hoch die Wellen erklomm, war es um seine Selbstbeherrschung geschehen und er übergab sich am Rande. „Da isn Speiloch!“ meinte einer der Matrosensklaven, der ein Schot festmachte. Hannibal nickte vage und wechselte den Standort bis zum Heck des Schiffes, wo ein kleines Loch ihm sein Elend erleichtern sollte. Nur aus den Augenwinkeln bemerkte er das kleiner werden von Ostia und der italischen Küste.

  • Auf Hannibals dilettantische Versuche hin, ihn mit seinen Worten zu sekieren, konnte Sciurus nur müde lächeln. Seit jenem Tage, an welchem der Sklave über und über vom fäkaliendurchwachsenen Unrat der Cloaca Maxima besudelt war, konnte Sciurus ihn nicht mehr gänzlich ernst nehmen, obgleich er nicht den Fehler beging, Hannibal zu unterschätzen. Belustigt und mit festem Schritt folgte er ihm die Planke hinauf und zog sich mit den anderen unter Deck des Schiffes zurück.


    Während das Schiff den belebten Hafen verließ und auf das aufschäumende Meer hin auslief, saß Sciurus schweigsam auf einer hölzernen Kiste und säuberte akribisch sein Messer vom Staub der Zeit ohne noch auf Hannibal oder die drei anderen Sklaven der Villa Flavia zu achten. Das leichte Schaukeln, das Knarzen des Mastes, wenn das Segel sich blähte, das beständige Rollen eines kleinen Fasses, welches vom Wogen des Meeres wieder und wieder von einer zur anderen Seite des Schiffes kullerte, ohne dass sich irgendwer daran störte, die grollenden Rufe des Kapitäns und seiner Mannschaft, dies alles tangierte Sciurus nicht im geringsten, einzig seine Wahrnehmung entzog er all dem nicht ganz.


    Nachdem Hannibal seinen Platz unter Deck verlassen hatte, taxierte Sciurus die flavischen Sklaven. Einer schlief auf einem Haufen Stoffballen, ein anderer ließ gelangweilt ein Paar Würfel auf einem Fass rollen und der Dritte brach eben mit blassem Gesicht auf, Hannibal nach oben zu folgen. Auch Sciurus erhob sich langsam, steckte sein Messer in den Gürtel und stieg die dünnen Stufen nach oben an Deck. Er kam gerade rechtzeitig, um Hannibals Opfer an die Seegötter nicht zu verpassen.


    Laut und hämisch lachend stellte sich Sciurus neben das Speiloch. "Hahaha! Deswegen kam Hannibal über die Alpen mit seinen Elefanten! Weil er nicht seetauglich war!" Der Sklave amüsierte sich tatsächlich prächtig, konnte nicht an sich halten und hob sich bald den Bauch vor Lachen über Hannibals Misere. Schon lange hatte er nicht mehr so tief aus seinem Inneren heraus gelacht, doch der Anblick Aristides' Sklave war einfach zu köstlich. "Nur gut, dass der Proviant aus Grütze mit grünem Kohl besteht. Wenn dir das wieder hochkommt, kannst du es in die Schüssel zurück spucken und für den folgenden Tag aufheben - der Anblick wird der gleiche sein!"


    Auch Sciurus hatte Respekt vor dem Meer, obgleich ihm die Fahrt darüber noch nie Sorge bereitet hatte, doch verlor ein Mann erst die Planken unter den Füßen gab es in dieser gewaltigen Wasserschüssel kaum noch Hoffnung aufs Überleben. Sciurus verabscheute das Meer, nicht zuletzt, da seine Mutter von der Seefahrt ihres Volkes geschwärmt hatte, doch vor Aristides' Lakei würde er seine Abscheu nicht zeigen. "Siehst du diesen Sturm aufziehen, frana? Wenn dir das Schaukeln jetzt schon das Kotzen bringt, dann warte, bis du nichts anders mehr siehst, als Wasser - das Meer unter und den Regen über dir." Er stellte sich ein Stück weit neben Hannibal, lehnte sich an die Reling und betrachtete die wogenden Wellen, den schäumenden Schaum und die fließenden Fluten, dann begann er mit ernster, düsterer Stimme zu rezitieren.
    "Ein Boot aus Fleisch treibt auf dem Meer, aus blanken Knochen ist der Mast gemacht.
    Im Rippengitter unter Deck, da schlägt ein Herz mit einem Leck im Takt der Wellen Tag und Nacht.
    Wohin soll denn die Reise gehn? Aufs nächste Riff, aufs nächste Riff!
    Ein Büschel Haare weht am Mast vom Knochenschiff, vom Knochenschiff!
    Das Knochenschiff treibt auf dem Meer, sein Ruder brach schon auf der Jungfernfahrt.
    Hat sich die Segel tätowiert, der Kiel ist mit Metall verziert
    und von den Stürmen wird die Haut so hart.
    Wohin soll denn die Reise gehn, oh Hannibal? Aufs nächste Riff, aufs nächste Riff!
    Ein Büschel Haare weht am Mast vom Knochenschiff, vom Knochenschiff!
    So manche Narbe ziert den Bauch und offne Wunden sind dort auch.
    Das Schiff sehnt sich nach einem Riff so sehr.
    Wohin? Wohin soll denn die Reise gehn? Oh, Hannibal, aufs nächste Riff!
    Ein Büschel Haare weht am Mast vom Knochenschiff, vom Knochenschiff!"*
    Lachend wandte sich der Sklave vom Meer ab. Es stand jedem von ihnen eine Essensration zu und Sciurus hatte nicht vor, diese ausfallen zu lassen, denn obgleich er Tage ohne Essen auskommen konnte, so wusste er, dass er für diese Reise bei Kräften bleiben musste.


    Sim-Off:

    ausgeliehen von Subway to Sally

  • Eine Mischung aus Olivgrün und Fahlweiß dominierte Hannibals Gesicht als er sein leidendes Gesicht anhob und dem Neuankömmling grimmig entgegen sah. War doch klar, dass Sciurus sich darüber lustig machte. Was für eine widerliche Kröte, dachte sich Hannibal und hielt sich mühsam an der Reling fest, als das Schiff eine Welle hoch glitt und wieder in das Tal hinab fiel. Auf die bissigen Kommentare wollte Hannibal jedoch nicht eingehen, mehr, er konnte es gar nicht. Denn schon bei dem nächsten Wellengang hatte ihn der Brechreiz wieder im Griff und statt sich weiter um den Mitsklaven zu kümmern, betrachtete er die Wellen vom Speiloch aus und würgte nichts als ein wenig Speichel hervor. Dennoch fühlte er sich für einige Momente besser und lehnte sich mit kaltem Schweiß auf der Stirn gegen die Heckwand und stierte apathisch vor sich hin. Er wusste, das würde noch mindestens die nächste Woche so gehen und in der Zeit waren sie bestimmt schon in Tarraco. Vier Tage hatte der Kapitän gemeint, wenn es schlecht lief, dann vielleicht fünf oder sechs. Hannibal hoffte, dass sie eine gute Prise hatten und schnell ankommen würden.


    Zu seinem Leidwesen merkte Hannibal, dass sich Sciurus weiterhin an seinem Leiden ergötzte und sogar noch anhob mit einigen Versen ihn zu verspotten. Verächtlich verzog sich Hannibals Mundwinkel nach unten und er sah an Sciurus vorbei und betrachtete ausgiebig das Tun der Matrosen, Sklaven oder Liberti, die auf dem Schiff angeheuert hatten. Mit ihrer, von Arbeit hornigen, Händen griffen sie an einem der Taue und entrollten ein oberes Segel, wobei der Wind gleich von dem Tuch Besitz ergriff und sich dagegen drückte. Das Schiff nahm deutlich an Fahrt zu und somit auch das Schaukeln. Hannibal schluckte heftig und suchte das Würgen zu besiegen. Schwer atmend meinte Hannibal, es klang nicht ganz so beiläufig, wie er meinte, sondern schon recht bissig: „Na, erstaunlich. Du kannst ja doch was, Sciurus. Sogar richtige Verse aufsagen und auch noch ganz passabel. Dabei dachte ich, Du kannst Dich in erster Linie auf dem Lager Deines Herren beweisen…“ Hannibal schnaubte höhnisch und krallte seine Finger ins Holz, denn die Übelkeit schien ihn, der Worte wegen, bestrafen zu wollen. Hannibals Stirn trocknete zwar wegen des Windes, aber das Unwohlsein rief ihn immer wieder hervor. Immer noch sah Hannibal nicht zu Sciurus und hoffte, daß dieser endlich mal abhauen würde.

  • Ohne sich recht um seine Passagiere zu kümmern, pflügte das Schiff durch die Wellen, ließ das Land weit und weiter hinter sich, obgleich nie aus der Sicht. Ein günstiger Wind blähte die vergilbten Segel auf und trieb die kleine Schaluppe unermüdlich dem fernen Hispania entgegen, während sich tief im Süden graue Wolken über den Horizont schoben. Vier Tage, vielleicht Fünf, ohne Tun, ohne Aufgabe, verschwendet bis auf die ersten Stunden, die Aussicht gereichte Sciurus nicht unbedingt zum Gefallen, gegenteilig erfreute ihn, dass er auf Hannibal wohl kaum würde achten müssen. "Du wärst erstaunt, was ich alles kann, Hannibal. Was ich tat, tue und tun werde, erfüllte schon immer seinen Zweck. Dass du diesen nicht erkennen kannst, erstaunt mich nicht. Ebensowenig, dass du augenscheinlich nur das beurteilst, was du sehen kannst und dazu neigst, deine Umgebung zu unterschätzen."
    Sciurus blickte noch einmal auf die dunklen Wolken im Süden. Der Regen würde sie kaum erreichen, würde er doch eher ins Innere Italias ziehen als aufs offene Meer hinaus, von wo er kam. Als der Sklave an Hannibal vorbei trat, blieb er für einen kurzen Moment hinter diesem stehen. "Bleib hier hinten, richte deinen Blick nicht nach unten, sondern auf die Horizontlinie, und hör auf, deinen Kopf gegen das Meer zu stemmen, denn es ist nicht dein Körper, der dies tut. Du bist jetzt ein Teil der See, finde dich damit ab." Obgleich es ihm gleich war, wie Hannibal sich in den nächsten Tagen fühlen würde, so hatte Sciurus keine Lust, in Hispania angekommen auf ihn Rücksicht zu nehmen, doch war er sich ebenso dessen bewusst, dass er ihn nirgendwo konnte zurück lassen, denn als Leibsklave war Hannibal wie er selbst ein kostbares Gut.


    Ohne auf den Wellengang zu achten zog sich Sciurus in eine Ecke an Deck zurück, bezog Quartier auf einer Kiste vorn, nahe des Bug, verließ diesen Platz nur, um sich am Abend seine Essensration zu holen oder um sich zu erleichtern. Bis zum Abend schoben sich die Wolken doch aus dem Süden herauf und überzogen den Himmel, doch auch als es nach der Dämmerung anfing, leicht zu nieseln, rührte sich Sciurus nicht, blickte starr auf das Meer hinaus und hing seinen ganz eigenen, leeren Gedanken nach, bis er sich schließlich neben der Kiste zusammenrollte und einschlief, zugedeckt von Wind und Regen, in den Schlaf gesungen vom Pfeifen des Windes und dem Rauschen der See.


    Wenigen Stunden später nur tauchte der blonde Schopf bereits wieder hinter der Kiste auf, suchte mit forschenden Augen den Horizont ab. Die Regenwolken hatten sich verzogen, nur vereinzelt hingen noch Fetzen am Horizont. Sciurus kletterte auf die Kiste, setzte sich darauf und wartete geduldig. Er zitterte, als sich im fernen Osten ein heller, rotfarbener Streifen über das Meer schob, sein Körper spannte sich an, der Atem beschleunigte sich und seine Pupillen weiteten sich vor Aufregung. Längst hatten sich die Wolken über dem Schiff verzogen, vielleicht war auch die Schaluppe nur ihnen entwischt, und der Himmel bot den Anschein, als würde ihnen ein Tag voll Sonnenschein bevorstehen. Es war nicht das erste mal, dass Sciurus an Bord eines Schiffes war, doch zuvor hatte er immer einen Herrn begleitet, war vor diesem aufgestanden, um für dessen morgendliches Erwachen alles zu bereiten, und war so nie in den Genuss eines Sonnenaufganges auf dem Meer gekommen, wie er ohnehin ob seiner Aufgaben so selten in Genuss dieses Augenblickes kam.


    Langsam fing der Himmel an zu bluten, wurde in tiefes, flammendes Rotorange getaucht, durchbrochen nur von dem kleinen gelbfarbenen Ball, der sich gemächlich über die Horizontlinie schob. Schon auf dem Festland fraß der Sonnenball den Himmel mit seinen roten Strahlen auf, doch hier inmitten des Wassers schien es, als wolle die Sonne nicht nur an das Firmament emporsteigen, sondern gleichsam die Welt unter sich verschlingen. Doch gleichsam, da keine Wolke dort am Horizont ihr Emporsteigen störte, hatte es gar ebenfalls den Anschein, als komme die Sonne nicht hinter dem Wasser hervor, sondern mitten aus den Reichen der Meeresgötter hinaus. Was mussten das für gewaltige Götter sein, welche den glühenden Ball Tag um Tag aus ihrem Schlund spien! Je weiter sich der Kreis aus der See erhob, desto mehr glühte auch das Meer unter ihm in rotfarbenem Schein, desto weiter leckte das Feuer der Sonne über die Oberfläche des Wassers und entzündete sie. Der Himmel stand in Flammen. Die See stand in Flammen. Nie in seinem Leben hatte Sciurus etwas schöneres gesehen.
    Viel zu kurz währte der Augenblick, dann war der Kampf vorbei und ein schmaler Streifen schob sich zwischen Sonnenball und Wassermasse. Obgleich das Meer noch eine Weile brannte, so verschluckte das Wasser schließlich die Feuersbrunst, erloschen die Flammen, je weiter sich die Sonne an den Himmel empor hob. Voller Entzücken schloss Sicurus die Augen, betrachtete das flammende Meer. Sein Vermögen war um einen unglaublichen Schatz bereichert worden.

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