• Am späten Nachmittag eines wieder mal fast unerträglich heißen Tages - andere Tage hatte Quintus seit seiner Ankunft aus Italia in Alexandria noch gar nicht erlebt - begab sich der Verginier zum Tempel Neptuns, der sich passenderweise in der Nähe des Hafens befand. In diesem Tempel in Alexandria war Quintus noch nicht gewesen. Bei Erkundigungen hatte er zwar gehört, dass der hier "Poseidoneon" genannte Neptun-Tempel nicht gerade zu den angesehensten der Stadt gehörte, aber das hielt ihn nicht davon ab, auch dort einmal vorbei zu schauen.


    Denn erstens lag ja die Überfahrt des Verginiers von Italia nach Aegyptus noch nicht lange zurück, und so unbequem sie auch gewesen sein mochte, so glücklich war sie doch vonstatten gegangen, wofür Quintus dem Gott Dank sagen wollte. Und zweitens waren ja Neptunalia. Quintus wusste, dass dieses Fest in Rom groß begangen wurde mit Jahrmarkt und Opferungen und so. Und auch hier in Alexandria veranstalteten reiche Leute wohl einige private Feste. Zu solchen hatte der Verginius leider keinen Zutritt, sondern er musste stattdessen mit dem Poseidoneon vorlieb nehmen, und auch hier konnte er es nicht wagen, in das Innere des Tempels zu treten, denn eine stattliche Opfergabe hatte er sich nicht leisten können. Zwar hatte er dem Gott am Mittag am Mareotis-See ein Stückchen Fisch geopfert, aber am Tempel angekommen, begnügte er sich damit, die Eintretenden von Weitem zu betrachten und sich von ihrer guten Laune anstecken zu lassen.

  • Dabei blieb Quintus nicht lange allein. Auch wenn Neptun von Hause aus in Alexandria vielleicht nicht ganz das Ansehen genoss wie in Rom, so hatte sich in der Stadt am Mareotis-See offenbar doch herumgesprochen, dass einige von anderswo Zugewanderte das Fest der Neptunalia auch hier zu begehen gedachten. Und dass man sich unter diesen Zugewanderten auch einige Bessergestellte erhoffte, zeigte die Tatsache, dass sich an Quintus auch immer mehr Bettler vorbei- und an die in den Tempel Eintretenden herandrängten.


    Dies taten sie mit wechselndem Erfolg: Nicht wenige der Festgäste zeigten sich durchaus spendabel und teilten etwas an die Bittenden aus - bzw. ließen das ihre Sklaven erledigen. Andere dagegen wiesen ihre Sklaven ganz einfach an, ihnen die Bettler bloß vom Leibe zu halten.


    Nach und nach kehrten die meisten der Bettler zu dem weiter entfernten Platz zurück, wo auch Quintus sich bei einigen Büschen niedergelassen hatte. Dazu stießen mit der Zeit noch eine ganze Reihe anderer Menschen, ja, komplette Familien, die offensichtlich nichts Besseres zu tun hatten, als sich dadurch ein bisschen Abwechslung vom tristen Alltagsleben zu verschaffen, dass sie die Festlichkeiten am Poseidoneon an diesem Tage beobachteten.


    Besonders die Familien hielten regelrechte Picknicks ab, und auch die meisten anderen Leute hatten zumindest irgendwas zu trinken dabei. Nicht so der Verginius. Seine einzige Mahlzeit des Tages war am Mittag ein Fisch gewesen, von dem er einen Teil - so berichteten wir schon - im Mareotis-See als Opfer für Neptun versenkt hatte. Doch auch an den jungen Verginier wurde gedacht.


    Denn als die Sonne eben gesunken war, robbte eine Frau an ihn heran. Ob sie jung war oder alt, konnte Quintus bei dem verlöschenden Tageslicht schon nicht mehr erkennen, allerdings entging ihm nicht, dass sie genau wie er Fisch gegessen hatte, weil sie ihren Mund ganz nah an sein Gesicht heranführte, ja, mit ihren nassen Zähnen sogar seine Wange berührte - das sollte wohl ein Kuss sein. "Heh da, junger Mann, willst du nicht was mit mir trinken?" ließ sich der feuchte Mund der Frau ganz kurz vor Quintus' Ohr vernehmen: Ihre Stimme klang jedenfalls alt, stellte der Verginier fest. Und noch bevor er zu einer Antwort kam, reichte ihm die Frau schon einen Becher, nach dem Quintus auch reflexhaft griff. "Halt, warte noch, nicht so schnell, junger Mann, ist erst nur Wasser drin, fehlt noch der Wein!" rief die Alte fröhlich, wobei sie sich gewandt umdrehte und dann aus einer Karaffe eine rötliche Flüssigkeit in Quintus' Becher goss, die tatsächlich wie Wein aussah und auch danach roch. Der Verginier zögerte, denn er wusste nicht so recht, was er von dem Ganzen halten sollte: kein Wunder, konnte doch alles Mögliche in dem Becher sein. Die Alte merkte das; da setzte sie Quintus kurzerhand die Karaffe selbst an die Lippen; er trank - und tatsächlich, das war Wein, und gar nicht mal ein schlechter. "Na, siehst du, mein Junge, ich meine es nur gut mit dir!" Quintus konnte nicht umhin, in das fröhliche Lachen der Alten miteinzustimmen. Nun hob er den Becher, den die Frau ihm gegeben hatte, selbst an, prostete ihr zu und trank schließlich einen tiefen Schluck daraus.


    Aber kaum war der in seinem Mund, prustete der Verginier schon los: "Pfui Deibel, was ist das denn!!" Er konnte nicht genug daran tun, wieder und wieder auszuspucken, sprang auf, warf den Becher von sich und ging schimpfend davon, begleitet vom - fröhlichen - Lachen der "großzügigen" Alten*. Wein war es zwar gewesen in dem Becher, verdünnter Wein, und gar nicht mal ein schlechter. Verdünnt allerdings ganz offenbar mit - Meerwasser.


    Und so bekam Neptun an seinem Feiertag von einem kleinen Römer noch ein zweites Opfer.



    [SIZE=7]*edit: Da hatte ich doch glatt das Spässchen der fröhlichen Alten unterschlagen. :D[/SIZE]

  • Sermo trieb sich seit Monaten schon mit dem Gedanken herum, Aegyptus langfristig den Rücken zu kehren. Er mochte die Legio XXII Deiotariana. Aber er wollte mehr. Sermo wollte nicht ewig im Nildelta festhängen. Aegyptus war zwar schön. Wenn man mal von der Regenzeit und den Malariamücken und dem tödlichen Wüstensand außerhalb der fruchtbaren Teile des Landes absah. Tatsächlich gefiel es Sermo in Nikopolis und Umgebung sogar so gut, dass er häufig auf Patrouillen ritt und die verschiedenen Stützpunkte und Wachposten an Kreuzungen kontrollierte. Immer möglichst weit abseits von nilpferddurchsetzten Gewässern, versteht sich. Er wollte ja nicht wie der Praefectus Legionis enden. Zerquetscht, erstickt, ertränkt - unter einem wütenden Nilpferd.
    Dennoch, Sermo zog es zurück nach Rom. Dort pulsierte das politische Herz des Reiches, dort wurden die wichtigen Entscheidungen getroffen. In Rom entschied sich das Schicksal des Imperiums, in Rom entschied sich Sermos Schicksal. Und jetzt, da es einen neuen Imperator gab, taten sich gewiss neue Chancen auf. Parteigänger des Vesculariers wurden abgesägt und Posten mussten neu besetzt werden. Sermo hatte sich schon Träumereien hingegeben, bis er sich an eine Hürde erinnerte. Er musste auf ein Schiff steigen.


    Ein Schiff. Sermo erinnerte sich noch verdammt gut daran, was beim letzten Mal passierte, als er ein Schiff bestiegen hatte. Er war jämmerlich abgesoffen. Das gesammte verdammte Schiff war mit Maus und Mann komplett untergegangen. Vermutlich war es nur Mercurius' Wohlwollen zu verdanken - dem hatte er nämlich zuvor ausgiebig geopfert -, dass Sermo nicht abgenippelt war. Inklusive seinem Sklaven Cleon, denn der hatte auch überlebt. Allein Neptunus wusste, warum. Aber Sermo war egal, was der Gott sich dabei gedacht hatte. Er war nur froh, dass er sich etwas derartiges gedacht hatte!


    Und jetzt stand Sermo im Portal des Poseidontempels und atmete tief durch. Er wusste, dass der Gott ihn hassen musste. Aber Sermo kam nicht darum herum. Er war gezwungen mit einem Schiff über das Meer zu reisen und deshalb musste er Neptunus ein Opfer darbringen. Fehlerfrei. Makellos. Ohne Patzer. Voller Demut. Erfüllt von Gottesfurcht. In solchen Momenten hasste Sermo die Götter.


    http://farm4.staticflickr.com/…17856197_0aed481f0c_n.jpgZu diesem Zwecke hatte Sermo einige Vorbereitungen getroffen. Musiker spielten sich sämtliche Luft aus den Lungen und vom Tempelverwalter hatte er sich ein weißes Kalb besorgen lassen. Der Altar des Poseidon war mit Salzwasser gewaschen worden und auch Sermo musste sich seine Hände zunächst mit Salzwasser reinigen. Die Toga über den Kopf gezogen und in würdevoller Haltung begann er schließlich auf Griechisch das Voropfer.


    "Oh Herr des fließenden Gewässers, Beherrscher der Meere. Du Lenker allen Getiers unter den Wellen, du König der Ozeane. Poseidon, Herrscher über die salzigen Tiefen. Dir, oh Wellenreiter, gebe ich diesen Barsch, dass du mir Gehör schenkst bei der Bitte, die ich in Demut vor dich trage."


    Sermo ließ sich von Cleon, seinem Leibsklaven, einen anderthalb Ellen langen und ziemlich schweren Nilbarsch reichen, den er unter stillem Ächzen auf den Altar verfrachtete. Dann verharrte er einen Moment in Stille, den Kopf vor dem Abbild des Meeresgottes gesenkt. Als es ihm lange genug vorkam, hob Sermo wieder den Blick und breitete die Arme aus. Ein Windstoß kam vom Meer her und erfüllte den Tempel mit dem salzigen Geruch der See. Die Weihrauchschwaden kringelten sich beim Emporsteigen, während Sermo nun wieder Poseidon anrief:


    "Oh Poseidon, siehe hier deinen ergebenen Diener demütig stehend. Mich hast du niedergeworfen in meinem Hochmut, mir hast du die Grenzen meiner menschlichen Existenz vor Augen geführt. Ertränkt hast du mich und doch war es mir, von deiner gönnerhaften Milde getragen, noch einmal erlaubt den Strand voller Hoffnung unter meinen baren Füßen zu fühlen.


    Oh Poseidon, du siehst in mir Ehrfurcht und Frömmigkeit. Nimmermehr will ich deinen Zorn beschwören, sondern dein Gefallen finden und dich in Ehren halten. So siehe auch heute, wie ich dir Kostbares darbringe, zu deinem Wohlgefallen."
    Sermo wandte sich nach rechts um und atmete leise aus. Er stand unter Strom. Bloß nichts falsch machen! Sonst gäbe es wieder eine solche Katastrophe, wie beim letzten Mal.


    Als nächstes ging es hinaus zum Opferaltar, wo ein weißes Kalb wartete, das festlich geschmückt war. Die Musiker spielten fröhlich weiter und Sermo ging die Pumpe. Favete lingius! rief ein Opferhelfer aus und Sermo nahm das Messer entgegen, mit dem er dem Kalb symbolisch über den Rücken fuhr. Daraufhin erhob er wieder die Hände gen Himmel und setzte zum wichtigsten Teil an.


    "Poseidon, höre mich an! Ich, Iullus Quintilius Sermo, spreche zu dir mit der Bitte um deine Gunst. Erhöre mich und gewähre mir und meinen Begleitern sichere Überfahrt über das Mare Internum, sobald es zukünftig wieder nötig wird, die See zu überqueren. Schicke mir günstige Winde, aber bewahre mich vor tödlichem Sturm oder lähmender Flaute. Sei gütig, Poseidon, und lasse Milde walten mit mir, denn ich schwöre dir dich nie wieder so sträflich zu vernachlässigen!


    Deshalb erhälst du von mir heute dieses junge und gesunde Kalb, das deiner göttlichen Erhabenheit geweiht ist und das dir zur Zufriedenheit gereichen möge. Gewähre mir und meinen Begleitern sichere Überfahrt nach Ostia, sobald es mich dorthin verschlägt, und ich will dir nach meiner Ankunft wieder großzügig opfern, wie es dir zusteht!"


    In der Hoffnung, dass dies ausreichte, beendete Sermo auch diese Anrufung mit einer Rechtsdrehung. Was folgte, war das Standardprogramm: Ein Opferhelfer nahm einen Hammer zur Hand und zertrümmerte den Schädel des Kalbs. Ein anderer zerschnitt des Tieres Kehle und fing das Blut auf, während der erste Helfer sich bereits daran machte, das Kalb auszuweiden. Sermo hatte für diesen Tag einen Opferschauer bestellt, denn er wollte nicht riskieren eine falsche Einschätzung der Innereien zu treffen und sich damit ins Verderben zu stürzen.


    Noch immer wehte salzige Meeresluft zum Tempel heran, während Sermo auf eine positive Reaktion Neptuns hoffte. Den Blick in stiller Erwartung auf den Opferschauer gerichtet, verharrte er in diesem unendlichen Moment des Wartens.


    Bildquelle

  • Das war ja wohl ein bisschen Barsch. Ziemlich viel Barsch sogar, so ein ausgewachsener Nilbarsch. Auch wenn Neptun mit Süßwassergetier nicht ganz so viel anfing, wie mit Salzwasserfischen, war seine Aufmerksamkeit mit diesem Auftakt dennoch geweckt. Da störte es auch nicht, dass der Opfernde die Götter dafür hasste, dass er ihnen opfern musste. Was zählte, war die Tat und dass Neptun etwas bekam. Und weil dem Barsch noch ein Kalb folgte, das weiß war wie die Schaumkronen am Ufer zur besten Surfsaison (auch wenn Surfen noch gar nicht erfunden worden war), zählte die Tat eine ganze Menge. Die salzige Meerluft roch einen Augenblick lang besonders sanft und frisch und hätte einer der Umstehenden gerade eine Atemwegserkrankung mit sich herumgetragen, wäre er aus lauter Freundlichkeit Neptuns auch gleich noch geheilt worden.

  • Sermo starrte den Opferschauer gebannt an. Während dessen bemerkte er nur unbewusst, dass sich die Seeluft sanft und frisch anfühlte. Einer der umstehenden Opferhelfer jedoch, der die ganze Zeit schon ein lästiges Husten hatte unterdrücken müssen, erlebte den Fisherman's Friend Effekt und konnte mit einem Mal unbeschwert atmen. Man sah ihm seine Freude direkt an.


    "LITATIO!" rief dann auch endlich der Opferschauer aus und von Sermo löste sich jegliche Spannung in einem erleichterten Seufzen. Die Beendigung des Opferrituals war nun ein Klacks. Die Opferreste wurden dem Tempel gespendet und Sermo hatte beim Gedanken an seine nächste Schiffsreise kein Gefühl der Atemnot mehr, sondern vielmehr eines der absoluten Sicherheit. Neptun würde ihm diesmal seinen Schutz gewähren.

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