• Seit es ihn damals in Baiae unheimlich interessiert hatte, wo die Sklaven schliefen, hatte er ein Bild vor Augen, welches er nur unter der Überschrift "Bäh" kannte, denn es stank dort und auch sonst sah es damals nicht einladent aus. Man hatte ihm auch verboten hinein zu gehen, um ihn nicht dem Risiko einer Erkrankung auszusetzen.
    Dieses Bild fiel ihm jetzt vor die Augen. Und er sollte dort schlafen.
    Sofort fing die Unterlippe an zu zittern und die Augen wurden feucht. Binnen weiteren fünf Sekunden hatte er es geschafft, das rührigste Weinen aufzusetzen, welches ihm möglich war. Nicht laut, sondern leise schluchzte er und Tränen rannen über seine Wangen. Nach einigen Minuten dieser Pose konnte er den Schmerz nicht mehr unterdrücken und fiel Myrtilus um den Hals.


    "Neeeeeeein, ich will hier weg! War ich böse, Opa Myrtilus, was habe ich gemacht? Ich will zurück, hier ist alles böse, ich will Mamaaaa!"

  • Myrtilus zermarterte sich das Hirn nach einer Lösung für das Problem, welches Vesuvianus hatte: Der gestandene Soldat konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Lucius mit seinen fünf Jahren eben noch ganz am Beginn seines Lebens stand. Myrtilus fiel dies natürlich um einiges leichter, da er selbst bereits all seine Söhne aufwachsen gesehen hatte. Ob dieser Gedanken und des Grübelns, kam ihm das, was nachfolgend geschah, zu schnell und seltsam unwirklich vor. Hatte vesuvianus wirklich den Auftrag gegeben, den Jungen zu verspotten? Die Augen des Alten weiteten sich erschrocken über so viel Dreistigkeit des Sklaven, der Tatsächlich begann, mit dem Finger auf seinen Schützling zu weisen und ihn auszulachen. Schon wollte Myrtilus, der einen kurzen Moment brauchte, um die Sprache wiederzuerlangen, den unverschämten Kerl schroff in die Schranken weisen, als Vesuvianus dies schon übernahm und sich Lucius damit als Retter in der Not präsentierte. Nun, ihre Wirkung verfehlte diese Aktion zumindest nicht, denn Brutus stellte das Weinen erstmal ein. Doch dass sich die Situation damit erledigt haben würde, was Myrtilus insgeheim hoffte, war eine Fehlannahme, denn wie eine Kopie der in Rage gebrachten Ofella drohte der Junge nun den Sklaven - und zu Myrtilus' Erschrecken auch seinem eigenen Vater.


    Sprachlos sah Myrtilus den Jungen an. Er brachte beträchtliches Potential mit sich und würde in einigen Jahren sicherlich eine recht authoritäre Ausstrahlung haben, doch was er sich hier leistete, verstand selbst Myrtilus nicht. Eigentlich kanne der Junge doch den Unterschied zwischen Sklaven und ihren Herren, der allein schon an der Art sich zu kleiden ersichtlich war, und auch wenn die Claudier großen Wert auf angemessene Sklavenkleidung legten, konnte Brutus doch sicher groben Wollstoff von feinstem Linnen unterscheiden. Langsam wandte der Alte seinem Neffen den Blick zu. Wie dieser nun wohl reagieren würde? Myrtilus wollte beruhigende Worte sprechen, um beide Seiten zu besänftigen. Irgendwie fühlte er sich indirekt für diese Eskalation verantwortlich, vielleicht wäre es doch besser gewesen, zuerst allein mit seinem Neffen über Brutus zu reden und die beiden erst anschließend bekanntzumachen. Doch nun war das Kind einmal in den Brunnen gefallen, und ehe Myrtilus schlichten konnte, war die Situation bereits mit reichlich Scharfem gewürzt und ziemlich eskaliert.


    Man konnte die Beziehung von Vater und Sohn nicht als die wärmste bezeichnen, und auch die erste Zusammenführung war kläglich an unangemessenem Verhalten und zu hoch angesetzten Erwartungen gescheitert. Myrtilus schob sich diesen Fehler zu. Wie auf Donnerschläge, so folgte auch auf die Worte seines Neffen hin erstmal nichts weiter als Stille. Die Strafe für Lucius' vergehen erschien Myrtilus nicht sehr angemessen. Vesuvianus war sich scheinbar nicht darüber im Klaren, dass er den Jungen damit nicht auf seine Seite zog, sondern, im Gegenteil, noch weiter fort schob. Wenn Ofella kam, wäre das ein gefundenes Fressen für sie.


    Der Blick des Onkels folgte dem Neffen, welcher zum Fenster trat und sich augenscheinlich in seiner Ehre verletzt fühlte. Eine Sklavin musste unsanft weichen, Vesuvianus brüllte ungehalten. Myrtilus blinzelte irritiert, so unbeherrscht kannte er seinen Neffen nicht. Zeitgleich fing Brutus an zu weinen, diesmal nicht, um seinen Willen durchzusetzen, wie Myrtilus glaubte, sondern, weil er Angst hatte, allein in den Sklavenstall zu gehen und dort nächtigen zu müssen. Kurz daraug suchte er Schutz bei Myrtilus, was des Alten Herz erweichte. Tröstend legte Myrtilus einen Arm um die Schultern seines Schützlings. Dass dieser die Nacht bei den Sklaven verbrachte, würde er nicht zulassen. Den näher kommenden Sklaven, welche den Befehl des Hausherren ausführen wollten, gebot er daher mit einer unwirschen Geste einhalt. "Einen Moment noch!"


    "Lucius, Lucius, beruhige dich etwas. Ich will dir etwas sagen...es ist nicht richtig, dass man seinen Vater wie einen Sklaven behandelt, auch wenn man ihn vielleicht nicht mag, weil man ihn noch nicht kennen gelernt hat. Schau, Herius will dich für deine Worte bestrafen, damit du sowas nicht noch einmal tust. Ich bin mir aber sicher, dass du nicht mit den Sklaven gehen musst, wenn du dich bei ihm entschuldigst und versprichst, nie wieder so etwas Garstiges zu sagen", erklärte er Lucius anschließend mit der Stimme eines weisen Erzählers. Der Junge würde sicher müde sein nach der langen Fahrt, und Myrtilus hoffte inständig, dass er nun seinen Rat annehmen und sich entschuldigen würde, wie es sich gehörte.

  • Der Mann war böse, Punkt. Mama hätte so etwas nicht gesagt, die sie hätte ihn in der bösen Ecke stehen lassen, wo alle bösen Kinder stehen mussten, aber so etwas hätte sie niemals gemacht, davon war Lucius mehr als nur überzeugt, er wusste es.
    Aber da Lucius Strafen nicht mochte, auch die Ecke nicht, musste er sich wohl oder über fügen. So blickte er mit Tränen in den Augen auf und nickte kurz.


    "Entschuldige, Herius."


    Brachte er bitter hervor und versuchte besonders traurig auszusehen, indem er die Oberlippe vor die Unterlippe schob und die Augen demütig senkte. Doch nachdem dies vollbracht war, packte er Myrtilus an der Hand und zog daran.


    "So, jetzt können wir nach Hause. Mama wartet schon auf uns. Los, komm schon."

  • Myrtilus beobachtete zufrieden, wie sein Schützling seine Empfehlung annahm und sich sehr glaubwürdig entschuldigte. Sicher hatte der Kleine verstanden, dass er seinen Vater demnächst besser nicht mehr wie einen Sklaven behandeln sollte. Der Alte sah auf und zu seinem Neffen hin. Dass dieser sich erweichen ließ, daran glaubte Myrtilus nicht, doch eine Entschuldigung dieser Art würde ihn sicher dazu bewegen, doch Milde walten zu lassen, zumal dies doch ein äußerst geschickter Schachzug wäre, um das Vertrauen des Jungen zu gewinnen. Myrtilus schwieg, sah Vesuvianus indes aber abwartenden und ruhigen Blickes an. Der Junge meinte es ehrlich, keine Frage, befand des Myrtilus' nachsichtiger Verstand. Doch wie ihm klarmachen, dass es vorerst nicht mehr zurück nach Baiae gehen würde? Lucius zog bereits wieder an seiner Hand, doch statt dem nachzugeben, angelte sich Myrtilus einfach den Jungen und nahm ihn kurzerhand auf den Schoß. "Lucius, deine Mutter muss sich erholen, du kennst doch ihren Husten und weißt doch, dass sie sich oft nicht gut fühlt. Aber pass auf, ich mache dir einen Vorschlag: Gleich morgen früh schreiben wir ihr zusammen einen Brief und fragen wie es ihr geht und ob sie vielleicht schon eher kommen möchte. In Ordnung? Du bist doch schon ein großer Junge, Lucius. Erinnerst du dich noch an das, was deine Mutter gesagt hat, als wir abgereist sind? Ich habe es nämlich vergessen...." fragte Myrtilus und versuchte damit, einerseits den Jungen abzulenken und andererseits ihm die bestimmten Worte seiner Mutter, zwecks Artigkeit und patrizischer Stärke, ins Gedächtnis zu rufen.

  • Das Einschreiten des Onkels in seine Erziehungsmaßnahme fiel bei Claudius auf großes Missfallen. Myrtilus untergrub damit seine Autorität dem Jungen gegenüber, doch seine gute Erziehung verbot ihm, den anderen deswegen vor den Augen seines Sohnes in die Schranken zu weisen. Solange keine weitreichenden gegenteiligen Befehle ausgesprochen wurden, wollte er vorerst ausharren. Mit dem Rücken dem Geschehen zugewandt verfolgte er die eindringlichen Worte, die Myrtilus an Lucius richtete, doch die Reaktion seines Sprösslings war ihm weitgehend egal. Eine Entschuldigung löschte nicht alles aus, sie milderte bestenfalls.


    Ruhig vernahm er die Worte seines Sohnes, er hatte sich längst abgeregt, und doch lag unbeugsame Strenge auf seinem Gesicht, als er sich umwandte. Er vermied den Blickkontakt zum Sklaven und doch sprach er ihn an, während sein Auge auf Lucius ruhte.


    "Er wird diese Nacht in Ruhe über sein Fehlverhalten nachdenken können, in den Sklavenquartieren, um den Unterschied zwischen Sklave und Herr zu erkennen. Macht ihm ein Bett und zwar gleich. Er begleitet dich sofort."


    Die Stimme des Claudiers ließ keinen Zweifel aufkommen, dass dies sein letztes Wort war. Er war nicht bereit, auch nur ein Stück seiner Autorität gegenüber seinem Sohn einzubüßen. Lucius musste lernen, dass Respekt gegenüber Gleich- oder gar Höherrangigen die allererste Pflicht eines Römers war. Mit seinem Vater würde er sich zukünftig allein auf dieser Basis verständigen können.

  • "Ja eben darum, Opa! Mama ist krank und ich muss sie pflegen, sie ist doch ganz alleine dort!"


    Hatte er schnell eingebracht und blickte fragend in die Augen des älteren Mannes, der ihm versuchte zu erklären, wie wichtig es war hier zu bleiben. Damit würde er keinen Erfolg haben, das wussten wohl beide, denn Lucius hatte von den vielen Eigenschaften seiner Mutter eine ganz entscheidende besonders entwickelt, die Sturheit.


    "Aaaaaaber, Mama sagt ich bin ihr Sonnenschein. Und ohne Sonnenschein sind die Blumen auch ganz traurig und sterben. Soll Mama ohne mich sterben, Opa Myrtilus, soll sie das? Wirklich? Ich will das nicht."


    Lucius war nun doch ruhiger geworden und war sogar recht interessiert an dieser Unterhaltung, etwas sonderbares, denn normalerweise waren Spielzeuge und Tiere wichtiger und interessanter. In Baiae gab es auch immer diese tollen Vögelchen, die er aber nie berühren durfte. Man sagte ihm zwar, dass die Vögel in beissen würden, aber Lucius wusste insgeheim, dass jeder nur Angst hatte, dass der starke Lucius das Vägelchen zu fest anpackt und es nicht mehr singen kann. Einige Vögelchen hatte er ja schon unabsichtigt befreit, als er sie auf ihre Robustheit testen wollte. Die waren doch flinker als angenommen.
    Die Worte des Vaters, der als Vater noch gar nicht akzeptiert worden war, ließen ihn seine Gedanken bündeln, nicht zu Vögelchen, sondern zu dem einzig wahren und richtigen Entschluss: Panik.


    "Neeeeeeeeeeeeeein, ich will nicht da hin!"


    Sofort klammerte er sich an Opa Myrtilus und schüttelte den Kopf so heftig wie er nur konnte, um seinen Schrei über das ganze Zimmer zu verstreuen.


    "Ich will hier weg, die sind alle gemein! Ich will zu Mamaaaa!"

  • Innerlich gespannt, äußerlich jedoch zuversichtlich, betrachtete Myrtilus die Rückansicht seines Neffen, bis dieser sich umwandte und eine viel zu strenge Entscheidung traf. Mit einer Spur Bedauern und gehörigem Missverständnis sah er Vesuvianus in die Augen, nachdem dieser sein Urteil nicht revidierte, sondern bestätigte. Der Junge machte es dem Alten auch nicht gerade leichter, sodass sich nun eine steile Falte auf Myrtilus' Stirn zeigte. Er seufzte und wandte den Blick von Vesuvianus ab, um Lucius anzuschauen. "Na na na, sie wird doch nicht sterben! Dazu ist sie doch noch viel zu jung, hm? Und sie hat auch ganz viele Sklaven, die auf sie aufpassen. Mach dir da mal keine Sorgen", besänftigte Myrtilus den kleinen Brutus. "Deine Mutter ist viel zu stark, und außerdem will sie dich doch einst auf einer großen Rednertribüne sehen, wo dich alle bewundern werden." Und dass dies früher oder später gelänge, dessen war sich Myrtilus sicher.


    Als die Worte des Vaters jedoch den Jungen erreicht hatten, war klar, warum Myrtilus wohl kaum mehr etwas hörte: Während Lucius den Kopf schüttelte, brüllte er intervallweise dem Opa ins Ohr. Dieser sah perplex und erschrocken Vesuvianus an und versuchte, trotz des Klammerns des Jungen noch irgendwie zu atmen. "Lucius.... Lucius!..." versuchte Myrtilus es anfangs kläglich, ehe er ziemlich bestimmt wurde und den Jungen einfach festhielt. "LUCIUS! Ich bitte dich, führe dich nicht so auf! Hast du vergessen, dass die Germanen mit dieser Art des Aufbegehrens stets scheitern?" polterte er, doch kaum hatte er geendet, wich der grimmige Ausdruck erneut einem Großvatergesicht, auch wenn es etwas unglücklich dreinsah. Myrtilus sah Vesuvianus mit einem Blick an, der stimm fragte: Siehst du, was du angerichtet hast?

  • "Lucius, ein Mann muss für seine Taten und Worte einstehen, das erwarte ich jetzt von dir. Zieh die Lehre daraus, dir zukünftig stets im Vorfeld zu überlegen, was du sagst und was du tust. Die Folgen gemachter Fehler sind mitunter verheerender als eine Nacht im Sklavenquartier."


    Claudius war es langsam Leid, hier noch länger zu diskutieren, er wandte sich demonstrativ um und nahm erneut auf der Kline Platz. Ein Wink an die Sklaven gebot den endgültigen Abtransport seines Sohnes. Der zwar unter Protest, aber bald darauf das Triclinum verließ.

  • Wenigstens war Vesuvianus' Stimme nicht mehr von solcher Wut beseelt wie eben noch, sondern klang nur mehr streng und entschlossen. Myrtilus seufzte ergeben und ließ bedauernden Blickes zu, dass man ihm den Jungen vom Schoß zerrte und mit ihm verstand. Es blieb ihm ohnehin nichts anderes übrig, als sich dem Willen des Hausherren zu beugen, selbst wenn Vesuvianus jünger war als sein Onkel. Als der kleine Brutus fort war, schüttelte Myrtilus bedauernd den Kopf. "Ach Herius, das war unklug. Der Junge wird dich nicht als seinen Vater akzeptieren, wenn du ihn beständig so strafst und ignorierst. Er ist noch sehr jung, übe Nachsicht, zumindest etwas, ich bitte dich. Dann wird er dir vielleicht eines Tages nacheifern." Myrtilus seufzte und ließ sich mit einem Wink einen Becher Wein reichen, sprach jedoch ohne ausreichend lange Unterbrechung weiter, sodass Vesuvianus nichts anderes blieb, als ihm entweder zuzuhören oder ihm ins Wort zu fallen. "Lieber Neffe, du kennst doch dein Weib. Es ist nicht des Jungen Verdienst, dass er so ist, wie er ist. In ihm steckt großes Potential, glaube mir. Er hat bereits beachtliche Fortschritte gemacht. Ich kann mich noch an die Besuche bei der Familie deines Vaters erinnern - oh, ich muss etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein - du warst in Lucius' Alter und hast dich in keinster Weise für Gespräche interessiert. Nur dein Holzgladius konnte dir Freude bereiten - und mir blaue Flecke. Vielleicht erwirbst du das Vertrauen des Jungen, wenn du ihn den Umgang mit dem Holzgladius lehrst? Gewiss wird er Freude an solcherlei Übungen haben und seinem Vater ein Stück näher kommen - was mir unabdingbar scheint. Höre auf den Rat deines alten Onkel, Herius, und nutze die Gunst der Stunde, ehe Ofella den Kleinen erneut umgarnt."

  • Er strampelte, schrie, stieß den Sklaven mit den Füßen in den Magen und schien von Furien beseelt zu sein.
    Was konnte er anderes machen, um entweder die volle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder seinem Unbehagen Ausdruck zu verleihen? Dieser Weg hatte stets funktioniert, doch heute war der erste Dämpfer, hier schienen andere Regeln zu gelten, andere Wege mussten gefunden werden. Tränen und Rumgeschreie halfen wohl wenig.

  • Vesuvianus verfolgte das Spektakel, als sein Sohn hinaustransportiert wurde, mit ungerührter Miene. Er wandte erst nachdem sie wieder alleine waren den Kopf, um nachdenklich die Mosaiksteinchen in Form und Farbe zu kontrollierten, die an der gegenüberliegenden Wand zu einem hübschen Bild zusammengefügt worden waren. Er bedauerte den Verlauf des Tages, nicht aber seine soeben getroffene Entscheidung.


    Als Myrtilus seinen Einwand brachte, war der Wille nicht stark genug, sofort zu widersprechen, obwohl er keineswegs der Meinung war, dass derartige Strafen eine Akzeptanz seines Sohnes verhinderten. Es kam ihm auch nicht in erster Linie auf die Akzeptanz als Vater an, sondern auf ausgeübte Konsequenz und dem Lernen am praktischen Erleben bei gleichzeitigem Verzicht auf verweichlichende Erziehungsmaßnahmen. Sein Eindruck, der Junge wurde bisher zu zaghaft angefasst, verstärkte sich, als Myrtilus von Nachsicht sprach. Er suchte den Blickkontakt zu seinem Onkel, wunderte sich über dessen nachgiebige Einstellung, ließ ihn aber ausreden, weil er viel von Höflichkeit in den eigenen vier Wänden hielt.


    Mit den nächsten Vorschlägen konnte Claudius bereits deutlich mehr anfangen. Warum nicht? Eine Unterweisung in Kampftechnik würde ihm selbst Vergnügen bereiten und dem Jungen einiges an Erfahrung bringen.


    "Kein übler Gedanke. Allerdings betrachte ich es nicht als notwendig, um das Vertrauen meines Jungen zu buhlen. Im Gegenteil. Er muss einiges bieten, damit ich einmal etwas wie Stolz empfinden kann."


    Er betrachtete den gutmütigen Alten, bevor er die Gedanken in Worte formte.


    "Akzeptiert denn ein Sohn seinen Vater, wenn er stets nachgiebig ist? Auf mich wirkt es wie Schwäche, die ich als Kind bereits auszunutzen gelernt habe."

  • Myrtilus betrachtete seinen Neffen schweigend. In gewisser Weise konnte er sogar nachvollziehen, was ihn dazu bewog, hart mit dem Jungen zu sein. "Nein nein, du missverstehst mich, Herius. Es ist nicht die Art der Strafe, vielmehr der Zeitpunkt. Lucius ist fünf, lieber Neffe. Er hat soeben seine erste Reise unternommen, verspürt sicherlich einen ernormen Bewegungsdrang nach dem langen Sitzen. Man präsentiert ihm seinen Vater, jemanden, den er nicht kennt und der ihn beinahe augenblicklich derb bestraft. Es ist doch nicht so, dass ich sein Verhalten billigen würde, nein, in seinem Alter sollte er von Sklaven und Familie unterscheiden können...es ist nur...nun, einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte es nicht geben können. So wie die Küken nach dem Schlupf auf die Henne geprägt sind, so ist ein erster Eindruck prägend. Jenen, den Lucius nun von dir gewonnen hat, kannst di nicht allen Ernstes gutheißen, das glaube ich nicht", erwiderte Myrtilus und schüttelte entschieden den Kopf. "Ich will dir einen Rat geben, mein lieber Neffe, den du annehmen solltest. Immerhin habe ich schon einige Kinder großgezogen... Lasse etwas Zeit verstreichen und hole dir dann den Jungen zum Übungskampf. Vielleicht schenkst du ihm ein gladius, wenn er sich gut macht. Solcherlei Beschäftigung kann die Bindung zwischen Vater und Sohn nur festigen." Myrtilus stellte seinen geleerten Weinbecher fort und seufzte. Er wollte das Thema nicht weiter vertiefen, was geschehen war, war geschehen und konnte nun auch nicht wieder dadurch bereinigt werden, dass Vesuvianus den Kleinen zurückholen ließ, denn damit würde er vollends sein Gesicht verlieren. Um das Thema zu wechseln, erkundigte er sich nach Vesuvianus' anderen Kindern. "Was machen Prisca und Epicharis? Ich bin mir sicher, sie gedeiehen prächtig und verdrehten der Männerwelt Roms gehörig den Kopf?"

  • Claudius hörte sich aus Höflichkeit die Worte des alten Mannes an, die einerseits durchaus klug wirkten, ihn aber dennoch nicht erreichten. Die Höflichkeit gebot, dass er wartete, bis der andere mit seinen Ausführungen fertig war.


    "Um ehrlich zu sein, bin ich weder darauf bedacht, einen guten Eindruck bei meinem Sohn zu hinterlassen, noch glaube ich, dass der jetzige ein schlechter ist. Vater sein bedeutet für mich in erster Linie Autorität durchzusetzen, zu erziehen, zu schulen und zu führen. Es liegt an meinem Sohn, wie schmerzhaft dieser Prozess für ihn ausfallen wird. Er besitzt eine Reihe an Wahlmöglichkeiten, und mit diesem Auftritt von heute habe ich klargestellt, wer am längeren Hebel sitzt und dass Handlungen generell Folgen haben. Mitunter lernt man am schnellsten, wenn es weh tut. Sag nicht, dieses Prinzip kennst du nicht."


    Er sah Myrtilus offen an, den er als Onkel sehr schätzte, der ihm jedoch als Mann und Vater viel zu weich und nachgiebig vorkam.


    Als die Sprache auf seine Töchter kam, musste er überlegen, bevor er antwortete. Claudius hatte sich selten um deren spezielles Leben gekümmert, er wusste freilich die Oberflächlichkeiten, aber dann hörte die Kenntnis bereits auf.


    "Sie sind gesundheitlich wohlauf. Prisca ist verreist und Epicharis verhält sich meines Wissens korrekt." Wie anders sollte er die Andeutung seines Onkels sonst verstehen?

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