Über Stock und über Stein...

  • Auf den Straßen und Wegen des Reiches, vorbei an so manchen Bäumen, zog die kleine Reisegesellschaft, die "nur" aus vierzehn Sklaven, vier Pferden, einem Reisewagen,einem Gepäckkarren und natürlich derjenigen bestand, die über dies alles verfügte: Eine mittelgroße, rothaarige, etwas kräftigere Frau in Pink.


    Claudia Ofella, welche ebendiese Person war, saß in ihrem Reisewagen und wurde auf dem unbefestigten Weg, welcher an Puteoli verbei führte, kräftig durchgeruckelt. Zarah, ihre Leibsklavin, saß ihr gegenüber und versuchte, auf ihrer Kithara zu spielen, kam jedoch bei jedem neuerlichen Hüpfer entweder aus dem Takt oder traf die falschen Töne. Ofella entlockte dies anfangs nur missgestimmte Blicke, die sich nach gut sieben Stadien allerdings zu mordlüsternen Geschossen gewandelt hatten und nun drohten, die zierliche Sklavin beim nächsten falschen Ton mit ihrem ledernen Stirnband zu erwürgen. Man mochte so gar nicht annehmen, dass Ofella doch eigentlich 'Leckerbissen' bedeutete, vielmehr würde man die Eltern aufgrund der Namensgebung der Ironie bezichtigen und vermuten, dass Ofella eine giftige Rankpflanze sei, welche mittels eigener Triebe die Umgebung zum Ersticken brachte.


    Es kam, wie es kommen musste. Der Lenker wich einem großen Schlagloch aus, nahm dafür aber ein kleineres in Kauf. Die Insassen wurden dabei auf ihren Bänken nach rechts und links geruckelt, und eine Seite der Kithara riss. Zarah presste das Instrument augenblicklich an ihren Körper und sah die Patrizierin angsterfüllt an. Die düstere Aura, welche Ofella in den letzten Minuten umgeben hatte, geronn zu fester Materie, in der ihre Augen grün zu leuchten schienen. Sie holte tief Luft und wollte gerade Dampf ablassen, als der Wagen unverhofft anhielt und Ofella nurmehr ein ersticktes "Äh?" hervorbrachte, um sich verblüfft blinzelnd umzusehen. Zarah nutzte die Gunst der Stunde, legte die Kithara fort und sprang nach draußen. "Ich werde nachsehen, warum wir anhalten, Herrin."


    Ofella schürzte missfallend die Lippen, konnte es aber allein im Wagen nicht aushalten und steckte den roten, hübsch frisierten Lockenkopf nach draußen. Der Wagenlenker kam ihr mit Ofellas Leibsklavin an der Seite entgegen, eine fröhliche Miene zur Schau tragend. Noch ehe er richtig heran war, wies er mit dem ausgestreckten Arm landeinwärts. "Herrin, schau nur, dort drüben erstrecken sich bereits die campi flegrei! Ich dachte, vielleicht möchtest du einen Blick auf sie werfen, ehe wir weiterfahren?" fragte er und blieb stehen. Ofella wandte den Kopf und blickte in die Richtung, in welche der Sklave gewiesen hatte. Etwas der guten Laune kehrte zurück. "Die phlegraeischen Felder...hm. Na, von mir aus. Immerhin schrieb bereits Vergil in seiner aeneis davon. Ist gewiss eine Besichtigung wert. Fahre dort hin, eine kleine Pause tut sicher auch meinem Gesäß recht gut." Sie zog sich zurück und nahm seufzend wieder Platz. Vielleicht fand sich noch ein glühendes Loch, dann würde sie Zarah hineinstoßen lassen, sofern sie nicht lernte, die Kithara ordentlich zu beherrschen, überlegte sie amüsiert, als bereits wieder ein Ruck durch die Kolonne ging und das Holpern sich fortsetzte.

  • Die phlegraeischen Felder waren ein Reinfall. Loch an Loch, Schlacke und Dunst überall, Steine und Felsen von ungesund gelber Farbe, widerlich blubbernde Kuhlen, heiße Luft und über allem ein fürchterlicher Gestank nach Schwefel. Manch einer mochte Ofella zwar ohnehin mit heißen Temperaturen und dem Geruch nach Schwefel verbinden, glaubte, den Schwefeldunst gar so manches Mal durch ihre Nüstern aufsteigen zu sehen, doch für die noble Patrizierin war dies definitiv keine Umgebung, in der sie sich länger aufhalten wollte, als es unbedingt nötig war. Der Wagenlenker erhielt seine Strafe für den törichten Vorschlag, dieses von Vergil beschriebene Gebiet zu besichtigen und durfte den Rest des Weges hinter der Reisegesellschaft her laufen - und der Weg war noch weit.


    So setzte sich die Reisegesellschaft also recht bald nach der Ankunft an den brennenden Feldern erneut in Bewegung, um weiterhin der großen Stadt entgegenzustreben. Ein Gutes hatte der kurze Aufenthalt aber doch gehabt: Ofella hatte die Kithara ihrer Sklavin kurzerhand in einem dieser stinkenden Löcher mit sprudelndem Wasser versenkt, sodass sie nun nicht mehr Gefahr lief, einen Hörsturz zu erhalten, weil Zarah unfähig war. Missgelaunt ließ sich die Patrizierin hin und her ruckeln vom Wagen, auf dessen Kutschbock nun ein anderer Sklave saß. Bald darauf fiel sie ihn einen leichten Schlaf.


    Ofella erwachte, als der Wagen hielt und das Ruckeln damit aufhörte. Sie setzte sich schlaftrunken auf und warf einen Blick in die Runde, denn ihre Augen sahen sogleich klar im Zwielicht, welches hier drinnen herrschte. Zarah war schnell heran und richtete wortlos und unaufgefordert die Schminke der Herrin und ihre stola. Anschließend half sie der Ofella aus dem Wagen, welcher vor einer mansio des cursus publicus stand. Hier würden sie die Nacht verbringen. Ofella stellte sich zwar etwas anderes unter dem Wort Unterkunft vor, doch da nichts anderes in Reichweite war, musste sie eben mit der kargen Einrichtung, dem einfachen Essen und dem harten Bett vorlieb nehmen. Wenn sie erst in Rom angelangt war, so nahm sie sich vor, würde sie sich all ihre Lieblingsspeisen bereiten lassen und einen Tag lang nichts anderes tun, als immer wieder von ihnen zu essen.


    Zwei Stunden später schlief sie mit hungrigem Magen, in welchem ein Stück hartes Brot und ranziger Ziegenkäse lagen, ein.

  • Das Frühstück war in jener mansio nicht viel besser als in den nachfolgenden. Ofella begann, sich mit jedem stadium, das sie zurücklegten, unwohler zu fühlen. Zarah, die Sklavin, konnte ihre Herrin nicht aufheitern, und so legten sie den Großteil der weiteren Reise nun schweigend zurück. Auffälligerweise hatte Ofella auch kaum mehr etwas zu meckern. Was ihr anfangs nicht schnell genug ging, verlief nun in einer für sie optimalen Geschwindigkeit, was ihr zuvor zu sehr ruckelte, empfand sie als einlullend angenehm. Es schien gar so, als hätte die Tage dauernde Reise von der herrschaftlichen villa in Baiae zum Sitz der Politik und Macht, Rom, Ofella sanftmütiger wierden lassen - oder aber sie würde lediglich krank werden und verlieht sich deshalb so zurückhaltend.


    Bald hatten sie Tibur passiert, dessen Tempel und Stadtrandhäuser man aus der Ferne sehen konnte. Rom war bereits in Sicht, und das erweckte die Lebensgeister Ofellas zu neuem Leben. Bald würde sie ihren kleinen Lucius in die Arme schließen und herzen können, ach, sie hatten sie ja so lange nicht mehr gesehen! Ob er wohl gewachsen war? Wenn der Knabe auch nur entfernt nach seinem Vater schlug, so würde er dereinst ein prächtiger Bursche werden, hochgewachsen, mit flachsblondem Haar vielleicht, wobei viele Jungens in ihrer Kindheit helles Haar hatten und mit der Zeit nachdunkelten. Ofella war guter Dinge. Bald erreichte die kleine Reisegesellschaft das Stadttor, an dem sie wegen der Händler und des Pöbels eine Weile warten mussten, doch erstaunlicherweise tat dies der guten Laune der Claudierin keinen Abbruch, sondern stimmte sie umso vorfreudiger. Eine halbe Stunde später hatten sie dann auch das Tor passiert. Ofella entstieg dem Wagen und winkte eine Sänfte heran, welche sie durch das Gewimmel der Stadt sicher bis zur villa Vesuvianus' bringen würde. Der Reisewagen würde nur dauernd aufgehalten werden und ständig in der Menschenmasse stecken bleiben.


    Die Träger waren schnell angeheuert, und genauso schnell befanden sie sich auf dem Weg zum Palatin. Das Gepäck würde gesondert seinen Weg finden. Aufgeregt wippte Ofella mit den Zehenspitzen auf und ab. Und eine weitere halbe Stunde waren sie endlich da.

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