Im Auftrag der Schola

  • Ätherisch fiel das Licht in die Halle des Museion. Atemlos ob der Aussicht baldig in der größten Bibliothek der bekannten Welt zu stehen, blieb Medeia in dem Saal stehen, dem Heiligtum der Musen. Weiß schimmerte der Marmor, das Licht schien die Statuen aus griechischer Hand geschaffen zu liebkosen und die Gesichter der Musen, Gönnerinnen der Künste und Wissenschaften, sahen mit mildem Lächeln, aufmerksamen und lebendigen Ausdrucks auf Medeia hinab. Viele der Musen waren nackt, manche mit einem hauchdünnen Peplos bedeckt, der nichts von ihren weiblichen Körpern verbarg. Jegliches Detail, die Liebe zur Schönheit drückte sich in den Statuen aus und verriet die Hand eines Meisters dahinter. Um Medeia herum herrschte eine andächtige Stille. Es war früher Morgen und im Heiligtum schien sich niemand außer den Musen und Medeia (die Sklaven in ihrem Anhang würde Medeia nicht als Personen zählen) aufzuhalten. „Ist das schon die Bibliothek?“, fragte Pumilus. Medeia, die gerade die Atmosphäre genießen wollte wandte sich verärgert um. „Raus, ihr wartet draußen.“ Es war wohl wieder an der Zeit ihren unverschämten Sklaven mal aus zu peitschen. Auf der Reise war Pumilus richtig gehend frech geworden und vorlaut.


    Erst als das Fußgetrippel der Sklaven verstummte, ging Medeia einige Schritte auf Aoide zu und sah ihr in ihr fein geschnittenes Gesicht und den grün bemalten Augen. Jeden Moment konnte die Statue lebendig werden. „So sprich, Sterbliche, was willst Du?“ Medeias Mund öffnete sich verblüfft. Die Statue sprach mit ihr. Schnell sah sie sich um, ob nicht jemand ihr einen Streich spielte. Aber nein, sie war alleine im Heiligtum. „Ich...ähm...“ So direkt hatte noch keine Göttin mit ihr gesprochen, weswegen Medeia erst mal sprachlos war. „Nun, zaudere nicht, Mädchen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Künstler sind doch ein schwieriges Völkchen. Immerzu brauchen sie meine Hilfe. Oh Aoide, bitte hilf mir bei der Melodie. Oh Aoide, mir fällt wieder nichts ein. Oh, Aoide, bitte sende mir Deine Gaben, sonst verhungere ich...ja, ja, so sind die Sterblichen. Alleine bekommen sie nie etwas hin. Und Du? Was willst Du?“


    Mit aufgerissenen Augen hatte Medeia die Stimme vernommen und starrte verblüfft auf Aoide. „Eigentlich...nun, wenn Du mich das so fragst.“ Medeia zögerte einen Moment und beugte sich verschwörerisch vor. „Ich singe wie eine Krähe, könntest Du das vielleicht ändern?“ Ein gackerndes Kichern erschallte von der Statue, die mit einem Mal eine Oktave tiefer wurde. Medeia bewegte sich von der Statue weg und runzelte misstrauisch die Stirn. „Aoide?“ Doch die Statue blieb stumm. Verwundert schüttelte Medeia den Kopf und tat es als eine Begegnung ab, die sie ähnlicher weise mit zahlreichen Toten hatte. Warum sollten nicht auch noch Götter mit ihr sprechen? Medeia war diesbezüglich keineswegs erstaunt. „Du brauchst Dich nicht zu wundern, Gklykon ist ein Witzbold. Und mit seiner Apparatur verschreckt er gerne die Gläubigen.“ Medeia wandte sich um und sah einen jungen Mann vor sich stehen. Er trug eine langen Chiton, in grauer Farbe gehalten und seine Locken waren mit einem Stirnband gebändigt. „Apparatur?“ Der Grieche nickte. „Ah so...“ Einen Moment war Medeia aus dem Konzept gebracht und sah zu der Statue.

  • Die Unschlüssigkeit währte nicht lange und Medeia sammelte schnell ihre Gedanken. Gülden erstrahlten die Gesichter der Musen um sie herum und schienen jeden Augenblick lebendig werden zu können. In solchen ehrwürdigen Hallen fühlte Medeia sich besonders gehemmt. Doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen und behielt eine kühle und unerschütterliche Haltung. „Mein Name ist Artoria Medeia und ich komme von der Schola aus Rom. Ich bin vom Rektor der Schola Atheniensis nach Alexandria gesandt worden, um das Museion zu begutachten.“ Schon im selben Augenblick merkte Medeia, dass sie völlig falsche Worte gewählt hatte. Die Miene des jungen Mannes verschloss sich schlagartig und seine vorher freundlich, milde Haltung wurde abwehrend und brüsk. „Begutachten? Wenn Du den Epistratos zu sprechen wünschst, kann ich Dich gerne zu seiner Sedes führen lassen.“ Medeia seufzte leise in sich hinein und nickte. „Das wäre sehr freundlich.“ Der junge Mann winkte einen Sklaven heran. „Führe sie zur Sedes des Epistratos.“ Der Sklave neigte den Kopf und deutete Medeia ihm zu folgen, was sie auch tat. Noch einige Schritte vom Tempel der Musen entfernt, schien Medeia den feindseligen Blick des Priesters auf ihrem Rücken zu spüren.

  • Es schienen ihr Stunden vergangen zu sein und mittlerweile war Medeia mehr als erbost. In eine Reihe von Bittstellern war sie eingeordnet worden, saß nun schon seit einer Weile auf einem Stuhl im Vorraum der Stege und starrte auf einen Platz, der immer mal wieder von einer Sänfte betreten wurde, von Sklaven oder Schülern des Museion. Ebenso lebhaft ging es in dem Vorraum mit den zahllosen Schriften in den Regalen zu. Neben ihr ließ sich ein dickleibiger Mann über irgendwelche großartigen Pläne aus, die das Bewässerungssystem von Alexandria revolutionieren würde und ein Vater ermahnte seine beiden Söhne sich bei dem Bibliothekar gut zu benehmen. Medeia verzog verärgert den Mund und sah zu dem jungen Sklaven hinüber, der nur kurz von seinen Schreibarbeiten auf sah und entschuldigend zu ihr hinüber lächelte. Womöglich war das freundliche Gehabe des Demosios der einzige Grund, warum Medeia überhaupt noch hier saß, aber dann riss doch ihr Geduldsfaden. Sie stand auf, zog sich die Palla zurecht und ging schnurstracks auf den Sklaven zu, änderte erst im letzten Moment die Richtung und ging zur Tür. „Moment!“, hörte sie in ihrem Rücken. Doch zu spät! Medeia öffnete die Tür und trat in die Stege des Bibliothekars. „Chaire, mein Name ist Artoria Medeia und ich komme von der Schola von Rom. Meine Zeit ist begrenzt und ich nicht mehr dazu geneigt, noch weiter von Deinem Arbeitszimmer zu warten.“

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    ~~Tychios von Chalkis~~


    Ein Tonbecher fiel um, als der erschrockene Besucher, ein junger Mann, sich um wandte und mit dem Ellbogen gegen das Gefäß stieß. Rot wie Blut, im Sonnenlicht funkelnd, ergoss sich der Inhalt des Bechers über einem elfenbeinfarbenem Vellum, verwischte blaugraue Tinte und sorgfältig bemalte Buchstaben. Erschrocken starrte der junge Mann, dem das Malheur durch den Schreck passiert war, auf das kleine Desaster. „Tu...tu...tu...tut mir l-l-leid!“, stotterte er hilflos. „Idiot!“, herrschte ihn der Bibliothekar leise an und erhob sich mit Ingrimm auf dem Gesicht, welche Gefühlsregung er sogleich auf die herein tretende Römerin richtete. „Pflegt man in Rom nicht an den Türen zu klopfen oder die Regeln des Hauses zu respektieren?“ Kalt starrte er die Frau ein, die so unaufgefordert in sein Reich geplatzt war. Abgesehen davon, dass der Bibliothekar es einfach als unverschämt empfand, war sie noch eine Frau und für ihn somit sowieso ein suspektes Wesen, fern von ratio und logos. „Im Auftrag der Schola? So, was wünscht die Schola von dem Bibliothekar des Museion?“, fragte er frostig.




  • Das Sonnenlicht umschmeichelte die Büsten all jener, die in den letzten Jahrhunderten in diesem Arbeitsraum gesessen, gewirkt und das Museion mit geformt hatten. Markante Nasen, hohlwangige Antlitze, mal ein fliehendes Kinn oder buschige Augenbrauen starrten Medeia entgegen. Dennoch hatten die Bildhauer der verschiedenen Zeiten es geschafft, den Büsten einen würdevollen Ausdruck zu verleihen, den man von einem Bibliothekar auch erwartete, als Priester des Musentempel und Leiter der größten Schule der bekannten Welt. Weit weniger würdevoll erschien Medeia jedoch der weißhaarige Gelehrte, der sich brüsker Manier benahm. Medeia musterte schnell den älteren Mann und straffte noch ein wenig mehr ihre Gestalt. „Es ist mir auch eine außerordentliche Freude, Dich kennen zu lernen, Tychios von Chalkis*“


    Ihr Gesicht zierte ihr übliches glattes Lächeln, was keinen Funken von Ehrlichkeit aufwies. Lautlos schritt sie auf den Schreibtisch zu und winkte den jungen Mann zur Seite, der bemüht war mit dem Ärmel seines Gewandes den Wein weg zu wischen. Ohne aufgefordert zu sein, nahm Medeia Platz und lächelte weiterhin. „Die Schola ist interessiert zu erfahren, wie der Zustand des Museions ist. Die Qualität der Lehre, die Befähigung der Gelehrten, die zur Zeit hier tätig sind, die Anzahl der Schüler und ähnliche Dinge. Immerhin...“ Medeia Lächeln wurde einen Hauch hämischer, doch das war nur ein kurzes Aufblitzen. „...hat Rom die Oberhoheit über Ägypten und die Schola steht diesbezüglich in der Verantwortung, was das Museion angeht. Würdest Du bitte den jungen Mann hinaus schicken? Ich denke, wir haben einiges zu besprechen.“




    *Medeia hatte natürlich ihre Hausaufgaben gemacht und vorher in Erfahrung gebracht, wer der Bibliothekar des Museions derzeit war.

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    ~~Tychios von Chalkis~~


    Frostige Kälte schlug der Römerin entgegen. Kein Funke von einem geheucheltem Lächeln, keine Versuche von jedwegigem Überspielen etwaiger Animositäten. Nein, jeder Zoll von dem Bibliothekar sprach und schrie von der Verachtung und der Abneigung, die er gegenüber den Römern hegte, die glaubten sich als Weltherrscher aufspielen zu müssen (egal, ob sie es nun mal auch waren). Pures griechisches Selbstbewusstsein, geboren aus der alten Kultur und Wiege jeglichen hohem Geistesgut, wurde von dem griechischen Gelehrten ausgestrahlt. Der Bibliothekar musterte sie einige Momente derart schweigend, gebrauchte keine Gesten um all das auszudrücken. Schließlich hob er die Hand und winkte den jungen Mann herrisch hinaus, der hastig ein Papyrus und anschließend die Flucht ergriff.


    „Du bist nur eine Frau, darum sehe ich Dir Dein frevelhaftes Verhalten nach.“, begann der Bibliothekar und nahm gelassen auf seinem Stuhl Platz. Pikiert betrachtete er einige Sekunden lang einen Weinfleck auf seinem schönen, großen Holztisch ehe er sich wieder seiner 'Besucherin' widmete. „Dennoch möchte ich Dir einiges vor Augen führen. Ich bin der Priester der Musen, ich bin der oberste Bibliothekar von Alexandria und unterstehe einzig und alleine dem göttlichen Basileus, dem Pharao von Ägypten. Von niemandem, außer den Göttern oder dem einzigen Gott auf Erden, werde ich Anweisungen entgegen nehmen. Benehme Dich danach oder ich lasse Dich aus dem Museion werfen. Egal mit welchen pompösen, römischen Titeln Du Dich hier in dem Tempel der Musen brüsten willst.“ Ein eisiges Lächeln huschte über sein Gesicht und der Bibliothekar schien nur darauf zu warten, dass er Widerworte hörte.




  • Eine derartige Kälte überraschte Medeia nicht, wenn sie auch gehofft hatte, dieser nicht zu begegnen. Innerlich wurde sie zwar dennoch zornig, überspielte das jedoch mit einem (zugegen etwas gezwungenem) Lächeln. Adrett faltete sie ihre Hände auf dem Schoß und ließ jede Belehrung und Rüge über sich ergehen. Sie hatte stets die Erfahrung gemacht, dass man alte Männer reden lassen sollte bis sie fertig waren und sich um ihr Geschwätz nicht sonderlich zu kümmern brauchte. Die Drohung des Rauswerfens verärgerte Medeia durchaus, aber sie ließ sich davon nichts anmerken. Es würde auch nichts bringen. Immerhin hatte sie ihr Ziel bereits erreicht, sie musste nicht länger draußen warten. „Werter Epistates. Das werde ich beherzen. Doch nun möchten wir vielleicht anfangen?“ Sogar ihrer Stimme versuchte sie noch einen freundlichen und höflichen Ton abzutrotzen. Was ihr auch einigermaßen gelang. Und tatsächlich, ein vernünftiges Gespräch entstand dann doch noch. Eine Stunde später verließ Medeia den Arbeitsraum mit einigen Schriftrollen. Ein Sklave führte sie dann noch durch das Museion, gab ihr Listen der Gelehrten und Schüler und am späten Nachmittag verließ Medeia den großen Komplex.

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