Zwei Priester unterwegs

  • Wieder war einer jener Sommertage, an denen man in Rom das starke Gefühl bekam, das Pflaster würde versuchen, jene, die darauf liefen, auf kleiner Flamme zu garen. Glücklicherweise hatten findige Menschen einst die cabatinae erfunden, und so blieb mir das Schicksal gegarter Füße erspart, aber wenn man in Toga und Tunika gleichermaßen unterwegs war, fühlte man sich doch sehr schnell wie ein Brotlaib im Backofen. Der Vormittag im Tempel war schnell vorübergegangen, und da sich meine Lust auf ein weiteres Gespräch mit meinen in Ehren ergrauten Kollegen über deren Zipperlein und Krankheiten in sehr engen Grenzen hielt, hatte ich den Tempel für meine Pause verlassen und mich auf den Weg gemacht, in einer der kleinen Garküchen etwas zu erstehen, was mir bis zum Abend den Magen füllen sollte. Als ich über den Vorplatz des Marstempels ging, hätte ich gut und gerne mindestens zwanzig Sklaven gebraucht, die mir frische Luft zufächelten, und eigentlich war die Vorstellung, mich jetzt kurz bis Kopf unter Wasser in einen Brunnen zu setzen, ebenso reizvoll wie angenehm, vor allem, wenn man meine letzte Brunnenepisode bedachte*, aber es wäre meinem ansehen als Priester wohl kaum wirkllich dienlich gewesen.


    So schritt ich etwas eiliger aus, um diesen Wegabschnitt der fiesesten Wärme schnell hinter mich zu bringen, als eine durchaus bekannte Silhouette vor mir auftauchte, die wohl dasselbe Ziel hatte wie ich. Sicher, wir waren uns nicht direkt vorgestellt worden, aber als Priester kannte man die meisten Kollegen zumindest vom Sehen, wenn es hohe Festtage hab, und diese Priesterin hatte ich mir vor allem wegen des weichen Schwungs ihrer Nackenlinie eingeprägt, die ich während irgendeiner ausgesprochen langweiligen Zeremonie hatte eingehen betrachten können. Vielleicht war jetzt auch die Gelegenheit gekommen, zumindest ein paar kollegiale Worte zu wechseln.
    "Salve, Decima Valeria!" Ich holte die wenigen Schritte bis zu ihr auf und lächelte sie freundlich an, wohl wissend, dass mir ebenso dünne, winzige Schweißperlen auf der Stirn stehen mussten wie den meisten anderen Menschen um diese Tageszeit auch. "Bist Du auch unterwegs, um Dir eine Erfrischung zu gönnen?" Ich ging davon aus, dass sie mich erkannte - so dämlich, zu dieser Tages- und Jahreszeit freiwillig eine toga zu tragen, waren nur Priester oder Senatoren, und ich hatte sicherlich keinen Purpurstreifen an meiner Kleidung.

  • Früh am Morgen hatte Valeria unerwarteterweise ein kleines Ferkelchen opfern sollen, das jemand mitgebracht hatte, um der Götter Gunst zu erflehen. Der hagere Mann mit dem Schweinchen war sehr seltsam gewesen, hatte jeden Satz ständig wiederholt, aber stumm gebetet und seine Bitte vorgebracht, sodass Valeria nicht sagen konnte, welchem Wunsch das Tierchen nun zum Opfer gefallen war. Leider zierten einige winzige Blutspritzer ihre sonst strahlend weiße Tunika, denn da das Blutopfer nicht eingeplant war, hatte sie kein Kleid zum Wechseln mit. Gen Mittag bekam sie Hunger, und so machte sie sich wie an beinahe jedem Tag auf, um sich etwas zu essen zu organisieren. Kaum hatte sie die wohltuende Kühle des Tempels verlassen, umschloss sie ein Glutofen und nahm ihr im ersten Moment den Atem. Einige Atemzüge später hatte sie sich allerdings an die schwirrende Hitze gewöhnt, und bereits einige Schritte später spielte sie ernsthaft mit dem Gedanken, wieder umzukehren und auf ein Essen zu verzichten zugunsten der kühlenden Ruhe des Tempels. Doch es half alles nichts, es war zwar beinahe unerträglich in den Straßen Roms, die zu allem Überfluss auch noch die Wärme speicherten und wieder abgaben, doch ihren Hunger konnte man gut mit dem eines germanischen Wolfs vergleichen, und so lenkte sie ihre schwitzenden Schritte beharrlich aus dem Tempelbezirk und auf eine der Garküchen zu, die es hier in der Nähe gab.


    Als eine volltönende Männerstimme hinter ihr Valerias Namen rief, bleib sie stehen, nur minder erschrocken, und wandte sich um. Es war gar nicht so unüblich, dass jemand nach ihr rief, doch dass dieser Jemand nach ihr rief, den sie nun gewahrte, verwunderte sie zugegebenermaßen doch etwas. Sie war sich nicht sicher, doch glaubte sie, dass sie den Marspriester auch während der letzten Nonae Caprotinae unter den höheren Besuchern gesehen hatte. Und wer hätte dieses markant-männliche Gesicht nicht augenblicklich wiedererkannt?
    Sie wartete mit einem aufgeschlossenen Lächeln auf dem Gesicht, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte, und grüßte ihn dann. "Flavius Aquilius, eine unerwartete Freude, dich zu sehen. Ich glaube, wir hatten bisher noch nicht die Ehre. Freut mich, dich kennenzulernen", erwiderte sie und nickte zum Gruß.
    "Eine Erfrischung, ja. Wobei ich fast glaube, dass es töricht war, überhaupt den Tempel zu verlassen, hier ist es schlimmer als in den alexandrinischen Wüsten. Hast du nicht Lust, zusammen mit mir nach etwas Eßbarem zu suchen?" schlug sie ungezwungen vor. Mit einem ansehnlichen Marspriester Essen zu gehen, hatte schließlich auch was für sich, also warum ihn nicht direkt darauf festnageln?

  • Wenn es überhaupt ging, so wurde mir bei ihrem Lächeln noch ein klein wenig wärmer zumute, wenngleich diese Hitze wenig mit den äußeren Temperaturen zu tun hatte. Nach einem durchaus anstrengenden Morgen, an dem ich mich mit den Sorgen und Nöten der Opfernden hatte herumschlagen müssen - und zudem mit dem ein oder anderen Opfertier - war ihr Lächeln wahre Entspannung. Auch wenn mir spätere Geschichtsschreiber sicherlich irgendwann einmal den Vorwurf machen würden, allzu leicht einem Lächeln anheim zu fallen, wenn man den ganzen Vormittag mit den Nöten anderer hatte verbringen müssen, war ein entspanntes und freundliches Lächeln die reinste Poesie.
    Von Nahem war sie sogar noch reizvoller, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte, und wer wäre ich denn gewesen, ihre Idee abzuwehren? Es war mir zwar viel zu heiss, aber glücklicherweise war es der italischen Sonne noch nicht gelungen, mein Hirn restlos auszubrennen. "Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Decima Valeria. Es geschieht ohnehin viel zu selten, dass man die Gelegenheit hat, mit einem Kollegen zu sprechen, dafür gibt es wohl doch immer wieder zu viel zu tun."


    Ich schmunzelte leicht, und war um den Zufall unseres Zusammentreffens durchaus froh, mit einer schönen Frau und einer zu erwartenden interessanten Unterhaltung meine Mittagspause zu verbringen war sicherlich nicht die schlechteste Aussicht, bedachte man meine Alternativen. "Hier in der Nähe gibt es mehrere ganz annehmbare Garküchen, wenn Du lieber etwas einfaches möchtest, und eine taberna, in der sie auch mittags schon gute Sachen anbieten, ganz zu schweigen von relativ kühlem Wasser und einem trinkbaren Wein. Wenn Du es mir gestattest, würde ich Dich gerne einladen."
    Zum einen schickte es sich nicht, wenn in einer taberna die Frau für sich selbst bezahlte, zum anderen waren die Sesterzen in meinem Beutel nie sonderlich festgewachsen, warum also nicht? Und wenn es ihr eine kleine Freude bereiten würde, war die Idee umso besser und angenehmer. Nicht zuletzt würde mir vielleicht noch das Vergnügen bleiben, mit dieser hübschen Iuno-Priesterin einige neckische Worte zu wechseln - so gesehen hatte meine Einladung nur Vorteile, wann kam man im Leben schon in eine solche Situation? Zumindest versprach die taberna Schatten, und das war im Augenblick jedenfalls für mich das überzeugendste Argument.

  • Valeria musste schmunzeln und legte den Kopf leicht schief. "Oder aber, es liegt an der Tatsache, dass die Tempel zu weit auseinanderstehen, aus denen wir dienen. Du als Marspriester und ich als Iunopriesterin...uns bleibt daher wohl nur der Zufall über, der unsere Wege heute verbunden hat", sinnierte sie unf schenkte dem Flavier ein freundliches Lächeln. Allein an seiner stattlichen Statur konnte man bereits erahnen, dass er ein ein Marspriester sein musste, strotzend vor Männlichkeit und dennoch höflich, wie man es von den meisten Patriziern gewohnt war. "Aber es ist gut, dass wir uns treffen. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, mich wieder ins kühle Tempelinnere zurückzuziehen und lieber zu verhungern als an Überhitzung zu sterben....was angesichts dieser neuen Wendung des Schicksals wohl ziemlich unhöflich wäre." Es funkelte amüsiert in Valerias Augen und sie deutete voran. "Gehen wir", schlug sie vor und ging auch unmittelbar danach los.


    Während sie so nebeneinander her gingen, lud Aquilius Valeria ein. Diese wandte belustigt den Kopf, hatte sie doch gedacht, die Patrizier wären zumeist knauserig. Positiv überrascht nickte sie daher. "Einverstanden. Und da du mich einlädst, darfst du auch aussuchen, wohin du mich ausführst", erwiderte sie kühn und zwinkerte dem Flavier zu. "Bist du eigentlich schon lange Priester? Ich war zuvor in Spanien und Germanien tätig und bin erst seit ein paar Monaten zurück in meiner Heimatstadt", sagte sie, während sie an einem plätschernden Brunnen vorbeigingen, an dem Valeria kurz Halt machte und ihre Unterarme kühlte. "Mh....eine Wohltat!" sprach sie genießerisch und nahm sich nach kurzem Überlegen die Freiheit, ihren Gönner lachend mit ein wenig Wasser nasszuspritzen.

  • Sie schien nicht schüchtern zu sein, was ich als positiven Punkt unserer Unterhaltung vermerkte - nicht, dass eine gewisse Schüchternheit eine Frau nicht auch anziehend machen konnte, aber zu anderen passte es ganz und gar nicht, da gefiel mir das schelmische Funkeln ihrer Augen weitaus besser. Es tat gut, sich einfach mit ihr unterhalten zu können, und zumindest im Augenblick von meinem ewigen Hunger noch verschont zu bleiben, der es mir selten genug gestattete, unbeeinflusst mit einer Frau zu sprechen. Wenngleich ihr Lächeln mir verhieß, sicherlich nicht mehr lange in Geistesruhe verbleiben zu können - wenigstens mochte sie von meinen Gedanken herzlich wenig ahnen, und so erwiederte ich ihr Lächeln recht locker und offen. "Ich muss gestehen, ich habe mit diesem Gedanken auch gespielt, aber die Aussicht darauf, die neuesten Details über die Darmerkrankung eines meiner Kollegen zu erfahren, war dann doch weit weniger anreizend als die Aussicht auf ein kräftigendes Mittagessen weit, weit weg von allen möglichen Krankheitsthemen." Wahrscheinlich kannte sie dieses Problem genauso gut wie ich, der Iuno-Kult war geradezu geschaffen für herrschsüchtige Matronen, die einen mit ihren Zipperlein nervten.


    Ausführst ... das Wort hinterließ zumindest in meinen Ohren ein vages Echo, dass unser kleiner Ausflug nicht ganz so unschuldig war, wie man es vielleicht vermuten konnte, aber hatte ich mir nicht eben jegliche Richtung solcher Überlegungen verboten? Ich fügte mich in mein Schicksal und sprang lieber zum nächsten Thema weiter. "Ich bin seit bald einem Jahr tätig hier in Rom als Priester," meinte ich und überlegte. "Davor habe ich meine Studien in Achaia beendet, wie es der Wunsch meines Vaters war, und da ohnehin schon recht viele Flavier den Weg in die Politik gegangen waren, habe ich für meinen Teil diese Überlegung in die Zukunft verlagert." Als sie an dem Brunnen innehielt, musste ich unwillkürlich an meinen letzten Brunnenausflug denken, und als hätte sie es geahnt, spritzte sie mich lächelnd auch noch nass. Waren denn alle Frauen gleich, was das anging? Diesmal allerdings beließ ich es dabei, die Geste zu erwiedern, mit so wenig Wasser wie möglich, wenngleich ihre Gestalt mit eng am Körper klebendem, nassem Kleid sicherlich ... nein, nicht schon wieder! Lieber wieder zurück zum Thema. Ich nahm den Weg wieder auf und sorgte dafür, dass sie nicht von entgegenkommenden Lastenträgern angerempelt wurde. "Wo hat Dir Deine Arbeit den meisten Spaß bereitet? Ich stelle mir den Tempeldienst in Germania ziemlich abwechslungsreich und spannend vor."

  • Seitdem Maximian (wieder einmal) verschwunden war, hatte Valeria ohnehin die Nase voll von ihm. Er tat ihr immer wieder weh, verletzte sie und beachtete sie wochenlang nicht im Geringsten, sodass sie schweren Herzens in einem längeren Überlegungsprozess die Entscheidung getroffen hatte, sie endgültig von ihm zu trennen und nicht wieder rückfällig zu werden, wie sie es schon einmal geworden war. Als Aquilius nun nicht bei dem Wasserspiel mitmachte, hörte Valeria ziemlich rasch auch selbst damit auf und nagte einen Moment lang verlegen an ihrer Unterlippe, verzichtete aber darauf, eine Entschuldigung für das, wie sie dachte dass er dachte, kindliche Verhalten zu murmeln. Stattdessen winkte Valeria nur ab. "Oh, hör mir auf, ich weiß genau, wovon du sprichst. Es fehlt einfach frischer Wind in den Tempeln. Die meisten Iunopriesterinnen haben ihre beste Zeit schon weit hinter sich zurückgelassen. Manchmal frage ich mich, ob ich in dreißig Jahren auch so reden werde...aber nein. Ich habe mir fest vorgenommen, mich irgendwann zur Ruhe zu setzen und nicht im Tempel zu dienen, bis ich hundert bin", sagte sie und nickte.


    "Griechenland, ja, viele junge Männer zieht es zu den alten Meistern der Rhetorik", pflichtete Valeria bei und setzte sich wieder in Bewegung. "Der Dienst an den Göttern ist meiner Meinung auch das wichtigste Gut, das ein Römer pflegen kann, Aquilius. Wenn die Götter uns nicht wohlgestimmt sind, geht alles verloren. Und trotz des Krieges wird so wenig geopfert dieser Tage", klagte Valeria und sah seitlich zu ihrem Begleiter hinauf. "Oder ist bei euch mehr los als bei uns?"


    Aufmerksam betrachtete Valeria das Seitenprofil des flavischen Gesichts. Markante Gesichtszüge gefielen ihr. Als sie merkte, dass sie ihn einen Augenblick zu lang beobachtete, sah sie schnell wieder nach vorn auf den Weg und rettete sich in die Beantwortung seiner Frage. "Wo...hm. Fast würde ich sagen, dass meine Zeit in Spanien etwa gleichsam interessant war mit jener in Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Mogontiacum hingegen war zermürbend. Ich nehme an, von diesem Einbruch in den dortigen Marstempel hast du erfahren? Nun ja, die Priesterschaft war faul, die meisten Priester rund und bequem. Sie widmeten sich mehr dem eigenen leiblichen Wohl als den Göttern. Und die Bewohner kamen selten aus ihren Häusern um zu opfern, selbst bei großartigen Festen war kaum etwas los. Ich war froh, mit meinem Onkel von dort fortreisen zu können. Wenn du also jemals vor die Wahl gestellt wirst, Aquilius, dann entschede dich dazu, hier zu bleiben. Mogontiacum scheint mir ein toter Flecken Erde, die meisten Bewohner sind germanenstämmig und scheren sich kaum um die wahren Götter." Ein bedauernder Ausdruck hatte sich auf Valerias Gesicht geschlichen, als sie nun seufzend die Schultern hob.

  • Dass wir uns von diesem Brunnen und all seinen höchst ablenkenden Möglichkeiten entfernten, war mir nur recht, immerhin sollte es doch wenigstens einmal möglich sein, dass ich mich mit einer Frau einfach nur unterhielt. Sollte dies mein persönlicher Fluch sein, wie alle anderen Flavier auch eine Art an Fluch mit sich herumtrugen? Gracchus' und die ewigen Selbstzweifel, Serenus und die ewigen Anmaßungen, Arrecinas viel zu große Flamme der Leidenschaft, Furianus' ewige Sucht nach neuen Titeln und Anerkennungen ... die Liste würde sich bis ins Unendliche fortführen lassen, kein Flavier war frei von Fehlern und Nöten, wir waren nur meist klug genug, sie uns nicht anmerken zu lassen. So ließ ich mich umso lieber auf das Tempelthema ein und schüttelte lächelnd den Kopf.
    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Frau wie Du jemals anderen mit endlosen Schilderungen ihrer Zipperlein auf die Nerven fallen wird - denn ich bin mir sicher, dass Du auch dann noch ein gutes Gesprächsthema finden wirst. Eine kluge Frau findet immer ein Thema, das beiden Seiten gerecht wird, sagte meine Mutter, und ich habe bisher oft feststellen können, dass sie Recht hatte."


    Wir gingen weiter, und ich kam nicht umhin, ihre fließenden Bewegungen aus den Augenwinkeln zu beobachten - heute schienen mir die Götter eine weitere Prüfung meiner ohnehin nicht besonders ausgeprägten Selbstbeherrschung zugedacht zu haben, und es war eine reizvolle Prüfung noch dazu. "Es ist nur enttäuschend, wie wenig junge Leute heutzutage den Weg der Götter beschreiten wollen, die schnelle, ruhmvolle Variante in der legio scheint die meisten dann doch mehr anzuziehen, und junge Frauen entscheiden sich eher für die Familie denn für den Tempeldienst." Ob sie wohl vermählt war? Ich musste gestehen, ich wusste es nicht einmal, obwohl ich doch einige Momente darüber angestrengt nachdachte. "Nun, der Krieg bringt wie stets mehr Opfernde in das Haus des Mars, und wir können uns über mangelnde Arbeit wirklich nicht beklagen. Es scheint, ganz Rom würde sich wieder an Mars erinnern, wenn es Gefahr läuft, Söhne, Brüder und Ehemänner zu verlieren."


    Wieder schüttelte ich leicht den Kopf, doch diesmal eher ein wenig mißbilligend. Die pietas zu pflegen war in den Friedenszeiten fast noch wichtiger als im Krieg, wünschten sich doch alle Menschen ein friedliches Leben - und doch, geopfert wurde zumindest Mars im Kriegszustand bedeutend mehr. "Hm, dennoch stelle ich mir Germanien sehr abenteuerlich vor, auch wenn die Menschen dort vielleicht nie die geistige Größe besitzen werden, die Macht und den Glanz der wahren Götter zu erkennen. Nicht zuletzt gibt es so viele Geschichten um die tiefen Wälder und die grimmigen Krieger der Germanen. Sind dir denn solche begegnet oder waren die Menschen, mit denen Du zu tun hattest, alle romanisiert?"
    Für den kurzen Augenblick eines Lidschlages tauchte ein weiterer Gedankenblitz in meinem Hinterkopf auf - die biegsame Gestalt der Decima Valeria in den starken Armen eines germanischen Kriegers, lustvoll seufzend, nachdem er sie geraubt hatte, aber das Flügelflattern einer vorbeihuschenden Taube unterbrach glücklicherweise jede weitere Idee im Ansatz.

  • Schmunzelnd schüttelte Valeria den Kopf und damit das blonde Haar. "Oh, Flavius, lass uns besser nicht weiter von der fernen Zukunft reden... Ich fühle mich mit jedem Wort älter, als ich eigentlich bin!" erwiderte sie und musste lachen. Sie mochte ihren Mitpriester, er war ihr gegenüber witzig und höflich. Das Lachen war befreiend, so befreiend wie schon länger nicht mehr, denn Valeria hatte in letzter Zeit nicht allzu viel zu lachen gehabt, sondern widmete sich immer aufopferungsvoller dem Priesteramt, worüber sie allmählich die Familie vernachlässigte, und das bewusst. Iulia Severa schien ihr immer launischer zu werden mit dem Fortschreiten ihrer Schwangerschaft, Meridius war die meiste Zeit außer Haus und mit dem griechischen Zweig der Decima konnte sie nicht allzu viel Anfangen. Lucilla war auf einer kleinen Reise durch die Region Italiens. Es gab kaum einen Grund, aus dem Valeria sich öfter fern der Tempel aufhalten sollte, es sei denn, man nahm ihre Priesterdienste in Anspruch, wie letztens bei der Octavierhochzeit. Sie seufzte, ergeben in ihr Schicksal.


    "Da hast du Recht; und das ist traurig. In Germanien erschien es mir logischer als hier in Rom, denn dort beten die meisten doch noch die germanischen Gottheiten an, selbst die bereits romanisierten Familien. Aber hier...? Hier würde ich anderes vermuten, und doch scheint die Situation des Cultus Deorum überall gleich: Es fehlt der Nachwuchs." Valeria zuckte mit den Schultern. "Mars wird gedacht, natürlich. An Iuno erinnern sich junge Paare meistens erst dann wieder, wenn es um das Opfer der Nuptiae geht. Und Fortuna...jedermann braucht Glück, aber auch dort gehen die Opferzahlen zurück. Und nun, da der Kaiser fern von Rom weilt und wir ohne Pontifex Maximus sind, gibt es nicht mal jemanden, dem man offiziell eine Idee vortragen könnte, wie man den Cultus attraktiver gestalten könnte, und der diese Idee gleichzeitig absegnen könnte..." Valeria sah Aquilius mürrisch an. "Werbung bringt nichts, das haben wir bei den Vestalinnen gesehen. Die Opfer groß anzukündigen, scheint ebenfalls nicht zu fruchten."


    Valeria ging nachdenklich mit ihrem Begleiter um eine Straßenecke und befand sich nun auf einer etwas belebteren Via. Einige Schritte legten sie schweigend zurück. "Oh, ich war nie im freien Germanien, mein Onkel, Senator Meridius, hätte das nicht zugelassen. In Colonia und Mogontiacum aber liefen mir duchaus genug grimmig aussehende Gesellen über den Weg..." Sie dachte an den germanischen Loki, dem sie das Leben gerettet hatte, und musste unwillkürlich lächeln. "Die meisten der Leute dort sind Römer germanischer Abstammung, und es wimmelt von Soldaten." Eine Taube flog vorbei und ließ sich in einiger Entfernung nieder, um nach einem Brotkrumen zu picken. Valeria blickte Aquilius an. "Und, wohin wirst du mich ausführen?" fragte sie ihn und versuchte, das Grinsen zu unterdrücken.

  • Ihr Lachen ließ mich ebenso schmunzeln, verlieh ihr die Fröhlichkeit doch einen Glanz, der ihre Augen schimmern ließ, ein Anblick, den ich wohl immer und überall genießen würde, wenn er sich mir bot. Es war schön, sie so zu sehen, und im Grunde hatte ich nichts dagegen, es immer wieder zu sehen - es gab genug Menschen in dieser Stadt, die ich nicht leiden konnte und niemals schätzen würde, der Bruchteil jener, deren Gesellschaft mir auf Dauer angenehm war, schien dagegen wie ein winziger Fingerzeig auf meinen wählerischen Geschmack.
    "Mars wird gedacht, weil die Menschen Angst haben, ansonsten wird auch im Tempel des Kriegsherrn nicht gerade viel geopfert - es könnte besser sein, wie wohl überall," bemerkte ich beschwichtigend, denn ich wusste nur zu gut selbst, wie deprimierend es sein konnte, wenn man als Priester nicht ausgelastet und somit in der Hand ältlicher Kollegen war. "Ob die Angst die richtige Motivation ist, die Menschen dauerhaft zum Glauben zu bringen, wage ich zu bezweifeln. Mir sind jene lieber, die wirklich aus ganzem Herzen ihr Opfer darbringen, auch wenn es nur ein paar Kekse sind."


    Ein dicklicher Lastenträger kam beiden entgegen, und mit einer sanften Handbewegung dirigierte ich meine hübsche Begleiterin an ihm vorbei, sodass er sie nicht berühren konnte. Auf dieser via war eindeutig mehr los als in der Nebenstraße von eben, und nicht wenige Männer warfen einen verstohlenen Blick auf die Iunopriesterin, ließen die Lichtreflexionen in ihrem blonden Haar auf sich wirken. Trotz aller kosmetischen Raffinessen der Römerinnen war blondes Haar eine Besonderheit, und wenn ich mich schon diesem Reiz des exotischen nicht entziehen konnte, wie sollte es da anderen Männern gehen? Wir mussten wirklich interessant wirken, zwei Blondschöpfe nebeneinander. "Letztendlich können wir nur versuchen, den Glauben in unseren Familien wach zu halten und im Gespräch mit anderen zu versuchen, Interesse zu wecken, anderes scheint mir derzeit nicht möglich - und wirklich große Maßnahmen sind ohnehin in den Händen des Kaisers besser aufgehoben als in den unseren," versuchte ich diesem wirklich unangenehmen Thema eine abschließende Wende zu geben. Dieses grundlegende Problem mangelnder pietas der Jugend würde sich wohl auch in Zukunft nicht unbedingt ändern.


    "Wir sind schon da," sagte ich gutgelaunt und deutete mit der Hand in die Richtung eines kleinen Lokals, das von vorn recht unscheinbar aussah und nur durch eine fast verschwenderisch anmutende Verzierung in Form von dunkellila Weintrauben, die um den Türstock auf das schmutzigweiße Kalk der Wand gemalt waren, überhaupt darauf hindeuteten, dass hier eine taverna zu finden war. "Es sieht nach nichts aus, aber wie die meisten interessanten Überraschungen steckt etwas Besonderes im Inneren." Schmunzelnd geleitete ich sie durch den ausgeblichenen Türvorhang hindurch, und im Inneren des Gebäudes eröffnete sich der freie Blick in einen mit Pflanzenkübeln vollgestellten Innenhof, in dessen Mitte sich ein kleiner Brunnen erhob und mit fröhlichem Plätschern eine friedliche Atmosphäre hervorrief. Dünne Vorhänge mit glitzernden eingewobenen Fäden ließen die ganze Szenerie etwas unwirklich wirken, die kleinen dunkelhölzernen Tische und Bänke mochten nicht recht in eine römische Umgebung passen. Es war auch ein dunkelhäutiger Ägypter, der auf uns zutrat und höflich fragte, ob wir vor dem Essen noch einen kühlen Saft haben wollten - erwartungsvoll blickte ich zu Valeria, bereit, mich nach ihren Wünschen zu richten.

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