Die dreisten Drei in Ostia

  • Nachdem sie sich eine Weile eingelebt haben bei Onkel Macer, haben sie ihn endlich dazu überreden können, den versprochenen Ausflug nach Ostia zu machen, ans Meer. Deswegen sind Lenaea und Stella auch viel früher aufgestanden als sonst, haben sich kämmen und anziehen lassen, barv mit Onkel Macer gefrühstückt und sind dann in die Sänfte gestiegen, um durch Rom geschaukelt zu werden. Leni und Stella haben fast die ganze Zeit Schnick Schnack Schnuck und Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst gespielt, gekichert und leise über die Leute gelästert, die sie zwischen den Vorhängen durch beobachten konnten. Dann ist die Sänfte plötzlich abgesetzt worden und alle drei sind in die Reisekutsche eingestiegen, die vor den Stadttoren gewartet hat.


    Stella und Lenaea haben um den Fensterplatz gekämpft, aber nicht ernsthaft, sondern nur mit Haareziehen und Zungerausstrecken, und dann hat sich eine rechts und die andere Links hingesetzt, damit beide rausschauen konnten. Die Fahrt ist ganz schön ruckelig gewesen, aber die Aussicht, die Füße ins Meer stecken zu können, hat zumindest Stella mit einer Engelsgeduld ausgestattet, sodass sie brav auf ihrer Sitzbank sitzt und nicht herumrutscht.


    "Guck mal! Ein Geier!" ruft sie dann aber plötzlich und deutet aufgeregt mit der Hand durch das Sichtfenster in den Himmel. Das kann natürlich gar kein Geier sein, immerhin sind sie hier in Rom und nicht in der Wüste oder so, aber da Stella außer Spatzen nur noch Tauben, Hühner, Gänse, Rotkehlchen, Wachteln, Amseln, Möwen und Adler kennt, sind alle anderen Vögel für sie erstmal Geier. "Onkel Macer! Ein Geier, ein Geier!" Aufgeregt ist sie aufgesprungen und hüpft hoch und runter, natürlich mit ausgestrecktem Arm und auf den Vogel weisendem Zeigefinger.

  • Auch Leni konnte den Ausflug ans Meer gar nicht erwarten. Aber nicht, weil sie sich darauf freute die Füße ins Wasser zu strecken, sondern wegen der Schiffe, die sie ja so liebte. Man brauchte nur Segel am Horizont sehen und schon war Leni drauf und dran dorthin zu rennen. Überhaupt mochte sie am liebsten Fische und hatte wenig bis gar nichts für Vögel übrig. Alles was aus dem Meer kam war es, was Leni faszinierte. Ob das jetzt ein ekliger Oktopus oder ein Seeigel oder eine Muschel war. Leni hatte schon eine beachtliche Sammlung von Muscheln, Schneckenhäusern und Seeigel-Skeletten gehabt. Wo die jetzt war wusste sie gar nicht genau. Irgendwo würde sie schon wieder auftauchen, wenn die Tante die tolle Sammlung nicht fortgeworfen hatte. Die Tante hatte nämlich immer behauptet das würde alles so stinken. Leni fand, dass es nach Meer duftete. Auch liebte sie das Rauschen des Meeres, wenn man eine Muschel ans Ohr hielt. Dass sie eigentlich selber rauschte wusste sie natürlich nicht.


    Plötzlich rief Stella etwas von einem Geier und Leni starrte weiter aus ihrem Fenster. Sie konnte keinen Geier sehen. Dabei musste sie doch die gleiche Aussicht haben wie Stella, immerhin schauten sie ja auch aus der gleichen Kutsche heraus. Manchmal konnte Leni einfach nicht logisch räumlich denken, aber dann war sie meistens am lustigsten. Zumindest hatte Stella ihr das mal gesagt. "Wooo?! Ich seh nur langweilige Ziegen... oder sind das Kühe?!", meinte Leni prompt und schaute aus ihrem Fenster raus. Dann kam auch noch ein erschöpftes Seufzen von ihr. Die Tierwelt vom Land gefiel ihr gar nicht so recht. Aber die Blumen mochte sie dafür umso mehr, besonders wenn sie hübsch aussahen. Aber nichts ging über die Unterwasserwelt.

  • Macer hatte sich keine allzu großen Schwierigkeiten gemacht, eine Tag für die Reise nach ostia zu organisieren. Mit der Kutsche ging das relativ bequem und schnell und da keine Senatssitzungen anstand, war ein Tag Abwesenheit auch kein Problem. Außerdem hatte er noch zwei Briefe dabei, die er in Ostia abgeben konnte. In der Kutsch war es zwar ein wenig eng, weil die kleine Gruppe natürlich nicht ohne Begleitung reiste, aber dafür durchaus nicht ungemütlich. Sänften waren schlimmer, fand Macer.


    "Bist du sicher, dass das ein Geier ist?", fragte er Stella und blickte skeptisch nach oben. Erstmal konnte er gar nichts sehen, was auch daran liegen kontne, dass ihm das wild hüpfende Mädchen die Sicht versperrte. macer wäre nie auf die Idee gekommen, dass man in einer Kutsche überhaupt noch Platz zum Hüpfen hatte, aber offensichtlich ging das. "Hast du schonmal einen Geier gesehen, der so aussah? Die die ich gesehen habe, sahen anders aus", erklärte er fragend und konnte damit wunderbar überbrücken, dass er immer noch nicht allzu viel von dem Vogel erkennen konnte.

  • Stella rollt mit den Augen und seufzt. "Na daaaa!" ruft sie aufgeregt und hört auf zu hopsen, um sich weit aus dem Fenster zu lehnen und mit nacktem Zeigefinger auf den Vogel zu deuten, der majestätisch seine Kreise am wolkenlosen Himmel zieht. Dass Onkel Macer nicht glaubt, dass es ein Geier ist, veranlasst Stella dazu, sich umzudrehen und ihn prüfend anzuschauen. Sie will ihn schon belehren, als er aber etwas sagt, dass Stella ihre Worte vergessen und sie etwas ertappt dastehen lässt. "Äh..." macht sie und schaut verunsichert schnell noch mal aus dem Fenster. Der vermeintliche Geier hat ein rotes Schwanzgefieder und ist gar nicht so groß. Wirklich dumm, dass Stella keine Ahnung hat, wie Vögel heißen. Mit Fischen kennt sie sich schon besser aus, was aber auch nicht ihr Verdienst ist sondern der von Leni. Die redet nämlich oft über das Meer und seine Bewohner, und da bleibt öfter was hängen.


    Der Greifvogel, der in Wirklichkeit natürlich kein Geier, sondern ein Rotschwanzbussard ist, verschwindet segelnd hinter einem Baum. Stella setzt sich wieder und schaut seufzend zu Onkel Macer. "Ich habe schon viele Geier gesehen, aber es gibt ja ganz viele von denen, die sehen alle unterschiedlich aus", erklärt sie und zieht eine kleine Bürste hervor, um der Augusta die Haare zu kämmen. "Wann sind wir denn endlich dahaa?" fragt sich leicht quengelig.

  • Missmutig schaute Leni noch ein bisschen aus dem Fenster raus und kratzte sich dann hinterm Ohr um sich skeptisch wieder auf ihre vier Buchstaben zu setzen. Sie hatte keinen Geier sehen können und anscheinend war der auch nicht mehr so interessant, denn sogar Stella hatte sich in der Zwischenzeit wieder hingesetzt und erklärt, wie unterschiedlich die verschiedenen Geier doch aussahen. Leni war sich ja nicht so ganz sicher, aber sie vermutete insgeheim, dass Stella viele unterschiedliche Vogelarten für Geier hielt. Vögel, die ziemlich verschieden aussahen, was Farbe und Größe betraf. Aber sicher war sie sich da wirklich nicht.


    Nun drehte Leni ihren Kopf wieder zu ihrer Schwester und ihrem Onkel und guckte sie abwechselnd an, während sie auf ihrer Unterlippe herumnagte. "Onkel Macer, dauert es noch lang?", fragt dann auch Leni langsam etwas ungeduldig. Eine Reise mit kleinen Kindern war eben nicht nur für die Kinder anstrengend, sondern auch und insbesondere für die Eltern. Oder in dem Fall für den mitreisenden Onkel. "Ich mag das Meer sehen...", meinte Leni etwas kläglich und sehnsüchtig.

  • Macer hatte keinen Zweifel daran, dass die Kinder wirklich schonmal Geier gesehen hatten, denn immerhin kamen die in Oberitalien in den Alpen tatsächlich vor. Da hatte er nämlich auch seine Begegnungen mit Geiern gehabt. Der Vogel um den es hier ging, war aber zu schnell hinter einem Baum verschwunden, als dass er ihn genauer identifizieren konnte. "Der da war aber zu klein für einen Geier", war das einzige, was er noch mit Bestimmtheit feststellen konnte. "Ich habe hier zwischen Rom und Ostia auch noch gar keine Geier gesehen. Aber vielleicht haben die sich bisher immer versteckt, wenn ich hier vorbei gekommen bin."


    Früher als er erwartet hatte, kam dann die Frage auf, wie weit es noch sei. Auch wenn er bsiehr nicht das zweifelhafte Vergnügen hatte, mit Kindern zu reisen, hatte er sich darauf eingestellt. Immerhin hatte er schon entsprechende Erzählungen gehört. "Ihr könnt schon Zahlen lesen, ja? Dann müsste ihr mal aufmerksam rausschauen. Da stehen so kurze steinerne Säulen an der Straße. Da stehen Zahlen drauf, die geben die Entfernung an." Ob man Mädchen wirklich für sowas realtiv technisches begeistern kontne, wusste er zwar nicht, aber ein Versuch war es wert.

  • Stella kichert. Sie kann sich schon vorstellen, dass die Geier sich immer schnell verzogen haben, wenn Pnkel Macer auf den Plan getreten ist. Eifrig nickt sie. "Oh, ja! Sicher haben die Angst vor so einem mächtigen Soldaten wie du mal warst", pflichtet sie bei und nickt. Über diese Gedanken ist der vermeintliche Geier vergessen und Stella schaut zu Leni, die gerade erklärt, dass sie nicht mehr lange warten will, bis das Meer endlich auftaucht. Onkel Macers Frage, ob die zwei schon Zahlen lesen können, verblüfft Stella allerdings zugegebenermaßen. "Na!" ruft sie und klettert zurück auf die Sitzbank, was bei dem Ruckeln gar nicht so einfach ist. Dann hält Stella Macer alle Finger der linken Hand und Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand vor die Nase. "Leni und ich sind so, und das bedeutet sieben", belehrt sie den Onkel altklug und nickt gewichtig. "Klar können wir schon Zahlen lesen. Und ich kann sogar schon meinen Namen schreiben, willst du mal sehen?" fragt sie ihn und hält nach einem Griffel Ausschau, obwohl natürlich keiner hier herumliegt. Die Idee mit den Zahlen auf den Steinen begeistert Stella allerdings auch gleich, und so vergisst sie, dass sie ihren Namen aufschreiben will, und schaut stattdessen aus dem Fenster. "Da steht: ieh-ieh-ix. Also noch...äh...Zwölf Meilen. Nein halt, acht! Och, so viele noch!" Enttäuscht setzt sich Stella wieder hin und schmollt.

  • Leni kicherte leise, während Stella davon schwärmte, was für ein wunderbarer Soldat ihr Onkel mal gewesen sein musste. Hatte sie das ernst gemeint? So ernst wie Stella schaute konnte es gar nicht ernst gemeint sein! Das fand zumindest Leni und so legte sie einen unverhohlen neugierigen Blick auf ihren Onkel um ihn missmutig zu mustern. Ob er wohl wirklich ein starker und großer und mächtiger Soldat war, vor dem ein Geier sich fürchtete. Leni war der Meinung, dass das nicht sein konnte. Ein Geier fürchtete sich nicht mal vor einem Augustus! Und daher bestimmt auch keinen Onkel Macer.


    Dieser erklärte nun, dass sie aus dem Fenter zu den Pfosten schauen sollten, die da so herumstanden. Leni hatte sie bisher für nutzlos gehalten, denn niemand hatte ihr gesagt wozu sie da waren. Nun hopste das Mädchen aber wieder zum Fenster hin und lehnte sich mit dem halben Oberkörper heraus um alles genau sehen zu können. Leni war sich nicht sicher, wer von ihnen beiden mehr für Zahlen übrig hatte. Leni war jedenfalls oftmals ganz fasziniert von der Zahlenwelt, die so manche Überraschung bereit hielt. Und Leni mochte es, wenn Dinge logisch waren. Und Rechnen war für sie das logischste der Welt. Jedoch hatte sie nicht gesehen, ob das wirklich eine 8 war. Zu schnell war der Pfosten vorbei, als dass sie es genau gesehen hätte. "Bist du sicher? Macht man 8 acht nicht mit Vau und drei Mal Ieh?", wollte Leni schließlich wissen und hockte sich wieder zu dem Onkel.

  • Einen Augenblick lang stellte sich Macer vor, wie alle Geier immer eilig hinter die nächsten Bäume oder großen Steine hüpften, wenn er vorbei kam. Das wäre schon ein enorm komischer Anblick, zumal sich Geier ja wirklich ganz gerne hüpfen vorwärtbewegten. Außerdem konnte man sich in der Luft ja nicht verstecken. Aber er schüttelte den Gedanken gleich wieder ab, um sich um die Mädchen kümmern zu können.


    "Eine IIX hast du gelesen? Na, da musst du bei der nächsten Säule nochmal hinschauen. Das kann nämlich nicht sein. Eine XIIX könnte es gewesen sein, aber das ist dann nicht bis Ostia sondern woanders hin. Wir haben weniger als 18 Meilen bis Ostia."

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