balneum
balneum | Lupus' Bad
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Leone war nicht wenig überrascht gewesen, als Maron mit diesem fürchterlich ungepflegt aussehenden Mann durch die edlen Gänge der villa Aurelia marschiert war, zumal Maron ihm dann noch ziemlich unwirsch die Anweisung gegeben hatte, für diesen Strolch ein Bad herzurichten. Doch Leone hielt es in der Zwischenzeit für besser, bei Abwesenheit des dominus Cotta den Anweisungen Marons Folge zu leisten.
So hatte er denn im Umkleidebereich des balneums die Holzschuhe entstaubt, Handtücher bereitgelegt und auch für einige Erfrischungen gesorgt, denn bis auch das tepidarium auf die richtige Temperatur erwärmt worden war, würde noch einige Zeit vergehen; schließlich war mit einem solchen Besucher und einem Bad um diese Tageszeit nicht zu rechnen gewesen. Und ob dieser ungewaschene Mann auch das caldarium in Anspruch nehmen wollte, wusste Leone nicht. In Roma herrschte schließlich die Sommerhitze.
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Ein Bad ist eine gute Idee. Dann wird Cotta nicht so entsetzt sein und ich muss auch nicht 10 Schritte auf Distanz bleiben um ihn zu begrüßen. Wortlos folgte ich dem Sklaven, er bot mir auch keine Gelegenheit ein Wort zu sagen.
Ein weitere Sklave, welcher durch seine dunkle Haut wahrscheinlich aus dem Lande Memnons stammte, huschte durch die Villa und kümmerte sich auf Geheis des ersteren um das Bad. Außer einigen anderen ebenfalls verwundert blickenden Sklaven war sonst niemand zu erspähen. Was hatte ich denn auch erwartet, offene Arme, Sklaven die springen, sobald das Kommando gegeben wird, von einem der wie ein kynischer Philosoph aussieht und ja auch lange war? So ein Unsinn, erst einmal galt es wieder römisch gepflegt auszusehen. Weiter schweigend folgte ich ins Apodyterium. -
Ganz sicher war ich mir meiner Sache hier natürlich nicht. War es wirklich eine clevere Entscheidung gewesen, diesen Schmutzfink in das balneum der villa Aurelia in Roma zu führen? Wenn er ein Betrüger war - oder wer weiß: so eine Art Spion -, wollte ich nicht wissen, was mein dominus mit mir anstellen würde. Wenn es aber nun ein echter Aurelius war, wie er selber sagte?
Da ich so unsicher war, hatte ich beschlossen, den jungen Mann eigenhändig auszukleiden und zu bedienen. Ich wollte ihn nicht aus den Augen lassen und hatte Leone weggeschickt, allerdings nicht ohne ihm noch den Namen des Mannes zuzuraunen, mit dem dieser sich vorgestellt hatte: Lucius Aurelius Lupus. Ich hoffte, Leone würde meinen Herrn an der Porta abfangen und ihm diese wichtige Neuigkeit möglichst schonend beibringen.
Lange schon hatte ich keine so schmutzige Wäsche mehr in Händen gehabt wie die des jungen Mannes vor mir; selbst meine verschwitzte Tunika von der Anreise aus Ostia war noch wie ein sauberes Handtuch gewesen gegen die Fetzen, die ich mit spitzen Fingern von seinem Leibe pflückte. Mir fiel allerdings auf: Mit diesem edlen Leib hatte der junge Mann wirklich niemals schwere Arbeit verrichtet. Er schien tatsächlich aus besseren Verhältnissen zu stammen - woher nun auch immer.
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Ganz außer Atem kam ich von der porta her am balneum an, außer Atem allerdings nicht wegen der körperlichen Anstrengung des schnellen Laufs, sondern wegen der inneren Anspannung und der bangen Frage: Würde ich nun, wenn ich diese Türe zum balneum, vor der ich jetzt stand, öffnete - würde ich dann meinen Bruder nach vielen Jahren wiedersehen? Ich atmete noch einmal tief durch, schickte ein Gebet zu den Göttern, dass sie meine Hoffnungen nun nicht enttäuschen möchten, und drückte dann entschlossen die Türe auf.
Das apodyterium war schon von einigen Dampfschwaden des heißen Wassers durchzogen, so dass ich zunächst kaum etwas sehen konnte. Dann aber vermochte ich, in nur geringer Entfernung von mir zunächst Maron zu erkennen und bei ihm einen jungen Mann, etwas älter als ich - in Lupus' Alter! -, den mein Sklave gerade entkleidete. Ich öffnete meinen Mund, doch versagte mir im ersten Moment die Stimme und brachte nur ein Krächzen heraus. Angespannt presste ich meine Lippen zusammen, versuchte mich zu beruhigen und wagte dann einen neuen Anlauf bei der Ansprache. Viel brachte ich nicht über die Lippen, doch ich hoffte inständig, dass es das Treffende sei.
"Lupus?"
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Es gab so manche Situationen im Leben, die eine gewisse Komik aufwiesen und bei denen ich mir sicher war, dass die Götter sich einen Spass mit uns Menschen erlaubten. Just in dem Moment als ich entkleidet im Raume stand, hörte ich die Stimme meines Bruder, der grade eingetreten war. Durch den Dampf des Wassers war nicht viel zu erkennen, aber die Stimme war eindeutig. Sie klang vertraut, warm, etwas angespannt vielleicht und natürlich auch verwundert. Sie ließ allerdings eine innerliche Unruhe in mir aufkommen. Mit ebenfalls angespannter Stimmlage antworte ich:
„Ich bin es mein Bruder!“
Was sagte man den bloß in solch einer Situation am besten?
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Mein Herz schlug bis zum Halse, und für einen Moment lang war ich wie gelähmt: Die Stimme, die mir da aus den Schwaden des Wasserdampfes entgegenhallte, klang fremd und vertraut zugleich. Doch irgendeine innere Stimme sagte mir, dass dies bestimmt Lupus sein würde.
Obwohl ich immer noch meinen calceus trug - ich hatte mir ja nicht die Zeit genommen, sie mir am Eingang ausziehen zu lassen -, ging ich einige Schritte ins apodyterium hinein, um dem Mann ins Gesicht zu sehen, den ich für meinen verschollenen Bruder hielt. Ob ich ihn überhaupt erkennen würde? Soviele Gerüchte hatten sich um ihn gerankt, seit er immer weniger von sich hatte hören lassen. Außerdem war er ja einige Jahre älter als ich, und ich hatte ihn solange nicht gesehen.
Als ich dem Mann endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand, blickte ich in ein bärtiges Gesicht, das von Haaren eingerahmt wurde, wie sie häufig Philosophen trugen: ungebändigt, natürlich gewachsen - und für mich durchaus gewöhnungsbedürftig, denn mein auf den ersten Blick erkannte ich unter all dem Wildwuchs die Gesichtszüge meines Bruders Lucius Aurelius Lupus, gealtert zwar, doch unverkennbar. Ich stand still und war einen Moment lang zu nichts anderem fähig als ihn anzusehen und anzulachen. Dann aber löste ich mich schon endlich aus meiner Erstarrung, ging die letzten Schritte, die uns noch trennten, auf ihn zu und drückte ihn an mich, zuerst schweigend, danach dankbar aussprechend:
"Lupus, ich freue mich so, dich zu sehen!"
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Was für ein Gefühl! Mein Bruder stand vor mir und erkannte mich tatsächlich. Ich überlegte einen Moment, ob er es an meinem entblößten Körper oder an meinen Augen erkannte, dass ich es wirklich bin. Aber ich denke, dass es die Augen waren, sie gelten doch als Spiegelbild der Seele. Gut sah er aus, ein stattlicher Mann war aus ihm geworden, von aurelischem Auftreten. Er trat heran und ich ließ mich willig in seine Arme nehmen.
„Na Brüderchen, was gibt es denn hier zu lachen?“ warf ich ihm in einem scherzenden Ton entgegen und erwiderte seinen Druck. Ich wollte meine Arme um seinen Hals verschränken als mir einfiel, dass ich noch ungewaschen war und dies lieber lassen sollte. Ich ließ ihn wieder los und legte meine rechte Hand breit grinsend in seinen Nacken.
„Mit vielem habe ich gerechnet, wenn ich zurückkomme, aber so hoffnungsschwanger war ich nicht, DICH hier zu sehen, Cotta. Gut siehst du aus!“
In kurzen Zügen strich ich mir einige Haare von der Stirn nach hinten und nahm meinen typisch schelmischen Ton wieder auf.
„Aber so gut wie ich natürlich nicht!“;) -
Ach, wäre Maron doch in diesem Moment so geistesgegenwärtig gewesen und hätte mir einen Spiegel vorgehalten - zu gerne hätte ich mein Gesicht gesehen, wie sein Ausdruck wohl fließend ineinander überging zwischen Freude, Glück und völliger Verblüffung, dieses Göttergeschenk hier vor mir zu sehen: meinen Bruder Lupus, gesund und immer zu Späßen aufgelegt!
Aber warum Maron Vorwürfe machen - ich hätte ja selbst so geistesgegenwärtig sein und mir von ihm einen Spiegel vorhalten lassen können, war es aber nicht gewesen. Und auch wenn mir der Spiegel direkt vor die Nasenspitze gehalten worden wäre, so hätte ich ja wahrscheinlich doch nicht hineingesehen, denn der Anblick meines Bruders und seine rechte Hand in meinem Nacken bedeuteten mir in diesem Moment mehr als alles andere.
Lupus lebte also, und ganz offensichtlich ging es ihm gut. Vor dieser beglückenden Erkenntnis verblassten fast sogar die freundlichen Worte, die er sofort für mich fand nach all den Jahren. Ich wusste gar nicht so genau, was ich nun als erstes sagen sollte, denn mir gingen so viele Gedanken und Fragen gleichzeitig durch den Kopf.
Vielleicht war es deswegen, dass ich für einen Augenblick wieder ein wenig stärker auf das Äußere meines Bruders achtete. Der Tag in Roma war zweifellos heiß, und ich konnte mir denken, warum mein Sklave Lupus direkt ins balneum gebracht hatte. Unwillkürlich musste ich ein bisschen schmunzeln, denn mir kam da ein Gedanke:
"Ach Lupus, da ist so vieles, was ich dich fragen muss, aber auch so vieles, was ich dir selber zu erzählen habe, besonders auch aus den letzten Tagen, denn ich bin zwar erst seit kurzem hier in Roma, aber diese Zeit war gleich sehr turbulent. Und weißt du was? Jetzt, wo sowieso schon mal ein Bad bereitet ist, werde ich gleich mit dir gehen, auch wenn der Tag noch nicht vorbei ist."
Ich drehte mich zu Maron um, der auch gleich damit anfing, nun auch mich auszukleiden. Zu Lupus sagte ich grinsend:
"Aber zum Abwaschen und Saubermachen ins Kaltwasserbecken gehst du alleine, du Dreckspatz! Ich gehe dann gleich ins tepidarium."
Da es naturgemäß ein wenig dauerte, bis man mich aus meiner toga gewickelt hatte, redete ich gleich weiter, denn ich wollte keine Minute mit meinem Bruder verlieren:
"Lupus, über dich hat man sich, ehrlich gesagt, die wüstesten Gerüchte erzählt. Sag, was daran ist Wahrheit, was war Übertreibung? Stimmt es, dass du dich den Kynikern angeschlossen hast?"
Sein Äußeres deutete ja nun darauf hin, allerdings hatte er augenscheinlich mit dieser Phase seines Lebens gebrochen oder doch mindestens manche Vorsätze dieser philosophischen Bewegung in Zweifel gezogen, sonst wäre er ja nicht nach Roma in die villa Aurelia gekommen und hätte sich direkt ins balneum führen lassen, denn solches lehnten die Kyniker ja rundheraus ab.
So gespannt ich war auf die Erzählungen meines Bruders über seine Erlebnisse und seinen Werdegang - und natürlich auch über seine Zukunftspläne -, so unvermeidlich war es auch für mich, ihn schnellstmöglich in Kenntnis zu setzen von all den Nachrichten, die auf mich schon an meinem Ankunftstag in der villa Aurelia in Roma niedergeprasselt waren.
"Ich habe es eben schon angedeutet, Lupus, es gibt da einige Dinge über unsere gens, die ich auch erst bei meiner Ankunft hier in Roma erfahren habe und die du unbedingt wissen solltest. Sophus und Cicero befinden sich beide auf Reisen, und niemand von der gens weiß, wo sie sind und wann bzw. ob sie je zurückkommen werden. Cicero hat sich sogar als amtierender comes von Italia einfach auf und davon gemacht - und hat seine kleine Tochter Sisenna einfach alleine zurückgelassen. Zu allem Überfluss ist dann auch noch ihre Mutter Curitia Icela verstorben, und man brachte die Kleine hierher, wo sie dann eine ganze Weile allein unter den Sklaven gelebt hat, nämlich bis ich kam."
Ich bemerkte deutlich meinen aufkeimenden Unmut, während ich diese Worte aussprach. Natürlich kannte ich diese ganzen Zusammenhänge ja schon seit einiger Zeit, aber nun, da ich sie nochmals im Zusammenhang und laut aussprach, konnte ich meine Gefühle nicht völlig verleugnen. Aber ich musste fortfahren, um Lupus auf den neuesten Stand zu bringen.
"Ich habe aber auch erfreulichere Nachrichten, Lupus. Ich weiß nicht, ob du irgendwie davon erfahren hast, dass unser Vetter Corvinus in Mogontiacum ein Militärtribunat als tribunus laticlavius absolviert hat. Er wird aber schon in Kürze heimkehren und dabei Deandra mitbringen, Helena und Prisca. Deandra und Corvinus sind jetzt übrigens verlobt, und unser Vetter tritt bei den bevorstehenden Wahlen für das vigintivirat an."
Etwas beschämt fügte ich hinzu:
"Und wenn ich deine Begrüßungsworte eben richtig gedeutet habe, hälst du es ja auch für eine gute Nachricht, mich hier in Roma anzutreffen. Ich habe meine Studienjahre in Athen beendet und bin danach direkt hier nach Roma gekommen. Ich hoffe, hier Corvinus zunächst einige Dienste leisten zu können, um dann irgendwann eine eigene Karriere im Dienst unserer gens und des Kaisers aufzubauen."
Bei den nun folgenden Worten war allerdings jede Spur von Beschämung aus meinem Gesicht verflogen, da ich nun froh verkündete:
"Die schönste Nachricht aber an diesem Tage ist für mich deine Heimkehr und dass du offensichtlich gesund und guter Dinge bist!"
Maron hatte mich inzwischen mit geübten Handgriffen aus der toga geschält, so dass nur noch tunika und Schurz übrig blieben. Ich freute mich darauf, mit meinem Bruder gleich gemeinsam im tepidarium zu entspannen.
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War ich vielleicht froh, dass niemand zufällig hereinkam als Cotta und ich uns umarmten. Dies wäre sicherlich ein gelungenes Bild gewesen. Ein römischer Adliger umarmt einen nackten Unholden. Der Vergleich zwischen Sokrates und Alkibiades drängte sich fast auf, aber sollte jemand so dreist sein meinen Bruder mit Alkibiades zu vergleichen würde dies ein unschönes Erlebnis für jenen werden! Da würde der Beschützerinstikt des großen Bruders in mir geweckt. Durch meine Gemütsruhe würde ein solcher Vergleich auf mich bezogen größten Teils an mir abprallen, aber bei meinem Bruder sähe ich das nicht so. So sind sie, die großen Brüder!
Offensichtlich war nun meine Abstammung und Zugehörigkeit geklärt und so konnte ich mir ein kleines hämisches Grinsen, welches an Cottas Sklaven gerichtet war, nicht verkneifen. Aber er kam nur seinen Pflichten nach, das zeugt doch von der Qualität dieses Sklaven. Auf Cottas Ankündigung direkt ins tepidarium zu gehen gab ich lachend die Antwort:
„Wahrscheinlich müsste ich mich stundenlang im Tiber baden oder ausschließlich in Ölen, damit der Geruch der letzten Jahre meinen Körper in Gänze reinigt.
Was die Gerüchte angeht gilt folgendes zu sagen: Ich bin zuletzt tatsächlich ein Anhänger der kynischen Philosophie gewesen. Nach meinem Rhetorikstudium suchte ich die geeignete Lebensweise für mich, welche ich in einigen philosophischen Richtungen zu finden glaubte. Ich pendelte mal in die eine Richtung, mal in die andere, aber glücklich wurde ich mit keiner. Aber ich stellte irgendwann fest, dass dies nur eine Flucht war, eine Flucht vor mir, meinem Leben, meinen Gefühlen und meiner Verantwortung. So wurde es Zeit, wieder nach Hause zu kommen. Apropos pendeln, ich pendle dann mal ins Wasser!“Ich ging mit schwingenden Schritten auf das nun gefüllte Becken zu, so dass da unten alles kräftig hin und her pendelte. Als ich eingestiegen war musste ich einen laaaangen Seufzer machen, das tat gut. Das Wasser empfing mich und ich tauchte mit dem Kopf einige Momente unter, bevor ich japsend wieder auftauchte. Ich wollte gar nicht wissen, wie lang mein letztes Bad her war, die anderen Anwesenden sicherlich auch nicht.
Gespannt und nachdenklich lauschte ich Cottas Worten, schüttelte verärgert meinen nassen Kopf und strich mir die restlichen Tropfen aus dem Gesicht.
„Du hast wenigsten Gerüchte über mich gehört und das ich in Griechenland bleibe habe ich auch ausreichten lassen. Aber einfach zu verschwinden ist keine Art, vor allem nicht, wenn man wie Cicero Kinder hat. Was hat der sich bloß gedacht? Ich war noch niemals auf Samos, ich war noch niemals richtig frei, einmal verrückt sein und aus allen Zwängen fliehen? Aus so einer Verantwortung flüchtet man nicht!! Das ist das Letzte!! Wie geht es denn der kleinen jetzt? Was heißt eigentlich klein, wie klein ist sie?“
Meine Stimme wurde wieder ruhig und ich sagte zum Thema tribunus laticlavius:
„Viel hörte man nicht, nur Gerüchte, dass ein Aurelier das Amt des tribunus laticlavius irgendwo in Germania übernommen hatte, mehr auch nicht. Und was das andere Thema angeht: ich komm dir gleich da rüber! Natürlich bin ich froh dich zu sehen!“Ich krümmte meine Hand zu einer leichten Faust und ließ sie ins Wasser ab. Als ich sie wieder herausnahm schnellte die Finger in Richtung Cotta und spritzen einige Tropfen auf seinen nun entkleideten Körper.
„Erwsicht! Komm lass uns in tepidarium gehen. Du musst mir aber hoch helfen, denk daran, ich bin älter als du.“
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Während ich selbst nun auch endlich vollständig entkleidet da stand, bedachte ich bei mir, dass ich es eigentlich immer noch nicht recht fassen konnte, nach so vielen Jahren meinen Bruder wiederzusehen. Und was war? Wir unterhielten uns, als wäre nichts gewesen! Ich spürte eine große Dankbarkeit dafür, dass die Verbindung zwischen Lupus und mir durch all die Jahre hindurch und trotz unserer offenbar sehr verschiedenen Lebensumstände so gut geblieben war. Und ich wünschte mir so, dass diese Verbindung immer so belastbar bleiben würde! Daher fügte ich an seine Erzählungen über sein Leben bei den Kynikern und anderen Philosophenschulen an:
"Ich kann deine Suche nach Wahrheit und Sinn sehr gut verstehen, Lupus. Du weißt, ich war immer schon ein ziemlich nachdenklicher Mensch, auch als Kind, und solche Fragen haben mich immer beschäftigt. Ich bilde mir auch überhaupt nicht ein, endgültige Antworten gefunden zu haben durch mein Studium der Philosophie in Athen. Vielleicht ist es überhaupt so - und du hast es gerade selbst angedeutet -, dass sich diese Fragen gar nicht so sehr durch eine bloße Theorie beantworten lassen, sondern nur durch ein sittlich gutes Leben. Ehrlich gesagt, bewundere ich dich dafür, dass du so ernsthaft gesucht und auch nach der Wahrheit gelebt hast. Vielleicht gelingt es uns beiden ja, hier gemeinsam so etwas wie eine epikureische Freundschaft zu leben."
Diese ganze Rede über Philosophie, deren Länge mich anschließend selber überraschte, hatte ich in einem sehr ernsten Ton gehalten. Den letzten Satz hatte ich aber wieder lächelnd gesagt, wohl wissend, dass eine echte Freundschaft nach Epikur hohe sittliche Anforderungen stellte. Aber ich war überzeugt davon, dass mein älterer Bruder mich dabei wie ein Art kathegemon würde anleiten können.
Währenddessen hatte Lupus sich zur ersten Reinigung ins kalte Wasser begeben. Dabei war mir nicht entgangen, dass sein Körper unter den Zumutungen der kynischen Lebensweise keineswegs gelitten hatte, im Gegenteil. Die souveräne Gelassenheit seines Ganges verriet mir auch, dass er sich selbst dessen offenbar durchaus bewusst war. Obwohl mir klar war, dass ein solcher Gedanke hier völlig unpassend war, konnte ich der Konkurrenz unter Brüdern nicht ganz widerstehen; und ehrlich gesagt, war ich mir nicht so sicher, zu wessen Gunsten sie ausfallen würde. Fest stand, dass Lupus ein auffallend schöner Mann sein würde, wenn er eines - hoffentlich baldigen - Tages nicht nur gewaschen, sondern auch richtig frisiert und gekleidet sein würde.
Vom Wasser aus kommentierte Lupus nun die vielen Nachrichten, die ich ihm über unsere gens mitgeteilt hatte. Als die Rede auf Sisenna kam, schmunzelte ich:
"Lupus, über Sisenna will ich dir mal gar nicht so viel erzählen - du musst sie einfach sehen und liebhaben!"
Mein Bruder hatte für seinen Ankunftstag in Roma einen ausgesprochen heißen Tag erwischt. Als ich ihm zusah, wie er sich im frigidarium reinigte, überlegte ich einen Moment lang, ob ich nicht doch zu ihm ins Wasser steigen sollte, um mich zu erfrischen. Ein Blick in das kühle Nass belehrte mich jedoch schnell eines Besseren, denn Lupus reinigte sich offenbar mit solcher Intensität, dass das Wasser bereits eine deutliche Verfärbung zeigte. Als er nun von mir aus dem Wasser gezogen werden wollte, sah er auch schon anders, irgendwie heller aus, als noch zuvor. Da ich meinen trickreichen Bruder kannte, zwinkerte ich natürlich Maron zu, mir dabei zu helfen, Lupus aufzurichten; schließlich wollte ich von ihm nicht doch noch in die Brühe gezogen werden.
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Also doch ein echter Aurelius und noch dazu der Bruder meines Herrn! Hm, Aurelius Cotta hatte dafür, wie herzlich er ihn jetzt begrüßte, doch immer recht wenig von ihm gesprochen, eigentlich gar nicht. Na ja, vielleicht hatte es ihm ja wehgetan, dass er von seinem eigenen Bruder so getrennt war; sensibel genug zu so etwas war mein Herr ja.
Aurelius Lupus zögerte nicht, mich anzugrinsen, als dominus Cotta ihn als seinen Bruder erkannt hatte. Nun, ich konnte es ihm nicht verdenken und hatte überhaupt keine Probleme damit, ihm offen ins Gesicht zu sehen. Schließlich war es für mich nur gut, dass er sich als echter Aurelius entpuppt hatte; dass ich nämlich jemand Fremden einfach so am hellichten Tag ins balneum der villa Aurelia geführt und für sein Badevergnügen alles nur Erdenkliche veranlasst hatte, hätte meinen Herrn sicher nicht amüsiert. Und dass ich den guten Aurelius Lupus ein bisschen von oben herab behandelt hatte - nun, darüber sollte er sich mal nicht wundern, so wie er hier angetanzt war: Ein Herr, der schlimmer aussah als die meisten Sklaven, würde in der villa Aurelia einen schweren Stand haben. Und bei mir sowieso.
Für meinen Herrn Cotta freute es mich, dass er nun wenigstens schon einmal seinen Bruder bei sich hatte. Er hatte in den vergangenen Tagen doch ziemlich einsam gewirkt. Deshalb verwunderte es mich auch nicht, dass er gleich schon wieder so eine lange Rede über Philosophie hielt: Er war es einfach nicht mehr gewöhnt, seinesgleichen um sich zu haben - und vergaß auch das Nächstliegende. Deshalb griff ich ein, als der dominus Lupus nun aus dem frigidarium gezogen werden wollte. Zu ihm gewandt, sagte ich: "Domine, soll ich Dich nicht noch schaben?" Mein Blick fiel auf das Schabeisen, das Leone blitzblank geputzt und bereit gelegt hatte.
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„Interessanter Gedanke mit der epikureische Freundschaft. Wenn es im freundschaftlichen Sinne bleibt bin ich dabei. Was die Lehre angeht, hatte ich immer schon Probleme damit, dass die Seele sterblich sein soll. Diesen Gedanke finde ich sehr unschön! Wer weiß schon, was dann kommt. Hoffentlich nicht das Ende! Aber es ist ja wie in so vielen Dingen, es gib so viele Fragen, aber anstatt Antworten nur noch mehr Fragen, oder?“
Ein Seufzer entrann mir, als ich an die Suche nach Wahrheit dacht.
Aber stolz war ich. Mein kleiner Bruder bewunderte mich für meine Suche, das sind doch mal Worte. Da werde direkte um einiges größer und die Brust streckt sich nach vorn. Und da wir grade bei Familie waren gab ich zurück:„Dann bin ich auf Sisenna aber mal gespannt. Du scheinst ja reichlich verzückt mein Libber!“
In dem Moment fiel mir ihr Vater ein. Der ist bestimmt Richtung West gegangen; hat der dort nicht ein Mahlbüro? Auf dem Weg dorthin sieht er jetzt bestimmt so aus wie ich, sollte sich mal wieder die Haare Kamel’n, weil er aussieht wie damals bei der Ernte 23.Mit reichlichem Kraftaufwand wurde ich nun aus der waagerechten in die senkrechte bugsiert. Apropos senkrecht, das tat sich doch was. Nur die Ruhe, war nur das Wasser! Ein Glück und ich dachte schon, dass ich zu lange in Griechenland gewesen wäre.
„Seht mich an, meine schöne braune Farbe ist weg. Das war doch keine Naturbräune, das war nur Schmutz, das ist aber sehr enttäuschend. Ich glaub, ich geh wieder.“ Scherzte ich in die Runde und sagte dann leicht verwirrt zu Cottas Sklaven:
„Scharben? Mich?
Ähhhm, ja, doch, warum nicht“ -
Das Element des Wassers ließ die Rede des Herrn Aurelius Lupus nur so fließen, worin er es damit also meinem dominus Cotta gleichtat. Dieser bedeutete mir, ihm dabei zu helfen, seinen älteren Bruder aus dem Kaltwasserbecken zu ziehen, was nicht besonders schwer war, da die kynische Lebensweise ja nicht dazu angetan war, Fett anzusetzen.
Einmal aus dem Becken herausgezerrt, schien Aurelius Lupus auch ganz erfreut über das Ergebnis dieser ersten Reinigung; mich befriedigte es hingegen noch nicht. Daher führte ich ihn nun zum wärmeren tepidarium, wohin mein dominus uns folgte. Mit duftendem Lavendelöl begann ich, den mir fremden Mann einzureiben. Es war nach mehreren Jahren nun das erste Mal, dass ich wieder einen anderen Mann als meinen eigenen Herrn Aurelius Cotta einrieb. Dessen Körper kannte ich ganz und gar; den des Aurelius Lupus natürlich noch nicht.
Dass Aurelius Lupus älter war als mein Herr, sah man natürlich auf den ersten Blick; bestimmt lagen an die zehn Jahre zwischen den beiden. Wenn ich meinen Herrn Cotta einrieb, schabte oder massierte, kam er mir mit dem weichen Pflaum auf seiner Haut manchmal noch wie ein Knabe vor; Aurelius Lupus dagegen war ein Mann, und ich dachte gleich: ein vollständiger Mann, der sicher auch auf Frauen seine Wirkung nicht verfehlte. Bei meinem Herrn war ich mir da manchmal nicht so sicher; er war zuvorkommend zu Frauen und zweifellos im Stillen auch sehr an ihnen interessiert, aber das reichte bei Frauen ja meistens nicht aus.
Der weichen, hellen Haut meines dominus Cotta wandte ich mich nun mit dem Öl zu, während dieses bei Aurelius Lupus erst einmal einwirken konnte.
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