Theodoros Alexandreus

  • Als er Timokrates so sieht, kann sich Theodorus das Schmunzeln kaum mehr verkneifen. Demut zeigen und den eigenen Kopf befreien, will heißen: Statt selber denken nachplappern, was der Lehrer sagt, ist eine der Wichtigsten Disziplinen des Museions. Allerdings gehört Theodorus nicht zu den Lehrmeistern, die jene Haltung überzeugend durchzusetzen vermögen. Dazu vertraut er selbst zu wenig auf seine eigene Autorität.


    "Oder warte: Ich habe eine bessere Idee: Du schreibst mir eine Zusammenfassung über "Das Paarungsverhalten des westafrikanischen Riesenkäfers" und ich werde mir überlegen, ob du mein Schüler werden kannst."


    Theodorus hat nämlich gegen seinen Kollegen, den Zoologen Phillippos von Antiochia, beim Würfeln verloren. Der Wetteinsatz war, dass der jeweilige andere Gelehrte die meist gehassteste Arbeit des Gegenübers übernehmen sollte. Und Theodorus, der Verlierer, bekam den Riesenkäfer. Mal sehen ob der neue Schüler das nicht ebenso gut hinbekam. Danach wird man sich der Philosophie widmen...

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  • Westafrikanischer Riesenkäfer? Nikolaos schauderte. Das hörte sich nicht besonders interessant an. Schließlich wollte er nicht die Leere von den Tieren studieren... . Aber anbetracht der Tatsache, dass davon möglicherweise seine Zukunft am Museion abhing: "Gut. Ich werde diese Aufgabe verrichten und ich danke dir, dass du mir noch eine Möglichkeit gibst, zu beweisen, dass es um meine Demut und meine Gehorsam nicht so schlecht steht, wie dir es vielleicht erschienen ist."

  • "Chaire, Theodoros.", sagte Nikolaos, während er sich hinausbegleiten ließ. "Du wirst bald wieder von mir hören. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag." Erleichterung war in seiner Stimme. Gleichzeitig aber das unangenehme Gefühl der Erwartung einer öden Aufgabe.

  • Mit zwei Rollen unter dem linken Arm und einem Apfel in der rechten Hand drückte Diagoras vorsichtig die Klinke nach unten und steckte, nachdem er erneut mit dem Apfel gegen die Tür geklopft hatte, seinen Kopf endgültig ins Zimmer:


    Hallo? Gruß und Segen! Jemand anwesend?

  • Diagoras fummelte sich durch die Türöffnung - blickte sich skeptisch im Raum um - straffte seine Haltung so vorsichtig, als wolle er nicht mit dem Scheitel an die Decke stoßen (was nicht einmal gelungen wäre, wären vier Diagorasse übereinandergeklettert), bugsierte den Apfel irgendwie in die Ledertasche und trat heran:


    Verzeiht, wenn ich so hereinwehe wie ein unwillkommener Geruch aus der Küche. Ich bin erst vor drei Tagen aus Korinth hier in Alexandria eingetroffen und bin auf der Suche nach dem großen Tychios von Chalkis, dem hiesigen Bibliothekar. Ich, Diagoras von Melos will ihm meine Grüße und die eines gemeinsamen Bekannten aus Achaia überbringen. In seinem Büro scheinen sie aber weder der griechischen noch sonst einer zivilisierten Sprache mächtig zu sein. Auch auf Latein scheinen sie nur apathisch zu reagieren - zählt Tychios jetzt Taubstumme zu seiner Entourage? Oder ist das die ver... naja, die alexandrinische Hitze? Vielleicht, hochmögender Herr, könnt Ihr mir behilflich sein?

  • Skeptisch blickt Theodorus den Mann an und antwortet spontan etwas schroff: "Wie? Wer soll sich im Büro des Epistates aufhalten?" Eigentlich sollte das angesprochene Zimmer derzeit von Niemanden besetzt sein, egal ob er griechisch oder sonstwas spricht, abgesehen davon, welche zivilisierte Sprache neben Griechisch soll es denn überhaupt geben?
    Dann lacht der Philologos aber auf. "Natürlich, du beliebst zu scherzen! Nein, guter Mann, da muss ich dich leider enttäuschen. Serapis hat Tychios vor ein paar Tagen zu sich gerufen, ich bin sein derzeitiger Vertreter."

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  • Er langte nach dem Apfel in seiner Tasche und biß gedankenvoll ein Stück davon ab:


    Das erklärt,


    meinte er kauend,


    einiges. Die Schreiber und Sklaven des Epistates bewegen sich im Büro wie Fische im Aquarium - blubb ... blubb - muß ihnen ziemlich an die Eingeweide gehen. Die gesamte Oikumene wird jedenfalls erschüttert sein, der Kaiser wird sein Gewand zerreißen, die Senatoren Trauer tragen und das mare internum sich in das Meer der Tränen verwandeln. So hat Tyche den Tychios also ereilt ... und wir bleiben als Waisen auf Erden zurück. Nicht?


    Diagoras biß versonnen ein weiteres Stück aus dem Apfel heraus und blickte dann sein Gegenüber gerade an:


    Wie ist er gestorben? Natürlich in Erfüllung seiner Pflicht? Unter uns Bibliothekaren sagt man ja dann, jemand ist "in den Rollen eingeschlafen". Schläft Tychios jetzt also auch "in den Rollen"?


    'Oder in den Armen eines armen Mäderls, das unter dem Fleischklops wahrscheinlich fast selbst ihr letztes Schnauferl getan hätte ... ' schoß es Diagoras kurz durch den Kopf. 'Aber wahrschienlich ist er nur geplatzt, vor Stolz und Überheblichkeit - eine rechte Schweinerei wird's dann gewesen sein.'

  • "Auch wenn der Kaiser ein Förderer der Künste ist, so denke ich nicht, dass er sich gleich- Moment mal!" Da hatte ihn Diagoras doch schon wieder aufs Kreuz gelegt! Kommt einfach hier herein in sein kleines, ruhiges und beschauliches Zimmer und macht sich unverhohlen über ihn lustig! "Wie der Epistates genau gestorben ist, wissen wir noch nicht, auf jedem Fall lag er tot in einem Brunnen." gibt Theodorus Aufgrund des Auftreten des Mannes allerdings ziemlich reserviert Auskunft.

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  • Nein, das wird der Kaiser wohl vielleicht nicht, ... nun "was am Himmel wär', wohl strebte er zu erfahren, was aber vor ihm läge und zu seinen Füßen, ihm unbekannt blieb“ - ist nicht auch Thales in einen Brunnen gefallen? Allerdings war er klug genug, nicht darin umzukommen. Apropos - vor Trauer entleibt Ihr Euch auch nicht gerade, jedefalls hättet Ihr sonst nicht auf die kaum heroischen Umstände hingewiesen, in denen sich der corpus des hochverehrtesten Epistates befand, als man ihn entdeckte.


    Diogenes lächelte, 'wenigstens ist kein Satellit des Tychios zu dessen Nachfolger bestimmt worden, es wurde auch Zeit, daß die Bibliothek wieder von Wissenschaftlern geleitet wird und nicht von Windbeuteln'.


    "Der HErr hat's gegeben, der HErr hat's genommen. Gepriesen sei der Name des HErrn!" sagen nicht so die Judäer in ihren Schriften? - Nun, da ihr jetzt der Epistates anstelle des Epistates seid: seid herzlich gegrüßt von meinem Freunde Lukian von Samosata und von Prodikos von Abdera, meinem früheren Lehrer und weiland Mitschüler des unglücklichen Tychios. Er hat mich vor kurzem von Athen nach Korinth begleitet.


    Er legte den Apfelbutzen mit seiner linken Hand sorgfältig in die Tasche zurück und wischte sich mit einem Leinentüchlein die Hand ab. Dann streckte er seinem Gegenüber die Rechte entgegen:


    Grüße und Segenswünsche Euch, Herr. Verzeiht, die Umstände erscheinen Euch angesichts der Ereignisse vielleicht eigenartiger, als sie sind ...

  • Schon ein bisschen genervt hört sich Theodorus den Sermon des Mannes an, der, wie ihn scheint, Exponent jener merkwürdigen Gattung von Menschen ist, die die Gymnasien und Agoren sämtlicher in der Oikomene bekannter Poleis belagern und den redlichen Bürgern hinter den Säulen auflauern, um sie mit allerlei Sprüchen zu belästigen. Als Philologe in der Tradition des Museions kann er über derlei vorsokratischen und neosophistischen Blödsinn, mag er sich nun unter dem Mantel der Stoa, des Epikuräismus, des Skeptizismus oder sonst irgendeines abstrusen Gedankenkonstruktes verbergen, nur den Kopf schütteln. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Theodorus trotz aller Hellenisierung immer noch Hebräer geblieben ist und ihm diese Umgangsform im Gegensatz zum Großteil der hellenischen Welt immer wie eine Verballhornung prophetischer Lehren wirkt, denn das Verhalten der Rabbiner ähnelt dem der Philosophen, nur mit dem Unterschied, dass der Rabbiner auch etwas zu sagen hat...


    "Ähm, ja, vielen Dank für die lieben Grüße" - von zwei Menschen, deren Namen er nie gehört hat - "und in der Tat stellen sich die Ereignisse etwas eigenartig dar..." - was im Moment allerdings weniger mit dem Tod des Tychios zu tun hat...

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  • Das freut mich, daß Ihr mir zustimmt: die Ereignisse stellen sich eigenartig dar, sind es aber vielleicht überhaupt nicht.


    Diagoras räusperte sich einen nichtvorhandenen Frosch aus dem Hals.


    Jedenfalls wird es nicht wenige geben, die glauben, zwischen Eurer sehr geschätzten Rückkehr an das Museion von Alexandria und dem überraschenden Tod des umso wengiger geschätzten Epistates des Museion eine Verbindung ziehen zu können.


    Die bestehende formale Unterordnung des Museion in Alexandria unter die Schola in Rom war und ist dem überwiegenden Teil der Wissenschaftler Griechenlands und Ioniens ein Dorn im Auge. Und es ist wohl mehr als ein offenes Geheimnis, daß der Einfluß Roms, der sich ja nicht in Personalangelegenheiten erschöpft, von bestimmten Kräften weiter ausgebaut werden soll, das Museion an die kurze Leine genommen werden soll. Über kurz oder lang dürfte irgendwer - offiziell oder nicht - aus Rom auftauchen und diese kürzere Leine mitbringen.


    Er hielt kurz inne um die Reaktion auf dem Gesicht seines Gegenübers zu erkunden ...


    Damit seid sicher nicht Ihr, hochverehrter Theodoros, gemeint, auch wenn ... ich darf mir die Freiheit erlauben, offen zu sprechen? Danke. ... auch wenn Euer Aufenthalt in Rom so manchen an Eurer Loyalität und Integrität zweifeln läßt.


    Mit einer lauen Handbewegung wischte er diese Zweifel wie irgendein Insekt beiseite:


    Tychios war wissenschaftlich gesehen vielleicht eine Null, mit Sicherheit aber eine trübe Funzel, aber unbestreitbar ein unbedingter Kämpfer für den Erhalt des griechischen Einflusses am Musieon. Jetzt ist der Epistates tot, Ihr, Theodoros seid da. - Könnt ihr mir folgen?


    Diagoras blickte freundlich lächelnd in Theodoros' graue Augen.

  • Zitat

    Original von Diagoras von Melos
    Ganz viel Text


    So langsam schwindet die Gutmütigkeit aus dem Gesicht des Gelehrten. Versteht Theodorus den Mann nur falsch, oder will er tatsächlich aussagen, was Theodorus versteht? Kommt da tatsächlich ein gänzlich Unbekannter in sein Zimmer und erdichtet sich irgendwelche komischen Verschwörungen von ihm und - aus vollkommen unerfindlichen Gründen* - der Akademia in Rom gegen den ehemaligen Epistates! Da Theodorus doch trotzdem eine sehr harmoniefreudige Gestalt ist, antwortet er und schmeißt den frechen Kerl nicht sofort raus:


    "Abgesehen davon, dass die Akademie von Rom überhaupt nichts mit den Angelegenheiten des Museions zu tun hat, denn nur die Musen und der Basileus stehen über uns, willst du gerade behaupten, ich hätte irgendetwas mit dem Tod des Epistates zu tun?"




    Sim-Off:

    *Sim-On haben Museion und Schola nichts miteinander zu tun. Die Hierarchie Schola --> Museion besteht alleine im Sim-Off.

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  • Zitat

    Original von Nikolaos Kerykes
    Nikolaos klopfte an der Tür zu Theodoros Arbeitsraum.


    "Nur Herein!", erklingt es von drinnen.

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  • Sim-Off:

    Danke. :) Hatte im Forum der Akademie gelesen, daß jemand ins Museion zur Bestandsaufnahme geschickt worden ist - und diese Frau ist auch mit dem Epistates zusammengetroffen. Daher Diagoras' prinzipielle These von der Unterordnung ... SimOn. ... bringt mich zwar ein wenig aus dem Konzept, so ich eins hatte, aber irre werd' ich nicht daran ...


    Ich? Daigoras schmunzelte, Nein, immo vero! Aber irgendjemand wird es behaupten. Und jeder, der schon einmal Phylakes-Romane gelesen hat, wie von Christa Agatha, der weiß, daß Hercules Potator *) als erstes frägt: "Cui bono? Wem nützt's? Und da stehst Du, Tyche sei Dank, ganz vorne in der Warteschlange. Und daß die Akademie in Rom nichts mit dem Museion zu tun hat, naja, wie man es interpretiert. Bei der Ernennung des nächsten Epistates wird Rom sicherlich auch gerne mitreden wollen. Und damit meine ich nicht nur den gottgleichen Kaiser, egal wie das Parthien-Abenteuer ausgeht. Und egal wie dieses Abenteuer ausgeht - ich bin nicht der einzige, der sich Dich als Nachfolger des Tychios wünscht ... Und in gewisser Weise bin ich deshalb auch in Alexandria.





    Sim-Off:

    *) Hercules Potator = Hercule Poirot, poivrot = Säufer

  • Theodorus' kurze Verärgerung schlägt wieder in aufrichtige Verwunderung um: "Ähm, ja klar hat Rom da was mitzureden. Schließlich ist das Museion dem Kaiser persönlich unterstellt und er allein hat das Recht, den Priester der Musen zu ernennen. Aber ich sehe nichts Verwunderliches darin, denn dass der König über Ägypten den Priester ernennt ist Sitte, seit diese Einrichtung existiert. Von wem der König sich aber bei der Entscheidung beraten lässt, soll seine Sache sein, nicht unsere. Und ich bin mir sicher, er wird weise entscheiden..." erläutert er, zugegebenermaßen mehr diplomatisch als ehrlich.


    "Allerdings verstehe ich immer noch nicht, was das mit dir zu tun hat... - Mit welcher Legitimation sprichst du? Wer wünscht sich mich als Epistates?"

    gelehrter aus alexandria- gebildet, intellektuell, tolpatschig und zerstreut

  • Hochverehrter Theodoros,


    Diagoras wippte vom linken aufs rechte Bein, griff in seine Ledertasche und förderte einen kleinen rot-grünen Apfel zutage. Da biß er hinein und meinte - während er in seiner linken Backen kaute:


    Ist das nicht offensichtlich? Das Museion braucht keinen um sich selbst kreisenden Bibliothekar, dessen Säfte allein schon beim Wort 'Rhomaier' in Wallung geraten ...


    ... er deutete sacht eine Würgereiz an ...


    ... und der die lateinische Abteilung - die übrigens so schlecht nicht ist - am liebsten schließen und die Rollen verbrennen würde, wenn nicht ziemlich viele und ziemlich bewaffnete Rhomaier in Alexandria weilten. Das Museion braucht einen Griechen, einen Hellenen, der mit den Rhomaiern umgehen kann und auch an ihnen interessiert ist. Das mag nicht jedem stolzen Griechen einleuchten, daß jemand vom Zentrum des Wissens in Alexandria an die Peripherie nach Rom geht, um dort Wasauchimmer zu tun oder nicht zu tun. Aber es ist pragmatisch, wissenschaftlich gedacht und klug, jedenfalls für einen Epistates der größten und wichtigsten Bibliothek in der gesamten Welt, der zivilisierten, der römischen und der restlichen Welt.


    Er grinste. :D


    Und, sagen wir mal, gerade die attischen und die ionischen Zentren der Wissenschaften sind sehr an einem harmonischen und funktionellen Verhältnis mit den Römern interessiert, die Zeiten der überheblichen Provokationen ist vorbei und kontraproduktiv; Prodikos von Abdera, der neue Leiter der platonischen Akademie in Athen, ist einer derer, für ich spreche.

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