• Früher Morgen. Die flammende Sonnenscheibe stand noch halb hinter dem Horizont verborgen und tauchte die Gebäude von Athens Hafenstadt Piräus in warmes, goldenes Licht. Sanft raunte der Wind durch die Takelage der an den steinernen Piers vor Anker liegenden Handelsschiffe, trug einen Schwarm kreischender Möwen über die glatte, glitzernde Wasseroberfläche. Ein Trupp Sklaven hievte unter den noch halb geschlossenen Augen eines unbeteiligt wirkenden Aufsehers verschnürte Pakete in ein nahes Warenhaus, ihre gemächlichen Bewegungen verrieten indes keine Eile. Eine friedliche, fast andächtige Szenerie, wie sie sich dem menschlichen Auge zumeist nur zu solch früher Morgenstunden bot.
    Iulia Triaria war auf halber Höhe der Treppe stehen geblieben, sog die salzhaltige Luft genüsslich in ihre Lungen und ließ ihren Blick in die Ferne wandern, dorthin, wo sich der Himmel und das Meer berührten, ... wo ihr Ziel lag. Sie war aufgeregt und nervös zugleich. Ein Teil von ihr empfand gar Furcht bei dem Gedanken, die Stadt Athen, die ihr 16 Jahre eine vertraute Heimat gewesen war, für lange Zeit zu verlassen. Womöglich gar für immer. Die Vorfreude aber auf jenen Moment, da die Stadtmauern Roms sich vor ihr erheben würden, verdrängte die Furcht und Triaria vergrub sie weitab tief in ihrem Inneren. Zu oft hatte sie diesen Moment in Tagträumen durchlebt, um jetzt zu weichen. Dass die Realität der Vorstellung nicht standhalten könnte war für Triaria schlicht nicht denkbar.
    Kednes indes, der ägyptische Sklave und auserwählt, die junge Römerin zu begleiten, betrachtete die vor ihnen liegende Reise mit einem weitaus nüchterneren Blick. Er war in früheren Jahren bereits zur See gefahren und wusste, welche Gefahren auf dem just so friedlich vor ihnen liegenden Meer lauerten. Mit höflichen Geste versuchte er nun, Triaria zum Weitergehen zu bewegen. "Das Schiff wird nicht auf uns warten, fürchte ich."

  • Die Corbita war groß. Nicht so groß wie eine Triere, aber dennoch beeindruckend. Viele Stunden und Tage - wann immer ihre Tante es erlaubt hatte - war Triaria hier am Hafen gewesen, stets begleitet von Kednes, und hatte die ein- und ausfahrenden Schiffe beobachtet. Seit jeher übte die Fahrt zur See eine eigenwillige Faszination auf die junge Römerin aus; - gleichwohl ihre nun schon lange zurückliegende erste und bis heute letzte Reise über das Meer wenig annehmlich gewesen war. Kednes, der einst selbst auf Schiffen gedient hatte - Kriegsschiffen, wie Triaria vermutete -, wusste ihr viel über das Handwerk an Bord, die Kunst der Nautik und insbesondere die Freiheit auf dem endlosen Wasser zu erzählen. Geschichten von Abenteuern und Heldenmut. Vieles zweifellos frei erfunden, anderes wohl nur ausgeschmückt um einen wahren Kern. "Das Schiff gefällt mir", sagte Triaria, als sie schließlich am Pier standen und Kednes neben ihr das Gepäck gen Boden gleiten ließ. Selbst für den stämmigen, alten Mann waren die Taschen und Kisten nicht einfach zu tragen gewesen. "Ja", antwortete er zunächst kurz angebunden, bis er spürte, dass Triaria mehr erwartete. "Und sicher, wie mir scheint. Der Kapitän versprach, seine Besatzung sei erfahren in der Abwehr von Piraten." Triaria stemmte die Hände in die Hüfte und schien ob dieser Anmerkung weniger beunruhigt als Kednes vermutet hatte. "Achja? Steht denn ein Überfall zu erwarten?", erkundigte sich die Römerin und beinahe glaubte der Ägypter so etwas wie hoffnungsvolle Anspannung aus ihrer Stimme zu hören. "Nein, wahrlich nicht. Kaum eine Route ist so sicher wie jene, die vor uns liegt. Nur meine Sorge um dich ..." Innerlich seufzte Kednes. Er kannte Triaria seit ihren Kindertagen und seine vordringlichste Aufgabe war ihr Schutz. Keine leichte Aufgabe, doch er hatte sie im Laufe der Jahre mit mehr und mehr Freude erfüllt. Seine Sorge um ihr Wohlergehen war daher keineswegs gespielt. Bisweilen indes erschien ihm sein Schützling sehr naiv. 'Klug, aber verträumt.', hallten die Gedanken durch seinen Kopf.


    "Ich möchte den Kapitän kennen lernen", bestimmte Triaria entschlossen und ging forschen Schrittes auf die Holzbrücke zu, die das Schiff mit dem Pier verband. Ein Seemann, trotz der morgendlichen Frische mit kaum mehr als einem Lendenschurz bekleidet, sah der Römerin abwartend entgegen. Das Funkeln in seinen Augen gemahnte Kednes, dass er an Bord stets ein Auge auf seinen Schützling haben musste. Nicht dass ein Seemann es wagen würde, sie war immerhin eine Iulierin und die Strafe kaum zu ermessen. Andererseits blieb vieles, was zur See geschah, auch eben dort. "Iulia Triaria", stellte sich die junge Frau dem Seemann vor und wies auf die Corbita. "Für mich wurde ein Platz auf diesem Schiff erworben. Wann stechen wir in See?" Kednes schmunzelte, als die Römerin sich der nautischen Sprache bediente. "Bald. Käpt'n is noch nich zurück", murmelte der Seemann auf Latein mit gebrochenem, griechischem Akzent und seine sehnigen Schultern hoben sich. "Könnt's Zeug aber an Bord bringen", fuhr er fort und deutete auf die Reisehabe, die Kednes erneut aufgeladen hatte. "Vielen Dank!", antwortete Triaria und die Sohle ihrer Sandale berührte die Holzbrücke, noch bevor der letzte Ton verklungen war.

  • Während der Hafen von Piräus allmählich kleiner wurde, mehr und mehr mit der Landmasse zu einem schmalen Strich am Horizont verschmolz, stand Triaria an der Reling und starrte in die Ferne. Ihre Hände pressten sich so fest um das raue Holz, dass die Fingerköchel unter der samtigen Haut weiß hervortraten. Indes lag das nicht an den schlingernden Bewegungen der Corbita, während die im Wind geblähten Segel das Schiff mit zunehmender Fahrt über die aufschäumende Gischt der Wellen gen Rom trugen. Vielmehr wurde Triaria in eben diesem Moment bewusst, dass die Reise eben keine kurze Episode war, sondern ein einschneidender Wendepunkt in ihrem Leben; - womöglich ohne Wiederkehr. Begonnen hatte er mit einem Brief ihrer Tante an Senator Lucius Iulius Centho. Unwirklich war der jungen Römerin damals die Aussicht erschienen, schon bald tatsächlich in der Hauptstadt des Imperiums zu sein. Zwar hatte sie begonnen, die nötigen Vorbereitungen zu treffen - ihre Habe packen, Vorräte einkaufen -, aber die Aufregung hatte jeden Gedanken an Konsequenzen verschluckt. Nun wurde Triaria mit eben jenen erstmals bewusst konfrontiert. Und die Erkenntnis trieb ihr die Tränen in die Augen.


    Kednes stand mit verschränkten Armen einen Schritt hinter seinem Schützling. Er hatte keine Mühe, sich gegen das Auf und Ab der Corbita auf den Beinen zu halten. Was in Triaria vorging, ahnte er. Im Grunde hatte er gewusst, dass dieser Moment kommen würde, seit Herminia Atratina beschlossen hatte, es sei für Triaria an der Zeit, nach Rom zurück zu kehren. Die Entscheidung, den Abschied schon an der Porta zu vollziehen und nicht am Hafen, war weise gewesen. Andernfalls stünde Triaria nun vielleicht am Pier und nicht hier an Deck. "An dieser Schwelle bist du zu mir gekommen und von hier wirst du auch wieder gehen." Vermutlich hatte sie das Wort 'verlassen' bewusst nicht gewählt. Wie auch immer ... nun gab es kein zurück mehr.


    "Glaubst du, eines Tages werde ich auch einmal ein Schiff führen?", fragte Triaria unvermittelt mit bebender Stimme und im Affekt hätte der alte Ägytper beinahe 'Natürlich nicht' geantwortet. Stattdessen wandte er seinen Blick zu dem Kapitän der Corbita, einem bärtigen, untersetzten Griechen, der so wortkarg war wie ein Stein. Die Unterhaltung zwischen ihm und Triaria war zur Enttäuschung der Römerin denkbar kurz ausgefallen. Waren es mehr als zehn Worte gewesen? "Vielleicht", erwiderte Kednes schließlich. "Wenn Bellona dir wohlgesonnen ist", fügte er hinzu, um mit der Erwähnung von Triarias so bewunderter Göttin ein wenig Trost zu spenden.


  • Zitat

    Original von Paulus von Myra
    Paulus freute sich sehr, dass die Römerin ihm nun weiterhelfen wollte und sie schien sich in Athen auszukennen, was ihren Tipp um Damianos nochmal so wertvoll machte, da er darauf vertrauen konnte, dass die Informationen halbwegs akurat waren. Sie hatte zwar gelangweilte Schüler erwähnt, was mitunter ja auch durchaus ein Rückschluss auf die Lehrmethoden des Meisters sein konnten, doch aus einem anderen Winkel betrachtet, welcher Lehrer hatte im Laufe seiner Karriere noch nicht faule, verzogene Schüler gesehen, die unmotiviert und desinteressiert aus und in den Unterricht gingen, bloß motiviert in der Hinsicht, dass sie in einigen Jahren den gesamten Besitz von ihrem lieben Vati erben würden? Paulus jedenfalls würde sich persönlich ein Bild von diesem Damianos machen und dann erst urteilen. Wer weiß, vielleicht war er wirklich ein brillianter Lehrmeister?
    [...]
    Doch egal, gewiss würde ihm daraus kein Nachteil erwachsen. Jedenfalls freute er sich, dass die Römerin ihm ein wenig in seiner Suche weiterhelfen hatte können, weshalb er sich artig mit den Worten bedankte: "Der Philosoph Damianos also, wohnhaft am Fuße des Nymphenhügels? Hab Dank für deine großzügige Auskunft, Römerin, ich werde deinen Ratschlag beherzigen und mir diesen Mann genauer ansehen. Mögen die Götter über alle deine Wege wachen, Vale."



    Nach seinem freundlichen kleinen Gespräch mit der Römerin, hatte sich Paulus, ganz wie von ihr empfohlen, gleich sofort weiter auf den Weg zur Stoa Poikile gemacht, um sich nach dem Stoiker Damianos zu erkunden. Doch die anwesenden Männer konnten ihm nicht mehr sagen, als dass Damianos schon seit ein paar Tagen nicht mehr hier gewesen wäre. Hm, konnte man nichts machen, doch vielleicht hatte Paulus ja bei dem, von der Römerin erwähnten, Wohnhaus des Philosophen am Fuße des Nymphenhügels mehr Glück? So ließ er sich den Weg dahin genau beschreiben und wanderte von der Agora bergan zu besagtem Hügel. Dort fand er auch wirklich das Haus des Damianos, doch es schien verwaist und auch auf sein Klopfen und Rufen öffnete niemand. Die Nachbarn hatten den Philosophen ebenfalls schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Merkwürdig. Was wohl mit ihm passiert sein mochte? Alles hatte den Anschein, dass Damianos Athen von einem Moment auf den anderen verlassen hatte. So also musste er sich doch wieder jemand anderen suchen. In Gedanken versunken kehrte er zur Stoa Poikile zurück, um den Rest des Tages dort zu verbringen. Für heute hatte er nichts mehr geplant, bis es endlich Zeit wäre, zu dem Amphorenhändler Aristophanes aufzubrechen. So saß Paulus bei den Männern und lauschte aus den hinteren Reihen den hier ausgetragenen stoischen Debatten zwischen den Rednern und Lehrmeistern. So konnte er sich schon einmal ein erstes grobes Bild von den hier vertretenen Ansichten und Sprechern machen für eine spätere Auswahl seiner stoischen Studienausrichtung. Zu Mittag wanderte er noch etwas in der Stadt herum und kehrte in einer kleinen Nebengasse in eine besonders delikate Taverne ein und ließ sich ein herzhaftes Mittagessen schmecken, ehe es für ihn zur Stoa Poikile zurück ging.


    Zwei Redner fielen ihm besonders auf. Ein Mann namens Hippoxantes und ein Hebräer namens Salomo. Beide befehdeten sich leidenschaftlich miteinander und es war wirklich inspirierend ihren Exkursen über die stoischen Weltansichten zu lauschen. Hippoxantes bestach durch ausgezeichnete Kenntnisse der Materie und durch eine Redekunst die oft Argumente hervorbrachte, denen sein rhetorischer Gegner oft schwer etwas entgegenzusetzen hatte. Salomo hingegen war ein Exot für sich. Er war der erste Mann aus Judäa, den Paulus je angetroffen hatte, der sich mehr für Philosophie, denn für den hebräischen Glauben interessierte. Doch auch er war trotzdem nicht unbedingt schlechter, in seinem Stil, als Hippoxantes. Anders eben. Salomo verband viel stoisches Gedankengut mit der jüdischen Glaubenswelt, in seinen Beispielen und Gleichnissen über diese und jene Bewandnis griff er immer wieder auf erzählerische Vorbilder aus dem Tanach zurück. Dadurch ergaben sich häufig sehr faszinierende neue Blickwinkel und (gedachte) Zusammenhänge zwischen den Stoikern und den Juden. Paulus hing Salomo bei jedem seiner Worte gebannt an den Lippen, doch von der Argumentation und Gedankenwelt des Hippoxantes wollte er auch keinen einzigen Satz verpassen. Wer nur der beiden sollte sein Lehrmeister werden? Denn dass es entweder Hippoxantes oder Salomo werden sollte, hatte er schon für sich festgelegt.


    Beim angeregten Lauschen der beiden Kontrahenten bemerkte Paulus gar nicht wie die Zeit verging und eh er's sich's versah war der Nachmittag auch schon in den Abend übergegangen. Zeit aufzubrechen. Paulus erhob sich von seinem Sitzplatz und verließ die Stoa Poikile. Gemächlich schlenderte er über die Agora und sah dabei zu, wie die Händler schön langsam ihre Waren und Stände zusammenpackten, um sie für die kommende Nacht sicher zu verstauen, ehe es morgen wieder von vorne losgehen würde mit dem Verkauf. Die Sonne hing schon glutrot und tief am Horizont und da und dort glommen bereits die ersten Kerzen und Öllampen auf. Dies tat dem Gewusel auf den Straßen jedoch keinen Abbruch. Die Griechen waren ein nachtaktives kleines Völkchen. Paulus genoss die Atmosphäre rund um ihm herum, ja Athen war wirklich seine Stadt. Wie es um die Tischsitten ihrer Einwohner stand, davon würde er sich ja selbst gleich ein Bild machen können.
    Von der Agora aus wanderte Paulus nach Süden und danach immer am Nordhang der Akropolis entlang, bis er zum Aeropag anlangte, dem alten hohen Gerichtshügel Athens.
    Paulus langte am Haus des Amphorenhändlers an. Ganz gewiss musste es das sein, denn es war (soweit er es erkennen konnte) weit und breit das einzige Haus westlich des Aeropags, dessen Front dicht mit Weinreben bewachsen war. Passend eigentlich für einen Amphorenhändler, wie er fand. So klopfte Paulus und wartete ab, was als nächstes Geschehen würde.



    Aristophanes, Amphorenhändler


    "Ich komme! Moment!" drang es aus dem Hausinneren. Dann folgten tapsige Schritte, ein Ächzen und schon öffnete sich die Tür. Aristophanes strahlte, als er seinen Gast erblickte. "Ah! Paulus aus Myra, sei mir Willkommen!"
    Auch Paulus neigte leicht das Haupt. "Chaire, Aristophanes."
    Der Amphorenhändler führte ihn ins triklinion, wo schon ein einfaches Abendmahl bereitet war. Hungrig stellte Paulus seinen Wanderstab ins Eck und ließ sich nieder.
    "Ein Schälchen Wein?" fragte Aristophanes, dabei geschäftig am Verschluss einer Weinamphore herumnestelnd.
    "Danke, aber für mich bitte bloß etwas Wasser."
    Der Schalk saß Aristophanes halb verborgen in den Augen, als er plötzlich von der Amphore abließ und Paulus fester ins Visier nahm. "Wasser? Passend zu deinem Fisch?"
    "Hm?" So ganz war er nicht sicher, worauf sein Gastgeber damit hinauswollte. Fisch gab es jedenfalls nicht bei ihrem Essen.
    "Na der Fisch, der Fisch den du auf deinem Stab eingeritzt hast!"
    Jetzt ging ihm ein Licht auf, woher der Wind wehte. "Ach der..."
    Aristophanes nickte heftig. "Ja genau! Eine schöne Gravur, ich muss schon zugeben. Doch wie ein Fischer siehst du mir nicht aus mit deinen langen Gewändern. Wie kommt es also, dass du ausgerechnet dieses Wesen auf deinem Stab spazieren führst?"
    Es war klar, dass der Amphorenhändler mit offensichtlichen Hintergedanken im Kopf diese Frage stellte. Doch zu Paulus' Gunst, oder Verderben? Er wusste nicht genau wie es um die Akzeptanz von Christen hierzulande stand, aber aus Rom hatte er schon von diversen Restriktionen und Verfolgungen gehört. Er beschloss vorsichtig zu bleiben, aber Aristophanes glatt anzulügen ging für ihn auch nicht in Ordnung. So entschloss er sich also für eine ausweichende und vage Antwort.
    "Der Fisch... ist meine Leitfigur auf meinem Pfad durch dieses Leben."
    "Ha! Genau was ich dachte!" Sprunghaft wie der kleine dickliche Mann nun einmal war, fuhr er herum und begann etwas aus einem kleinen Schränkchen zu ziehen. Paulus schluckte. Was mochte es wohl sein? Ein Dolch?


    Doch nichts dergleichen. Als Aristophanes sich wieder umwandte, hatte er bloß ein Stück Leder in der Hand. Er näherte sich wieder Paulus und hielt es ihm hin, dabei immer wieder darauf deutend.
    Auf dem Leder war ein Fisch eingeritzt.
    "Meine auch!"
    Paulus' Augen weiteten sich. Abwechselnd sah er hoch in sein Gesicht und wieder hinunter auf den Fisch.
    "Dann bist du also..."
    "Mhm, genau!" Aristophanes nickte und behielt seinen ganz eigenen vielsagenden Blick. "Noch einmal, willkommen in meinem Heim, mein Bruder!" Er streckte ihm seinen rechten Arm aus und Paulus ergriff ihn zu einem Druck.
    Also war Aristophanes ebenfalls Christ! Kein Wunder, dass er ihm auf der Agora gleich so offenherzig begegnet war! Da schmeckte das Essen gleich doppelt so gut, wenn man sich in so warmherziger Gesellschaft wusste.
    "Hier dein Wasser"
    "Vielen Dank."
    Aristophanes ließ sich gegenüber von Paulus nieder und begann seinerseits zu essen. Dabei sah er immer wieder seinen Gast an.
    Dann nach einer Weile: "Was führt dich nach Athen, mein Freund? Das Geschäft?"
    Ein Lächeln stahl sich kurz über Paulus' Antlitz. Diese Frage musste ja früher oder später kommen. "Nein, das Studium. Ich bin nach Athen gekommen, um die Lehren der Stoiker zu studieren. Ich war dafür heute schon den ganzen Nachmittag auf der Agora und habe mir ihre Debatten angehört. Sehr interessante Leute."
    Wieder machte der Amphorenhändler große Augen. "Oooh, ach deshalb! Tja, wenn nicht in Athen, wo sonst, hm?" Aristophanes kickste.
    "Doch sag einmal, ist das überhaupt mit deinem Glauben vereinbar? Griechische Philosophien zu studieren und so weiter?"
    Paulus stellte nach einem tiefen Zug seinen Wasserbecher ab.
    "Natürlich, warum denn nicht? Was sagt uns unser Herr im ersten Gebot?"
    Der kleine Mann wackelte mit dem Kopf.
    "Ähm, du sollst keine anderen Götter anbeten? Oder so?"
    Paulus nickte.
    "Exakt. Und bete ich andere Götter an, wenn ich mich z.B. mit dem Weltbild der Stoiker auseinandersetze? Oder steht irgendwo geschrieben, dass man als Philosoph den Musen, oder Apollon, oder sonst einem Gott Opfer darbringen muss?"
    Das ganze ging nun offensichtlich ein klein wenig zu sehr über Aristophanes' Begriffsvermögen, seinem Gesichtsausdruck nach.
    "Nun, ähm... äh ich denke nicht? "
    Lächelnd nickte Paulus. "Genau, also gibt es kein Problem."
    "Hm, wenn du das sagst." Der Amphorenhändler wusste wohl immer noch nicht so recht, was jetzt genau davon stimmte, oder nicht.
    "Doch wenn du schon den Glauben ansprichst, ich hörte, dass die Athener Gemeinde jetzt schon seit über 20 Jahren keinen Bischof mehr hat, stimmt das?"
    Wieder kiekste der kleine Mann. "Och das, ja so ist das. Zwei Jahrzehnte schon, unglaublich, einfach unglaublich wie schnell die Zeit vergeht, hm."
    "Aber wieso wurde nicht schon längst ein neuer Bischof ernannt? Und wie löst ihr dann Fragen der Gemeinde, oder wer schlichtet eure Streitfälle, wenn es keinen Oberhirten mehr gibt?"
    Besonders diese beiden Fragen interessierten Paulus schon, seit er den Athener Boden das erste Mal berührt gehabt hatte. Es war sehr unüblich, dass es in so langer Zeit bislang keinen Nachfolger gegeben hatte.
    "Hm, tja typisch Athen eben. Nach dem Tod von Dionysios Areopagita gab es Streit über die Ernennung seines Nachfolgers. Es hatten sich nämlich zwei mächtige Lager in der Gemeinde herausgebildet. Die einen, die sagen, dass Gott-Vater und Gott-Sohn gleich sind, während die anderen die Meinung vertreten, dass Gott-Vater und Gott-Sohn ungleich sind. Frag mich bitte nicht nach den Details, ich bin weiß Gott nicht tief genug dafür in der Materie drinnen, aber ja, das ist unser kleines spezielles Problemchen in der Gemeinde, das alles aufhält."
    Also ein philosophischer Disput. Interesant.
    "Gut, ich verstehe ja, dass über das Wesen Christi gestritten wird. Das gibt es ja anderswo auch. Aber dass diese Frage gleich zwanzig Jahre die Ernennung eines neuen Bischofs aufhält? Und wie fällt ihr dann Entscheidungen ohne ihn?" wiederholte Paulus seine Frage von vorhin.
    Aristophanes liebte es offenbar (oder es fiel ihm gar nicht mehr auf), denn er wackelte schon wieder mit dem Kopf bei seiner Antwort: "Wie gesagt, wir lösen alles sehr speziell auf Athener Art. Also Demokratie. Du glaubst ja gar nicht wie oft schon versucht worden war einen neuen Bischof zu ernennen! Doch egal aus welchem Lager er kam, es gab hinterher immer Streit und jede Ernennung wurde deswegen kurz darauf auch schon wieder gekippt. Es gab auch schon Versuche zwei Bischöfe zur gleichen Zeit zu ernennen, das Chaos hinterher kannst du dir gar nicht denken, also auch keine brauchbare Lösung auf Dauer." Aristophanes seufzte. "So also tagt seit der Vakanz des Bischofsstuhls eine Art Ältestenrat als provisorischer Ersatz. Beide Lager stellen für dieses Gremium Abgesandte aus und dieses entscheidet durch Abstimmungen alle Belange der Gemeinde. Aber die Findung eines neuen Bischofs steht trotzdem permanent im Raum, das kannst du mir glauben." Vielsagend nickte er.
    Paulus hingegen schüttelte leicht zweifelnd den Kopf. "Das klingt vernünftig, aber eine zwanzigjährige(!) gegenseitige Blockade, bloß wegen der einen, oder der anderen Interpretation des Wesens Christi? Das erscheint mir immer noch ein wenig unglaubwürdig."
    Aristophanes zuckte mit den Schultern und lächelte verlegen. "Du vergisst wohl wo du dich hier befindest. Das hier ist Athen! Die Heimstatt der verbissendsten und verbiestertsten Debattierer und Rhetoriker der Welt! Aber gib diesen Wortlaut bitte bloß nicht weiter!" beeilte er sich noch hinzuzufügen, ganz erschrocken über seine eigene Kühnheit. "Aber gut. Athener debattieren nun einmal gerne und sie stimmen natürlich genauso gern über alles mögliche ab. Aber du wirst keinen Menschenschlag finden, der vehemmenter auf seinem Standpunkt beruht, wenn er ihn einmal erst genommen hat. Bei diesen Leuten hast du keine Chance, wenn du nicht grade mit Argumenten um die Ecke kommst, die einen Berg erschlagen könnten!"
    Nicht ganz schlüssig sein letzter Vergleich, aber Paulus verstand, worauf Aristophanes hinaus wollte.
    Die Athener Gemeinde versprach ein ganz besonders ausgemachter Haufen von Streithähnen zu sein, aber Paulus' Neugier war auf jeden Fall geweckt.
    "Wann kannst du mich mit ihren Anführern bekannt machen?"

  • Es war später Abend des nächsten Tages, als Aristophanes Paulus durch die Schatten der Straßen Athens führte. Sie marschierten schon eine ganze Weile südlich der Akropolis in östliche Richtung. "Ist es noch weit?" fragte Paulus, mehr aus Interesse, denn Ermüdung.



    Aristophanes, Amphorenhändler


    "Oh, nein nein, keineswegs! Heute trifft sich ein Teil der Gemeinde aber in Bruder Aeons Haus und das liegt östlich des Dionysostheaters. Der Versammlungsort wird nämlich wöchentlich gewechselt, weißt du?" Paulus nickte. "Ja, ich verstehe schon." Die Buchstaben des Gesetzes garantierten den Christen zwar die "heimliche" Ausübung ihres Glaubens in Privathäusern, genauso wie das Christentum an sich legal war, jedoch sah die Realität dahingehend aus, dass Mitglieder der christlichen Gemeinde oft diffamiert, verfolgt und aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden, wegen ihres Glaubens. Auch von Verfolgungen konnte man teils sprechen. Daher war es klug, dass die Athener Gemeinde ihren Ort des Zusammenkommens regelmäßig wechselten. Doch eine Kleinigkeit war Paulus schon aufgefallen, die er näher wissen wollte. "Du sagtest, dass sich bloß ein Teil der Gemeinde trifft, was ist denn mit den übrigen?"
    Aristophanes kiekste wieder einmal auf seine ganz eigene Art und wackelte mit dem Kopf. "Naja, bei Aeon treffen sich zumindest alle, die an die richtige Lehre glauben."
    "Und das wäre?"
    "Hm? Na dieses Ding mit, dass Gott-Vater und Gott-Sohn schon gleich sind und so weiter?" antwortete, bzw. fragte der Amphorenhändler verunsichert zurück. Paulus musste wieder einmal wegen ihm lächeln.
    "In diesem Lager also spielst du mit!"
    Ein obligates Wackeln mit dem Kopf, dann: "Tja, jeder muss halt irgendwo dabei sein oder?"
    "Und weshalb denkst du, dass es die richtige Auslegung des Wesens Christi sein soll? Wieso kann nicht auch die Meinung des anderen Teils der Gemeinde richtig sein?"
    Aristophanes lachte kurz nervös auf. "Und da sind sie schon wieder diese Anklänge einer religiösen Diskussion. Tut mir leid, aber dafür bin ich der falsche Ansprechpartner. Ich bin bloß Amphorenhändler, weiter nichts."
    Paulus hatte auch schon früher gemerkt, dass man mit Aristophanes nicht über den Glauben diskutieren konnte und dieser beim Aufkommen des Themas immer sofort gleich abblockte. Schade eigentlich. Auch schien er nur oberflächliche Kenntnisse über das Christentum zu haben.
    "Aristophanes, was mich noch interessieren würde, wenn du nicht gern tiefer über das Wesen Christi nachdenken magst, wieso bist du dann überhaupt Christ geworden?"
    "Hm? Ich und Christ? Ja das ist so, ich mag es daran zu glauben, dass es nur einen Gott gibt und der alle liebt, anstatt viele Götter, denen man egal ist und die man sich auch trotzdem dann noch alle merken muss. Außerdem sind die ständig unzufrieden und verlangen Opfer, was es beim Gott der Christen nicht gibt. Ich mag die positive Botschaft und dass jeder mal gerettet wird nach seinem Tod. Außerdem hatte ich großes Pech, als ich noch an die alten Götter geglaubt hatte. Doch dann erzählte mir ein guter Mann, der jetzt schon verstorben ist, vom Glauben der Christen und er sagte mir sofort zu! Ich begann mich dafür zu interessieren und zack! Kaum hatte ich begonnen mich mit ihren Lehren auseinanderzusetzen, hatte ich die Chance auf einen Standplatz direkt auf der Agora, anstatt wie bisher in den Außenbezirken, bekommen und seither läuft mein Geschäft famos! Das sah ich als Zeichen dafür, dass Jesus den richtigen Weg weist und deshalb wurde ich Christ."
    Aristophanes' Erzählung war beinahe schon rührend, doch der kleine Mann setzte gleich noch einen Nachsatz hinzu:
    "Aber das bedeutet nicht, dass ich gleich ihr ganzes Buch auswendig lerne und mir tiefschürfende philosophische Gedanken mache! Musste man im alten Glauben ja auch nicht! Deshalb verschon mich bitte mit derlei in Zukunft, ich verspreche dir bei der Versammlung wirst du genug Leute dafür finden, um mit ihnen über Gott und die Welt zu fachsimpeln bis du schwarz wirst und in den Had.. äh ich meine ins Jenseits kommst!"
    Sie hatten ohne anzuhalten miteinander gesprochen, doch jetzt stoppte Aristophanes plötzlich und wies auf die Tür des Hauses vor ihnen.
    "Wir sind da."

  • Aristophanes öffnete für Paulus die Tür und dieser trat in ein anscheinend ganz gewöhnliches griechisches Haus eines wohlsituierten Athener Bürgers ein. Nichts deutete auf den Glauben des Besitzers hin, keine Kreuze und auch keine Fische, nirgendwo.
    "Sieht anders aus, als ich es erwartet hatte", meinte Paulus zu Aristophanes, als er sich im Eingangsbereich umsah.
    "Was hast du erwartet? Wände, gepflastert mit religiösen Symbolen?! Es gibt auch noch anderes im Leben!"
    Der Kleine wirkte irgendwie noch verunsicherter und nervöser als sonst, als er ihn tiefer ins Haus führte. Jetzt konnte auch Paulus schon leises Gemurmel hören. Als sie das triklinion betraten, fand sich dort schon eine Gruppe von etwa fünfzehn Personen versammelt. Es waren Männer wie Frauen anwesend. Jung und alt. Bärtige Griechen, wie auch Römer in Togen. Anscheinend setzte sich die Alters- und Klassenstruktur der Athener Gemeinde aus allen Gesellschaftsschichten zusammen, ohne Unterschied. Das imponierte Paulus sehr. Auch überhaupt fand er diese Leute sehr interessant, wo es heute ja das erste Mal in seinem Leben war, dass er auf eine größere Gruppe von Christen traf. Bislang war das immer etwas privates von ihm gewesen, eine besonders bevorzugte philosophische Spielerei seinerseits neben den anderen großen Philosophien, aber hier vor ihm saßen Menschen, die sich wirklich mit Haut und Haaren ihrem Heiland verschrieben hatten. Eine faszinierende Situation, von der er sich lehrreiche Erkenntnisse versprach.


    Ein besonders stolz aussehender Grieche blickte bei ihrem Eintreten auf und sprach den Amphorenhändler an.



    Nikanor, Ältester


    "Ah, Chaire, Aristophanes! Es freut mich sehr, dich nach so langer Zeit einmal wieder in unserer Mitte zu sehen! Wen bringst du uns denn mit?", fragte der Mann mit interessierten Blick auf Paulus.


    Aristophanes sah kurz zu Paulus und dann gleich wieder zu dem Mann zurück und antwortete nach einem kieksen: "Chaire, Chaire, Nikanor! Ja ich.. ich dachte es wär mal wieder Zeit, dass ich vorbeischaue. Und das hier ist, hm, Paulus. Er kommt aus Myra und ist auch im Gefolge des Herrn."
    Nikanor stand erfreut auf und breitete weit die Arme aus, als er sprach: "So sei auch du mir Willkommen, Paulus von Myra! Bitte, setz dich doch zu uns!" Anschließend nahm er wieder Platz, während Paulus von seiner Ansprache beeindruckt war. Paulus von Myra, das hatte was! Er nahm sich vor sich so in Zukunft immer vorzustellen.
    So nahmen Paulus und Aristophanes also Platz und Nikanor (offensichtlich der Sprecher der Gruppe) begann zur Gemeinschaft zu sprechen: "Ich freue mich euch alle heute Abend hier vereint und versammelt zu sehen. Weiters danke ich unserem Bruder, Aeon, sehr herzlich dafür, dass wir Gast in seinem Haus sein dürfen."
    Eine schöne Einleitung, wie Paulus fand, jedoch nicht ganz zutreffend, was das "vereint" sein anging, aber er wollte sich ja nicht in Haaresspalterei ergehen, sondern lauschte lieber den Worten Nikanors.
    "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. Beginnen möchte ich gerne mit meinem üblichen Spruch vom weisen König Salomo, ehe wir den Herrn preisen mögen. So höret, eine versöhnliche Antwort vertreibt den Zorn, aber ein verletzendes Wort macht alles nur noch schlimmer. Wenn du freundlich mit den Menschen redest, schenkst du ihnen Freude am Leben. Aber Lügen und verletzende Bemerkungen zerstören die Gemeinschaft."


    Paulus erkannte die Worte, wenn sie auch sehr verkürzt und mehr pointiert, als in der üblichen Fassung, waren. Doch dennoch verstand er sehr gut, wieso Nikanor ihr gemeinsames Zusammenkommen offenbar jedes Mal mit genau diesen Worten aus dem Buch der Sprichwörter eröffnete, wo diese Sätze doch so sehr zu der Situation der tief gespaltenen Athener Gemeinde passten. Nun begann Nikanor mit dem Lobpreis auf Gott, auf dass sie nachher zusammen das Brot brechen konnten:


    "Lasset uns Gott preisen! Halleluja! Lobt Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn in seiner mächtigen Feste! Lobt ihn für seine großen Taten, lobt ihn in seiner gewaltigen Größe! Lobt ihn mit dem Schall der Hörner, lobt ihn mit Harfe und Zither! Lobt ihn mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel! Lobt ihn mit hellen Zimbeln, lobt ihn mit klingenden Zimbeln! Alles, was atmet, lobe den Herrn! Halleluja!"


    Die versammelte Gruppe (mitsamt Paulus) murmelte geschlossen Halleluja, nach Nikanors Ende. Dieser griff nach den bereitstehenden Utensilien Brot und Wein und sprach weiter:


    "Nun lasset uns zusammen das Brot brechen, so wie es auch der Heiland einst mit seinen Jüngern gebrochen hat."
    Nikanor ergriff den Laib Brot, genauer ein panis decussatus, und hielt ihn für alle gut sichtbar hoch, während er ihnen sagte: " Wir danken dir, Gott, für diesen Laib Brot. Sein Sohn, der Herr sprach: Nehmt und esst; das ist mein Leib." Nikanor brach das Brot und verteilte es auf alle Anwesenden. Jeder machte das Kreuzzeichen beim Erhalt seines Stückes, ehe er oder sie es verzehrte. Aristophanes vollführte zusätzlich noch ein undefinierbares Mienenspiel, als ihm sein Stück gereicht wurde. Dann ergriff Nikanor den Kelch mit Wein und hielt auch ihn empor. "Wir danken dir, Gott, für diesen Kelch Wein. Und der Herr hob den Kelch und sprach weiter: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden." Nikanor trank daraus und reichte ihn Aeon rechts von ihm, der ihn nach einem Schluck an eine junge Frau weiterreichte und dann einmal wieder rundum, bis er bei Nikanor wieder ankam. Dieser lächelte, als er wieder den Kelch in Empfang nahm und neben den Rest Brot abstellte.
    "Liebe Brüder und Schwestern, vergesst niemals, Gott ist mit euch und schirmt euch auf allen euren Wegen. Jesus Christus ist für uns am Kreuz gestorben...", die anwesenden Römer machten betretene Mienen, oder sahen stur zu Boden bei dieser Erwähnung, "...zur Erlösung der Welt und dafür wollen wir danken mit jenem Gebet, das er uns einst gelehrt hat; Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen."


    Der Gottesdienst war vorbei. Anschließend folgten noch einige Gespräche, in denen sich Nikanor nach den Bedürfnissen und Befindlichkeiten der Anwesenden erkundigte und auch weitere Themen der Gemeinde erörtert wurden. Paulus saß währenddessen still da und lauschte den Gesprächen. Er war immer noch tief bewegt von jenem Gottesdienst, den er soeben mitgemacht hatte. Seiner ersten Feier unter Glaubensgeschwistern. Es war so ein schönes Gefühl gewesen, er wollte es nie wieder anders haben!
    In der Gruppe zusammen das Abendmahl feiern war viel viel schöner, als alleine im stillen Kämmerlein ein kurzes Abendgebet zu murmeln und dann in die Federn zu verschwinden. Er war von dieser gemeinsamen Erfahrung sehr viel mehr ergriffen worden, als er zunächst angenommen hatte. Das gemeinsame Erleben der Wandlung von Brot und Wein, die Anhörung der Lobpreisungen Gottes und das Sprechen der Gebete, genauso musste es sein! Er fühlte richtig, wie Jesus Christus unter sie gekommen war während ihres Mahls. Einfach wunderschön. Egal, ob Aristophanes mitkommen wollte, oder nicht, er, Paulus, zumindest wollte jetzt jeden Abend bei der gemeinsamen Andacht dabei sein!


    Als dann auch die letzten organisatorischen Belange geklärt waren und sich die Gäste in kleinere Gespräche untereinander vertieft hatten, kam Nikanor zu Paulus und setzte sich neben ihn. "Wie hat dir unsere kleine Feier gefallen? Macht ihr es auf dieselbe Weise in Myra?" Paulus spürte wieder eine Welle positiver Emotionen beim Gedanken an der kürzlich stattgefundenen feierlichen Zusammenkunft der Gemeinde, wenn ihm auch die zweite Frage Nikanors einen kleinen Dämpfer verpasste. "Hab vielen Dank dafür, dass ich heute Abend dabei sein durfte, es hat mir sehr viel bedeutet! Doch wie das in Myra gehandhabt wird weiß ich leider nicht, denn ich war der einzige Christ im Dorf. Zumindest der einzige mir bekannte."
    Nikanors Miene fiel ein klein wenig ein. "Oh, tut mir leid, das wusste ich nicht. Das muss hart für dich gewesen sein."
    "Ach, halb der Rede wert. Aber du hast die Feier heute wirklich gut geleitet! Und auch die Gespräche danach, man konnte dabei schon fast den Eindruck haben, dass du der Bischof von Athen bist."
    Nikanor lächelte gequält. "Danke, zuviel des Lobes. Aber ich bin nicht würdig genug die Last eines Bischofs zu tragen. Ein Episkop muss alle seine Lämmchen behüten, nicht nur einen Teil von ihnen."
    Paulus nickte. "Ich habe schon von den Gemeindemitgliedern gehört, die eine andere Ansicht über Christus haben, als die hier versammelten."
    "Genau. Die Elpenianer vertreten eine andere Auffassung vom Heiland, als wir."
    Paulus war auf diese Aussage hin etwas verwirrt. "Elpenianer?"
    Doch Nikanor lächelte. "Oh, bitte entschuldige, das weißt du natürlich nicht. Wir nennen den anderen Teil unserer Gemeinde Elpenianer, nach Elpenor, der damals nach dem Tod von Bischof Dionysios Areopagita als erster und am lautesten gerufen hat, als jener Streit ausbrach, der unsere Gemeinde seit mittlerweile 20 Jahren spaltet. Genauso wie wir treffen sie sich zu separaten Zusammenkünften und haben ihre eigenen Ältesten, so wie unser Gemeindeteil mich und auch noch andere."
    Paulus hatte es sich doch gleich gedacht!
    "Also bist du einer von den besagten Athener Ältesten, von denen ich schon gehört habe?"
    Nikanor nickte. "Genau und ein- oder zwei Mal im Monat kommen wir zu einem gemeinsamen Ältestenrat zusammen, um uns über die gesamte Gemeinde auszutauschen. Dabei findet gelegentlich auch ein gemeinsamer Gottesdienst statt mit der ganzen Gemeinde, so wie früher."
    "Das klingt doch viel sinnlicher und unproblematischer, als ich gedacht hatte."
    Traurig schüttelte der Älteste aber den Kopf, als er antwortete: "Lass dich von meiner Aussage bitte nicht täuschen, so harmonisch ist es auch wieder nicht und die gemeinsamen Gottesdienste sind nicht zu vergleichen mit der Feier heute zum Beispiel. Vieles muss abgeändert ablaufen und anders als sonst sein, es ist für beide Seiten ungewohnt diese Feiern zu zelebrieren, aber wir sind immer noch eine Gemeinde deselben Glaubens, also muss es auch gelegentlich gemeinsame Messen geben. Ansonsten könnten wir uns gleich spalten und das würde noch größeres Unheil über uns alle bringen."
    Paulus überlegte. "Verstehe. Nun gut, Nikanor, ich werde dir helfen, dass das endlich ein für alle Mal ein Ende hat."
    Verwirrt starrte der Älteste ihn an. "Von was sprichst du, Bruder?"
    Paulus hob das Kinn. "Davon, die Teilung der Athener Gemeinde ein für alle Mal zu überwinden!"


    Später, als es schon tiefe Nacht war und alles schlief, befanden sich Paulus und Aristophanes auf dem Rückweg, dabei warf der Amphorenhändler seinem Gast immer wieder beeindruckende Blicke zu.
    "Meinst du wirklich, dass du das kannst? Also unsere Gemeinde wieder vereinen?"
    Paulus hatte einen flotten Schritt angeschlagen, weshalb der Kleine schon fast laufen musste, um mithalten zu können.
    "Ich weiß nur, dass ich nicht tatenlos danebensitzen kann, wenn ich weiß, dass es in meiner neuen Gemeinde tiefgehenden Zwist gibt!"
    "Oooh, deiner neuen Gemeinde? Also willst du noch länger bleiben, als bis du alles über die Stoiker gelernt hast?"
    Irgendwie war Paulus angespannt gestimmt.
    "Wir werden sehen, aber ich weiß, dass ich es zumindest versuchen muss!"
    Aristophanes war offensichtlich hellauf begeistert von Paulus' Vorhaben.
    "Einigkeit und Eintracht unter der ganzen Gemeinde! Ach, das würde ich gerne sehen! Weißt du was? Bleibe Gast in meinem Haus solange du in Athen weilst! Und wenn es Jahre sind! Eine einige Gemeinde, ach wär das schön."
    Ganz verzückt hüpfte Aristophanes in seinem Halblauf einmal.
    Trotz seiner etwas brummigen Stimmung konnte es sich Paulus nicht verkneifen, ein wenig Frohsinn über Aristophanes' Benehmen zu empfinden.
    Offensichtlich lag dem Kerlchen die Gemeinschaft doch näher am Herzen, als er zugab.


    Sim-Off:


    Um den allgemeinen Stadt-Thread für Athen jetzt nicht noch weiter mit christlichen Inhalten zuzuspamen geht es mit den Abenteuern von Paulus von Myra und seinem Wirken bei den Athener Christen in folgenden beiden Threads weiter:


    -> .) Haus des Aristophanes


    -> .) Christliche Gemeinde Athens

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