Phaeneas hatte an diesem Tag – wie oft davor auch schon - ganz und gar nicht vor irgendetwas zu tun, was seinem Herrn in irgendeiner Weise nützlich sein würde. Er war quasi nur zu seinem Privatvergnügen unterwegs. So hielt er sich auch von allen großen öffentlichen Plätzen fern. Er streifte durch Straßen und kleinere Gassen, ärmliche Viertel und die der Durchschnittsbevölkerung, rhenusaufwärts und rhenusabwärts, an Insulas und Fachwerkhäusern vorbei.
An und für sich hatte Phaeneas kein Problem damit, sich nur innerhalb eines Hauses bewegen zu dürfen, doch erlaubte man ihm erst es zu verlassen, konnte er regelrecht zu einem Streuner werden.
Die wenigen Leute, die ihm entgegen kamen, beachtete er nicht. Er sah sie kaum mehr, genau wie die Begebenheiten der Straßen und Häuser um ihn herum.
Einfach so durch die Stadt zu wandeln hatte allein schon darin seinen Reiz, frei von jeglicher Pflicht und Verantwortung zu sein, von niemandem erwartet oder von niemandem zurückgerufen zu werden.
Die schnellen Schritte belebten ihn und seine Gedanken holten ihn weit weg von dem, was vor ihm lag. Er wanderte immer weiter, bis er ganz automatisch ging, ohne noch darauf zu achten. Dieses sich treiben lassen war eines von den Dingen, die er am liebsten tat. Jedes Mal, sobald er ein Gebäude verließ und wusste, dass er frei verfügbare Zeit hatte, tat er es ganz vor selbst.
Dieses Dahingehen beflügelte ihn, ließ seine Gedanken fließen - und es berauschte ihn in nicht unerheblichem Maße. Je länger er ging, desto entschlossener wurden seine Schritte und umso euphorischer das Hochgefühl, das er dabei empfand. Seine Gedanken standen ihm klar und intensiv vor Augen - und irgendwann fühlte er sich wie angeschlossen an Platons Ideentopf, als hätte er Zugriff zu irgendetwas weit über ihm – aber natürlich nur beschränkten.
Eine Beschäftigung, deren Reiz wohl niemand leicht nachvollziehen konnte, vielleicht in den Augen mancher ohne Sinn und Zweck – vor allem auf den ersten Blick – doch für Phaeneas war es wichtig, von Zeit zu Zeit sein Leben, die Welt, alles zu überdenken, um sich wieder damit identifizieren zu können, seinen Platz in der Welt zu finden und nicht in Leere, Sinnlosigkeit zu versinken.
Rhenusaufwärts und rhenusabwärts - quer durch Mogontiacum
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Das Wetter war, an Mogontiner Verhältnissen gemessen, annehmbar. Phaeneas war mittlerweile an dem Punkt, an dem ihm jede Verbesserung im Wetter recht war, sei sie auch noch so geringfügig.
Geschäftig ging es um den Bithynier herum zu, Menschen eilten vorbei, kamen und gungen, oder blieben bei dem Brunnen, zu dem es Phaeneas hingezogen hatte, stehen, um ihre Gefäße zu füllen. In diesem Fall interessierten ihn die Leute um ihn herum noch weniger, weil das Wasser seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.
Es war dieses durchschnittliche Gefühl, das Phaeneas heute erfüllte, das ihn meistens erfüllte, diese Mischung aus ewiger Gleichgültigkeit, leisem Sehnen, innerer Leere und ewigem Abwarten. Ein in sich recht neutraler Gemütszustand, vor allem bezeichnet durch Gelassenheit und Ruhe. Phaeneas’ Lebensgefühl, das dann und wann unterbrochen wurde von Freude, Zweifel, Zuversicht, Deprimierung.
Der bithynische Sklave stand am Brunnen und blickte auf das Wasser, auf die momentan glatte Oberfläche. Leicht schimmerte sie. Was für Phaeneas immer unglaublich bleiben würde, war, dass diese Flüssigkeit so durchsichtig war. So klar, und in diesem Fall zum Glück auch ungetrübt, als wäre es flüssiges Nichts! Dazu kam noch, dass dieses Zeug, das ihn immer wieder in seinen Bann schlug, sage und schreibe tatsächlich ein Lebenselixier war, denn ohne Wasser konnte niemand leben. (Dass Luft auch durchsichtig und unverzichtbar war, interessierte Phaeneas natürlich nicht.) Aber am besten gefiel ihm am Wasser die belebende, nein mehr schon aufputschende Wirkung, die es auf ihn hatte. Beides spielte für Phaeneas’ Verzauberung eine Rolle: Bewunderung der Kostbarkeit – und Gier.
Er streckte die rechte Hand nach dem Wasser aus und tippte mit den Fingerspitzen darauf, als wollte er nur die Oberfläche berühren ... -
Der Germane mit dem hellbraunen Haar, der mit ihnen unterwegs war, erzählte gerade vom letzten Mal Armdrücken in der Taberna Silva Nigra: „ .... da meldet sich doch glatt so `n junger Kerl, dem man die Schreibtischarbeit schon aus ein paar Meilen Entfernung ansah - inmitten von `ner Menge Kraftprotze, bei denen alle überzeugt waren, dass die die Sache unter sich ausmachen.“ Euselius hing gebannt an seinen Lippen, als er erzählte, wie der junge Bursche doch noch alle besiegt hatte.
Es war nachmittags, die Sonne schien großzügig und Phaeneas war mit Euselius, dem schon genannten – freien – Germanen und einem relativ unscheinbaren Kerl, Sextus Macro – das Nomen gentile hatte Euselius Phaeneas gleich gar nicht genannt – unterwegs. Es waren alles Freunde von Euselius, auch in etwa das gleiche Alter, und Phaeneas’ Bekanntschaft hatte ihn dazu überredet, mit ihnen zusammen einen Streifzug durch die Stadt zu machen.
Manchmal nahm der blonde Sklave - das Einverständnis des Bithyniers vorausgesetzt - Phaeneas kurzerhand mit, wenn er sich mit ein paar anderen traf und so war es nun gekommen, dass der sich inmitten dieser bunten Truppe befand. Phaeneas war alles, was über ein Gegenüber hinausging, zu viel, aber eine Gruppe von vier Leuten war immerhin gerade noch überschaubar.„Mensch, das hätt ich gern gesehen“, ergriff Macro das Wort. „Aber da war ich zu Hause eingespannt.“ Und ließ offen, womit.
„Beim nächsten Mal hast du sicher Zeit!“, bekräftigte Euselius.
„Na ja, aber dann wird sich mir wahrscheinlich kein Wettkampf mit solch einer Wende bieten ...“
„Ach, beim nächsten Mal besiegst du sie alle“, warf Phaeneas ein. Macro warf ihm einen vernichtenden Blick zu und dann grinste er auch.Sie hielten sich bei ihrer Tour immer in Nähe des Stadtkerns. Gerade kamen sie an einem Haus vorbei, das sichtlich renoviert wurde. „Zur Zeit legt sich ja die halbe Beamtenschaft wieder irgendwo Häuser zu“, meinte der Germane mit Blick auf den vipsanischen Wohnsitz.
Euselius schielte zu einem Mädchen rüber. In diesem Moment schlug der Germane mit dem hellbrauen Haar vor: „Am Forum – da ist was los, gehn `ma mal hin.“ Alle waren sofort dabei, bis auf einer – „Nein, ich muss nach Hause“, schüttelte Phaeneas den Kopf. „Mensch, Phaeneas, ein bisschen noch, das wird doch noch drin sein“, meinte Macro. Euselius, der dem Bithynier von den dreien noch am nächsten stand, versuchte ihn umzustimmen und legte ihm dazu in vertraulicher Geste den Arm um die Schulter. „Komm schon, Phaeneas. Nach diesem klasse Nachmittag wär es doch schade, wenn du jetzt einfach so verschwinden würdest.“ Der römische Bürger nickte bekräftigend. Eines musste man Euselius lassen, er wusste wann es Zeit war einen beruhigenderen Tonfall anzuschlagen. Aber er konnte nicht wissen, was Phaeneas gerade in diesem Moment vehement störte. Euselius’ Hand auf seiner Schulter.
Phaeneas konnte derartige Übergriffe nicht ausstehen. Auch wenn es nichts weiter als eine freundschaftliche Geste war, befand er das nicht als Rechtfertigung dafür, dass alle Welt ihn einfach betatschen durfte. Seit damals, seit jenem, bestimmten Herrn hatte er einen großen Teil an Unbeschwertheit im Umgang mit anderen verloren und war seither bei fremden Berührungen empfindlich.
Phaeneas machte sich von Euselius los und der blonde Sklave wurde sich seines Fehlers bewusst. Betreten zog er den Arm zurück. „Ich werde nicht mit zum Forum kommen“, wiederholte Phaeneas. „Es ist wirklich Zeit für mich zu gehen.“
„Nun denn ...“, gab sich Euselius geschlagen. „Dann ziehen wir drei mal alleine los ...“, meinte er an die anderen gewandt.
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