Nach der Prüfung...

  • Mit geröteten Wangen verließ Epicharis den Prüfungsraum, nachdem sie ihre Wachstafeln zurückgegeben hatte. Während der Prüfung hatte sie ein junger Mann zugegebenermaßen etwas verunsichert. Er hatte neben ihr gesessen, und Epicharis hatte das Gefühl gehabt, dass er immer dann gerade aufsah, wenn sie ihren gedankenverlorenen Blick über ihn schweifen ließ. Hoffentlich dachte er nun nicht, sie sei unverfroren oder etwas in der Art. Abgegeben hatte sie kurz nach ihm, und auch verließ sie den Raum nicht kurz hinter ihm. Epicharis legte einen Schritt zu, um den jungen Mann einzuholen, und als sie fast zu ihm aufgeschlossen hatte, räusperte sie sich vernehmlich und sagte alsdann: "Salve! Wie lief die Prüfung denn für dich?"


    Es war immer besser, zuerst zu forschen und sich dann zu verteifigen. Vielleicht hatte er ihre Blicke auch gar nicht gemerkt oder sie anders gedeutet? Vielleicht als das, was sie gewesen waren - nachdenkliche Nebensächlichkeiten? "Die Frage VIII hatte es in sich. Was hast du da hingeschrieben? Ich bin übrigens Epicharis", sagte Epicharis und lächelte. Es tat gut, wieder unter Menschen zu sein und zu reden. Und deswegen konnte sie gerade keiner bremsen. "Ich bin mir nicht ganz sicher gewesen, ob der Flamen Dialis seine Toga Praetexta fortwährend in der Öffentlichkeit trägt oder nur bei Zeremonien...man sieht ihn ja dieser Tage so selten. Warst du auf dem Fest dr Fides Publica? Er sah ganz kränklich aus. Hoffentlich kuriert er sich gut aus. Was er wohl hat?" Sie strichen um eine Ecke herum und hielten auf den Innenhof des Schulgebäudes zu.

  • Es war Ursus durchaus aufgefallen, daß die junge Dame, eine Claudia, wie er ja zufällig bei ihrer Prüfungsanmeldung mitbekommen hatte, immer wieder zu ihm herübergesehen hatte. Unwillkürlich hatte er ein paar mal mit der Hand über eine Nase und überhaupt über sein Gesicht gestrichen, da er dachte, daß irgendwo noch ein Krümel vom Früstück hängen mußte. Oder ein Fleck von werweißwas. Warum sonst blickte sie dauernd zu ihm herüber? Ihre Blicke sorgten natürlich dafür, daß auch er immer dann, wenn er über eine Frage nachdachte, zu ihr herüber sah.


    Es war schon ein wenig ablenkend, dieser Austausch von Blicken. Ursus mußte sich zwingen, seine Aufmerksamkeit wieder den Fragen zuzuwenden, die es wirklich in sich hatten.


    Nach der Prüfung schlenderte er noch ein wenig gedankenverloren durch den Gang der Schola. Jetzt hatte er ja Zeit, über die junge Frau nachzudenken. Und rechnete natürlich nicht damit, da sie so kurz nach ihm fertig würde und ihn dann noch ansprechen würde. "Salve", grüßte er sichtlich überrascht und sah sich nach dem Austausch von Grüßen gleich unzähligen Fragen gegenüber. Seine Augenbraue hob sich und drückte damit sein Erstaunen aus. Er merkte es nicht einmal.


    "Die ganze Prüfung hatte es in sich, fand ich. - Mein Name ist Titus Aurelius Ursus", stellte er sich ein wenig förmlicher vor. Ihren Namen kannte er ja schon. "Erfreut, Dich kennenzulernen, Epicharis."


    "Ich habe zu allen Fragen Antworten gefunden. Ob sie richtig sind, wird sich zeigen, wenn das Ergebnis bekannt gegeben wird. Sicher bin ich mir dessen ganz und gar nicht. - Ja, ich war auf dem Fest, habe mich dort aber nach der Zeremonie nicht länger aufgehalten. Du hast recht, er wirkte krank und schwach. Hoffentlich ist es nichts ernstes." Es dürfte nicht leicht sein, einen Nachfolger für dieses Amt zu finden, sollte dies nötig werden. "Hattest Du einen konkreten Grund, diese Prüfung zu absolvieren? Stehst Du im Dienst der Götter?"

  • Der überrascht-fragende Ausdruck entging Epicharis keineswegs. Ob er sich wohl belästigt fühlte? Epicharis fand nicht, dass die Prüfung sehr schwer gewesen war, sie hatte sich im Vorfeld aber auch recht gut vorbereitet. Kurz darauf wusste sie auch, wen sie vor sich hatte - einen Aurelier. Epicharis lächelte wissend. "Du bist mit Aurelius Corvinus verwandt", entgegnete sie leicht fragenden Untertons, denn den Vigintivir kannte sie durchaus, war er doch einerseits der derzeitige Erbschaftsguru und zudem der Verlobte ihrer Adoptivschwester Deandra....


    ...der es derzeit ziemlich schlecht ging aufgrund seines Verhaltens. Aber Epicharis hatte nicht das Recht, sich einzumischen, und außerdem hatte Ursus auch gar nichts mit dem Verhältnis zwischen Corvinus und Deandra zu tun, falls da überhaupt noch eines war, denn sicher war sich Epicharis da nicht. Deandra wohnte auf eigenen Wunsch in Ostia, ließ sich kaum mehr in Rom sehen und gesprochen hatten sie auch nicht mehr als ein paar flüchtige Worte miteinander seit diesem Zwischenfall. Epicharis bedauerte dies sehr. Sie mochte Deandra und wollte ihr helfen oder sie zumindest trösten, doch da sie offiziell rein gar nichts von diesem Desaster wusste, war es schwer. Ihr spärliches Wissen belief sich nämlich in erster Linie auf die Mundpropaganda zweier claudischer Sklavinnen.


    "Ich?" fragte sie überrascht, als Ursus vom Dienst an den Göttern sprach. "Hm, nein." Ihr Vater würde dies nicht gutheißen, das wusste sie. Obwohl Epicharis schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht hatte, ihr Leben noch ein Stück sinnvoller zu gestalten. "Ich habe die Prüfung erst einmal nur zur Weiterbildung abgelegt", erklärte sie daher. "Ein ungebrauchter Geist rostet schnell ein. Die Arbeit an der Acta Diurna ist zwar durchaus auch fordernd - ich bin die Lectrix - aber Bildung schadet nie. Und wer weiß, vielleicht wird mir diese Probatio eines Tages wirklich noch von Nutzen sein." Epicharis schmunzelte. "Und wie steht es mit dir? Widmest du dich den Göttern oder folgst du dem Weg, den dein Verwandter mit seinem Engagement vorzeichnet?" fragte sie ihn und steuerte nun auf eine Sitzbank im Atrium des Gebäudes zu. Graziös ließ sie sich nieder, der sie begleitende Sklave nahm mit vor der Brust verschränkten Armen hinter ihr Aufstellung. Epicharis konnte ja nicht wissen, dass das Verhältnis zwischen Ursus und Corvinus nicht gerade eines der besten war.

  • Hmpf. Da war es wieder. Es war anscheinend unmöglich, aus dem Schatten von Corvinuns herauszutreten. "Er ist mein Onkel", erklärte Ursus ein wenig knapp, als sie nach dem Verwandschaftsverhältnis fragte. Natürlich. Corvinus kannte irgendwie jeder. Er hatte ja auch nicht Jahre in Athen verschwenden müssen, nur um dem väterlichen Weg zu folgen. Nicht, daß er den Aufenthalt in Athen nicht genossen hatte, aber ihm waren dadurch hier viele Möglichkeiten entgangen, sich einen Namen zu machen. Nun wurde die Gens Aurelius immer mit Corvinus in Verbindung gebracht. Es war schwer, sich neben ihm bemerkbar zu machen.


    "Ich möchte eigentlich den politischen Weg gehen. Doch die Götter möchte ich auch nicht vernachlässigen und vielleicht mich auch hin und wieder in ihren Dienst stellen. Diese Prüfung soll mir einfach den Weg dafür öffnen. Schaden kann es mir auf keinen Fall, wie Du bin ich der Meinung, daß Bildung in jeder Richtung nur von Vorteil sein kann."


    Auf Corvinus ging er nicht weiter ein. Nach außen war es wichtig, Einigkeit in der Familie zu demonstrieren. Außerdem glaubte er, daß man es ihm als Schwäche anrechnen würde, wenn er zu sehr zeigte, daß er neidisch auf die Erfolge seines Onkels war.

  • "Ah." Epicharis nickte verständig. Der feine Spürsinn, der den Frauen auch heute noch eigen ist und den die Männer niemand würden nachvollziehen können, sagte Epicharis, dass sie das Thema Corvinus hier wohl besser umschiffte. Sein Neffe schien alles andere als begeistert zu sein. Warum, das konnte Epicharis nur vage vermuten: Ursus stand in seinem Schatten und kam alleine nicht heraus. Aber Epicharis war klug genug, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen und stattdessen das politische aufzugreifen. "Oh, du möchtest zum Vigintivir kandidieren? Weißt du denn schon, welches Amt dir am ehesten zusagen würde?" Sie biss sich auf die Zunge. Beinahe hätte sie erwähnt, dass sein Onkel ihm ja in Erbschaftsdingen kompetent zur Seite stehen könnte. Aber das wäre sicher das Letzte, was Ursus wollte. "Flavius Aquilius wird sich dann wohl mit dir zusammen zur Wahl stellen. Ich hörte zudem, dass auch ein Octavier ins Rennen gehen wird. In jedem Falle wünsche ich dir viel Erfolg." Auch, wenn Epicharis nicht so davon überzeugt war, dass ein auf dem römischen Parkett noch unbekannter junger Mann große Chancen haben würde. Andererseits entstammte er einer bekannten Familie und noch dazu hatte sein Onkel ja kürzlich dafür gesorgt, dass wieder ein besseres Licht auf die Familie der Aurelier fiel, als es noch vor wenigen Jahren der Fall gewesen war. Damals, als Epicharis noch nicht so interessiert war an der Politik. Jung und einfältig war sie damals gewesen... Aber heute war sie sich des Einflusses bewusst, die eine gescheite Frau durch ihren Mann haben konnte. Sie schmunzelte.

  • Davon, daß Flavius Aquilius kandidieren wollte, hatte Ursus schon gehört. Und er war sicher, daß Aquilius Erfolg haben würde. Er hatte einfach alles, was man brauchte: Bildung, Ansehen, eine sympathische Art und noch dazu hatte er sich bereits im Dienste der Götter verdient gemacht. Doch das empfand Ursus nicht als Problem. Es gab ja mehrere Ämer zu vergeben.


    "Ein Octavier? Doch wohl nicht Marsus, oder?" Hatte Marsus nicht gesagt, er wolle vorerst nicht in den cursus honorum einsteigen? Merkwürdig. Was wohl seinen Sinneswandel verursacht hatte? Hatte er nicht irgendwo in der Verwaltung arbeiten wollen? Ursus hätte es sich besser merken sollen...


    "Außerdem wird noch mein Vetter Cotta kandidieren", lächelte er. Eine scharfe Konkurrenz, das konnte man wahrhaftig nicht anders sagen. Trotzdem war Ursus genug von sich überzeugt, um sich davon nicht einschüchtern zu lassen.


    "Umso spannender wird die Wahl", grinste er. Er war wirklich gespannt, wie sie sich alle schlagen würden. "Und ja, ich wollte mich um die Erbschaftsangelegenheiten bemühen. Es ist einfach ein sehr interessantes Gebiet. Aber ich würde auch alles andere machen. Letztendlich entscheidet ja der Senat, wer dann welches Amt bekommt." Von denen, die gewählt wurden.

  • Epicharis biss sich flüchtig nachdenklich auf die Unterlippe und wirkte einen Moment verkniffen. Dann jedoch nickte sie bejahend. "Ja, doch, ich glaube, Marsus hieß er. Der Sohn des Curator Rei Publicae, soweit ich weiß. Nennt der sich Marsus?" Denn das wiederum wusste Epicharis nicht zu sagen. "Ich weiß es von Turia Quinta, die hat es von Octavia Flava und die wiederum hat Detritus' Scriba Personalis ausgefragt", verriet sie und kicherte kurz. Die Information, dass gleich zwei Aurelier sich zur Wahl aufstellen lassen wollten, war indes neu. Interessiert neigte sie sich etwas näher heran. "Ah", sagte sie. Von diesem Cotta hatte sie auch noch nichts gehört. Glaubte sie. Aber das besagte schließlich nichts, immerhin war sie so gut wie nie bei irgendwelchen politischen Ereignissen vertreten, und an einem Fest nahmen tausende Römer teil.


    Ein Schmunzeln umspielte Epicharis' Mundwinkel, als Ursus davon sprach, wie viele Kandidaten den Spannungsgehalt einer Wahl beeinflussen würden. Sie selbst sah das etwas anders, immerhin kandidierten in jedem Jahr weitaus mehr junge Männer als es Ämter zu besetzen gab. Nur die wackersten konnten sich durchbeißen, viele aber scheiterten bereits an ihrer Ladung vor den Senat. "Soweit ich weiß, darf man jedoch seine Präferenzen kund tun", erwiderte sie und nickte. "Aber du hast ganz recht, es kommt sicher auch bei den Senatoren gut an, wenn man sich nicht auf ein einziges Amt versteift, sondern seinen Können ganz in den Dienst Roms stellt, egal wo man benötigt wird." Beipflichtend nickte Epicharis erneut. "Was hast du denn vorher gemacht?" wollte sie wissen, immerhin war das nicht unerheblich, wenn man seinen Lebenskauf vor den Senatoren darbot.

  • Ursus nickte lächelnd. "Ja, das ist Marsus." Dann lachte er, als er hörte, über wie viele Stationen ihr Wissen schon gegangen war. Die Verbreitung von Informationen - und noch mehr von Gerüchten - war in Rom ein Mysterium. Es dauerte keine Stunde, bis eine Neuigkeit es von einem Ende der Stadt bis zum anderen gelangte.


    "Ja, da hast Du genau meinen wunden Punkt getroffen", gestand Ursus und zuckte die Schultern. "Ich habe gelernt und studiert. Eigentlich wollte ich erst einem Amtsinhaber zur Seite stehen, um einen Einblick zu erhalten. Doch dies scheint nicht mehr so üblich zu sein, wie zu Zeiten meines Vaters. Nun, Vigintivir ist das Einstiegsamt. Es gibt kaum etwas, was ich vorher tun könnte, um mich würdig zu erweisen. Ich kann also nur versuchen, sie mit meiner Einsatzbereitschaft - und meinem Charme zu überzeugen." Er lachte, denn letzteres war vielleicht nicht so sehr ausschlaggebend.

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