Wenn ein Reisender die Landstraße, die den Meson Pedion nach Osten hin verlängert, entlang geht, bietet sich ihm kurz hinter den Stadtmauern zuerst ein weniger schöner Anblick. Stinkende Abfallberge türmen sich hier, bestehend aus Tonscherben, Fleischabfällen, fauligem Gemüse, altem Hausrat und noch anderen Kategorien an Abfall. Doch hinter diesem Dreckhaufen, etwas weiter in Richtung Nikopolis, beginnt eine Dünenlandschaft, die zwar etwas herbe ist, doch durchaus reizvoll.
In dieser Dünenlandschaft, etwa zehn Stadien von Alexandria entfernt, lag das Landhaus des Nikodemos. Dieser hatte sich, nebenbei bemerkt, in seinen jungen Jahren als Seidenhändler, dann als Getreidespekulant, schließlich als eine Art Großgrundbesitzer in der Polis Alexandria hervorgetan, in seinen späteren Jahren als Mystagoge der Mysterien des Dionysos. Nikodemos besaß, was ihn sehr kränkte, selbst keine Kinder, der einzige Verwandte, der ihm geblieben war, war sein greiser Vater. Nikodemos selbst konnte man bereits als Greis bezeichnen. Dies war also sein Landhaus. Einst hatten aufwendig über Kanäle, Shadufs und Schraubenpumpen bewässerte Getreidefelder dazu gehört, doch nun lagen sie brach. Nikodemos hatte genug Geld und zu wenig verbliebene Kraft, um sich diesem Geschäft noch weiterhin zu widmen. Das Geld, von dem er soviel besaß, widerte ihn im Allgemeinen in letzter Zeit eher an.
Dieses besagte Landhaus also lag in den Dünen, zwischen verwaisten und ausgetrockenen Äckern in einem großen Garten, der reichhaltig mit Brunnen und Kopien berühmter Statuen ausgestattet war. Ein wenig überladen wirkte das Ganze, doch Nikodemos betrat diesen Garten ohnehin kaum, und von den vielen Terrassen des Wohnhauses konnte der Alte die Anlage nur noch verschwommen sehen, seine Augen waren trüb geworden. Das Wohnhaus selbst bestand aus einem ursprünglichen Gebäude, das noch ganz die Form eines traditionellen oikos hatte, jedoch mit allerhand Marmorzierrat versehen worden war, sowie einigen angebauten Gebäudeflügeln, größeren Räumen, die aus der Fassade hervortraten, vorgelagerten Terrassen und Loggien. Wie ein Geschwür wucherte dieses Monstrum in der Dünenlandschaft. In letzter Zeit hatte es der Alte vorgezogen, in seinem Haus in der Stadt zu bleiben, doch seit einigen Tagen war wieder Leben im oikos nikodemou konta alexandreias. Es war der Ausgangspunkt von Vorbereitungen einer Festlichkeit, die in kürze in einem geschlossenen Kreis an Teilnehmern in einem unterirdischen Raum in der Nähe statfinden würde.
Das Landhaus des Nikodemos
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Nikolaos hatte das Landhaus endlich erreicht. Es dämmerte bereits. Seine Sänfte wurde vor dem Hauptportal der Villa abgesetzt und er stieg hinunter. Leichten, fast schwebenden Schritts schritt er die lange Marmortreppe hinauf zu einer großen Halle, zwischen deren Säulen feine Vorhänge hingen, die vom Nachtwind sanft bewegt wurden. An den Säulen in Eisenklammern hingen Fackeln, deren Schein die Halle in ein warmes Licht tauchte. Es waren bereits einige Menschen dort, allesamt in weiße Gewänder gehüllt. Nikodemos war nicht zu sehen. Er hatte sich wahrscheinlich mit den anderen Hierophanten in einen der unzähligen Räume des Hauses zurückgezogen, um selbst für die Eingeweihten und vor allem für Novizen wie Nikolaos geheime Vorbereitungen zu treffen.
Diener reichten den Anwesenden Getränke. Es gab Wasser, Essigwasser und Säfte verschiedener Früchte. Wein gab es noch nicht. Noch sollten die Bacchantinnen und Bacchanten wach und klar bleiben. Auch Obst wurde gereicht. Doch es war kein ausgelassenes Fest, die Unterhaltungen der Gäste waren ruhig, die Stimmung gedämpft und doch von einem untergründigen Fieber infiltriert. Hier in dieser Halle hielten sich jene auf, die noch nicht eingeweiht waren.
Der Sklave des Nikodemos, den Nikolaos kannte, kam auf den Jüngling zu. "Chaire, Nikolaos.", sagte der Sklave. "Bei Anbruch der Dunkelheit werden wir losziehen." Offenbar würde der Sklave auch mit am Mysterium teilnehmen. "Der kyrios hat mich angewiesen, dir ein Zimmer anzubieten, in dem du dich auf das Mysterium vorbereiten kannst. Mit Anbruch der Dunkelheit werden wir unverzüglich zur Stätte der Anbetung aufbrechen. Finde dich bitte bis dahin wieder hier ein. Ich glaube auch, dass der kyrios vorher mit dir sprechen möchte." Nikolaos nickte. "Gut. Dann folge mir." Der Sklave ging voran. Sie traten aus der Halle durch eine große, zweiflügelige Tür ins Innere des Hauses. Von dort aus gingen sie in einen kleinen Hof. Sie bestiegen eine Treppe, die zu einer Säulengalerie hinaufführte. An diese Galerie grenzte das Zimmer, das Nikolaos zugewiesen war. Es war klein und spärlich möbeliert, doch die vorhandenen Möbel waren prachtvoll und aus erlesenen Hölzern und Metallenen gefertigt. Es gab ein schmales Bett aus Ebenholz, dessen Bronzefüße die Form von Adlerkrallen hatte, einen Stuhl aus Schilfrohr, das es häufig entlang des Nils gibt und einen Tisch aus Wurzelholz, der ein Vermögen gekostet haben musste. Von dieser Pracht nicht sonderlich beeindruckt nahm Nikolaos auf dem Bett Platz. Der Sklave verschwand wortlos. -
Nikolaos blieb reglos sitzen. Er lauschte den fernen Klängen, den gedämpften Worten, die aus einem Teil des Hauses kamen, der weitab diesen Zimmers war. Im Hof, in den Beeten, die ins Pflaster eingelassen worden waren, und die mit Sträuchern und Blumen gefüllt waren, deren Düfte bis zu Nikolaos Zimmer hinauf stiegen, sangen Zirkaden. Über dem Haus, durch die schwarze Nacht, zerschlugen die Flügel von Fledermäusen und von Vögeln die Luft, die noch warm war und hier außerhalb der Stadt ungewohnt duftete. Die Luft zog zum Meer hinüber. Während sie tags oft salzig schmeckte und nach Algen, war sie nachts oft mit Sand durchsetzt und trocken.
Nikolaos legte seine Chlamys ab und seine Sandalen. Barfuss würde er in der Prozession zur Höhle gehen, barfuss durch den Sand der Dünen. Er öffnete einen kleinen Lederbeutel, den er zuvor auf das Bett gelegt hatte, zog einen Krümel Opium hervor, schon ihn sich in den Mund und zerkaute ihn dann, langsam und bedächtig. Die Gewürze, die dem Saft des Schlafbringers beigemischt waren, lösten sich nun im Speichel und erregten die Zunge. Schwer und süß und zugleich etwas bitter schmeckte es. Nikolaos kaute ausgiebig, schlürfte den nun gewürzten Speichel hinunter. Nach einiger Zeit schien eine Art Dunst um seinen Kopf aufzusteigen, sein Geist schien in warmes Wasser gelegt zu sein, weich und ruhig. Die Stimmen aus den fernen Teilen des Hauses wurden schwächer. -
Er hatte einige Zeit in jener Haltung ausgeharrt und war dabei in eine Art wachen Schlummer gefallen. Nun da sein Geist vernebelt war, konnte er klarer denken als zuvor. Wie aus weiter Ferne drang ein Geräusch zu ihm, es war das Klopfen des Sklavens an der Tür. "Tritt ein", sagte Nikolaos. Es kam aus seinem Mund, doch die Stimme schien nicht seine zu sein. "Es ist soweit.", sagte der Sklave und wandte sich wieder zum Gehen. Nikolaos erhob sich und folgte ihm. Seine Augen waren glasig, sie sahen nicht nach außen, sie sahen nicht die Hallen, durch die der Körper unter ihnen sie trug, sie blickten über innere Landschaften, die weit waren, die kein Ende nahmen, anders als die Erde, deren Kugelform den Reisenden immer wieder zurückführte an den Ausgang seiner Reise.
Vor dem Haus sammelte sich langsam eine Prozession. Angeführt wurde sie von Nikodemos, dem Mystagogen und sechs anderen Hierophanten. Hinter diesen wurde der Stier geführt, er war weiß, sein Fell schimmerte gespenstisch im Schein der Fackeln, die die Teilnehmer der Prozession trugen. Er war makellos. Sein Haupt war mit Thymian bekränzt, rote Schleifen zierten seinen Körper. Mit Opium war er betäubt worden, sodass er sich ruhig und langsam, in einem Gang, der fast menschlich würdevoll war, an seine Schlachtbank führen ließ. Der Abendwind trug die Klänge der Auloi, die Musiker unter den Teilnehmern der Prozession, wie diese auch barfuß und in weiße Gewänder gehüllt, spielten, vielleicht in Fetzen bis zur Straße nach Nikopolis. Doch kein Reisender würde ihnen Beachtung schenken. Nikolaos stieß zu diesem Zug. Wenig später setzte er sich in Bewegung, in Richtung des Gewölbes, das versteckt in den Dünen lag. Die Fackeln schienen sich zum Schlag des Tympanons zu bewegen, so rhythmisch riss der Wind die Flammen mit sich und ließ sie dann wieder los. -
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Die Beschreibung des Exegetes war gut genug gewesen um Herbal das Landhaus finden zu lassen. Nun stand er als am späten Nachmittag hier vor der Tür und klopfte um einen Brief zu überbringen.
*klopf* *klopf*
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Das mächtige Tor zum Anwesen öffnete sich einen Spalt breit. Ein hagerer, junger Mann mit einer etwas käsigen Gesichtsfarbe sah hinaus. Seine Augen waren schmal und von einem wässrigen Grün. Er trug eine einfache Wolltunika und einen schmalen Ledergürtel. Seine übermäßig (fast lächerlich) langen und schmalen Füße steckten in Ledersandalen. Einen dieser konnte Herbal nun sehen, denn der Junge stellte ihn gegen die Tür, damit sie nicht wieder zufiel. Nikodemos empfing nur noch sehr selten Besuch, meist blieb diese Tür verschlossen.
"Chaire", krächszte der Junge. Seine Stimme schien sich gerade im Wandel zu befinden. Sonst sagte er nichts. Er stand nur da und sah den Fremden an.edit: Signatur entfernt.
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Herbal sah sich einem Jungen gegenüber, der vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als er sein mochte. Irgendwie sah dieser, obwohl seine Tunika sauberer war als die Herbals, mindestens genauso trostlos aus. Wobei es bei Herbal die Kleidung war, die diese Wirkung hervorrief, während die "Aura" seines Gegenübers eben diesen Eindruck vermittelte.
Chaire. Das hier ist doch das Landhaus des Nikodemos, oder? Wenn ja hätte ich hier einen Brief abzugeben.
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Der Junge mit den blassgrünen Augen:
"Das ist es.", antwortete der Junge vorsichtig und schob seinen Fuß ein Stück weiter hinaus. Er hob die Hand und streckte sie zögerlich dem Fremden entgegen, wohl, um den Brief in Empfang zu nehmen. Dabei blickte er dem Boten nicht ins Gesicht, sondern auf seinen vorgestreckten Fuß, wie, als würde er dem Körperteil nicht trauen, als könne sich der Fuß jeden Augenblick verselbstständigen.
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Herbal zögerte zunächst. Der Junge war ihm irgendwie nicht geheuer, doch alle Indizien wiesen darauf hin, dass das das richtige Landhaus war. Also reichte er seinem Gegenüber den Brief.
Chaire, Nikodemos!
Ich schreibe dir diesen Brief in Ermangelung von Zeit, dein Haus selbst aufzusuchen, da du, wie ich weiß, zur Zeit außerhalb der Stadt wohnst, wie es für deine Gesundheit am besten ist. Sei versichert, dass ich bei Zeiten dir selbst einen Besuch abstatten werde. Schließlich bin ich dir, in vielfacher Hinsicht, zu Dank verpflichtet.
Nun zur Angelegenheit, die ich dir mitteilen will. Das Schiff, das ich bei Aristion bestellte, ist nun fertig und vor drei Tagen glücklich und unbeschadet vom Stapel gelaufen, der Isis und dem Poseidon sei es gedankt! Ich habe im Sinn, mit diesem Schiff den Grundstein zu legen für neue Geschäfte, nämlich, neben dem Vertrieb eigener Waren, auch die Beförderung fremder Ware und Reisender. Jedoch brauche ich dazu einen fähigen Triearchos. Bitte teile mir mit, wenn du einen vertrauenswürdigen und geeigneten Mann kennst. Falls du selbst die Dienste meiner Reederei benötigst, so stehen sie dir selbstverständlich unentgeltlich zur Verfügung.
Ich wünsche dir alles Gute und eine baldige Besserung deines Gesundheitszustandes.Es grüßt dich herzlich
Dein Nikolaos Kerykes.Nachdem er diese Pflicht erfüllt hatte, strebte er zurück in die Stadt um dort das Gasthaus des Lyros aufzusuchen.
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Der blasse, schmächtige Junge sah dem Boten noch lange nach. Beinahe sehnsüchtig. Zwar hatte der Bote ihn geängstigt, doch es war der erste Mensch seit langem, der den Weg zum Haus des Nikodemos gefunden hatte. Der alte Hausherr hatte viele Diener in der letzten Zeit aus dem Haus gejagdt, sodass der Junge einer der wenigen war, die mit Nikodemos in einem Haus lebten. Sein Herr machte ihm Angst. Nicht, dass er gewalttätig würde, im Gegenteil, er schlug seine Diener kaum noch. Doch sein Blick war seltsam geworden und seine Bewegungen fahrig. Nächtelang ging er im Haus umher und murmelte eigenartiges Zeug. Nächtelang hörte der Junge die Schritte des Herrn durch die Hallen und Höfe, durch die vielen Zimmer und Säale des Hauses hallen. Tagsüber saß Nikodemos oft zusammengekauert auf dem Boden an eine Säule gelehnt. In diesem Zustand durfte man ihm nicht zu nahe kommen, denn sooft sich jemand näherte, sprang er wie von einem Insekt gestochen auf und blieb wie erstarrt stehen, die Augen weit aufgerissen.
Der einzige Besucher, den der Junge hin und wieder einließ, war Nikolaos. Doch seine gelegentlichen Besuche spendeten dem Jungen keinen Trost. Auch Herr Nikolaos machte ihm Angst... .
Der Fremde war hinter den Dünen verschwunden. Der Junge kehrte zurück in das große, leere Haus. Als er die Tür hinter sich zuschlug, und die Flügel laut gegeneinander schlugen, bekam der Junge eine Gänsehaut.edit: Signatur entfernt.
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