Audienz für Diagoras von Melos

  • Diagoras kramte in seinem Lederbeutel, den interessanterweise die Wachen nicht durchsucht hatten und für den sich auch sonst niemand interessiert hatte. Nicht, daß er den Präfekten mit einem Obstmesser hätte ermorden wollen, nicht einmal für eine anständige Rasur hätte es gereicht, aber immerhin.


    Er fand einen kleinen Drüwken, den er mit dem Messer schnell in vier Spalten teilte und sich eine davon in den Mund steckte. Das Gespräch mit dem Magister hatte ihn schläfrig gemacht, als hätte es Tage gedauert, eine kleine Erfrischung war da nur recht und billig, bis der Römer geruhte, zu erscheinen.

  • Es dauerte eine Weile, aber dann geruhte der Präfekt zu erscheinen, wie gewohnt in Begleitung des unvermeidlichen Anhangs aus Schreibern und Beratern.
    Sie mussten stehen bleiben, als er auf dem wie immer bereit stehenden Stuhl platz nahm und den Audienzsuchenden begrüßte:
    “Salve!“, sagte er, stellte sich selbst nicht vor, sondern fragte gleich mit der ungebührlichen Eile des Vielbeschäftigten: “Mit wem habe ich die Ehre und warum suchst du mich auf?“

  • Salve Decius Germanicus Corvus!


    Ich bin Diagoras von Melos, Lehrer an der platonischen Akademie in Athen und hier in Alexandria als Sprecher der griechischen Bibliotheken und Lehranstalten in den Provinzen Achaia und Asia.


    Zeit ist Geld und von beidem gibt es gerade in diesem Zeiten zu wenig; erlaubt mir also, gleich zur Sache zu kommen und schöngeistige Floskeln ein anderes Mal verstreuen zu dürfen ...


    Er machte eine Geste wie beim Beginn einer Ode ...


    Ich bin in die Stadt gekommen, um mit dem Epistates über eine mögliche Nachfolge als Mitglied des Kollegiums der Delphipriester zu verhandeln, um - um es offen zu sagen - den Stuhl des Epistates in Alexandreia einem würdigeren und jüngeren Manne freizumachen. In Delphi hätte Tychios eines der prestigeträchtigsten aber inzwischen politisch wie wissenschaftlich bedeutungslosesten Ämter übernommen, eine Krönung seiner Laufbahn und gleichzeitig seine Pensionierung. Denn die Unterstützung der Wissenschaftler hatte er schon längst nicht mehr und man wollte Tychios die Chance geben, eine Eingabe an den Kaiser zu verhindern.


    Nun ... Tychios ist kurz vor meiner Ankunft im Museion bedauerlicherweise für ihn und erfreulicherweise für mich freiwillig abgetreten. Ich mache mir nichts vor, meine Mission bei ihm wäre kein Freundschaftsbesuch geworden und so danke ich den Musen, daß sie eine so natürliche und freundliche Lösung für das Leiden der Wissenschaften fanden.


    Diagoras holte Luft, schluckte ein wenig und fuhr fort, weil er sicher war, daß der Präfekt ihm noch zuhörte ...


    Allerdings hat uns Hinterbliebenen der alte Fuchs eine äußerst unangenehme Situation hinterlassen, indem er mit seinen Todesumständen gleichzeitig den Verdacht nährte, vielleicht ermordet worden zu sein. Ich weiß nicht, ob Ihr Tychios gekannt habt, aber - verflucht sei er in alle Ewigkeit! - wenn er das so nicht wenigstens beabsichtigt hatte, so freut er sich jetzt diebisch, egal, wo er jetzt ist.


    Denn mit seinen anscheinend unnatürlichen Todesumständen macht er sowohl seinen prospektiven und natürlichen Nachfolger, der kaum als Freund Tychios zu werten ist, macht er die griechischen Bibliotheken und Lehranstalten in den Provinzen Achaia und Asia, die ihn kaltstellen wollten und macht er die Römer, die Tychios haßte und gänzlich aus dem Museion, wenn nicht aus ganz Alexandria vertrieben sehen wollte, zu seinen möglichen Mördern. Denn alle profitieren sie vom Tod: der Nachfolger, die Bibliotheken und Wissenschaftler, die Römer, namentlich deren höchster Vertreter, der Präfekt Alexandriens und Ägyptens, also Ihr.


    Diagoras angelte nach einem der vorbereiteten Drüwken-Schnitzen, biß hinein und meinte mit leicht kauend:


    Versteht Ihr, Präfekt, worin unser aller Problem liegt? - Und kennt Ihr eine Lösung der schon brodelnden Gerüchte, eine Lösung die alle beteiligten Verdächtigten weißer denn Schnee oder Marmor als Carrara aus dieser Sache hervorgehen läßt?


    Er lächelte schief und auffordernd, denn vielleicht hatten er und der Präfekt dieselben Gedanken ...

  • Corvus hörte dem Mann aufmerksam zu. Da war also schon wieder ein Gegner des kürzlich verstorbenen Epistates tou Mouseiou Tychios von Chalkis. Der Mann hatte wirklich viele Feinde gehabt, aber dieser Diagoras schien ihn sogar aus tiefstem Herzen gehasst zu haben und er sprach es sogar unverblümt aus, anders als manch anderer, der Trauer und Betroffenheit heuchelte.
    Vielleicht war es tatsächlich so gewesen, dass der Tote ein Feind Roms gewesen war. Vielleicht wurde dies von denjenigen jetzt auch nur behauptet, denen er lästig oder im Weg gewesen. Corvus selbst hatte den Mann nicht gekannt, aber er hatte durchaus bemerkt, dass Tychios ihn nicht aufgesucht hatte, nachdem er vor ein paar Monaten sein Amt in Alexandria angetreten hatte. Das war durchaus ein Akt der Missachtung seiner Stellung als Präfekt gewesen. Doch war das jetzt noch von Bedeutung? Nein, der Mann war tot.
    Aber ganz gleich ob dieser Umstand für Rom günstig oder ungünstig war, der Öffentlichkeit musste ein Täter präsentiert werden, dass war Corvus sofort klar gewesen, nachdem er von den Umständen erfahren hatte, unter denen der Epistates gestorben war.
    Vielleicht konnte und wollte dieser Diagoras ihm dabei weiter helfen, vielleicht auch aus ganz eigenen Motiven...



    “Das Volk von Alexandria und auch der Kaiser wird wissen wollen, wer den Epistates tou Mouseiou getötet hat. Ein Schuldiger muss gefunden, ergriffen und bestraft werden. Recht und Gesetz muss Geltung verschafft werden und wenn das geschehen ist, dann werden auch alle bösen Gerüchte verstummen und jeder wird wieder ruhig schlafen können. Glaubst du das nicht auch?“

  • Ich habe lange über diese Frage nachgedacht, mein Präfekt. Gerüchte sind wie Sand, den man vom Strandbesuch mit nach Hause bringt: er setzt sich überall hinein, man wird ihn nicht mehr los und er taucht an unvermuteten Stellen immer wieder auf.


    Gerade Euer Gedanke, daß ein Schuldiger gefunden werden muß, weckt und nährt oftmals genau jene schädlichen Zweifel: wurde wirklich der Täter gefunden, oder nur ein Sündenbock? Hat der Täter ein hinreichendes Motiv oder ist er nur Werkzeug für jene 'dunklen Gestalten', die sich nicht die Hände schmutzig machen wollten? Einflußreiche Männer und Gruppen lassen töten, offen durch Krieg, Polizei, Gerichte oder verdeckt durch gedungene Meuchelmörder, die man dann der Öffentlichkeit präsentieren kann.


    Diagoras kratzte sich hinter seinem linken Ohr.


    Daß ich Euch einen Rat gebe oder einen Vorschlag mache, mögt Ihr bitte nicht als Selbstüberschätzung meines Verstandes oder meiner Person mißdeuten, gar als Zweifel an Eurem Verstand und Eurer Urteilsfähigkeit, aber wer kann überhaupt plausibel und letztgültig behaupten, daß Tychios ermordet wurde?


    Vielleicht hatten die Moiren seinen Schicksalsfaden zu Ende gewebt, Tychios' Herz blieb stehen und weil er es sich am Brunnenrand gemütlich gemacht hatte, kippte er - der Schwerkraft gehorchend - rücklings in das Wasser. Fortgeschrittenes Alter, eine wenig enthaltsame Lebensführung und die Angespanntheit seines steten mißgünstigen Taktierens haben seinen Lebensfaden dünn werden lassen. E voilá!


    Ich meine: die eingeleiteten Untersuchungen sollten zweifellos ergeben, daß allein die Musen ihren Priester zu sich gerufen haben, daß viele über den Zeitpunkt erfreut sind, liegt an der Person des Toten, an nichts anderem ...


  • “Nun scheint aber inzwischen jedermann in Alexandria an ein Verbrechen zu glauben. Darum teile ich deine Einschätzung nicht. Ich glaube, die Enttäuschung und die Zweifel im Volk wären sehr groß, wenn festgestellt würde, dass der Epistates stattdessen einfach nur von seinen Göttern abberufen wurde. Egal ob man den Mann geliebt oder gehasst hat, man wird nach einem Schuldigen verlangen und nur dann zufrieden sein.
    Ich fürchte, diesem Ansinnen muss ich mich anschließen. Aber vielleicht kannst du mir dabei helfen, den Mörder des ehrwürdigen Tychios zu erkennen?“

  • Diagoras ärgerte sich über den Soldaten im Präfektengewand; warum mußte es immer irgendwelche Opfer geben? Warum konnten die Menschen nicht den Weg des geringten Blutverlustes gehen und mußten auf einen Toten noch einen Toten folgen lassen?


    Präfekt, ich bin kein Anhänger der Idee, daß nur ein weiterer Toter einen Toten begraben könne.


    Und - wie ich schon andeutete, haben wir mehr Täter als Opfer zur Verfügung:


    Allen voran natürlich der interimistische Epistates, Theodoros Alexandreus, der bei seiner Rückkehr ans Museion keineswegs von Tychios mit offenen Armen begrüßt wurde und dessen Aufenthalt in Rom alles andere als loyal gegenüber den Griechen gewertet wurde. Kaum ist Theodoros in Alexandria, stirbt der Epistates und Theodoros wird wohl Epistates anstelle des Epistates. Ihm, dem prosepktiven Nachfolger nützt der Tod des Tychios am meisten - also ist er der Hauptverdächtige.


    Dann - eine der letzten Menschen, die Tychios lebend gesprochen und offenbar ebenfalls nicht sehr günstig aufgenommen wurde, glaubt man jedenfalls dem Klatsch unter den Bediensteten, ist eine mehr oder weniger geheimnisvolle Dame aus Rom, die ich mit dem von mir und meinen attischen Kollegen erwarteten Abgesandten der Schola in Rom identifizieren will, denn seine Buhlschaft wird Tychios kaum aus Rom einschiffen lassen, zumal der Dame es vornehmlich daran gebricht, kein minderjähriger Knabe zu sein. Kommt sie von der Schola, hat auch sie ein Motiv.


    Und daß Ihr, Präfekt, so nachdrücklich nach einem Schuldigen ruft, läßt Euch ebenfalls wenigstens als Sympathisant des Mörders, wenn nicht gar als einer seiner Auftraggeber erscheinen - ist man der Dieb, ist es immer günstig, "haltet den Dieb!" zu rufen und in irgendeine andere Richtung zu zeigen ...


    Zum Schluß - wollen wir es nicht vergessen: seit einiger Zeit streicht ein junger Mann, der sich als Abgesandter der attischen und ionischen wissenschaftlichen Einrichtungen zu erkennen gibt, im Museion herum. Seit wann ist er in Alexandria? Erst kurz nach dem Tod des Epistates, wie er jedem versichert oder vielleicht schon ein wenig früher? Ich denke, ihr wißt, wen ich meine, denn er steht vor Euch.


    Verzeiht mir meine Offenheit, Präfekt, aber als Mensch bin ich der Überzeugung, daß Tychios eines natürlichen Todes gestorben ist, als Diplomat hingegen muß ich wünschen, daß weder Angehörige des Museions, weder die Griechen, noch die Römer mit dem Tod des Tychios in Verbindung gebracht werden - also auch jedes Gerücht in diese Richtungen zu ersticken helfen.


    Macht es umgekehrt wie die Athener, die einen Mord aus Liebe in einen politischen Mord umdeuteten, indem sie Harmodios und Aristogeiton zu Tyrannenmördern stilisierten.


    Heißt: sucht und findet einen enttäuschten, einen eifersüchtigen Liebhaber, dem Tychios seinen Knaben abspenstig gemacht hat. Macht ihm den Prozeß, laßt ihn zum Tode verurteilen und zeigt dann Eure Gnade dem Liebenden gegenüber, indem ihr ihn ins Irgendwo verbannt; die Sympathien, die Liebenden vom Volk entgegengebracht werden, werden auf Euch übergehen und das griechische Volk wird Euch lieben.

  • Der Präfekt verzog die Miene und schüttelte den Kopf. Was Diagoras sagte, schien bei ihm nicht auf besonders fruchtbaren Boden zu fallen.


    “Das sind doch romantische Vorstellungen! Unsere Wirklichkeit sieht anders aus. Wenn der Täter gefasst ist, wird er sich einem Gericht gegenüber verantworten müssen, so wie es sich gehört, und dieses Gericht wird nach Recht und Gesetz urteilen und seine Strafe wird die sein, die seiner Tat zukommt. Alles andere würde das gemeine Volk nur als Schwäche und Ungerechtigkeit ansehen. Ich habe hier eine Aufgabe zu erfüllen, ich bin verantwortlich für die Sicherheit und die Ordnung in dieser Provinz und da bleibt kein Platz für solche Träumereien!“


    Zornig zeigte er auf den Mann aus Melos.


    “Und was dich angeht, so sagst du es ganz richtig: Auch du machst dich mit deiner offenkundigen Abneigung gegen den Toten verdächtig und du bist überraschend gut informiert, bedenkt man, dass du erst nach dem Mord in Alexandria eingetroffen sein willst. Wenn du diese Halle wieder verlässt, dann hüte dich davor, lauthals Verdächtigungen in die Welt zu setzen, nur weil du ein Motiv zu erkennen glaubst. Du verdächtigst mich, diesen Mord in Auftrag gegeben zu haben? Denkst du wirklich, mir stünden nicht andere Mittel zur Verfügung, als den alten Mann in einem Fischbassin ersäufen zu lassen? Ich sehe, du weißt nichts was mir weiter hilft. Aber ich rate dir gut, halte deine Zunge im Zaum, bevor man glauben muss, dass du nur von deiner eigenen Schuld ablenken willst!“


    Das war bereits eine unverhohlene Drohung, daran ließen Gesichtsausdruck und Gestik des Präfekten kaum einen Zweifel.

  • Beinahe hätte Diagoras laut herausgeprustet, zog aber nur seine linke Augenbraue hoch. Offenbar hat er ein besonderes Prachtexemplar eines römischen Quadratschädels vor sich; der Präfekt hatte wahrscheinlich außer Lagerleben nie etwas anderes kennengelernt ... Decius Germanicus Corvus ... Germanicus, ist wahrscheinlich frisch aus den germanischen dunklen Urwäldern ins lichte Alexandria versetzt worden. Es war zum Läuse melken, wenn er da an den schöngeistigen und in fröhlichem Ionisch parlierenden Präfekten der Provinz Asia dachte, mit dem er manchen schönen Abend verbracht hatte ... Diagoras riß sich aus seinen Gedanken und räumte den verträumten Blick aus seinen Augen.


    Natürlich, Präfekt, das sind romantische Vorstellungen. Nur - das sind griechische Vorstellungen und Ihr seid in einer griechischen Stadt. Denkt an Achilles, dem Held der Griechen, der aus Liebe die ganze Expedition vor Troia in Gefahr bringen konnte! Und denkt an Paris, der mit seiner Entscheidung für die Göttin der Liebe seine Heimatstadt dem Untergang weihte. Machte man ihm deshalb den Prozeß?


    Ihr seid ein Römer, der - salva venia - römisch denkt. Wer liebt, ist nach griechischer Vorstellung den Göttern nahe, der wird vom Göttlichen angerührt, ergriffen. Zu glauben, mit Liebenden nachsichtig und ehrenvoll umzugehen, selbst wenn sie ihre Liebe auf Abwege führt, sei ungerecht, verkennt die griechische Mentalität. Ihr sprecht von "unserer Wirklichkeit", das ist aber nicht "unsere", also die griechische, sondern Eure, die römische Wirklichkeit. Und Gnade ist kein Zeichen von Schwäche und Ungerechtigkeit, sondern ein Zeichen von Stärke und Größe.


    Diagoras kam sich vor, als würde er angehende Polis-Beamte in Staatslehre unterrichten müssen.


    Und offensichtlich habt Ihr auch nicht verstanden, daß diese "Verdächtigungen" die ich ausgesprochen habe, nicht die meinen sind, sondern die, die im "gemeinen Volk" gemeinerweise von Mund zu Mund weitergetragen werden. Wie ich schon sagte, bin ich der Ansicht, daß Tychios eines natürlichen Todes gestorben ist, nur ein völlig dummer Mensch könnte glauben, daß ein Mord irgendeinen Nutzen haben könnte und nicht dem Museion als Institution großen Schaden zufügen würde.- Genauso, wie diese genannten Gerüchte dem Museion Schaden zufügen. Genau wie eben jene Gerüchte, von denen ich sprach, der Sache großen Schaden zufügen.


    Ich gehe jeden Tag auf den Markt und kaufe dort meine Lebensmittel ein,


    er holte eine seiner Römischen Schmalzbirnen aus dem Lederbeutel und ließ sie gleich wieder verschwinden,


    und dabei schnappe ich eine Menge an Informationen und Gerüchten auf. Informationen sind mein Geschäft, wenn man so sagen will, ich handele nicht damit, aber meine Aufgaben beruhen darauf, Informationen zu sammeln, zu ordnen und so meiner Mission zu dienen. Informationen sind das, was die Welt regiert, nicht Gewalt. Ich bin gekommen, um Euch an diesen Informationen teilhaben zu lassen, damit Ihr für das Museion das Rechte tut, denn es wird auch für Alexandria und auch für Euch das Rechte sein.


    Diagoras war erschöpft. Er erinnerte sich daran, wie er in seiner Kindheit einer Katze hatte beibringen wollen, das Jagen zu lassen und stattdessen zu Hause gespeist zu werden. Das Ergebnis war, daß sie pünktlich zum Essen kam, jedesmal aber eine Maus oder einen kleinen Vogel mitbrachte, den sie anstelle des Vorbereiteten fraß. Genausogut hätte er an einen Schemel hinreden können ...

  • “Ha! Wenn das stimmen würde, dann müssten Philosophen und Poeten die Welt beherrschen. Aber tun sie es? Nein, denn dafür braucht man Feuer, Stahl und einen starken Willen.“, höhnte der Präfekt. Wie viele Römer achtete er zwar die griechische Kultur, der die Römer schließlich auch vieles zu verdanken hatten, hielt die Griechen aber für erbärmliche Eroberer und unfähig, auch nur sich selbst zu regieren, geschweige denn, ein dauerhaftes Reich zu errichten.


    Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
    “Aber es ist müßig jetzt weiter darüber zu reden, denn noch sind nicht einmal die Untersuchungen abgeschlossen und noch wurde niemand verhaftet. Was nützt es also, über das Schicksal dessen zu reden, den wir noch nicht einmal kennen.“


    Corvus war wirklich Soldat und Pragmatiker durch und durch.

  • Inzwischen hatte Diagoras auf Automatik umgeschaltet und hoffte nur noch, möglichst schnell fortzukommen. Fast bewunderte er Tychios, der es geschafft hatte, eine Begegnung mit dem Präfekten zu vermeiden und überhaupt vorauszusehen, daß jegliche Konversation völlig fruchtlos sein würde. Dem Mann vor ihm brauchte man jedenfalls keine Fettnäpfchen hinzustellen, der stellte sie sicher selbst auf. Erst zuschlagen, dann fragen, erst handeln, dann denken. Na, bravo!


    Nachdem wir das befriedigenderweise geklärt hätten, Präfekt, darf ich mir noch - abschließend - erlauben, Euch der Loyalität der griechischen Bibliotheken und Lehranstalten in den Provinzen Achaia und Asia und natürlich die meiner völlig unzulänglichen Person zu versichern, die wir alle große Hoffnung in Eure Weisheit und Eure luzide Verstandeskraft setzen.


    'Denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt', dachte Diagoras ohne jede Hoffnung, während er eine 1/7-Verbeugung machte.


    Wir freuen uns, daß Theodoros Atheneus Euer geschätztes Vertrauen besitzt und Ihr ihn in Eurer Güte und Weitsicht zum interimistischen Inhaber des Epistaten-Stuhles erkoren habt.


    'Auch ein blindes Huhn undsoweiter, na, wahrscheinlich war Theodoros gerade greifbar und andere Prätendenten kannte der Mann wohl sicher auch nicht.'


    Gerne stehe ich Euch jederzeit zur Verfügung, auch das ist Teil meines Auftrages in Alexandria, momentan bin ich Gast des Museions und werde wohl auch an der Erarbeitung eines Wahlvorschlags für den Kaiser beteiligt sein, der zweifellos in seiner Weisheit den richtigen Kandidaten küren wird.


    'Genauso, wie er in seiner Weisheit diesen kulturignoranten Kommißkopf nach Alexandria beordet hatte', Diagoras befürchtete Schlimmstes und war voller Zweifel, sobald er daran dachte, daß Rom selbst eine Entscheidung in der Sache treffen wolle. In Erwartung seiner Entlassung und der Beendigung der Audienz erstarrte Diagoras erneut in einer 1/7-Verbeugung.

  • “Es freut mich zu hören, dass Rom auf deine Loyalität und die deiner Kollegen in Achaia und Asia zählen kann.“, antwortete Germanicus Corvus und lächelte dabei, als wolle er sagen: 'Als wenn es darauf ankäme.'


    “Ich bin mir sicher, dass Museion wird dem Kaiser eine weise Empfehlung geben. Dir danke ich für deinen Besuch.“
    Die Worte waren höflich, aber sie klangen verärgert und gleichzeitig herablassend.

  • Die Dankbarkeit liegt ganz aurf meiner Seite, Präfekt. Meine herzlichsten Segenswünsche und Grüße auch Eurer teueren Gemahlin ...


    ... von deren Schönheit und Energie ein Freigelassener, mit dem er eine gebratene Mäuseblase auf dem Markt gestern gegessen hatte, nur so schwärmte und dabei einige anzügliche Grimassen gezogen hatte ...


    deren Schönheit und Scharfsinn in Alexandria legendär zu sein scheinen. Salve!


    Sprach's und - weil er sich endgültig entlassen fühlte - wandte er sich zum gehen und hinaus aus der Aula des Präfekten.

  • “Das werde ich, vale!“


    Germanicus Corvus sah dem Griechen nachdenklich hinterher. Er schien sich zu fragen, aus welchem Grund der Mann ihn überhaupt aufgesucht hatte und ob es ratsam wäre, seine Behauptung überprüfen zu lassen, erst nach Tychios' Tod in Alexandria eingetroffen zu sein.

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