Kaum war der Römer zu ihnen ans Feuer gekommen, verließ Rutger Severus ihre Gesellschaft, ohne ein einziges Wort zu sagen. Eigenartig. Was der hatte? Ungläubig sah sie ihn nach und beobachtete ihn, wie er Bridhe davonschleppte. Sie verkniff sich jegliche Form von Protest, obwohl es ihr in ihrem etwas beschwipsten Zustand - den sie nun durch einen weiteren Becher Met bereicherte - nicht allzu leicht fiel. Doch sie musste jetzt noch etwas tun. Sie hatte etwas bemerkt, das nichts bedeuten musste, aber sie wollte es rausfinden.
Tilla lag unweit von ihr direkt am Feuer. Langsam und gebeugt schlich sie zu ihr hin. "Ti...illa! Salveee... Wie... geht...eht's'nnn?", fragte sie, gefolgt von einem Schluckauf, der sich amüsanterweise so anhörte wie "hupp". "Ichsch... hisch... äh, ich habbb da geseeehn, wie du da... hupp... auf mihihisch da... gedeutet hascht! Ich habbbb kein' bösen Gott beschworen, ech' nich', hupp.", meinte (oder wäre das Wort lallte besser angebracht?) sie zu Tilla. "Das war... Cernunnos!", siebemühte sich, den Namen des Gottes deutlich auszusprechen. "Fruchtbarkeitsgott... g... ott. Guter Gott... hupp.", grinste sie. Das wollte sie nur klarstellen.
Doch hinter hir hörte sie noch etwas... war das ein Schluchzen? Ja... das war es. Langsam drehte sie sich um. Dort war Fiona. Man konnte ihr ansehen, wie die Tränen in ihren Augen standen.
Schnell huschte Aintzane zu ihr hin. Sie war neugierig, was denn mit Fiona loswar, und gleichzeitig besorgt. "Fi...fiona?", fragte sie, als sie bei ihr angekommen war. "Was...", meinte sie leise in einer fragenden Stimme und ließ sich neben ihr nieder. Sie legte ihren rechten Arm auf Fionas linke Schulter. "Was... ist de...enn lo...os mittt dir?"
hortus | Süßes oder Saures - Das Samhain Fest
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Oh nein! dachte Fiona. Jetzt war auch noch Aintzane völlig betrunken. Sie hatte Fionas Tränen bemerkt.
"Es ist nichts Aintzane!" schluchzte sie und wollte sich wieder abwenden.
Da bemerkte sie, wie der Römer plötzlich aufstand und zu ihrem Feuer ging. Ein Stück ihres Brotes warf er wortlos hinein. Hatte er etwa auch geopfert? Überrascht, aber auch bewundernd schaute sie zu ihm hinüber. Damit hatte sie jetzt wirklich nicht gerechnet. Sollte er wirklich anders sein, als alle anderen Römer, die sie kannte? Welcher Römer hätte sich denn herab gelassen, um ihren Göttern zu opfern?
Impulsiv griff sie zu einem Becher und goß Met hinein. Dann ging sie zu ihm und setzte sich neben ihn. "Danke für dein Opfer, das du den Göttern und unseren Toten dargebracht hast! Hier bitte, nimm einen Becher! Das ist Met. Laß es dir schmecken!"
In ihrem Gesicht konnte man unschwer noch ihre Tränen erkennen, doch die Tatsache, daß er eben versucht hatte, die Götter wieder zu besänftigen, ließ sie wieder etwas Hoffnung schöpfen. -
Verdutzt sah sie auf, als es plötzlich so warm um sie wurde und erkannte durch Erfühlen und Ertasten einen Umhang. Wer hatte ihn denn jetzt umgelegt? War es Ursus? Der sich in den letzten Minuten nicht als geweihtragender Gott entpuppt hatte. Die unerwartet aufgetauchte Wärme tat gut. Tilla lächelte schwach, kuschelte sich einmal mehr in Minnas Arme hinein und linste Aintzane an, die sie mit lallend gesprochenen Wörtern zu trösten versuchte. Abermals verzogen sich Tillas Mundwinkel nach oben zu einem Lächeln. Nun blickte sie die Ältere amüsiert an, dankbar für die Aufmunterung und die Erklärung. Ein Fruchtbarkeitsgott klang eindeutig viel besser als ein Totengott. Laut Aintzane war das sogar ein guter Gott. Danke dir. Tilla schniefte, nickte, zeigte den erhobenen Daumen vor, dass sie sie verstanden hatte und lehnte den schmerzhaft pochenden Kopf wieder an Minnas Schulter an. Das angebotene süße Brot verweigerte Tilla. Gerade jetzt hatte sie keinen Hunger... Fest presste sie die Lippen aufeinander, liess einen schwächer gewordenen Gänsehautschauer über sich ergehen.
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Ursus nahm den Becher aus Fionas Händen und blickte sie an. "Auch wir glauben an die Gegenwart der Toten", erklärte er schlicht und nahm einen Schluck Met. Das Getränk war süß und beruhigte ihn irgendwie.
Es tat ihm leid, daß das Fest so aus dem Ruder gelaufen war. War es wirklich seine Schuld gewesen? Natürlich wunderte ihn auch schon die Tatsache, daß ihm das so leid tat. Es waren doch nur Sklaven! Die noch dazu etwas verbotenes getan hatten. Dennoch. Sklaven oder nicht. Sie hatten doch nur ihren Toten gedenken wollen. Und stand das nicht einem jeden Menschen zu?
"Gibt es eine Möglichkeit, dieses Fest angemessen zu beenden, damit die Geister ihren Zorn besänftigen?" Er kannte sich ja mit dem Glauben dieser Barbaren nicht aus. Sonst hätte er gedacht, daß Met ein besseres Opfer wäre als Brot. "Oder scheitert dies schon daran, daß die anderen beiden gegangen sind?"
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Es beeindruckte Fiona doch sehr, wie dieser Römer doch um ihr Fest besorgt war. Offenbar waren sie doch nicht alle gleich!
"Mach dir keine Sorgen! Weder du noch sonst jemand, trägt die Schuld dafür, das heute Abend einiges schief gegangen ist. Normalerweise wird dieses Fest im Beisein und unter der Anleitung eines Druiden gefeiert. Und glaube mir, es ist auf gar keinen Fall ein trauriges Fest, sondern eines der Freude und Hoffnung. Wir glauben, daß der Tod nicht das Ende ist. Es geht immer weiter, über den Tod hinaus. Unsere Toten leben in einer anderen Welt weiter. In dieser Nacht, so glauben wir, ist die Barriere zwischen den Welten offen, sodas die Geister der Toten auch wieder hinüber in unsere Welt gelangen können." Sie hatte ihn fest im Blick, als sie ihm alles zu erklären versuchte. Dann nahm auch sie ihren Becher und stieß mir ihm an. Es war doch schon seltsam! Niemals hätte sie einmal gedacht, an Samhain mit einem Römer anzustoßen.
"Ich habe meine ganze Familie verloren und ich bin dankbar, daß ich dieses Fest hier feiern durfte. Ich denke, wenn wir einfach noch etwas beisammen sitzen, wäre dies ein schöner Ausklang. Jeder der seine Opfer noch darbringen will, kann dies jetzt noch tun."
Dann nahm sie einen Schluck vom Met und blickte wieder in das Feuer hinein. -
Stumm setzte sich Cadhla zu Minna und Tilla ans Feuer, und die ausgestreckten Arme des Mädchens rührten sie auf seltsame Weise an. Ganz im Gegensatz zu ihr selbst schien es Tilla nicht schwer zu fallen, Vertrauen zu fassen und ihren Wunsch nach Nähe und Trost zu artikulieren - zwar nicht mit Worten, aber die Gesten waren doch recht eindeutig. So umarmte sie Tilla und drückte sie behutsam an sich, als sei die junge Frau besonders zerbrechlich, und ließ sich dann neben ihr nieder. Wenigstens das Feuer wärmte sie, wenngleich es die Gedanken an ihre Familie und ihre Ahnen nicht vermochten.
"Ich .. nicht weiss ob gut ist, dass ich hier sein," sagte sie schließlich langsam und zögerlich. "Ich nicht weiss, ob feiern soll, denn nicht weiss, ob Familie wirklich ist tot." Jetzt war es heraus, und das Frösteln, das Cadhla seit einer Weile gespürt hatte, verstärkte sich merklich, ließ sie erzittern, auch wenn das Feuer doch eine gewisse Wärme abstrahlte. "Es alles ging so schnell. Der Kampf, und so viel Blut, Rauch, alles war dunkel, und ich kämpfen um Leben, um Dorf, um Sicherheit von Sippe ... ich kann nur hören Schreie von Mutter, und dann ..." Sie hob langsam die Schultern in einer Geste unendlicher Resignation. "Und dann wachen auf gefesselt. Ich nicht weiss, ob alle tot."
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Tilla schien sich mittlerweile wieder einigermaßen beruhigt zu sein. Doch ihre körperliche Verfassung war nicht die Allerbeste, das konnte man ihr ansehen. Die arme Kleine, die wird morgen sicher einen ganz schönen Kater haben.
So saß Minna mit dem jungen Mädchen im Arm und beobachtete still das flackernde Feuer. Nach kurzer Zeit war sie völlig in ihren Gedanken versunken. Wie gebannt starrte sie dabei immer weiter ins Feuer. So bekam sie auch kaum mit, was um sie herum geschah. Allerdings bemerkte sie plötzlich, wie Ursus ihr und Tilla seinen wärmenden Mantel umlegte. Verblüfft über diese nette Geste des Römers brachte sie kein Wort heraus, nickte ihm aber anschließend dankbar zu. Vielleicht war er ja gar kein so übler Kerl.Als Cadhla von ihrer Familie zu erzählen begann, wurde sie mit einem Mal hellhörig. Das alles erinnerte sehr an ihr eigenes Schicksal. "Cadhla, das tut mir leid für dich. Mir geht es genauso. Ich weiß ebenfalls nicht, ob meine Familie noch lebt. Diese Ungewissheit ist schlimm." Schmerzliche Gedanken an ihre Heimat machten sich breit. Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie wollte es nicht wahrhaben, dass ihre Eltern tot sein könnten. Ablenken. Ja, das ist es. Sie müsste sich von diesen scheußlichen Gedanken ablenken, sonst würde sie noch für den Rest des Abends in Kummer verfallen. In diesem Augenblick fiel ihr die betrunkene Aintzane in den Blick. Wie sorgenlos sie doch in diesem Moment schien! Sie wandte sich wieder zu Cadhla. "Kannst du sie kurz an dich nehmen?" Behutsam löste sie sich von Tilla und schob sie leicht zu Cadhla. Danach schnappte sie sich einen Becher Met, trank einen großen Schluck und blickte wieder geistesabwesend in den hellen Feuerschein.
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Sie lauschte den Worten, die da ausgetauscht wurden und wusste selbst, dass sie nichts beitragen konnte, weder mit Gesten noch mit geschriebenen Worten. Hier war sie außerdem die jüngste in der Gruppe. Mit halb geschlossenen Augen sah sie die älteren Frauen an und liess sich bereitwillig von Minna zu Cadhla verfrachten. Tilla rutschte auf deren Schoß, umarmte sie erneut und blieb bei ihr sitzen. Immer noch schmerzte ihr Kopf. Tilla bettete ihn vorsichtig auf Cadhlas Schulter, linste wieder zu den anderen rüber.
Ihr war immer noch schlecht, die Abschürfungen und Prellungen schmerzten gerade nicht so arg. Sie bemerkte, dass Cadhla zitterte und nahm deren größere Hand in die ihre. Tut mir leid. Und damit meint sie alles was Cadhla und ihrer Familie geschehen und was sich in den letzten Minuten hier bei dem Opferfest ereignet hat. Sie hätte nicht auftauchen und auf dem Baum klettern sollen, dann wäre Ursus bestimmt nicht gekommen und... Ein Weile noch drückte sie Cadhlas Hand, bis Tilla neue Tränen über die Wangen laufen. Sie hatte dieses Fest gestört und fühlt sich nun schuldig. Beschämt verbarg sie ihr längst verheultes Gesicht. Tilla fühlte sich klein und unwissend.
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Nun, irgendwie hatte er das Gefühl, daß die Sklaven selbst nicht so ganz genau wußten, was sie tun mußten. Vielleicht war es deswegen schief gegangen? Wie hatten sie glauben können, ein Ritual durchführen zu können, ohne jemanden dabei zu haben, der in der Lage war, es zu führen? Jemanden, der genau wußte, was zu tun war? Wußten sie nicht, daß die Götter leicht zürnten, wenn Fehler gemacht wurden? Aber vielleicht war ja auch das bei ihnen anders.
In Ermangelung genauer Anweisungen goß Ursus nun doch auch noch einen Schluck Met ins Feuer als zusätzliches Opfer. Dann seufzte er.
"Meine Eltern sind ebenfalls tot", sagte er leise. Sicher, er hatte noch Familie. Doch fühlte er sich wenig zu ihnen gehörig. Etwas, was er sicher nicht vor Sklaven erörtern würde.
Ihre Schicksale ließen ihn nicht kalt. Es war sicher schwer zu ertragen, nicht zu wissen, ob die Angehörigen noch lebten oder nicht. Doch Trost spenden konnte er ihnen nicht. Er war ja der Feind, dem sie ihr Schicksal zu verdanken hatten.
Mit zum Boden gesenktem Blick führte er seinen Becher an die Lippen und trank noch etwas von dem Met. Tilla weinte so furchtbar, doch er verstand nicht, warum eigentlich.
"Ich denke, ich sollte jetzt gehen und euch noch ein wenig allein lassen." Er störte ja doch nur. Sie wollten doch sicher ihre Erinnerungen austauschen. Da war er völlig fehl am Platze.
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Immer noch blickte Fiona in die lodernden Flammen des Feuers. Noch einmal sah sie die Bilder vor sich, als die Soldaten gekommen waren und alles um sie herum zerstört hatten. Erst als der Römer sich erhob und ein wenig des Mets opferte, sah sie zu ihm auf. Sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.
Wie es schien, hatte er auch seine Eltern verloren und sie spürte, es machte ihm wohl immer noch zu schaffen. Natürlich war sein Verlust nicht im mindesten vergleichbar, mit dem, was sie, Minna oder Cadhla verloren hatte. Sicher waren seine Eltern einen friedvolleren Tod gestorben, als es ihre eigenen getan hatten. Doch gleich, wie sie gestorben waren, es war ein Verlust.
"Sie sind nun sicher auch an einem besseren Ort" Sie versuchte ihn etwas zu trösten. Niemand, selbst ein Römer nicht, hatte es in der Trauer verdient, keine aufmunternde Worte zu erhalten.
Sein Entschluß, nun gehen zu wollen, beschämte sie auf eine eigenartige Weise, die sie sich selbst nicht erklären konnte.
"Oh bitte! Ich wollte dich nicht vertreiben. Bitte bleib doch noch.Es...es ist doch nicht deine Schuld, daß sie tot sind! Es waren andere die das getan haben."
Instinktiv hatte sie nach seiner Hand gegriffen und hielt sie immer noch in ihrer Hand. Auf eine unerklärliche Art fühlte sie sich zu ihm hingezogen. -
Ohne ein Wort der Gegenwehr 'übernahm' Cadhla Tilla und legte gleich die Arme um diese, nicht zuletzt, um ihr in ihrem kleinen Metrausch einen Halt zu bieten, aus dem sie nicht mehr so leicht ausbrechen würde. Sie selbst hatte nicht viel getrunken, und so blickte sie klaren Auges und wachen Verstandes in die lodernden Flammen, sprach nur leise, als Minna ihr von ihren eigenen Verwandten erzählte:
"Wir niemals wissen werden, und nicht können gehen zurück, um zu sehen. So es nur bleibt ein Weg, zu erinnern, nicht zu vergessen, was war schön, was war gut, auch wenn vielleicht noch leben. Es sagen Grundsatz von Driuden, dass wenn Du geben Gutes, dann Du bekommen dreifach zurück. Wenn du geben Schlechtes, Du musst bezahlen dreifach für Böses. Wenn wir denken gut an unsere Menschen, dann es ihnen geht gut, egal wo sie sind." Es war eine lange Rede für sie, und jedes Wort hatte sie wohlüberlegt ausgesprochen, es war eine Hoffnung, eine sehr kleine Hoffnung, aber es war eine Hoffnung, mehr als sie sonst hatten, mehr als sie bekommen würden. "Es sein geschehen, was geschehen, wir nicht können ändern. Wir nur ändern Zukunft durch Taten." Beruhigend streichelte sie Tillas Rücken, und hoffte, dass sie irgendwann aufhören würde zu weinen, einen wirklichen Trost konnte sie ihr nicht mit Worten spenden.Als sich Ursus erhob und gehen wollte, schüttelte sie den Kopf. "Du bist Mensch, dominus, und jeder Mensch leidet Schmerz. Jeder Mensch hat Tote, die er lieben, Menschen, die er verloren. In Nacht von Samhain alle Menschen denken an verlorenes und hoffen auf Besseres. Du nicht weniger oder mehr Grund haben, hier sein als wir." Nein, ihm grollte sie nicht, das konnte sie auch nicht. Er war es nicht gewesen, der sie niedergeschlagen und verkauft hatte, der sie in Ketten durch einen elenden Marsch in den Süden getrieben hatte, im Gegenteil, Ursus war einer der wenigen Menschen gewesen, die ihr hier eine Art Freundlichkeit erwiesen hatten, auf seine Weise.
Tilla etwas an sich drückend, richtete sie sich im Sitzen auf und räusperte sich, um dann im Dialekt ihrer Heimat Wort anzustimmen, deren Klang einem traurigen, getragenen Lied gleichkamen, und doch schien mehr darin zu schwingen als allein eine mit Melodie erzählte Geschichte - und Cadhlas Stimme klang nun rauh und doch voll, tiefdunkel, den Zauber einer fernen Heimat mit sich tragend, zu der sie voller Sehnsucht zu blicken schien."Wir reisen auf der ewigen Straße
vom gestern über das heute ins morgen
wir erfahren Leid und Schmerz und Sorgen
wir trinken von Lachen und Lust und Freude.Wir gehen einen endlos langen Weg
über Steine und Schmutz und Gefahren
vorbei an Dörfern und Flüssen und Wäldern
wir erfahren jeden Tag so viele neue Dinge.Wir verlieren Menschen in diesem Leben
Geliebte und Gehasste und Gleichgültige
vermissen jene, mit denen wir lachen durften
betrauern den gefallenen Feind.Lasst uns nach vorn schreiten und zurück blicken
um zu lernen und zu erkennen
warum unser Weg uns führt
und wir sind wie wir leben."*[SIZE=7]* sim-off: Der Einfachheit halber übersetzt.[/SIZE]
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Bei Cadhla fühlte sie sich nicht minder wohl als bei Minna. Es war einfach gut, jemanden bei sich zu spüren, der sich um sie kümmerte und auch festhielt. Schniefend linste sie durch die vom Weinen verquollenen Augen zu Cadhla auf und umarmte die Ältere, wobei sie abermals den Kopf wieder auf deren Schultern ruhen liess. Es sein geschehen, was geschehen, wir nicht können ändern. Wir nur ändern Zukunft durch Taten. Das klang gut. Das sanfte Rückenkraulen trug dazu bei, dass Tilla sich langsam wieder beruhigte.
Auch sie sah auf, als Ursus meinte nun gehen zu wollen, lauschte Cadhlas Worten. War sie etwa die einzige, die keine Toten zu beklagen hatte? Dann gehörte sie erst recht nicht hierher. Aber gehen wollte sie auch nicht, eben weil Cadhla da war. Mit dem Handrücken wischte sie die Tränen von den Wangen weg und hielt sich mit der Umarmung an der Älteren fest, spitzte die Ohren, als Cadhla plötzlich anfing zu singen. Eine schöne Stimme hatte die Ältere... schoß es dem stummen Mädchen durch den Kopf. Nur noch wenige Tränen rollten aus Tillas Augen, als ihr die Lider zufielen. Das einzige Geräusch, was sie nach dem Ende von Cadhlas Lied von sich gab, war ihr ruhiger Atem. Sie saß schlafend und ohne jegliche Verkrampfung in Cadhlas Armen. Ein schmaler Arm löste sich aus ihrer Umarmung und fiel geradewegs langsam von der Schulter rutschend in die Hand der Älteren. Mit dem Schlaf, der sie während dem Lied überrumpelte, begab sich Tilla in Cadhlas Hände.
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"Du hast mich nicht vertrieben", beruhigte Ursus Fiona, deren Namen er nicht einmal kannte. "Ich weiß, daß ihr mir keinen Vorwurf macht. - Und doch hätte ich dabei sein können, verstehst Du? In einem Jahr werde ich mein Tribunat antreten. Auch wenn ich da vermutlich auch nur Verwaltungstätigkeiten zugewiesen bekomme, könnte es sein, daß ich in Kämpfe verwickelt werde. - Wer weiß, vielleicht gibt es dann Menschen, die Grund haben mich zu hassen, so wie ihr die Angreifer auf eure Familien haßt." Auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, Frauen, alte Leute oder gar Kinder zu töten. Krieger, das war etwas anderes. Die ließen sich bewußt auf Kämpfe ein und trugen damit das Risiko des Todes immer mit sich. Wie jeder römische Soldat eben auch.
Gerade wollte er Fiona seine Hand entziehen und tatsächlich gehen, da begann Cadhla zu singen. Er verstand kein einziges Wort, doch trotzdem ging das Lied sehr zu Herzen. So sehr, daß er sich einfach wieder setzte und mit leicht feuchten Augen zu Cadhla herüber blickte. Wie mütterlich beschützend sie Tilla im Arm hielt. Die Schildmaid, die Kriegerin. Sie sang wunderbar. Nicht lieblich zart, sondern volltönend und ergreifend. Diese Singstimme paßte zu ihr.
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Genau in dem Moment, als sich der Römer dazu entschlossen hatte zu gehen, begann Cadhla ihr Lied zu singen. Es war ein Lied ihrer Heimat. Auch Fiona kannte es. Cadhlas ergreifende Stimme, hielten ihn schließlich von seinem Vorhaben zurück. So setzte er sich wieder und Fiona richtete erneut einige worte an ihn.
"Das ist ein Lied aus unserer Heimat. Auch ich komme aus Britannia. Mein Name ist Fiona, Tochter von Llywellyn ap Glyngwyrdd. Mein Vater war ein Freund der Römer, doch das hat ihm letztlich auch nichts genutzt. Sei immer gerecht und verliere deine Güte nicht!"
Eindringlich sah sie ihn noch eine ganze Weile an, doch dann huschte ein sanftes Lächeln über ihre Lippen. Sie hatte seine feuchten Augen bemerkt, doch wollte sie ihn deswegen nicht bloßstellen. Es beeindruckte sie eher.
"Rhiannon, die große Göttin möge dich beschützen!" sagte sie schließlich. -
Nachdem sie geendet hatte, ließ Cadhla die letzten Töne des Liedes verklingen, sann den Klängen nach und hielt dabei Tilla still im Arm, ohne sich groß zu regen. Es war so lange her, dass sie dieses Lied in ihrer Heimat gehört hatte, und wahrscheinlich würde sie es niemals wieder hören. War dieses Leben wirklich vollkommen abgeschlossen, unwiederbringlich verloren für sie? Und solange sie nicht sicher wusste, dass ihre Eltern tot waren, wollte sie nicht um sie trauern. Noch nicht. Es war zu früh dafür, und sowohl ihr altes Leben als auch ihre Eltern betrauern zu müssen, jagte ihr einen Schrecken ein, der weit tiefer reichte als alles, was die Römer ihr jemals hätten antun können. Still glitt ihr Blick über die Gesichter der Anwesenden, übe Aintzane, die vom Met so trunken schien und wohl noch das beste Los von allen gewählt hatte, über Fiona, die so stolz und selbstsicher ihr Opfer dargebracht hatte und sich in Ursus' Nähe wohl zu fühlen schien, und der Römer selbst, dessen Augen schimmerten, als sie gesungen hatte. Hatte ihn ihr Gesang bewegt? Oder war es nur der Rauch des Feuers gewesen? So genau wollte sie es eigentlich nicht wissen. Tilla regte sich etwas in ihrem tiefem Schlaf, und schließlich löste sich Cadhla etwas, um unter den Körper des Mädchens zu greifen und sich mit ihr zu erheben.
"Ich sie bringen zu Schlaf in villa," erklärte sie leise, nicht wirklich eine Antwort erwartend. "Sie zu jung is für trinken so viel. Vielleicht zu jung für Leben wie dies." Behutsam drehte sie sich um und verließ den Kreis, ohne gesagt zu haben, ob sie zurückkehren wollte, aber angesichts dessen, wie Fiona sich im Sitzen Ursus zugewandt hatte, würde sie eher zurückkehren, um die betrunkene Aintzane auf einen anderen Schlafplatz zu führen - bevor sie noch den Heimweg selbst anzutreten versuchte und sich dabei irgendwelchen Verbrechern auf der Straße auslieferte. Auch in der Nachtwaren ihre Schritte sicher, Tilla war nicht zu schwer für sie, und so trug sie das Mädchen zurück in jene Schlafkammer, in der sie, wie sie wusste, ihr Bett hatte. Dort legte sie das Mädchen vorsichtig ab und deckte sie zu, nicht ohne ihr einen kaum merklichen Kuss auf die Stirn gehaucht zu haben. Sie sah so friedlich aus im Schlaf ... und innerlich seufzend blieb sie noch eine ganze Weile neben Tillas Bett stehen, sie schweigend betrachtend.
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"Fiona", wiederholte Ursus den Namen der Sklavin und atmete tief durch. War es richtig, daß er hier bei den Sklaven saß? Vermutlich nicht. Doch da er ja eh nichts richtig machen konnte in den Augen der Familie, kam es hier auch nicht mehr drauf an. Er fühlte sich in diesem Moment wohl und angenommen. Und auch wenn es nur Sklaven waren und er eigentlich weit über ihnen stehen sollte, tat ihm dies gut.
"Ich fürchte, den Namen Deines Vaters werde ich mir nicht so leicht merken können", lächelte er leicht. "Ich hoffe, ich entehre sein Andenken damit nicht."
Als Cadhla aufstand, um Tilla hinein zu tragen, nickte Ursus. Ja, das war sicher das beste. Auch wenn es etwas merkwürdig war, mit zwei fremden Sklaven am Feuer zurückzubleiben. "Danke für das wundervolle Lied, Cadhla", sagte er noch, als sie sich schon entfernte. E war sich nicht sicher, ob sie es noch gehört hatte.
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich gütig und gerecht bin, Fiona. Aber... ich werde mich darum bemühen. Schon allein im Angedenken an diese eigentümliche Nacht. Und für den Segen danke ich Dir, auch wenn ich Deine Göttin nicht kenne." Es war merkwürdig, daß sie ihn dem Schutz ihrer Göttin wünschte. Im Grunde wußte sie doch nichts über ihn. Und noch merkwürdiger war, daß er sich darüber freute.
"Ich fürchte, Deine Freundin da schafft den Heimweg heute Nacht nicht mehr." Er nickte zu der offensichtlich recht betrunkenen Aintzane herüber. "Cadhla soll euch nachher einen Schlafplatz zeigen. Wenn ihr das Haus morgen sehr früh verlaßt, solltet ihr um Ärger eigentlich noch herumkommen können." Zur Not mußte er das eben auf seine Kappe nehmen. Was machte es schon? Als Depp vom Dienst hatte er doch nichts zu verlieren. Und es wäre schlimmer, wenn den beiden in der Nacht auf der Straße etwas zustoßen würde.
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Fiona mußte schmunzeln, als der Römer ihr gestand, den Namen ihres Vaters nicht aussprechen zu können.
"Die meisten Römer tun sich schwer damit! Mit fremden Sprachen im allgemeinen. Sie haben zwar die halbe Welt erobert, doch können sie sich nirgends verständlich machen. Mein Vater hatte früher, als wir noch Kinder waren, darauf bestanden, daß meine Geschwister und ich die Sprache der Besatzer, ähm ich, Latein lernen."Sie errötete etwas, als ihr klar wurde, was und vor allen Dingen wem sie das gesagt hatte. Das Wort "Besatzer" war wohl noch das kleinste Übel dabei.
Seit jenem tragischen Tag, waren Römer in ihren Augen, nur noch Feinde, die keinerlei Sympathie verdient hatten, doch er hier war wirklich anders! "Entschuldige bitte!" lenkte sie dann ein. Nach einer Weile sprach sie dann weiter.
"Du entehrst nicht sein Andenken, wen du seinen Namen nicht aussprechen kannst! Keine Sorge! Dieser Kehllaut am Anfang ist aber auch wirklich schwierig zu sprechen!" sagte sie und grinste.
"Ich denke, du bist gütig und gerecht! Hättest du uns sonst hier feiern lassen? Würden wir hier sonst noch sitzen? Würdest du uns sonst eine Bleibe für die nacht anbieten. Ich habe schon so einiges erlebt, seit ich hier bin, doch du bist wahrlich eine Ausnahme und das meine ich nicht im lächerlichen Sinne. Nein, du bist etwas Besonderes. Danke dafür!"
Mit einem dankbaren und aufrichtigen Lächeln sah sie ihn an und sie wünschte sich , daß noch mehr so wären wie er. Ihr Leben war schließlich schon schwer genug. -
Ursus schüttelte den Kopf. "Nein, Du tust uns Unrecht, Fiona. Die meisten Römer können Griechisch. Ich übrigens auch. Eine große Menge Römer können auch Ägyptisch. Und ich weiß, daß viele der in Gallien lebenden Römer keltisch können. Hier in Rom freilich, da besteht keine Notwendigkeit, alle Sprachen des Imperiums zu beherrschen. Aber natürlich erwarten wir von den Menschen in den Provinzen, daß sie Latein können. Das ist nicht unbedingt Überheblichkeit, auch wenn es so wirken mag. Sondern eine Notwendigkeit. Die Amtssprache ist Latein. Damit alle Erlasse, alle Berichte, alle Abrechnungen und auch die Menschen überall im Imperium ausgetauscht werden können, braucht es eine gemeinsame Sprache. Gerade diejenigen, die die Legionen befehligen oder die als Statthalter eingesetzt werden, haben diese Posten nur für ein Jahr oder wenige Jahre inne. Sie sind mal ein Jahr in Ägypten, mal ein Jahr in Britannien, dann wieder in Griechenland oder Hispania oder Iudäa. Natürlich können sie nicht überall die Sprachen bis ins Detail lernen. Also nehmen sie sich Dolmetscher dazu." Es war einfach die andere Seite der Medaille. Aber er sah natürlich ein, daß es für die eroberten Völker so wirken mußte, wie auch sie es empfand.
"Daß ich euch hier feiern lasse oder euch einen Schlafplatz anbiete hat nicht mehr Bedeutung, als wenn Cadhla das gleiche für euch tut. Ich bin nicht der Hausherr, das habe ich vorhin schon einmal gesagt. Ich kann die Verantwortung dafür übernehmen und den Ärger versuchen auf mich zu nehmen, wenn ihr erwischt werdet. Aber wirklich schützen kann ich euch auch nicht. Also glaube nicht, daß mich das gütig und gerecht macht." Das war die lautere Wahrheit und er hatte keinen Grund, damit hinter dem Berg zu halten.
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Geduldig hörte sie ihm zu, ohne einen Einwand einzubringen. Sie war nicht mit allem einverstanden, was der Römer sagte. Doch sie wollte sich auch nicht mit ihm streiten.
"Du magst wohl recht haben. Doch es steht mir nicht zu, mit dir zu streiten." Verlegen sah sie zu Boden und eine unangenehme Stille entstand, die sie versuchte, in irgendeiner Art wettzumachen.
"Um zu sehen, ob jemand gütig ist bedarf es nicht unbedingt nur Taten, sondern der Wille allein ist Indiz genug dafür! Auch wenn du hier nicht der Hausherr bist, wir alle hier sind für euch doch weitaus geringer, als du es jemals sein wirst. Es wäre für dich doch ein Leichtes gewesen, uns beim Hausherrn zu melden. Doch du hast es nicht getan."
Niemals zuvor hatte sie die Gelegenheit gehabt, auf diese doch schon fast entspannte Weise, mit einem Römer zu sprechen. Wobei sie nicht so recht wußte, wie weit sie sich vorwagen durfte.
"Wie heißt du eigentlich?" wollte sie dann schließlich noch wissen. -
"Heue Nacht sind irgendwie alle sonst gültigen Regeln außer Kraft gesetzt." Zumindest hatte er das Gefühl, daß es so war. "Wie an den Saturnalien, verstehst Du? Du kannst ruhig sagen, was Du denkst, es passiert Dir nichts, wenn Du anderer Meinung bist als ich."
Natürlich konnte das genauso gut ein leeres Versprechen sein. Er hatte im Grunde fast absolute Macht über sie und ihr Schicksal. Das wußte er zwar, aber er war einfach nicht der Mensch, der mutwillig so etwas ausnutzte.
"Ursus. Titus Aurelius Ursus", stellte er sich vor und lächelte leicht. "Warum sollte ich euch melden? Er schläft, soll er doch schlafen. Ich habe großen Respekt vor den Göttern. Und vor den Geistern der Verstorbenen. Wäre dies einfach nur ein Fest zu eurem Vergnügen gewesen, dann hätte ich euch vielleicht gemeldet." Selbst da war er sich nicht sicher. "Aber ihr seid aus religiösen Gründen hier. Richtig finde ich es immer noch nicht, daß ihr nicht vorher um Erlaubnis gefragt habt. Aber euch zu verraten, - was hätte ich denn davon gehabt, außer Ärger?"
Außerdem war es unklug, sich auf solch leichtsinnige Weise Feinde zu schaffen. Selbst wenn es sich dabei nur um Sklaven handelte.
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