Eine Insel im Lacus Mareotis | Villa Eos

  • Kritias versuchte, die Luft anzuhalten. Doch der Drang, zu atmen, überwältigte ihn, sodass er plötzlich sehr geräuschvoll ausatmete und wieder einatmete. Er drückte die Hand auf seinen Mund und seine Nase. Sandig und blutig war sie. Der Schlick des Seeufers duftete schwer und wie metallenen.


    Ein Schrei. Sie haben entdeckt- Kritias brach seine Starre und kroch so schnell es ging in Richtung des Kahnes, der noch immer im Schilf verborgen lag. An einem Stein stieß er sich das Knie blutig. Er verlor einen Schuh. Endlich errreichte er das Ufer. Jetzt krabbelte er weiter, ohne zu zögern. Laut spritzte das Wasser, als er auf allen Vieren darin eintauchte. Sein Herz klopfte. Er schnappte nach Luft, wie ein Ertrinkender unter Wasser. Da war der Kahn. Er streckte die Hände nach ihm aus und brachte dabei das Boot in Schieflage.


    Ein unterdrückter Schmerzensschrei von Kritias. Er ließ das Boot los und sank zurück ins Wasser. Er bewegte sich nicht. Jemand - der Fährmann oder der Herr selbst- hatte heißes Lampenöl auf die Hände des Spähers geschüttet. Eine Weile war Kritias vor Schmerz wie gelähmt. Dann gelang es ihm, den Kopf über Wasser zu halten. Viel Wasser hatte er geschluckt.


    "Rasch! Wir müssen fort! Sie haben uns-"


    "Sei still. Wir bleiben. Ihr habt schlechte Arbeit geleistet. Damit müssen wir nun leben. Wir werden die Sache nicht abbrechen. Unter keinen Umständen. Auch nicht unterbrechen. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Daher werde ich euch auch erst strafen, wenn wir wieder auf der anderen Seite sind. Dich werde ich strafen. Du bist verantwortlich."


    Die Stimme des Herren war eisig. Er erhob sich und stieg aus dem Boot. Das Paket führte er mit sich. Der Fährmann folgte ihm mit der Laterne. Erst, als beide im Schilf verschwunden waren, wagte Kritias, ins Boot zu klettern. Im Mondlicht erkannte er, dass seine Hände Blasen schlugen.


    Die beiden anderen Männer hatten das Ufer erreicht. Kein Licht war mehr zu sehen. Die Inselbewohner schienen ihre Suche abgebrochen oder an einer anderen Stelle fortgesetzt zu haben.


    Scheinbar ohne Angst vor Entdeckung erkundete der Herr die Insel. Der Fährmann musste ihm wohl oder übel folgen. Bis in die Nähe des Hauses ging er im Schutze der Bäume. Alles war verwildert und das Haus schien etwas heruntergekommen - doch es war wunderschön.


    "Ich will es haben.", sagte der Herr plötzlich.


    "Das Haus?!?", flüsterte der Fährmann zurück.


    "Das Haus, so ist es."


    "Und das Geheimnis?"


    "Wir machen kehrt. Wir suchen eine andere Insel."


    "Bist du-"


    Beinahe hätte der Fährmann laut am Verstand des Herren gezweifelt. Das war dem Herren wohl bewusst. Aber es schien ihm gleichgültig.


    "Ich bin all das, was ich bin, und sei es wahnsinnig. Wir gehen zurück zum Kahn."


    "Es gibt tausend schöner und schönerer Häuser- du kannst dir das schönste Haus der Welt bauen, du bist reich wie-"


    "Man soll seine Heimstatt nicht mit einem Fluch belegen. Wir machen kehrt."


    Das galt als Befehl. So war die Mitternacht längst überschritten, als die Bleilammellen auf einer anderen Insel in der Erde vergraben waren. Jahrhunderte lang sollte niemand sie entdecken.

  • Die Wangen werden bleich, der schönen Augen Zier
    Vergeht, gleich als der Schein der schon verbrannten Kerzen.
    Die Seele wird bestürmt gleich wie die See im Märzen.
    Was ist dies Leben doch, was sind wir, ich und ihr?
    -Gryphius


    Der Blutegel saugt sich voll. Er schwillt an. Angewidert schielt Cethegus auf das schwärzlichrote Gebilde auf seiner Haut. Der Medicus setzt weitere Egel an. In einem Halbkreis um Cethegus' rechte Flanke. Ein aufgedunsener Kranz. Feuchtglänzend. Wie Auswüchse der Haut. Schwarze Wucherung.


    “Dies wird das überhitzte Blut aus deinem Körper ziehen. Sieh, die gelbgallige Tingierung.“


    Der sieche Claudier schnaubt unduldsam. Lässt den Kopf zurück auf das Kissen sinken. Sieht über sich den seidenen Betthimmel. Jeder Stich der Stickerei darauf, jedes Detail des Faltenwurfes hat sich ihm längst eingepägt. Eingraviert in seinen Geist! Tief! Unerträglich ist diese Krankheit. Unerträglich die Schwätzer die sich Ärzte schimpfen.


    Die Lamellen vor den Fenstern lassen nur einen schwachen Schein in das Schlafgemach dringen. Cethegus' Sinne sind überreizt. Er toleriert nicht mehr Licht. Keine lauten Stimmen. Keine groben Eindrücke. Die schweren Möbel, die opulenten Stoffe des Gemaches wollen ihn erdrücken. Die aparten Ägypterinnen sind nur mehr lästig. Wie ein heißer Nebel umwölkt ihn das Fieber. Ein Juckreiz quält ihn, da wo die Blutegel sich festgebissen haben. Derart niedergestreckt zu sein auf sein Lager, Cethegus, großer Geist, Forscher, Entdecker - kann es ein größeres Elend geben?
    Dem Leiden mischt sich Groll bei. Sie ist fort. Sie hat nicht gewartet. Hat ihn im Stich gelassen, verließ die Insel, floh das Paradies. Verwaist ist die Insel ohne Circe. Was bleibt ohne sie? Der Zauber überdauerte nicht ihren Fortgang.
    Ärger noch ist die Wut auf den Vater. Der alte Narr. Hat ihn fortgeschickt. Ihn verstossen. Ihm das Liebste geraubt. Nicht mal mehr Geld schickt er seinem Sohn. In seinen Fieberträumen nimmt Cethegus blutige Rache.
    Ganz zu schweigen von der Mutter. Die reist lieber herum. Amüsiert sich mit ihrem neuesten Gatten. Verlustiert sich auf Paros. Denkt nicht einmal daran, ihrem kranken Sohn beizustehen. Diese Familie ist von Grund auf verdorben. (Nur der Halbbruder Severus findet Gnade vor Cethegus' Augen. Der hatte zumindest den Anstand zu sterben und ihm seinen Besitz zu überantworten.)


    Es ist das Schicksal großer Geister alleine durchs Leben zu gehen.
    Schmerzlich vermisst der Claudier seinen Antares. Treuester Freund. Auch er hat Cethegus verlassen. Der Tod hat ihn hinfortgerissen. A propos Antares.... -
    Ein Löffel klackt an Glas. Ob des lauten Geräusches verzieht Cethegus leidend das Gesicht. Der Medicus rührt einen Sud von Neembaumrinde an. Setzt ihn dem Kranken an die Lippen. Bitteres Zeug. Widerstrebend trinkt der Claudier. Sodann werden die Egel entfernt. Ein abscheuliches Schauspiel. Es juckt immer noch.


    “Ich werde Dir einen Diätplan aufschreiben. Du musst ihn streng einhalten. Vorwiegend kalte und feuchte Speisen. Solebäder. Moderate Bewegung. Enthaltsamkeit. Damit wirst du die Eukrasie wiedererlangen.“


    “Meinetwegen. Du kannst gehen.“


    Unleidig winkt Cethegus den Medicus von dannen. Der verlässt indigniert den Raum. Der Claudier ist ein anstrengender Patient. Im Vorzimmer bespricht der Medicus sich mit Myron, und lässt sich den Ärger mit einem Aufpreis vergelten.


    A propos Antares...


    “Myron!“ tönt es aus dem Schlafzimmer.


    “Ja Dominus Claudius?“ Der Sklave ist auf der Hut, als er eintritt.


    “Was hat Lycidas vom Neujahrsagon berichtet?“


    “Herr, Lycidas ist noch nicht wieder zurück. Doch ein Steinmetz aus der Stadt berichtete mir heute morgen, dass der Sieg an die Philolaos-Enkelin ging.“


    “Ah ja. Hol Schreibzeug. - Hm. Aber seltsam. Wo bleibt der Junge nur?“

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