Quantus tremor est futurus ...

  • Wer schonmal über einen Wochenmarkt in einer Metropole wie Flaviobriga geschlendert ist, und Eier auf seinem Einkaufszettel stehen hat, wird unweigerlich fündig werden, denn - und das ist kein Wunder - es gibt welche. Schöne braune Eier von glücklichen durch die Gehöfte streunenden, von ihren Hähnen weitgehend emanzipierten Hühnern, die mal ein, mal zwei Eier am Tag legen und so ihre Existenz täglich erneut begründen.


    Wer schonmal über einen der täglich stattfindenden Märkte in einer Metropole wie Roma geschlendert ist, und Eier auf seinem Einkaufszettel stehen hat, wird unweigerlich in Not geraten, denn - und das ist kein Wunder - es gibt welche: Wachteleier, Gänseeier, Enteneier, Rebhuhneier, Straußeneier und hie und da auch mal ein Hühnerei.


    Wißt ihr was ich meine? Wer in Flaviobriga ein Ei will, kriegt eins, in Rom muß er sich entscheiden, was es denn - bittschön, goarschön - denn sein soll. Ich bin ja nun nicht auf den Kopf gefallen, jedenfalls nicht oft, wenigstens seit ich aus dem Birnbaum von Pedros Eltern fiel, das war vor einem Jahr und die Birnen waren noch nicht einmal reif, aber gut, lassen wir das.


    "Hast du bereits Pläne für deinen zukünftigen Weg gefasst?" hat mich Großonkel Gracchus gefragt, "was willst du werden?", "was möchtest du lernen?", "wohin soll Dein Weg Dich führen?" - Äh. "Fischer? - Cnaeus Flavius Piscator?" Ich schwanke zwischen dem Götterkult und der öffentlichen Laufbahn - hab' ich mir gedacht - und ein As geworfen. Das As ist mir in einen Abguß, der in die cloaca führt, gerollt, ich bin so schlau als wie zuvor.


    "Quantus tremor est futurus", eigentlich habe ich keine Angst vor dem was kommen wird, egal was kommen wird, aber werde ich in Zukunft Angst haben müssen?


    Wohin soll ich mich wenden? - Nicht verzagen Sibylle fragen, so heißt's doch immer. Darum bin ich hier.


    Hallo? rufe ich in den großen Raum Hallo? [SIZE=7]Hallo?[/SIZE]


    Sibylle? rufe ich in den großen Raum Sibylle? [SIZE=7]Sibylle?[/SIZE]


    Ein Echo. Prima.

  • Eifrig darum bemüht nicht entdeckt zu werden, lugte die Priesterin hinter einer Säule hervor und beobachtete jeden Schritt, den der junge Mann im Raum tat. Sie war selbst kaum älter als er, vielleicht sogar jünger. Fesch sah er aus, sicherlich wollte er sich beim Orakel erkundigen, ob seine Liebste ihm auch im Herzen zugetan war.


    Da die junge Priesterin barfuß war, war ihr Schritt kaum zu hören. Verstohlen trat sie hinter Lucanus, der nach der fragenden Begrüßung den Namen der Sibylle in die Stille rief.


    "Wenn dich eine Frage drängt, so werde ich sie der Sibylle überbringen. Natürlich nur, wenn du die Götter mit einer entsprechenden Gabe beschenkst."

  • Uff. Habt Ihr mich erschreckt, Priesterin. Ihr kommt auf so leisen Sohlen heran - wie Straton, der griechische Sklave meines Onkels Flavius Aqulius. Das führt aber jetzt zu weit.


    Ehrwürdige Frau, ich habe leider nur zwanzig, nein, leider nur noch neunzehn Asse - den einen hatte ich ja bei meinem selbstgestrickten Obvers-Revers-Orakel verloren.


    Ist das genug? Wenn nicht, gelobe ich Sibylle bei den dii manes, das doppelte der regulären Gabe zu stiften, sobald ich mir ein wenig Geld verdienen kann; die neunzehn Asse sind der ganze Rest meiner Erbschaft. Wenn ich das nicht tue, sollen sie mir Schaden zufügen bis ich mein Gelübde halte. Aber gefälligst nicht länger; sowas konnte ausarten, wenn man nicht aufpaßte.


    Und ja, ich habe eine drängende Frage an die Sibylle.


    Sonst wäre ich ja nicht hier. Oder glaubt die Priesterin, ich wäre auf Bildungsreise?

  • Irgendwie schien das nicht sonderlich anzukommen - und eine 19-Asse-Antwort wollte ich eigentlich auch nicht bekommen.


    Oder meinst Du, ich soll später nochmal wiederkommen?


    Wahrscheinlich krallt sich die Priesterin den Weihrauch und schnüffelt dann heimlich den ganzen Rauch auf, um Apoll zu zu begegnen wie die Pyhtia in Delphi.


    Sim-Off:

    Da Luca inzwischen WiSIM-Kohle im Keller hat, hat er ordentlich Dienst nach Vorschrift gemacht und Sibylle ein Abgebot unterbreitet.

  • Die junge Frau lächelt nachdenklich. Verzweifelte kommen oft zur Sibylle, doch die Priesterinnen kämen überhaupt nicht mehr aus der Trance hinaus, wenn sie jede Frage ergründen würden, nur weil es einen Menschen drängt. Schnelle Orakelsprüche für ein paar Asse kann man sich unter den Kolonnaden des Circus Maximus kaufen, aber wer die Sibylle konsultiert, dem muss das schon etwas wert sein - nicht materiell, sondern den Aufwand.


    "Und," fragt sich dann ein wenig in die Länge gezogen, "was, wenn das Orakel dir prophezeiht, dass du niemals zu Geld kommen wirst? Soll dein ganzes Leben dann von Schaden gezeichnet sein?" Lachend schüttelt sie den Kopf. "Das kann ich schwerlich verantworten."



    Sim-Off:

    Die Sibylle bevorzugt den Orakel-Weihrauch, der im Handelskontor von Tylus zu erwerben ist. Nichts verklärt die Sinne besser als der Stoff aus dem Orient.

  • Ich starre die junge Priesterin an: die hatte wohl zu lang im caldarium am Frauentag verbracht, oder wie? -.^


    Priesterin, meine Frage an die hochehrwürdige Sibylle hat nichts mit Geld zu tun, ich will nicht wissen, wieviele arcae ich am Ende meines Lebens mein eigen nenne oder ob selbst eine leere arca meinen materiellen Besitz an Wert übersteigt.


    Und nicht an Dir ist es, die Verantwortung für die Folgen meines Gelübdes zu schultern, sondern allein an mir. Aber da Dir offenbar wenig an heiligen Gelübde aufrechter Menschen gelegen ist, werde ich mich aufmachen und den geforderten thus besorgen, sobald ich Geld dafür habe. Dann komme ich wieder. Die Zeit werd' ich auf eine Antwort warten können.


    Vale.


    Sprach's, drehte sich um 180° um die eigene Achse und ging hinaus.

  • Sibylle! Sibylle! Sibylle! Sibylle! [SIZE=7]Sibylle![/SIZE]


    Das Echo fasziniert mich ungemein, meine helle Jünglingsstimme, rein und klar breitet sich im ganzen großen Raum aus.


    Ich habe Thu-hu-hus Thu-hu-hus Thu-hu-hus Thu-hu-hus [SIZE=7]Thu-hu-hus [/SIZE]dabei!


    Ich singe in absteigenden Tönen, so daß sich ein wunderbares und gänsehauterzeugendes Klangkissen um mich legt


    Eigentlich sollte ich etwas respektvoller sein, aber zu einen hat die Priesterin nicht viel davon bislang verdient und andererseits bin ich heute besonders aufgekratzt: es hat geregnet, einen warmen schönen Guß vom Himmel, rorate coeli desuper!, und danach erschienen drei Regenbögen, die die Kuppel des Firmaments überspannten, eine Seltenheit, die mich völlig vergessen ließ, daß ich völlig durchnäßt bin.


    Ich fahre mir durch mein naßes Haar und schüttele es, sodaß feine Wassertröpfchen herumwirbeln.


    Hallo! Haaa-llo! Hallo! Haaa-llo! Hallo! Haaa-llo! Hallo! Haaa-llo! [SIZE=7]Hallo! Haaa-llo! [/SIZE]


    Sim-Off:

    Angebot steht.

  • An diesem Tag wachte eine alte Priesterin im Eingangsbereich des Orakels. Denn längst gab es nicht nur ein einziges Medium in diesen Gewölben, ebenso wie eine ganze Priesterschaft sich um sie herum angesammelt hatte. Das Echo nach der Sibylle reißt die Alte aus ihren Gedanken. Die absteigenden Gesänge lassen sie die Augen in Empörung auseinander gehen. Das Fass zum überlaufen bringt allerdings die Tatsache, dass der junge Bursche, der da im Raum steht und vor sich hinträllert, nun auch noch den Regen auf dem Boden verteilt wie ein räudiger Hund, der sich das Nass aus dem Fell schüttelt.


    "Hat man dich keinen Respekt gelehrt, junger Herr?" durchfährt ihre schneidende Stimme das letzte verklingende Echo. Ihre eigene Stimme ist dunkel und fast ein bisschen krächzend, so dass sich kein schönes Echo daraus ergibt. Nur ein leises 'er-er-er' klingt nach, während sie zu Lucanus schlurft.


    "Dies ist ein sakraler Ort und kein Spielplatz und keine Rhetorikbühne! Was willst du?" Er sieht nicht aus, wie einer, der sich den ernsthaften Fragen des Lebens stellen will. Aber auch nicht wie einer von den Straßenjungen, die den Priesterinnen regelmäßig ein paar Opferkekse abschwatzen. Eher wie einer, der sich voll getrunken hat mit Liebe oder Wein - Glück ist bekanntlich in beidem zu finden - und sich nun nach der Antwort auf die alles drängende Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest sehnt, die noch immer 42 heißt, was aber kaum jemand wahrhaben möchte oder zufrieden stellt.

  • Den Göttern sei Dank ist es nicht das gleiche schnippische Mädchen wie beim letzten Mal. Aber trotzdem bin ich buchstäblich vom Regen in die Traufe gekommen. Die Alte hatte - ihrer krächzend-rauchigen Stimme nach zu urteilen - schon viele Jahre schon viel zu tief ihre Nase in den Kessel mit Weihrauch gesteckt. Die Gesangskarriere der Priesterin war zweifelsohne sein Generationen zu Ende.


    'Ich hätte gern ein Pfund Rinderschulter' sage ich beinahe. Was ist mir mir los? Sonst bin ich doch auch nicht so, so burschikos, glaube ich, ist das richtige Wort. Ist's der Weihrauch? Oder haben mich die Töne in Schwingung versetzt, ist die Musik für meine Hochstimmung verantwortlich? Was hatte Pythagoras ...? Egal. Später.


    Ehrwürdige Mutter, verzeiht. Verzeiht auch meinen nassen Auftritt - es hat vorhin geregnet.


    Ich hätte ein Handtuch dabei haben sollen - so ziemlich das Nützlichste was man - nicht nur angesichts des Wetters - mitsichführen kann.


    Ich habe eine Frage an die Sibylle. Es ist eine ernsthafte Frage, die Antwort darauf wird mein Leben bestimmen.

  • Gerade mal so lässt die Priesterin die Entschuldigung durchgehen. Sie war schließlich auch irgendwann einmal jung - auch wenn das schon ziemlich lang her ist, denn sie hat schon alle Kaiser seit Claudius miterlebt. Aus diesem Grund empfindet sie fast auch ein bisschen Mitleid für Lucanus. Diese Fragen, deren Antworten das ganze Leben bestimmen, sind tatsächlich eine Plage, die man sein Lebtag nicht mehr los wird. Mit dem Unterschied, dass sie im Alter nicht mehr ganz so wichtig erscheinen, denn das Leben, das sie dann bestimmen, ist sowieso nicht mehr lang.


    Ein bisschen milder ist ihre Stimme deswegen als sie antwortet. "Dann lass mich sehen, was du als Opfer für die Götter dabei hast." Viel wichtiger als ein Handtuch ist in diesem Augenblick das passende Göttergeschenk. Die Alte lässt ihre knorrige Hand durch den Beutel mit Weihrauch wandern und schnuppert daran. Sie reibt ein paar Körner aneinander und zieht den Duft durch ihre Nase, bevor sie mit einem zufriedenen Lächeln nickt.
    "Nun stelle deine Frage, ich werde sie der Sibylle überbringen."

  • Der Weihrauch gefällt ihr. Die Alte und ich haben denselben guten Geschmack, naja, Geruchssinn. :)


    'Quo vertam? Soll heißen: Wohin soll ich mich wenden? Wie soll ich meiner Familie, dem Kaiser und dem Staat dienen? Welchen Weg soll ich einschlagen'?


    Das ist meine Frage an die Sibylle.


    Es sind vier Fragen, aber nur ein einziger Sinn.



    [SIZE=7]edit:/ Duden[/SIZE]

  • Vier Fragen oder eine einzige, der Priesterin ist es gleich. Die Sibylle würde ihre Antwort finden wie immer. Doch mehr Fragen als Antworten bringen nur um so mehr Verwirrung ins göttliche Spiel, ebenso wie mehr Antworten als Fragen.


    "Warte hier, junger Herr, ich werde der Sibylle deine Frage überbringen." Mit wogenden Schritten und ohne Lucanus noch eines Blickes zu würdigen, geht die Alte zum Orakel davon. Die Zeit scheint sich zu dehnen während sie die Teilstück aus Licht und Schatten durchschreitet. Aus dem Licht in den Schatten, aus dem Schatten ins Licht, nur um wieder im Schatten zu vergehen.



    Ein Handtuch, gefaltet, um den Kopf während der Wartezeit darauf zu legen, wäre jetzt sicher nicht verkehrt. Während Licht und Schatten sich noch abwechseln, verschluckt die Orakelkammer die alte Priesterin. Stille breitet sich aus. Dann, langsam, erhebt sich ein Summen, vielleicht aus der Orakelkammer, vielleicht aber auch um Lucanus herum. Vielleicht ist es Weihrauch, der den Gang entlang schwebt, vielleicht sind es die Manen seiner Vorväter, die kommen, um Lucanus auf seiner Suche beizustehen, vielleicht sind es die Larven seiner verstorbenen Anverwandten, die kommen, um Lucanus auf seiner Suche in den Wahn zu treiben. Vielleicht ist es der Regen, der unablässig vor dem Heiligtum auf den Steinboden tropft, vielleicht ist es der Herzschlag der Götter. Vielleicht ist es der Geruch nach Weihrauch, der langsam auch Lucanus umgibt, vielleicht ist es der Geruch, welcher den göttlichen Gefilden entschwebt, wenn sie sich zur Erde hin öffnen, vielleicht ist es der Geruch des Orcus, denn auch dieser hält Antworten parat. Vielleicht sind es die Klänge einer Lyra, welche aus der Ferne herüber wehen, vielleicht ist es der Gesang einer Sirene, vielleicht ist es nur der Wind. Vielleicht vergehen nur Sekunden, vielleicht vergehen aber auch Minuten und vielleicht vergeht Zeit, die nicht gemessen werden kann, während Lucanus auf die Antwort seiner alles entscheidende Frage warten muss.

  • 'Eigentlich könnten die hier die Acta diurna auslegen', damit man was hat, was die Wartzeit überbrückt und bildet. Was Senatorin A neulich bei einem Bankett von Senator B getan hat, welcher Sohn von Senator C mit welcher Auszeichnung bedacht wurde, welche Tochter von Plebejer D mit dem Sohn von Senator C ... undsoweiter. Kurzweiliger Klatsch - wie von Plautus. Nicht einmal Bänke zum Sitzen.


    Ungeduld, Du Schatz der hoffnungsfrohen Jugend! Geduld, Du Eigentum des resignierten Alters.

  • Irgendwann verklingt das Summen in ein leises Hintergrundrauschen. Irgendwann verweht der Weihrauch durch die Zwischenräumen hinaus ins Freie. Irgendwann legt sich der Geruch und hinterlässt der feinen Nase eine seltsame Leere. Irgendwann ebbt der Gesang zu Stille ab. Nur das beständige Tropfen des Regens hört nicht auf.


    Und auch die Zeit bleibt nicht stehen, doch ihre eintönige Monotonie wird von der Alten durchbrochen, die langsam den Gang vom Orakel her zu Lucanus schlurft. Seltsam profan sieht sie aus. Wie eine alte Frau eben, wie so viele alte Frauen in Rom. Runzlige Haut, fahle, graue Haare, ihr Gang bebückt. Vor dem jungen Mann hebt sie ihre knochige Hand, über der sich die Haut spannt, und hält ihm eine geschlossene Wachstafel hin.
    "Dies ist die Antwort der Sibylle auf deine Frage."



    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskiert, dass im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weisheit fand.
    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.
    Magst du wählen zwischen Rüben oder Kraut,
    Am Ende wird es nur in dir verdaut,
    Drum iss, um deinen Magen stets zu füllen,
    Deinen Geist in Höheres zu hüllen,
    Denn solange dich hehres Tun geleitet,
    Der Weg zum Gehen dir wird bereitet.

  • Ich bin beruhigt. Ohne länger auf die Tafel zu sehen, merke ich, daß da nicht ein Satz steht, "geh' zum Militär - und sterben" oder "hispanisches Landei - dumm geboren und dumm geblieben" oder etwas derartig offensichtliches. Der Weihrauch war gut gewesen und hatte offenbar die Sibylle red- oder schreibselig gemacht.


    Die Tafel nehme ich von der alten Frau entgegen, verstaue sie unter meiner Kleidung.


    Vielen Dank, ehrwürdige Frau, sage ich und verneige mich leicht.


    Den Spruch werde ich zuhause in Ruhe lesen, auswendiglernen und zu verstehen versuchen.


    Dann trete ich hinaus in den Regen.

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