• = Die nackte Wahrheit


    Es war später Nachmittag, als ich mich schlussendlich aus dem Bett quälte. Mein Kopf dröhnte trotz der guten Qualität des Weines vom Vorabend. Feuchtfröhlich waren die Meditrinalia zu Ende gegangen. Wann, wusste ich nicht mehr. Und wo auch nicht. Und schon gar nicht, wie ich hierher gekommen war. Kurz vor Mittag nämlich war ich in meinem Zimmer aufgewacht, hatte mich übergeben und dann selig weitergeschlummert. Bona Dea, dieses Exzess-Saufen war nichts für mich, definitiv. Wie hielten das nur diejenigen aus, die mehrmals die Woche zu Gastmählern und Orgien geladen waren? Käsig und schwindelnd setzte ich mich auf. Irgendwer hatte die Fenster weit geöffnet und das Erbrochene fortgeräumt. Vermutlich der gleiche Jemand hatte mich meiner toga entledigt. Mit einer an der Schläfe pochenden Ader sah ich mich im Raum um. Herrje, war das hell hier drinnen! Ich zog eine Grimasse und stand dann auf, um die Vorhänge zuzuziehen. Das heißt, ich wollte es, aber als ich stand, schwankte ich schwächlich wie eine kleine Jolle bei rauher See. Miesepetrig setzte ich mich wieder. Dann kam mir ein Einfall.


    "He", brüllte ich und bereute den lauten Ruf im gleichen Moment. Als der Schmerz hinter der Stirn allmählich wieder gemächliche Gedanken zuließ, bemerkte ich Sofia, die den Kopf zur Tür hereingesteckt hatte. "Oh, dominus, du bist wach, das ist ja prima. Möchtest du etwas trinken oder essen oder soll ich-" plapperte sie in ihrer nervtötenden Art und Weise. Zumindest, bis ich sie unterbrach, indem ich entnervt ein einziges Wort knurrte und gleichzeitig mit der Hand wedelte. "Cadhla." Sofia blinzelte, gehorchte aber wortlos. Ich ließ mich, auf dem Bett sitzend, zur Seite kippen wie ein gefällter Baumstamm.



    Anderenorts
    Sofia hastete um die nächste Ecke und prallte dabei fast mit Alexandros zusammen, der sich tierisch erschreckte. "Ach Gottchen, hast du mich erschreckt!" "Entschuldige, Drossi, war keine Absicht. Der Herr ist von den Toten auferstanden und will Cadhla sehen. Weißt du, wo sie steckt?" "Hm, Momentchen... Mal überlegen. Vorhin hat sie Niki geholfen. Vielleicht versuchst du es mal in der culina? Sonst hab ich keine Ahnung." "Na gut. Danke! ....übrigens, was hast du da an?" "Das? Ach schau, du bist die erste, der es auffällt! Ich hab's selbst genäht, aus Stoffresten von Sisennas neuer tunica... Gefällt's dir?" "Uh...äh...öh....hm. Najaaa..." machte Sofia und beäugte das äußerst maskulin wirkende, roséfarbene Kleidungsstück mit ungeschickter, fliederfarbener Stickerei. "Weißt du...ich muss los. Er hat eh schon schlechte Laune..." rettete sie sich und huschte davon. Zurück blieb ein enttäuschter Alexandros.


    "Cadhla! Da bist du ja!" rief Sofia schließlich, als sie die Angesprochene gefunden hatte. "Der dominus ist wach und wünscht dich zu sehen. Am besten nimmst du einen Krug Wasser mit und eine leichte Mahlzeit. Er hat zwar nichts gesagt, aber 'gut' sieht anders aus", teilte sie der Mitsklavin mit und grinste breit.

  • Cadhla hatte gerade einer anderen Sklavin geholfen, Weinamphoren - die großen, nicht die kleinen - in der Vorratskammer sauber zu stapeln und blickte wenig begeistert drein, als Sofia ihr den Wunsch ihres Herrn mitteilte. Heute schien ein Tag voller unangenehmer Arbeiten zu sein, denn als der Herr sturzbetrunken in seinem Bett gelandet war und irgendwann während der Nacht einen Großteil seines Abendessens auf dem falschen Weg zurück auf dem Boden gelandet war, hatten sie insgeheim ausgelost, wer die Sauerei hatte wegmachen müssen, und es hatte - wie konnte es auch anders sein - Cadhla getroffen. Sie zog recht oft den kürzesten Strohhalm bei solchen Lotterien, ohne zu ahnen, dass es auch dafür Tricks gab - was am Ergebnis jedenfalls nichts änderte, denn sie hatte mitten in der Nacht, obwohl sie selbst sehr müde von dem langen Tag und den vielen Arbeiten zur Vorbereitung des Festes gewesen war, noch einen Eimer mit Wasser und einen Wischlappen durch die villa geschleppt und den Dreck weggeputzt.
    Jetzt zu erfahren, dass es ihm wirklich schlecht ging, erfüllte die Keltin mit einer gewissen, grimmigen Genugtuung. Es geschah ihm ganz recht!


    "Ich gehen. Danke für sagen," meinte sie gen Sofia und wuchtete die letzte Amphore auf das Regal, bevor sie in Richtung Küche ging und sich einen Teller Obst und Fladenbrot sowie einen Becher und einen Krug Wasser für ihren dominus geben ließ. In ihrer Heimat war man nicht so mitleidig mit Betrunkenen, aber dass viele Römer bei weitem nicht so viel aushielten wie ihr Volk, hatte sie schon bemerkt. Als sie die porta zu Corvinus' cubiculum erreicht hatte, hielt sie kurz inne und atmete tief durch. Sich die schlechte Laune ihres Herrn anzutun hatte sie jetzt nicht unbedingt Lust, da schleppte sie dann doch lieber Amphoren - aber was sein musste, musste wohl sein. Leise klopfte sie an und öffnete dann die Türe, um einzutreten.
    "Du mich wollen sehen, dominus?" Schon hatte sie den Teller samt Krug und Becher in den Raum hinein bugsiert und stellte beides auf einem Tischchen neben seinem Bett ab - Sofia hatte recht gehabt, er sah wirklich sehr elend aus. Aber es hatte ihn schließlich auch niemand gezwungen, soviel zu trinken.

  • Fast wäre ich wieder eingeschlafen - und das, obwohl ich nicht einmal müde war...wie auch, nach fast 12 Stunden Schlaf? - als ich das gebrochene Latein Cadhlas vernahm, die mitten im Raum stand. Wie war sie hierher gekommen? Das Klopfen hatte ich nicht gehört. Aber eigentlich war es auch egal. Langsam richtete ich mich auf, denn meine kleine Welt schwankte immer noch etwas, was sicherlich auch daran lag, dass mein Magen rebellierte, selbst wo doch gähnende Leere in ihm herrschte. Mein Blick fiel auf das Tablett, welches sie trug. Als ich des Essens angesichtig wurde, nahm der Grünton im aschfahlen Gesicht um eine Nuance zu. Mit einem Ausdruck, der Ekel recht nahe kam, betrachtete ich das Obst, als Cadhla das Tablett hinstellte. Ich ließ einen Moment verstreichen, ehe ich Cadhla antwortete. "Jaah..." sagte ich langgezogen und deutete auf den Krug Wasser, denn ich merkte erst jetzt, wie durstig ich war. Allmählich sickerten die am Vorabend gesprochenen Worte in mein Gedächtnis zurück. Das blamable Theaterstück. Helenas Geständnis. Die cena. Helena...


    "Setz dich zu mir", forderte ich sie schließlich auf und deutete neben mich. Mit dem Wasserbecher in der Hand seufzte ich laut. "Du hast gut gespielt, gestern", begann ich. "Macht dir Theaterspielen Spaß?" Ich hörte mein eigenes Desinteresse selbst aus den Worten heraus. Was war ich doch für ein schlechter Lügner. Den Becher zur Hälfte geleert, brach ich ein Stück aus dem teigigen Fladen, um etwas mit den Händen zu tun zu haben. Allmählich zerkrümelte ich das Brot. "Wie ist das in deinem Volk, Cadhla? Wenn eine Frau einen Mann liebt, den sie nicht haben darf. Weil er schon jemanden hat....oder entfernt verwandt ist? Oder wenn er sie einfach nicht will?" Das dumpfe Pochen hinter meiner Stirn nahm stetig zu, ebenso wie die Krümel.

  • Er sah wirklich elend aus, und Cadhla gönnte ihrem Herrn in diesem Moment jedes Fitzelchen Elend aus tiefstem Herzen. Hatte er überhaupt eine Ahnung, was dieses Fest für eine Arbeit gemacht hatte? Wie erledigt alle Sklaven danach gewesen waren, während ihre Herren feiern und trinken hatten können? Aber an so etwas dachten die Römer nicht, sie erwarteten einfach nur, dass alles so klappte, wie sie sich das vorstellten und wünschten, und damit war die Sache für sie erledigt. So gedankenlos war Cadhla zuhause mit keinem Mitglied ihrer Sippe umgegangen, soviel war sicher.
    Und dass er das Brot jetzt nicht aß, sondern zerkrümelte, war ihr innerlich zuwider. Wenn man eine Speise nicht essen wollte, dann durfte man sie nicht verschwenden. Es war der Wille der Götter, dass die Menschen wussten, wie man backte und wie man angenehme Dinge zubereitete, und diesen Willen nicht zu respektieren, indem man Essen verschwendete, das andere hätte nähren können, war bisweilen fatal. "Ich mir kann nicht vorstellen schöneres zu sprechen Worte, die ich nicht verstehen, tragen Kleidung, die sehen aus schrecklich, und lassen begaffen von Leuten, die ich nicht kennen," antwortete Cadhla trocken.


    Um genau zu sein, das Theaterspielen war schrecklich für sie gewesen, nicht zuletzt, weil es so absolut fremdartig gewesen war. Sich von völlig Fremden anglotzen zu lassen wie ein wildes Tier in einer verrückten Verkleidung, war ihr unangenehm, sie, die sie den Schlachtenlärm allem anderen vorzog. Und sie war ganz froh, dass er ein anderes Thema anschnitt, nur .. das Thema an sich war auch wieder eines von der Sorte, mit der sie eigentlich nicht zurecht kam. Es gab doch nichts komischeres, als eine Schild-Jungfrau danach zu fragen, wie man es in ihrer Heimat mit Beziehungen hielt. So setzte sie sich nun doch langsam zu ihm, um ihm dann einen Becher Wasser zu reichen - eine gute Gelegenheit, ihm dabei auch vorsichtig das Fladenbrot wegzunehmen und die Krümel einzusammeln, die sich auf dem Laken befanden.
    "Es geben nur Sippen in mein Volk. Wer gehört zu Sippe, kann nicht heiraten, es einfach ist. Manchmal zwei gehen gemeinsam fort, aber sie nicht sind Teil von Sippe danach. Es sein wohl schmerzhaft für den, der lieben, aber es ist einziger Weg. Sippe kann nicht sein stark, wenn machen Blut schwach durch Heirat miteinander. Aber wir auch nicht zwingen zu heiraten jemanden, den nicht kennen, wie Römer. Es beide müssen wollen, und sein aus verschiedene Sippe."

  • Aha.... Hm... Sehr aufschlussreich war das nicht. Ihr fehlte der Hintergrund, soviel war klar. Wohl deswegen konnte sie mir nichts raten oder zumindest mit mir darüber sprechen. Im Grunde genommen war es aber auch egal, wie ein Barbarenvolk mit Inzest umging. Im Endeffekt waren meine Fragen wohl auch nur Mittel zum Zweck gewesen - Zeitschindung. Ganz klar war mir das allerdings nicht. Überhaupt war mir alles andere als klar. Beinahe wehmütig sah ich dem Brot hinterher, das sie mir wegnahm. Ich schwieg. Und beobachtete sie dabei, wie sie mit spitzen Fingern Krumen vom Laken sammelte. Diese Bewegung hatte etwas Faszinierendes an sich, und das Beste daran war: Ich musste nicht denken. Es reichte schon, wenn ich zusah und nicht dachte. EIn tiefer Seufzer kam über meine Lippen, und ich riss mich schließlich los und legte den Kopf in den Nacken. Eine Weile später erst antwortete ich. "Bei mir wirst du auch nicht erleben, dass ich jemanden zur Heirat zwinge", murmelte ich nachdenklich. Helenas Antlitz rutschte wieder in mein Bewusstsein. "Ah. Hm. Ein Mann von Ehre würde bei euch also Sippschaft und die Blutsbande im Hinterkopf behalten", wiederholte ich träge. Das war bei den Römern nicht anders, und doch kam mir die wahnwitzige Idee in den Schädel, dass ich keinen Erben zeugen würde mit Helena, immerhin gab es genug Mittel, um ein Kind der Stelle unter dem Herzen wieder zu entreißen.


    "Was für ein Blödsinn", sagte ich zu mir, was für Cadhla gänzlich zusammenhanglos erscheinen musste, und schüttelte den Kopf. Augenblicklich bereute ich das. "Nie wieder trinke ich so viel", sagte ich zu Cadhla und seufzte. "Mmh... Du weißt nicht zufällig, wo Helena sich gerade aufhält oder wie es ihr geht?" fragte ich sie prüfend und gab etwas zu sehr den Anschein, dass mich die Antwort eigentlich gar nicht interessierte. Vielleicht hatte ich Glück und sie war gar nicht zu Hause. Die Ohren gespitzt und die Augen im mir größtmöglichen Desinteresse auf den Becher gerichtet, aus dem ich nun trank, harrte ich ihrer Antwort.

  • Wahrscheinlich ist er immernoch ein bisschen betrunken, dachte die keltische Sklavin, während sie ihn kritisch von der Seite betrachtete. Zugegeben, einen Schönheitswettbewerb würde er in diesem Zustand sicher nicht gewinnen, eher einen der übernächtigten Trinker. Und seine Worte schienen im Großen und Ganzen auch nicht unbedingt viel Sinn zu ergeben - irgend etwas musste ihn wohl bedrücken, denn sonst wäre er kaum so vehement an diesem einen Thema geblieben.
    "Es sein wichtig zu erfreuen auch Götter mit kraftvoller Ehe," sagte Cadhla schließlich langsam und hob dann die Schultern. "Aber ich Dir nicht viel können sagen über Ehe. Ich nie gedacht dass heiraten, und es nie war wichtig für mich. Schildmaid heiratet ihr Schwert, nicht Mann." Konnte er denn nicht irgendeine andere Sklavin damit belästigen? Saba oder Dina oder ihretwegen auch Tilla, die so vieles zu wissen schien, auch wenn sie es nur mit ihren Händen ausdrücken konnte. Cadhla runzelte unwillkürlich die Stirn, als das Gespräch auf Aurelia Helena kam, dann schüttelte sie den Kopf.


    "Ich sie heute noch nicht gesehen, sie wohl noch schlafen wie viele andere hier in villa," erwiederte sie und gab den Blick zurück. Irgend etwas stimmte hier doch nicht. Glaubte er etwa, Helena wäre insgeheim mit einem Mitglied der Familie verbandelt, und sie sollte es herausfinden? Vor allem, wer sollte dieser jemand sein? Cedric/Cotta? Ursus? Nein, das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, es passte weder zu dem, was sie bisher von Helena gehört hatte, noch zu den beiden Männern. "Und Du nicht wirklich glauben, dass ich Dich lassen gehen so aus Raum? Du aussiehst wie lebendiger Tod, und ich mich nicht wundern, wenn Du gleich nochmal entleeren Bauch auf Boden. So kannst Du nicht reden mit Helena, das sein würdelos." Sie sagte das so entschlossen, dass man auch noch vermuten konnte, sie würde ihn eher an sein Bett binden, als ihn aufstehen zu lassen.

  • Ihre Worte ließen mich schmunzeln. Kurz wallte in mir das Bild eines weißgewandeten gladius auf, das da sagte "ubi tu Gaia, ego gladius". Ich schüttelte den Kopf und das Bild zerplatzte wie eine Seifenblase - was auch gut so war. Das war doch etwas zu albern, dachte ich insgeheim. Wie viel Wein war das gewesen? Der kräftige Rote mit meinem Patron, der milde Rote mit Durus, der Falerner mit den Flaviern...mit wem hatte ich den mulsum getrunken? Und wer war eigentlich der braunhaarige Kerl gewesen, der mir nachträglich zur Wahl gratuliert hatte? Kritisch runzelte ich die Stirn - es wollte mir nicht mehr einfallen. Am Ende kannte ich den Schmarotzer nicht einmal!


    Ich wurde mir Cadhlas Anwesenheit am Rande meines Gesichtsfeldes wieder bewusst, als sie den Kopf schüttelte und versicherte, Helena noch nicht gesehen zu haben. Es blieb also eine fünfzigprozentige Möglichkeit, dass sie nicht im Hause weilte. Das war gar nicht mal so schlecht, eigentlich. Pech nur, wenn ich die schlechten fünfzig Prozent erwischte. Je länger ich wartete, desto später würde es werden, und desto mehr wuchs die Zahl auf der schlechten Seite. Also ging ich besser jetzt als gleich. Aber ehe ich aufstehen und auf die Tür zuschwanken konnte, ermahnte mich Cadhla. Einerseits über ihre unbeholfenen Worte belustigt, andererseits ob der versteckten Weisung die Stirn runzelnd, blieb ich also an Ort und Stelle sitzen, was wohl - zugegeben - auch besser war. Als sie das Malheur erwähnte, erwischte ich einen verlegen wirkenden Zug dabei, wie er sich auf mein Gesicht stehlen wollte, und natürlich untersagte ich ihm das sofort. Was ihn allerdings nicht daran hinderte, von der linken Gesichtshälfte zu weichen, die er bereits in Beschlag genommen hatte. "Ah... Hmm?" machte ich teilst unwillig, teils verwundert. "Ich habe....? Hmm... Hast du das weg gemacht? Ich meine...aufgewischt?" lenkte ich vom Thema "Helena" ab.

  • Seine Augen wurden glasig und Cadhla machte sich insgeheim schon bereit, wieder nach dem Eimer zu rennen - sie wusste nicht einmal, wieviel er getrunken hatte, aber es musste mindestens eine dieser großen Amphoren voll gewesen sein, in denen der billige Landwein lagerte. Aber noch passierte es nicht, er schien sich im Griff zu haben, auch wenn er bedenklich schwankte für einige Momente. Zumindest sah er verlegen aus, wenngleich nicht lange genug, als sie sein 'Häufchen' ansprach, das sie mittenin der Nacht noch hatte wegwischen müssen.


    "Ich gewesen, ja," sagte Cadhla schlicht und dachte in diesem Augenblick an seine Worte während des Bades. Er wünschte sich, sie sei für ihn da - war auch so etwas damit gemeint? Den Dreck wegzuputzen, den er in seinem Suff von sich gab? Noch immer waren seine Worte von jenem Abend für sie mindestens ein halbes Rätsel, das sich auch nicht aufklären lassen wollte. Letztendlich blieb ihr dominus für sie noch immer ein Buch mit sieben oder mehr Siegeln - seine Handlungen waren und blieben für sie unverständlich, auch seine Launen. Und die Aussicht darauf, noch so manches Jahr mit ihm verbringen zu müssen, ohne wenigstens einigermaßen mit seinen Launen zurecht zu kommen, war auch keine angenehme.


    "Wenn in Heimat sich jemand fühlen schlecht, dann machen Kräuteraufguss, und bleiben in Bett liegen, bis besser gehen. Du besser auch bleiben in Dein Bett, und ruhen aus. Sprechen können mit domina Helena auch später noch, und ich nicht glaube, dass irgendeine Frau es mögen, wenn Mann mit so dickem Kopf wie Du hast mit ihr sprechen. Und Du vielleicht später besser nimmst Bad," knallte sie ihm die unangenehmen Wahrheiten mit einem doch noch irgendwie freundlichen Ton an den Kopf. Der Gedanke, ihn ins Bad zu schleifen und zwangszuwaschen hatte sogar irgendwie etwas für sich. Zumindest würde es ihr eine nicht geringe Genugtuung verschaffen, wenn einmal er in der Lage desjenigen war, der die Entscheidungen und Handlungen anderer würde akzeptieren müssen, ohne sich groß wehren zu können.

  • Nur leicht peinlich berührt saß ich auf meinem Bett und blickte zu Cadhla hinüber. Sie ist eine Sklavin, und Sklaven sind dazu da, den Dreck wegzumachen, sagte ich mir. Nichtsdestotrotz gefiel mir die Vorstellung gar nicht, dass der schmucken Füchsin diese Aufgabe zugfallen war. Ich ließ einen Augenblick verstreichen, hob jedoch die Stimme, ehe die Peinlichkeit zu sehr anwuchs. "Ahem. Nun - danke. Sollte dies nochmals vorkommen, was ich nicht hoffe, wirst nicht du es sein, die... Nun ja, es wegmachen muss", sagte ich steif und darum bemüht, nicht einem Lampion gleich zu erröten. ich hatte beileibe keinen Grund, mich zu schämen! Wenn man über die Maßen trank, konnte es eben passieren, dass man nicht so viel vertrug wie man glaubte. Zumal ich solche Exzesse nicht (mehr) gewohnt war. Das war auch schon mal anders gewesen. Ich hob die Rechte und kratzte mich nachdenklich am Ohr.


    "Kräuteraufguss. Hm. Ist vielleicht keine schlechte Idee. Das übernimmst du. Aber ich kann unmöglich den ganzen Tag im Bett liegen bleiben", protestierte ich. Dass es bereits später Nachmittag war, hatte ich zu diesem Zeitpunkt verdrängt. Dafür schob sich Helena wieder in mein Bewusstsein, nicht zuletzt Dank Cadhlas Bemerkung. "Ich habe keinen-" begann ich, beendete den Satz dann jedoch mit einem Seufzer statt mit dem Hinweis auf keinen dicken Kopf. "Vielleicht. Bring mir erstmal so einen Aufguss. Vielleicht geht's meinem Magen dann schon viel besser", sagte ich und hegte insgeheim den Hintergedanken, mich aus dem Zimmer zu stehlen, sobald Cadhla fort war, um diesen Trunk zu organisieren. Andererseits, sagte ich mir, war es kompletter Quatsch, sich ihr gegenüber so zu verhalten. Einer Sklavin. Ich seufzte tief und lehnte mich dann unvermittelt an sie, was zugegebenermaßen recht gut tat. "Du wirst das vermutlich nicht oft von mir hören, aber ich denke, du hast recht. Es ist wohl keine gute Idee, mit gelähmtem Verstand und träger Zunge eine Frau aufzusuchen, ganz gleich welche." Ich dachte an den Abend, an dem ich Deandra im Garten abgepasst hatte. Damals hatte ich auch geglaubt, dass nichts dabei war. Heute sah ich das anders.

  • Cadhlas Blick lag lange auf dem Gesicht ihres Herrn, und sie registrierte mit einer gewissen Überraschung, dass er wohl verlegen war. Aber warum sollte es ihn auch freuen zu hören, dass er - um es grob zu sagen - auf den Boden gekotzt hatte, weil er keinen Wein vertrug? Sie gestattete sich das insgeheim zwischen Amüsement und Spott schwebende Grinsen nicht, das ihr auf die Lippen gleiten wollte und erwiederte nur seinen Blick, ohne sich allzu sehr zu regen.
    "Ich sein Dein Besitz, Herr, und wenn Du hinterlässt Häufchen, dann es wohl ich bin, die macht weg." Zumindest schien das jenes Grundprinzip der Sklaverei zu sein, das die Römer schätzten: Sie lebten sich aus und den Dreck mussten andere beseitigen, die sich dieses Leben sicherlich nicht selbst ausgesucht hatten. "Und Du haben gesagt, ich mich entscheiden können, ob sein für Dich da oder nicht. Ich mich entschieden." Wie üblich purzelten in Cadhlas Latein Substantive und Verben munter durcheinander, als wollten sie ein wildes Tänzchen aufführen. Aber zumindest klangen die Worte schon mehr so, wie sie klingen sollten, und nicht mehr wie eine gesprochene Vergewaltigung der schönen Sprache Ciceros und Catulls.


    "Du besser bleiben liegen, bevor umfallen, wenn aufstehen. Brummen in Kopf kann machen weg, aber nicht Loch in Kopf, weil fallen auf Steinboden," argumentierte die Keltin trocken und, angesichts der durchaus vorhandenen Möglichkeit, dass dieser Fall eintreten konnte, auch überzeugend. Sie wurde den vagen Verdacht nicht los, dass er sich vielleicht dann aus dem Zimmer stehlen würde, wenn sie gerade dabei war, die Kräuter zu organisieren, aber dann wäre es nicht ihre Schuld, wenn es ihm danach schlechter gehen würde als zuvor. Noch immer hielt sich ihr Mitleid mit ihm in klaren Grenzen.
    "Du dann hier liegen bleiben und ich holen warmes Wasser und Kräuter," sagte sie schlicht, vergewisserte sich, dass er einigermaßen sicher saß, stopfte ihm noch ein Kissen in den Rücken und erhob sich. Am besten, sie brachte gleich einen Krug Wasser und etwas Seifenessenz mit, denn er roch wirklich nicht gerade appetitlich - wie man eben nach einer durchsoffenen Nacht roch: Irgendwie ungewaschen, verschwitzt und nach Alkohol auf der Haut.

  • Ich hob eine Braue und betrachtete die entschieden sprechende Sklavin mit dem roten Seidenhaar eingehend. Sie hatte sich also entschieden? Interessant... "Richtig", bestätigte ich auf dem Fuße folgend. "Du warst bisher meine Sklavin. Ab heute allerdings wirst du meine Leibsklavin sein, und als solche bist nicht du es, die eine Sauerei wegmachen muss." Ein rasanter Aufsteig für eine Sklavin, die kaum Latein sprechen konnte und die zudem nicht einmal das Lager mit mir geteilt hatte, dachte ich mir schmunzelnd.


    "Ja. Ja, geh schon, ich bleibe hier", entgegnete ich und winkte die Sklavin fort. Ich lehnte mich zum Schein etwas zurück in das weiche Kissen und betrachtete ihr Gesäß, als Cadhla aufstand und einige Schritte in Richtung der Tür machte. "Mhm", bestätigte ich nur, dass ich hierbleiben und warten würde, was mir allerdings nicht im Sinn stand. Als Cadhla aus dem Zimmer war, seufzte ich tief und hob einen Arm, um unter der Achsel zu riechen. Ich rümpfte die Nase. Wohlriechend war etwas anderes. Vielleicht hatte sie doch recht und ich sollte mich zuerst etwas herrichten, ehe ich Helena besuchen ging? Ich setzte mich wieder auf und fuhr mir durch die Haare. Anschließend erhob ich mich wackelig und lief im Raum umher. Von Runde zu Runde ging es besser. Dennoch setzte ich mich nach einigen Minuten wieder aufs Bett. Cadhla hatte recht. Wenn ich so zu Helena ging, würde ich sie nicht einmal trösten können, ohne dass sie sich naserümpfend von mir abwenden würde. Blieb nur noch eine Frage - Was sollte ich ihr sagen, wenn ich sie später besuchte?

  • "Wer dann wegmachen Hinterlassenschaften, wenn Du getrunken?" erkundigte sie sich mit einer leicht erhobenen Braue, denn dass es da irgendwelche Abstufungen im Sklavenhaushalt gab, war ihr bisher nicht allzu bewusst gewesen. Manche arbeiteten mehr, manche weniger, wer länger dabei war, war auch besser darin, sich um die unangenehmen Aufgaben zu drücken - im Grunde unterschied sich diese villa mit den vielen darin lebenden Menschen nicht viel von einer Familie, nur dass ein Teil der Menschen eben nicht freiwillig ein Mitglied der Familie geworden war und der restliche Teil dieser Gemeinschaft keinen Finger krumm machte, sondern sich bedienen ließ. Eigentlich war dies alles ein schlechtes System, denn würden sich die Sklaven zusammentun, wären die Herren ihnen in Anzahl und Zorn weit unterlegen - wie würde Rom aussehen, gäbe es keine Sklaven? Wenn jeder Haushalt mindestens einen Sklaven hatte, war die schiere Anzahl möglicher Mitkämpfer unglaublich. Augenblicklich sah Aurelius Corvinus jedenfalls eher wie jemand aus, den man bemitleiden musste, nicht wie ein stolzer Herr über einen Haushalt voller Sklaven.


    Sie wandte sich schließlich der Tür zu und ging in gemessenen Schritten hinaus - zu eilig hatte sie es nicht, denn nüchterner wurde er dadurch auch nicht. Cadhlas Weg führte sie in Richtung eines der Vorratsräume, wo sie wusste, dass diverse Kräutertinkturen aufbewahrt wurden, die einerseits dazu dienten, Beschwerden zu lindern, andererseits auch als Badezusatz immer wieder frisch hergestellt wurden. Die passende Tinktur hatte sie schnell gefunden, der Geruch war eindeutig, und so packte sie noch einige Leinentücher ein, die als Wickel dienen mochten - im Heizraum organisierte sie sich einen Krug warmes Wasser, dazu eine Schüssel aus einem anderen Vorratsraum, in dem einfaches Geschirr samt diversen anderen Haushaltsgegenständen gelagert waren. So bepackt trat Cadhla schließlich den Rückweg an und wäre an einer Ecke fast mit einem anderen Sklaven zusammengeprallt, den sie nicht hatte kommen sehen - aber glücklicherweise nur fast.


    Den Stapel an Dingen gut umfasst haltend, schob sie sich schließlich wieder in das cubiculum ihres Herrn hinein, und registrierte zufrieden, dass er das Bett anscheinend nicht verlassen hatte - besser war es. Krug und Schüssel fanden den Weg zum Beistelltisch, ebenso die Tücher und das Fläschchen mit der Tinktur, dann blickte sie zweifelnd auf ihn herab.
    "Es besser wäre ich Dich zuerst waschen und ausziehen, auch Kleidung riecht nach langer Nacht und Wein," sagte Cadhla schließlich, auch wenn sie es widerstrebend tat: Immerhin würde er das wohl nicht alleine schaffen und seit ihrem gemeinsamen Badbesuch war sie auf Körperkontakt zu egal wem männlichen Geschlechts nicht gerade erpicht. "Was bedeutet eigentlich sein .. Leibsklavin?"

  • "Das wird nicht allzu oft passieren, Cadhla. Und wenn, dann wird sich eben ein anderer Sklave darum kümmern", erklärte ich sorglos und hob die Schultern. Dass dies durchaus für Zwist innerhalb der Sklavenschaft führen konnte, war mir nicht bewusst.


    Kaum war die rothaarige Sklavin zurück, wunderte ich mich, warum sie Tücher und eine Schüssel mitgebracht hatte. Fiebrig war ich schließlich nicht, und Wadenwickel - sofern die Utensilien hierfür bestimmt waren - nicht nötig. Aber ich vertraute ganz auf ihre Fähigkeiten als germanische Kräuterhexe und begab mich nur zu bereitwillig in ihre Fänge. "Das bedeutet", begann ich, während ich meine tunica klaglos über den Kopf zog, "dass mein Wort über dem jedes anderen steht, was dich betrifft. Und das bedeutet auch, dass du keine zusätzlichen Arbeiten verrichten musst außer jenen, die ich dir auferlege. Es sei denn, es ist dein Wille. Du wirst deine Schlafstatt nicht mehr mit bei den anderen Sklavinnen haben, sondern mehr in meiner Nähe." Ich schmunzelte kurz. "Du wirst mich bei Besuchen begleiten und auch diverse andere Vorzüge gegenüber den anderen genießen können." Ihr Bett würde weicher sein, ihre Kleidung wäre hochwertiger, sie würde sich öfter und mit besseren Ölen waschen können als bisher. Es gab so einiges, das sich in ihrem Leben verbessern würde. Nicht zuletzt stieg mit einem verlässlichen Verhalten auch die Aussicht auf die Freiheit, eines Tages.


    Die Waschung ließ ich klaglos über mich ergehen, doch bei dem Kräutersaft, den sie mir zu trinken gab, verzog ich angewidert das Gesicht. Schließlich trank ich ihn doch. Statt mich allerdings zu stärken, ließ er eine bleierne Schwere in meine Glieder gleiten, und ebendiese Schwere griff nur allzu bald auf meine Lider über. "Das hast du gewusst", murmelte ich noch, nur halb so anklagend wie ich es beabsichtigt hatte. Dann glitt mein Geist auf schwerelosen Schwingen in die Dunkelheit eines erholsamen Schlafes. Aus dem Besuch bei meiner Cousine wurde daher nichts - zumindest nicht heute - und Cadhla hatte ihr Ziel damit erreicht, worüber ich am nächsten Morgen zugegebenermaßen ziemlich dankbar war.



    ~ FINIS ~

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