officium TAU | Gut gemeint und doch verkorkst...

  • Ich hatte lange hin und her überlegt. Da war mein Neffe doch tatsächlich entgegen seiner eigenen Befürchtungen gewählt worden. Nicht, dass ich selbst daran Zweifel gehegt hatte - nicht nach dem, was ich über seine Rede in Erfahrung gebracht hatte, und auch nicht nach meiner eigenen Einschätzung seines Ehrgeizes oder nach unserem Streitgespräch vor rund zwei Wochen. Die Frage war nun, wie man ihn am besten Unterstützen konnte - wie ich ihn am besten würde unterstützen können, ohne ihm das Gefühl zu geben, ich traute ihm keine eigenständige Arbeit zu. Nach langem Grübeln war mir schließlich eine Idee gekommen, doch sie umzusetzen, bedeutete auch, mich den Anschuldigungen zu stellen, die er vorgebracht hatte.


    Tatsache war, dass nach dem gestrigen Tag, an dem Deandra mich besucht hatte und der alles andere als angenehm ausgeklungen war, es mir wie eine Kleinigkeit vorkam, ruhig und besonnen mit Ursus zu reden. und zwar ganz gleich, was er mir auch im die Ohren geschlagen hatte. Ich fühlte mich ausgebrannt, ausgelaugt und gefühlstaub, also insgesamt eine prima Voraussetzung für ein Gespräch, in dessen Verlauf ich Ruhe bewahren und Vorwürfe an mir abprallen lassen musste - es war schlicht keine Wut mehr in mir, die zur Eruption gebracht werden konnte.


    Nach der morgendlichen salutatio begab ich mich also zu dem Zimmer, dass zu Ursus' officium umfunktioniert worden war. Ich wies meinen Begleiter an, vor der Tür zu warten. Dann klopfte ich und trat nach kurzer Wartezeit ein. "Guten Morgen. Hast du einen Moment?" fragte ich meinen Neffen und setzte mich bereits, ohne darauf zu warten, ob er den Moment Zeit für mich erübrigen würde oder nicht. "Ich gratuliere dir zu deiner erfolgreichen Wahl, Titus", begann ich und legte zwei Wachstafeln samt darauf ruhendem Lederbeutel vor mir auf den Schreibtisch. Aufmerksam suchte ich in Ursus' Antlitz nach einer Reaktion, die verriet, was er dachte.

  • Es war wohl damit zu rechnen gewesen, dass Corvinus hier irgendwann auftauchen würde, trotzdem überraschte es Ursus, daß es so bald geschah. Als Corvinus nach kurzem Klopfen eintrat und Ursus ihn erkannte, verschloss sich seine Miene sofort zu Gleichmütigkeit und kühlem Interesse. "Sicher", antwortete Ursus auf die offensichtlich eh nur rhetorische Frage, da sich Corvinus ja setzte, bevor Ursus dieses Wort auch nur aussprechen konnte.


    "Guten Morgen, Marcus", erwiderte er also den Gruß höflich, aber alles andere als herzlich. "Danke für die Gratulation." Bei jedem anderen hätte er gelächelt und seinen Stolz auf den Wahlerfolg gezeigt, doch hier und jetzt tat er so, als sei das doch selbstverständlich gewesen und eine kaum erwähnenswerte Nebensächlichkeit.


    Nur einen kurzen, beiläufigen Blick warf er auf die Wachstafeln und den Beutel, der ihm merkwürdig bekannt vorkam, auch wenn er deutlich weniger prall gefüllt gewesen war, als er ihn das letzte mal gesehen hatte. Seine verräterische Augenbraue zuckte hoch, doch das war auch die einzige Reaktion, die Ursus anzumerken war.


    Er blickte Corvinus aufmerksam an. "Ich nehme an, dass Du nicht nur hier bist, um mir zur Wahl zu gratulieren." Schon die ganze Körperhaltung des Onkels und dieser durchdringende Blick, als erwartete er irgendeine besondere Reaktion, verrieten dies. "Was gibt es also?" Der Beutel, der zweifelsohne eine größere Geldmenge enthielt, machte Ursus misstrauisch. Doch er bemühte sich weiterhin um eine gleichgültige, kühle Miene.


    Im Grunde belastete ihn das schlechte Verhältnis zu seinem Onkel. Sehr sogar. Er würde es sich wahrhaftig anders wünschen. Doch was sollte er tun? Corvinus würde ihn nicht akzeptieren, bevor er nicht irgendetwas Anerkennenswertes geleistet hatte. Und vermutlich auch dann nicht, schließlich hatte er ihn ja schon mit diversen unliebsamen Familienangehörigen verglichen.


    Und was immer jetzt kam, es war vermutlich auch nur darauf angelegt, ihm das Leben noch ein Stück schwerer zu machen, als es jetzt durch das Amt ohnehin schon werden würde.

  • Als ich merkte, dass meinem Gegenüber der intensive Blick auffiel, räusperte ich mich und sah auf meine Mitbringsel herunter. "Ja, in der Tat bin ich nicht nur deswegen hier. Du übernimmst die Erbschaftsverwaltung und wirst dich vermutlich ohnehin mit den anderen neun Amtsträgern zusammensetzen. Dennoch dachte ich mir, dass es nicht schadet, wenn ich dir vorab meine Aufzeichnungen überlasse." Ich schob ihm eine der beiden Wachstafeln zu, welche in aufgeklapptem Zustand meinen Teil der Erbfälle ordentlich aufgelistet vorwies, die meisten mit dem Vermerk 'erledigt'. Nur einige wenige waren unangetastet. Ich wartete, bis Ursus einen Blick darauf geworfen haben würde, und studierte zwischenzeitlich die Reaktion auf diese kleine Hilfestellung, denn immerhin gab ich hier einen Teil meiner Vorgehensweise preis.


    "Auf dieser tabula findest du Sondervermerke, die wichtig für dich sind, Titus", fuhr ich dann in geschäftsmäßigem Ton fort und klappte die zweite Tafel auf, ehe ich sie hinüber schob. "Auf Geheiß des Kaisers wurde den decemviri während meiner Amtszeit mit magister domus Augusti abgesprochen, dass sämtliche Erbfälle, die Angehörige der Legionen in Parthia tangieren, ausgesetzt werden, bis sich die Soldaten wieder in heimischen Gefilden befinden. Die Namen in der Liste, welche nicht als erledigt markiert sind, sind Soldaten, denen diese Absprache zugute kommt." Ich deutete auf die erste tabula. "Du findest dort auch den Namen der Prudentia Aquila. Gemäß der lex Iulia et Papia hat sie seit dem ANTE DIEM III KAL OCT DCCCLVII A.U.C. (29.9.2007/104 n.Chr.) einhundert Tage Zeit, um den Bund der Ehe einzugehen, um das Erbe des verstorbenen consul Prudentius Commodus anzunehmen. Tut sie dies nicht, ist das Erbe dem Staat zu überantworten."


    Ich lehnte mich zurück. Nun lag nur der Lederbeutel noch zwischen uns. Erneut räusperte ich mich. "Ich will mich dir keinesfalls aufdrängen, Titus, aber ich biete dir meine Hilfe dennoch an. Nicht, weil ich dir nicht zutraue, die Arbeit allein zu bewältigen, sondern weil ich weiß, wie komplex das Gebiet ist und wie sehr ich manchmal geflucht habe." Ernst bedachte ich ihn mit einem Blick. "Auch wenn seit unserem...Gespräch von neulich einiges im Argen ist, habe ich doch nie daran gezweifelt, dass du die Wahl gewinnen würdest. Wir waren beide kindisch, Titus. Ich für meinen Teil bedaure es und möchte mich dafür entschuldigen. Mir geht derzeit zu viel im Kopf herum. Erst heute Morgen ist jemand aufgetaucht, der sich als mein Neffe ausgibt. Prisca wird vermutlich bald heiraten, und ich habe die Verlobung mit Deandra gelöst. Ich weiß derzeit einfach nicht, wo mir der Kopf steht, Titus, und das sind alles Dinge, in denen du mir nun einmal nicht helfen kannst, selbst wenn du wolltest. Da muss ich allein durch." Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und seufzte. "Ich habe hier auch dein Geld. Du kannst es zurücknehmen, es war eine Schenkung." Mit diesen Worten schob ich den Beutel rüber.


    "Ah, und da wäre noch etwas. Ich weiß, dass du derzeit noch keinen zuverlässigen und kompetenten scriba hast. Deswegen möchte ich dir Pyrrus' Dienste leihen. Er leistet gute Arbeit, auch wenn seine Laune manchmal nervtötend ist. Er wartet vor der porta, falls du ihn gleich brauchst." Das war das Ass im Ärmel - ich war Pyrrus los und Ursus hatte ihn am Hals. :D

  • Ursus hörte ernst schweigend und aufmerksam zu. Er nahm die beiden Wachstafeln entgegen und warf einen Blick auf die ordentlichen, systematischen Aufzeichnungen. Er hatte es auch nicht anders erwartet. So schlecht er auch von Corvinus dachte, so war ihm doch immer klar gewesen, daß er seine Arbeit sehr gut machte.


    "Ich danke Dir für das Angebot der Hilfe", erwiderte er ruhig, ließ dabei aber offen, ob er die Hilfe annehmen würde oder nicht. Vielleicht war er gezwungen dazu, deshalb wollte er sie nicht leichtfertig ausschlagen. Aber natürlich war er entschlossen, es ohne diese Hilfe zu versuchen. Da gab es ja immer noch die anderen Amtsinhaber, vielleicht konnten sie sich gegenseitig so helfen, daß sie auf Hilfe von "außen" nicht angewiesen waren.


    "Ich entschuldige mich ebenfalls. Für den Ton bei unserem letzten Gespräch." Nicht für die Worte, nur für den Ton. Denn im Moment war Ursus noch immer davon überzeugt, daß er recht gehabt hatte. Schließlich gab es nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß es nicht so war.


    "Und ich möchte kein Geschenk von Dir, Corvinus. Nicht, solange Du mich für faul, verantwortungslos und unmoralisch hältst. Solltest Du Deine Meinung über mich je ändern, kannst Du mir dies ja mitteilen. Ab da werde ich mich über Geschenke, freundliche Worte und Hilfe wirklich freuen können." Er sprach ganz ruhig und fast emotionslos. Allein seine immer dunkler wirkenden Augen verrieten, wie tief er sich verletzt und enttäuscht fühlte. "Und solange ich nichts für die Familie tun darf, will ich wenigstens einen finanziellen Beitrag leisten, auch wenn meine Möglichkeiten, was das betrifft, ausgesprochen begrenzt sind."


    Er atmete tief durch und schob den Beutel wieder in Corvinus' Richtung. "Den Scriba werde ich nehmen, denn ohne werde ich die Arbeit nur schwer bewältigen können. Danke dafür." So, der schwerste Teil war durch.


    Doch da gab es noch zwei Punkte. "Prisca soll heiraten?" Vermutlich war er der letzte in diesem Haus, der davon erfuhr. "Wen denn? Und was ist das für ein Neffe?" Ein Neffe von Corvinus mußte dann ja wohl ein Vetter von Ursus sein.

  • Ich neigte den Kopf. Trotz des kühlen Tons erwies sich Ursus als höflich und zumindest nicht erneut zanksüchtig, was mir entgegen kam. Allerdings registrierte ich den pubertären Trotz sehr wohl, der den Worten beigemengt war. Bääh, ich hab aber trotzdem alles so gemeint wie ich sagte! Im letzten Moment unterdrückte ich ein genervtes Augenrollen und gab stattdessen eine leicht desinteressierte Miene zum Besten. Da war es schon wieder. Pah, nö, von dir will ich nichts! Ob er das Geld nun brauchte oder nicht, schien dabei absolut irrelevant zu sein für ihn.


    "Ich habe nie gesagt, dass ich dich für faul, unmoralisch und bar jedes Verantwortungsbewusstseins halte", entgegnete ich müde, denn ich war es so dermaßen leid, dass mir meine Worte im Mund herumgedreht wurden. "Im Übrigen habe ich es satt, meine Ansichten ständig und überall neu darlegen zu müssen, Titus. Könnten wir uns darauf einigen, dass du der Familie wegen das Geld nimmst und dir angemessene Togen kaufst? Du wirst mehr als nur eine einzige exquisite brauchen, glaub mir das." Ich schob einen Seufzer hinterher. Sollte er ruhig sehen, dass mir dieses Gehabe auf den Senkel ging. Dass er wegen Pyrrus zusagte, erfüllte mich indes mit hämischer Genugtuung, die ich allerdings nicht zur Schau trug.


    "Sein Name ist Paullus Pegasus. Er behauptet, Iustus' Sohn zu sein. Das würde ihn zum Halbbruder Priscas machen", sprach ich dann weiter. "Und Prisca... Es ist noch nicht offiziell und ich bitte dich, ihr nichts zu sagen, doch ich weiß, dass Caius - entschuldige - Flavius Aquilius Interesse an ihr hegt." Etwas erstaunte mich, dass Ursus nicht einmal seltsam guckte, als ich von dem gelösten Bund mit Deandra sprach.

  • "Dann muß ich wohl was an den Ohren haben", erwiderte Ursus trocken auf die Behauptung hin, Corvinus hätte diese Dinge nie gesagt. Doch weiter ging er auf das vergangene Gespräch nicht ein, es hatte sowieso keinen Sinn.


    "Ist der Scriba ein Angestellter oder ein Sklave?" Wenn er ein Angestellter war, mußte er ihm auch noch Lohn zahlen. Hoffentlich war er das auch wert. Wenn nicht, würde Ursus ihn eben fortschicken.


    "Dann laß das verdammte Geld hier und ich werde eben Togen davon kaufen, wenn die Familie darauf so viel Wert legt." Er wollte weder Geld noch Togen von Corvinus. Nicht solange sein Onkel ihn nicht ernst nahm. Und das tat er ganz offensichtlich immer noch nicht. Müde war er also! Und angenervt! Na bitte. Hatte er ihn denn um seine Gesellschaft gebeten?


    Dann würde er eben noch mehr Schulden zurückzuzahlen haben. Das lag ihm wie ein Stein im Magen. Er wollte keine Schulden und keine Verpflichtungen.


    Ursus' Miene war mittlerweile versteinert. Wenigstens hatte Prisca Glück. Denn Aquilius war nicht nur ausgesprochen gutaussehend, sondern auch noch nett und verständnisvoll. Wenn sie ihn heiratete, würde sie gewiß ein schönes Leben haben. Wenigstens eine, für die es gut lief.


    "Du zweifelst also daran, daß dieser Pegasus ein Aurelier ist? Wie willst Du das überprüfen?", fragte er, um dieses unleidige Thema mit dem Geld vorläufig zu beenden. "Und was sagen die Claudier zu der gelösten Verlobung?" Warum Corvinus sie gelöst hatte, war Ursus völlig egal. Aber die Beziehungen zwischen den beiden Familie war bisher ausgesprochen gut gewesen. Hatte Corvinus das etwa leichtfertig aufs Spiel gesetzt?

  • "Musst du wohl", entgegnete ich in bemüht gelangweiltem Tonfall. Ursus sollte merken, dass er mich nicht mehr auf die Palme bringen würde. Zumindest äußerlich, denn innerlich war ich bereits wieder angesäuert. Doch die Blöße gab ich mir nicht, mich erneut aufzuregen. "Er ist ein Peregriner und hofft, irgendwann das Bürgerrecht zu erlangen", erteilte ich Ursus stattdessen Auskunft. Warum mein Neffe fragte, lag natürlich auf der Hand. "Mach dir um seine Entlohnung keine Sorgen. Er ist mein Klient und wird dementsprechend behandelt, dir wird nichts zur Last fallen." Größtmögliche Neutralität in diesen Worten sollte hier größtmöglichen Frieden gewährleisten.


    Schmunzelnd bettete ich das Ledersäckchen nun also auf dem Schreibtisch und nickte beifällig. Leises Klirren verriet, was sich darin befand. Wenigstens eine gute Entscheidung, dachte ich mir insgeheim, hütete mich jedoch, das laut auszusprechen. "Ja, ich zweifle daran. Ich kenne meine Neffen eigentlich, nur sein Name und auch sein Gesicht sind mir vollkommen fremd. Er taucht nicht in den Familienarchiven auf und auch nicht im tabularium. Gut, das mag daran liegen, dass Iustus ihn geheimgehalten hat...doch er trägt einen Siegelring wie diesen", erklärte ich und hob meine Hand, damit Ursus den Ring sehen konnte. Meinen hatte ich seinerzeit von Onkel Cicero erhalten. "Ich werde Camryn dorthin schicken, von wo er gekommen ist. Sie soll dort Nachforschungen anstellen, und dann werden wir ja sehen", ergänzte ich. "Und die Claudier....um ehrlich zu sein, weiß es Menecrates noch nicht."

  • Nun, auch Ursus ließ sich äußerlich nicht aus der Ruhe bringen. Innerlich jedoch war er immer noch enttäuscht und verletzt. Denn er glaubte noch immer, daß Corvinus diese Meinung von ihm hatte. Wäre es nicht so, würde er ihm endlich erlauben, etwas für die Familie zu tun. Statt dessen wurde er mehr und mehr in die Rolle eines Schmarotzers gedrängt, so daß seinen angeblichen schlechten Eigenschaften mit Leichtigkeit eine weitere hinzugefügt werden konnte.


    Das Schmunzeln erwiderte Ursus nicht. Seine Miene blieb unbewegt. Er war hier der Verlierer, das war ihm klar. Und er konnte nichts, aber auch gar nichts dagegen tun. Außer, Corvinus noch mehr aus dem Weg zu gehen, als er es ohnehin schon tat.


    "Den Ring könnte er gestohlen haben", antwortete er schließlich, ohne auf die anderen Themen noch einmal einzugehen, und verzichtete auch darauf, seinen eigenen Ring zu zeigen, den er nach dem Tod seines Vaters erhalten hatte.


    "Du hast die Verlobung schon offiziell gelöst, - ohne mit den Claudiern darüber zu sprechen?" Das Entsetzen in seiner Stimme war nun echt. Und Corvinus behauptete, er sei unreif und verantwortungslos? Was bitte schon war denn mit ihm selbst? Bisher hatten sie ein gutes Verhältnis zu den Claudiern gehabt und sie hatten sich gegenseitig unterstützt. Das würde dann wohl vorbei sein!


    Ursus schüttelte nur leicht den Kopf. Er verstand Corvinus einfach nicht. Warum eine so gute Verbindung aufgeben? Deandra war doch perfekt!


    "Ich habe übrigens noch eine Bitte an Dich", sagte Ursus schließlich und es fiel ihm wirklich schwer, das auszusprechen, was er vergeblich versuchte, sich nicht anmerken zu lassen. Doch er hatte sein Wort gegeben. Und auch wenn vermutlich niemand anderer an sein Wort glaubte, so tat er selbst es doch zumindest. "Ich würde gerne mit Cadhla regelmäßig Kampftraining absolvieren. Bist Du damit einverstanden?" Immerhin war sie Corvinus' persönliches Eigentum.

  • "Das könnte er", bestätigte ich und neigte mehrere Male den Kopf hin und her. "Genau das soll Camryn herausfinden, so ihr das möglich ist. In zwei Tagen kann sie das natürlich nicht schaffen, dazu ist die Zeit vel zu knapp bemessen und die Entfernung zu weit, die sie zurücklegen muss. Aber das macht auch nichts. Verräter und Betrüger kann man immer herauswerfen." Was durchaus stimmte. Und wenn sich herausstellte, dass Pegasus nicht mein Neffe war, würde ihn nicht nur mein Zorn treffen, sondern auch den der Götter, weil er unser Blut und unsere Ahnen mit Füßen trat...


    "Das stimmt", erwiderte ich auf die ungläubige Frage die Verlobung betreffend. "Deandra weiß es. Ich gehe davon aus, dass auch Menecrates dann darüber bescheid weiß. Ich hatte bisher weder Zeit noch den Mumm dazu, ihn aufzusuchen", fuhr ich fort und sah Ursus offen an. Es war ein Zugeständnis, das er vielleicht schätzen würde. Ursus schüttelte den Kopf und ich senkte den Blick. Ohne es zu ahnen, sprach ich seine gedachten Worte laut aus. "Das ist alles nicht so einfach, Titus. Gefühle können kompliziert sein. Wenn du einen guten Rat annehmen möchtest - suche dir eine Frau, die dich zufriedenstellt, aber keine, die du liebst."


    Ich räusperte mich übertrieben und provozierte damit einen Themenwechsel. Interessiert sah ich auf, als Ursus von einer Bitte sprach. Und in der Tat war es eine außergewöhnliche Bitte, die er da vortrug. Ich schwieg einige Herzschläge lang und antwortete verzögert. "Hat dein Vater dir keinen Lehrmeister gestellt, damals?" fragte ich zuerst und hob dann abwinkend eine Hand. "Wie dem auch sei. Ich bin einverstanden. Aber", merkte ich an, "tu das zu Zeiten, an denen ich Cadhla nicht brauche. Während der salutatio am Morgen wäre eine gute Zeit. Und ich gestatte dir nur die Kampfübungen mit ihr." Und nichts anderes, besagte der begleitende Blick.

  • "Und was passiert mit ihm in diesen zwei Tagen? Du sagst selbst, es ist ohnehin nicht in zwei Tagen herauszufinden, ob er die Wahrheit sagt. Ist es dann nicht irgendwie albern, ihn diese zwei Tage lang nicht anzuerkennen?" Ursus wußte nicht, wie er reagiert hätte, wenn er an Corvinus' Stelle gewesen wäre. Aber diese zwei Tage brachten doch schlicht nichts. Entweder er erkannte ihn gleich an oder er wartete, bis Camryn etwas herausgefunden hatte.


    "Und wäre es nicht besser, mit Menecretes zu sprechen, bevor Deandra das tut? Wie würdest Du an seiner Stelle reagieren, wenn es Helena so erginge? Daß Du das Gespräch fürchtest, kann ich gut verstehen, das würde ich an Deiner Stelle auch. Aber mit jedem Tag, den Du wartest, wird es doch noch schlimmer, oder? Er wird von Dir erwarten, daß Du zu ihm kommst." Heiraten stand für Ursus selbst im Moment nicht zur Debatte. Er wüßte ja gar nicht, wen. Es wäre ihm auch lieber gewesen, wenn sein Vater ihm eine Frau gesucht hätte, aber das war ja nun nicht mehr möglich. Gerade Corvinus' Beispiel zeigte wieder, daß Eltern so etwas viel besser konnten. Gefühle verschleierten einem doch nur den Blick auf das wesentliche. "Aber Deinen Rat werde ich beherzigen. Keine Liebesheirat, das bringt nur Ärger." Irgendwie war es merkwürdig, daß Corvinus so offen mit ihm über dieses Thema sprach. Warum tat er das? Ausgerechnet mit ihm?


    "Morgens ist mir recht für das Kampftraining, ich habe eh noch keine Klienten, die ich empfangen müßte. Und natürlich nichts weiter als Kampftraining. Mir ist durchaus bewußt, daß sie Dein persönliches Eigentum ist." Und würde er das nicht respektieren, hätte er ja wohl nicht gefragt.

  • "Ich habe ihm gestattet, hier Quartier zu beziehen und sich mit euch vertraut zu machen. Meine einzige Bitte war, zuvor mit Prisca sprechen zu dürfen, und dieses Gespräch muss noch geführt werden. Um sie sorge ich mich am meisten, um ehrlich zu sein. Denn wie muss sie sich wohl fühlen, wenn sich herausstellt, dass der plötzlich vorhandene Halbbruder nur ein Schwindler ist?" sagte ich und schüttelte den Kopf. "Zwei Tage sind natürlich viel zu knapp bemessen. Ich vermute allerdings, dass sie ausreichen werden, um ihm auf die Schliche zu kommen. Wenn er wirklich Iustus' Sohn ist, werden wir das irgendwie merken, und wenn nicht, dann auch. Ich möchte ihn näher kennenlernen, um das besser beurteilen zu können. Ein gemeinsames Abendessen wäre ein Anfang." Damit war auch klar, dass ich von Ursus erwartete, sich heute Abend pünktlich im triclinium einzufinden. Bis dahin würde ich wohl mit Prisca gesprochen haben.


    "Ich habe Deandra gestern davon in Kenntnis gesetzt. Noch ist nicht allzu viel zeit verstrichen..." antwortete ich auf Ursus' Frage hin und seufzte. Es musste ihm so klar sein wie mir selbst, dass dies nur eine Ausrede war. Und vielleicht bemerkte er gar, dass mich dieses Thema mehr aufwühlte, als es eigentlich sollte.


    "Da wäre noch etwas, Titus", sagte ich dann unvermittelt. "Ich werde nach den Saturnalien wohl einige Tage absent sein. Aquilius und ich planen eine kleine Landpartie. Ich möchte, dass du dich in dieser Zeit um die Geschäfte kümmerst", sagte ich. Aus welchem Grund ich das tat, lag auf der Hand: Cotta war schließlich in Mantua, um unseren Besitz dort zu veräußern.

  • Ich möchte ihn besser kennenlernen war kein wir sollten ihn besser kennenlernen. Von daher verstand Ursus das keinesfalls als Aufforderung, an dem Abendessen teilzunehmen. Dies war nicht mal eine kindische Aufmüpfigkeit, sondern er fühlte sich tatsächlich schlicht nicht angesprochen. Dennoch überlegte er, ob er die Teilnahme einrichten könnte. Allein, um seine Neugierde auf diesen Vielleicht-Vetter zu stillen.


    "Ich bin sehr gespannt, wie Du ihn prüfen willst, Marcus." Ursus konnte sich nicht vorstellen, wie das vonstatten gehen sollte. Was konnte dieser Vetter denn schon über die Familie wissen? Im Grunde gar nichts. Und über seinen Vater? Vielleicht kannte er ihn ganz anders, als Corvinus ihn gekannt hatte. "Wie gut hat er seinen Vater gekannt? Warum hat der die Existenz seines Sohnes geheim gehalten? Hat er ihn am Ende gar nicht anerkannt?" Das war kein leichtes Problem, wahrhaftig nicht.


    Ja, Ursus merkte, wie unangenehm Corvinus das Thema war. Das konnte er sogar verstehen. Aber er konnte nicht verstehen, wie jemand, der derartig auf Verantwortungsgefühl und Reife pochte, nun nicht den Mumm fand, seine Entscheidung bei den betreffenden Personen vorzutragen und zu verteidigen. "Findest Du nicht, daß Du besser nicht noch einen Tag verstreichen lassen solltest? Mal abgesehen von Deinen Gefühlen, geht es bei einer Verlobung und deren Auflösung ja noch um ein bißchen mehr." Um die Familie beispielsweise. Um beide Familien. Die bisher ein gutes Verhältnis zueinander hatten. "Mach es nicht noch schlimmer, Marcus."


    Die nächste Äußerung allerdings war so unfaßbar, daß die bisher halbwegs unbewegte Miene von Ursus sich in offene Überraschung wandelte. "Ich soll was? Wie das auf einmal?" Das rutschte ihm schneller raus, als er es hätte zurückhalten können.


    "Und wie stellst Du Dir das vor, Marcus? Unter die Hellseher bin ich noch nicht gegangen. Erst läßt Du Dir nicht im Geringsten in die Karten gucken und dann soll ich auf einmal die Geschäfte übernehmen, von denen ich nicht den blassesten Schimmer habe? Wenn es auch nur für ein paar Tage ist?"


    Er schluckte und atmete tief durch. "Es ist nicht so, daß ich mich über einen derartigen Vertrauensbeweis nicht freuen würde. Und auch nicht so, daß ich es nicht tun möchte und werde. Aber ein Wurf ins kalte Wasser ist da nichts gegen, das sollte Dir klar sein. Warum tust Du so etwas, Marcus? Warum?" Gerade jetzt, wo er voll mit der Amtsübernahme beschäftigt war, sollte er sich also auch in die Familiengeschäfte einarbeiten? Falls Corvinus das überhaupt zulassen würde. Und wenn es doch seine Absicht war, daß Ursus versagte?


    "Wirst Du mir wenigstens vorher die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung stellen, damit ich mich einarbeiten kann, bevor niemand zum Fragen mehr da ist? Wenigstens das?" Wann sollte er eigentlich noch schlafen? "Wirst Du es mir erklären, Corvinus, oder wirst Du mich weiterhin hängen lassen?" Es war der ungüngstigste Zeitpunkt überhaupt. Monatelang hatte sich Ursus vor Langeweile die Fingernägel abgekaut und nun kam alles auf einmal!

  • "Ich möchte einfach sehen, wie er sich uns gegenüber verhält. Dabei werde ich recht genau darauf achten, wie er mit Prisca umgeht", erwiderte ich schlicht. "Iustus muss wohl oft bei ihm und seiner Mutter gewesen sein, wenn er Priscas Mutter sagte, er hätte wieder einmal eine Reise zu unternehmen. Anerkannt muss er wohl sein - so er denn ist, wer er zu sein behauptet - denn er hat den Siegelring. Keiner vergibt den Leichtfertig, und einen Ring vom Finger eines Mannes zu stehlen, ist auch kein leichter Akt."



    Allzubald drängte Ursus jedoch das Gespräch wieder in eine unschöne Richtung. Ob er dies wohl mit Absicht tat? Es musste so sein. Warum sonst war es in den meisten Fällen er selbst, der mir Dinge unterstellte, die schlichtweg Blödsinn waren. Ich seufzte ergeben. "Ich habe noch nie die Zukunft der Familie leichtfertig auf eine Waagschale geworfen, Titus, und das habe ich auch zukünftig nicht vor. Dieses Thema hatten wir bereits, und wenn sich an deiner Ansicht dessen nichts geändert hat, so hat sich an der Gesamtsituation ebenfalls nichts geändert." Denn ich hatte meie Meinung ebensowenig revidiert, denn schließlich gab es schlichtweg keine Basis, auf der ich dies hätte tun können.


    "Appius ist in Mantua", erwiderte ich auf die vielleicht etwas zu erschrockene Frage Ursus' hin. Was darauf folgte, war - wieder einmal - eine nicht enden wollende Tirade aus Vorwürfen, scharfen Worten und haltlosen Forderungen, denen ich gen Ende nurmehr halbherzig Gehör schenkte. Mit größtmöglicher Gelassenheit schüttelte ich den Kopf, doch Ursus ließ sich nicht unterbrechen und sprudelte wie ein Quell. Als er endlich fertig war, sah ich ihn einige Herzschläge lang an und hegte die Befürchtung, er habe nur kurzzeitig Luft geholt, um sogleich weiterzunörgeln, doch scheinbar hatte er tatsächlich alles gesagt, was er beabsichtigt hatte. "Nun", entgegnete ich. "Falls Besucher kommen, solltest du sie als Hausherr begrüßen, das ist alles. Wenn dir die Vorbereitungen hierfür zu mühselig erscheinen, Titus, oder wenn deine Aufgaben als decemvir dich so sehr einnehmen, dass dir dies nicht möglich ist, werde ich Prisca bitten, an meiner statt Gäste zu empfangen." Im Grunde waren diese ruhigen Worte wie ein Hieb, obwohl sie nicht so beabsichtigt waren. Zur Erklärung fügte ich hinzu: "Die Finanzen sind geregelt, die Klienten angewiesen, nur in besonders dringenden Fällen vorzusprechen. Sonstige Termine betreffen dich nicht oder sind liegen nicht an besagten Tagen. Titus, du solltest mich inzwischen als jemanden kennen, der Vorsorgen trifft, wenn schon nicht als jemanden, dem die Familie das wichtigste ist."

  • "Ich habe sehr deutlich gesagt, daß ich gewillt bin, diese Aufgabe anzunehmen und Dich lediglich gebeten, mir zu ermöglichen, die nötigen Kenntnisse zu erwerben. Aber wieder hörst Du nur, was Du hören willst." Ursus sprach gefährlich ruhig. Es war einfach unfair, was Corvinus hier tat. Wieder einmal. Immer das gleiche! Er wollte einfach nicht, daß Ursus irgendetwas sinnvolles lernte.


    "Also sehe ich, daß es im Grunde gar nichts zu tun gibt. Gut, dann gibt es auch nichts weiter dazu zu sagen. Und auch nichts weiter vorher zu tun oder zu erlernen." Wozu erwähnte er seine Abwesenheit dann überhaupt? "Du sprachst davon, daß Geschäfte zu übernehmen seien. Nun, ich habe Dich wieder einmal falsch verstanden. Gäste begrüßen habe ich nicht als Geschäft betrachtet. - Wieder einmal mache ich alles falsch und Du alles richtig."


    Ja, wie bei der Verlobung zum Beispiel. Marcus machte ja wirklich immer alles richtig! "Was willst Du eigentlich von mir, kannst Du mir das mal sagen, Marcus? Soll ich gehen? Ist es das, was Du möchstest? Ich verstehe einfach nicht, warum Du mir immer wieder von neuem aufs Butterbrot schmieren mußt, daß Du mir nicht vertraust. Ist das wirklich immer wieder nötig? Die Familie ist Dir wichtig? Das spreche ich Dir nicht mal ab. Aber was bin ich dann eigentlich für Dich? Es wäre schön, wenn Du mal meine Fragen beantworten würdest und nicht immer weglaufen oder ausweichen oder mich einfach als unwillig, unreif oder sonst was abstempeln würdest." Sein Ton war immer noch ruhig, auch wenn er innerlich wieder einmal kochte. Seine Hände hingegen waren eiskalt.

  • "Mir scheint, dass du noch einiges lernen musst, Titus - und das meine ich ganz bestimmt nicht herablassend. Glaub mir, ich weiß wie es ist, wenn alle erwarten, dass man stets das richtige tut. So aber ist die Welt, auch wenn kein Mensch immer das Richtige tun kann, denn niemand vermag den Göttern in die Karten zu schauen. Vielmehr ist das Leben ein beständiges Streben nach Perfektion. Diese Lektion habe auch ich lernen müssen, und da war ich nicht viel jünger als du jetzt." Zugegebenermaßen Worte, die eher in den Mund eines Greis gepasst hätten denn in meinen, und doch sprach ich in meinen Augen wahr. Es konnte doch nicht angehen, dass Ursus sich ständig nur selbst bejammerte und mich aufgrund seines Selbstmitleids als den bösen Buben bezeichnete.


    "Was ich möchte", erwiderte ich betont langsam und betont ruhig, die Stirn dabei leicht vorgeneigt und Ursus fest musternd, "ist, dass du aufhörst, mir in einem fort zu misstrauen und Dinge in meine Worte zu interpretieren, die ich weder gesagt habe noch so meine, wie du es dir einredest. Titus, wir sind eine Familie, und als solche haben wir an einem Strang zu ziehen und uns gegenseitig nach bestem Können zu unterstützen. Damit beantwortet sich auch deine Frage von ganz allein: Du bist mein Neffe. Weder verurteile ich dich noch gestehe ich dir nicht die Kraft zu, etwas zu ändern." Herrje, hoffentlich würde er nun nicht wieder genau das tun: interpretieren und mir Worte in den Mund legen. "Du bist vigintivir. Das ist ein Anfang", fügte ich in versöhnlichem Tonfall zu. Vielleicht nicht unbedingt glücklich gewählte Worte, doch wenigstens war der Tonfall echt und nicht gespielt.

  • Ursus hörte sich ruhig an, was Corvinus da alles sagte. Auch wenn der wieder mal um den heißen Brei herumredete und von Dingen sprach, die mit dem bisherigen Gespräch kaum etwas zu tun hatten, hörte er dennoch aufmerksam zu und ließ sich dabei nicht anmerken, was er dachte.


    Er unterdrückte seinen ersten Impuls, unterdrückte die vorschnelle Antwort, die ihm schon auf den Lippen gelegen hatte. Statt dessen erinnerte er sich an die vielen Lektionen, die er in Griechenland gelernt hatte und wandte sie nun gezielt an, damit Corvinus endlich zuhörte. Vielleicht ging es bei diesem Ignoranten einfach nicht anders, - wenn es denn überhaupt funktionierte.


    Vor allem aber wechselte er die Sprache. Als er – nach einer ganzen Weile des Schweigens, während der er über das von Corvinus gesagte nachgedacht hatte – schließlich zu sprechen begann, waren es griechische Worte, langsam, deutlich und ruhig gesprochen, die Corvinus zu hören bekam.


    "Du wirst Dich wundern, warum ich nun griechisch spreche und nicht mehr Latein. Ich tue dies, weil ich zum wiederholten Male den Eindruck habe, dass wir auf Latein offenbar eine zu unterschiedliche Sprache sprechen und uns vielleicht deswegen nicht verstehen. Vielleicht haben unsere Worte eher die gleiche Bedeutung für uns beide, wenn wir uns einer Fremdsprache bedienen." Er blickte sein Gegenüber ernst an, um keine Regung in dessen Miene zu verpassen. "Du hast da sehr schöne Ausführungen von Dir gegeben. Und ich stimme diesen Ausführungen unumwunden zu. Sowohl, was das Lernen angeht, als auch was die Familie angeht. Es entspricht meiner festen Überzeugung. Und dies wahrhaftig nicht erst seit heute."


    Er machte eine Pause, denn er wollte, dass Corvinus diese Worte auch wirklich aufnahm und begriff.


    "Ja, ich habe noch viel zu lernen. Sehr viel sogar. Und ich möchte lernen, Marcus. Genau das ist es doch, was ich von Dir erbeten habe: Von Dir lernen zu dürfen. Nicht erst heute, sondern schon die ganze Zeit. Ich will lernen. Und ich wiederhole es noch einmal, um sicher zu gehen, dass Du diese Worte hörst, wahrnimmst und aufnimmst. Ich will lernen." Er wechselte zu Latein und sagte es noch einmal. "Ich will lernen, Marcus."


    Dann aber wechselte er abermals zur griechischen Sprache. "Ich gehe davon aus, dass Du dies nun zumindest akustisch verstanden hast. Kommen wir also zum nächsten Punkt. Du sagst, wir sind eine Familie. Keine Einwände. Du sagst, wir sollten gemeinsam an einem Strang ziehen. Keine Einwände, ganz im Gegenteil. Doch ich frage Dich: Warum stößt Du meine nach diesem Strang ausgestreckten Hände dann immer wieder weg? Du sagst, wir sollen uns nach bestem Können gegenseitig unterstützen. Keine Einwände, ganz und gar nicht. Doch weder unterstützt Du meinen Willen zu lernen, noch lässt Du zu, dass ich Dich unterstütze, indem ich Dir einen Teil Deiner Arbeit abnehme."


    Wieder machte er eine Pause. Es schien eben so, dass Marcus nicht in der Lage war, mehr als eine Frage auf einmal zu erfassen und zu beantworten. Seine Frage danach, ob Corvinus wollte, dass Ursus ging, - vermutlich war sie zu unbequem gewesen und kam zu nahe an die Wahrheit heran, - hatte der ach so wohlwollende, liebende Onkel ja gerade erst mal wieder unter den Tisch fallen lassen. Es war schon erstaunlich, dass überhaupt einmal eine seiner Fragen beantwortet worden war.


    "Und nun zu Deinem Wunsch, mein Misstrauen Dir gegenüber abzulegen. - Nichts tue ich lieber als das! - Du sagst, dieses Misstrauen sei unbegründet. Wie schön, dass Du mir das endlich mal auf ordentliche Weise mitteilst. Bei unserem letzten Gespräch, nein, es war kein Gespräch, wahrhaftig nicht. Sagen wir lieber: Zusammentreffen. Bei unserem letzten Zusammentreffen also, gestand ich Dir zu, dass mein Bild von Dir, das ja nicht vollständig sein kann, vielleicht falsch ist. Und ich sagte Dir, dass nur Du allein das beurteilen kannst. Ich bat Dich für den Fall, dass es falsch ist, darüber nachzudenken, ob vielleicht auch Dein Bild von mir auf gleiche Weise unvollständig und dadurch falsch ist. - Du hast es vorgezogen, nochmals zu bekräftigen, für wie unreif Du mich hältst, das Gespräch abzubrechen und davonzulaufen." Eine ungeheuer beeindruckende Demonstration reifen und erwachsenen Verhaltens. Doch das zu sagen, verkniff sich Ursus, da Corvinus sich nur wieder wie ein Geier darauf stürzen würde, statt die wirklich wichtigen Dinge zu hören. "Du hast an jenem Tag nichts gehört als die Vorwürfe, die ich Dir machte. Keine meiner für mich sehr wichtigen Fragen hast Du auch nur wahrgenommen, - wovon ich zumindest ausgehen muss, da Du keine davon beantwortet hast. - Auf dieser Grundlage sollte ich etwas anders tun, als mein Misstrauen Dir gegenüber als begründet zu betrachten?"


    Vermutlich würde Corvinus sich auch jetzt nur auf diesen einen Punkt stürzen und alles andere ignorieren. Wie bisher jedes mal. Es war ungeheuer ermüdend, gegen diese sture, von Eigensucht, Selbstbeweihräucherung und Selbstüberschätzung zerfressene Wand anzukämpfen.


    Als Ursus nun weitersprach, klang seine Stimme auf ruhige Weise entschlossen. "Gut, vergessen wir diese alten Geschichten. Ich bin bereit dazu, jetzt und hier einen Schlussstrich unter all das zu ziehen. Vergessen wir beide Gespräche. Das von neulich und das von heute, bis zu diesem, jetzigen Punkt." Das war doch wirklich ein faires Angebot, fand Ursus.


    Er blickte Corvinus fest in die Augen, er meinte es in diesem Moment ehrlich, wollte tatsächlich versuchen, den Onkel als das zu sehen, als das er sich darstellte. Daher klangen seine Worte auch nicht sarkastisch oder zynisch, sondern eher versöhnlich. "Ich gehe also davon aus, dass Du mein wohlwollender Onkel bist, der mich doch eigentlich nur fördern und unterstützen möchte. Und ich stelle auf dieser Grundlage die Fragen, die mir seit Monaten auf der Seele brennen, einfach noch einmal:


    Wirst Du mir die Einarbeitung in die Familiengeschäfte gewähren?


    Wirst Du mich an den Aufgaben, die es für die Familie zu erledigen gilt, beteiligen?


    Darf ich endlich einen Beitrag für die Familie leisten und mit der Familie an einem Strang ziehen, was von jeher mein Wunsch gewesen ist, und Dich damit entlasten?


    Und bist Du ebenfalls bereit, Dein bisheriges Bild von mir zu überdenken?"


    Jede einzelne Frage war deutlich betont. Nach jeder machte er eine Pause. Und nun wartete er wieder einen Moment und fügte dann doch noch etwas hinzu, bevor Corvinus antworten konnte.


    "Ich bitte Dich um klare und eindeutige Antworten, Marcus. Bitte verzichte auf rhetorisch geschickte Gegenfragen, um den heißen Brei herumreden und allgemeinen Vorträge, so gut und richtig sie auch sein mögen. Sondern gib mir direkte, schlichte Antworten, die von vornherein keine falsche Interpretation zulassen. Einfach, um wenigstens dieses eine mal weitere Missverständnisse zu vermeiden. Ich bitte Dich darum." Es war weiterhin kein Sarkasmus in seiner Stimme, kein Spott, keine Anklage. Dafür tiefer Ernst, der auch aus seinem Blick sprach, mit dem er nun seinerseits Corvinus musterte.


    Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass Corvinus ihm auch gut zugehört und ihn wirklich verstanden hatte, und nicht wieder nach Ameisenknochen suchte und sich nur auf die – dieses mal wirklich kaum vorhandenen – Vorwürfe zu stürzen, statt die für Ursus wahrhaft wichtigen Fragen zu beantworten. - Und dass er nicht wieder begann, ausschweifend über irgendwelches Zeug zu dozieren, das eh schon klar war.

  • Was nun folgen sollte, löste so einiges an Empfindungen in mir aus. Zum einen ärgerte ich mich über Ursus, da er meiner Meinung nach aus einer Mücke einen Elefanten machte. Noch dazu aus einer Mücke, die nicht einmal immer anwesend war - denn was hätte er schon für die Familie tun können? Was gab es da noch, das erledigt werden musste, abgesehen von den Finanzen, auf die man ein Auge werfen sollte, abgesehen von zu treffenden Entscheidungen, von der Verwaltung von Ländereien, Betrieben und sonstigen Besitzen, und abgesehen vom Epmfang gelegentlicher Besucher, die meistens ohnehin konkrete Anliegen hatten. Abgesehen davon gab es so gut wie nichts. Gespräche mit dem maiordomus, organisatorische Dinge und sofort zählte ich nicht einmal dazu, genausowenig wie salutationes. Es lag also auf der Hand: Ursus wollte Cotta die Finanzbuchhaltung streitig machen, oder er war einfach unwissend und hatte in Achaia nicht sonderlich gut aufgepasst. Zudem gingen mir diese fortwährenden Diskussionen schlichtweg auf den Senkel. Ursus forderte stets nur, eingebunden zu werden. Nur in was, das sagte er nicht. Auf entsprechende Nachfragen kamen stets nur grimmige oder gar freche Worte zurück.


    Eie gänzlich andere Empfindung war die Verwunderung darüber, dass er nun Griechisch sprach und die rhetorischen Finten einzusetzen versuchte, die ich selbst auch in mich aufgenommen hatte. Mir kam es vor, als das Jahrzehnte her, doch in Wirklichkeit waren seitdem nicht einmal eine Dekade vergangen. Eines jedenfalls hatte Ursus erreicht: Ich hörte genauer hin als zuvor. Das war zwangsläufig so, wenn man sich nicht in der Sprache unterhielt, die einen seit seiner Geburt begleitete. Schnell jedoch stellte ich fest, dass Ursus nicht unbedingt präziser oder gar besser Argumentierte. Er redete wie ein Wasserfall, machte zwischendurch kleine Abstecher zurück ins Lateinische und ließ Pausen, mit denen er mich scheinends verhöhnen wollte - immerhin hatte ich vor ihm Griechisch gelernt und war geübt in dieser Sprache, vielleicht sogar geübter als Ursus selbst. Ebenso missbilligte ich seine fortwährenden Wiederholungen und die weit übertriebenen Betonungen bestimmter Dinge. Er tat ganz so, als sei ich nicht ganz richtig im Kopf. Ich schwieg beharrlich und wartete auf ein Ende, dass allzu bald jedoch nicht in Sicht war. Immer weiter steigerte sich Ursus in seine Verbitterung hinein, und ich fragte mich, was ihn wohl hatte so werden lassen. Sein überaus großzügiges Angebot, die vorausgegangenen Gespräche unter den Teppich zu kehren, nahm ich mit einer hinaufrutschenden Braue zur Kenntnis. Vielleicht, überlegte ich mir, hatte Ursus bei der Überfahrt von Griechenland hierher einen Schlag auf den Kopf bekommen? Oder aber, ihm waren seine vorausgegangenen Worte peinlich, und er schlug deswegen den vermeintlichen Kompromiss der Vergesslichkeit eingehen. Dann plötzlich verstummte Ursus, und Stille breitete sich im Raum aus. Sicherheitshalber wartete ich, doch dies schien keine der Denkpausen zu sein, die er während seines Monologs des Öfteren eingelegt hatte. Also war ich nun an der Reihe. Ich faltete die Hände und ließ sie locker auf meinem Bauch liegen, die Daumen berührten einander und bildeten ein kleines Dach. Dann räusperte ich mich. Auch ich sprach griechisch, dieses Spielchen wollte ich mir nun wirklich nicht entgehen lassen.


    "Dann fasse ich das mal zusammen. Du willst lernen. Du willst etwas für die Familie leisten. Du möchtest Arbeit übernehmen und dich einbringen. Korrekt?" fragte ich und sah mit nach unten geneigtem Kopf meinen Neffen an, als würde ich mit einem Geschäftspartner verhandeln. "Weiters kritisierst du mein Verhalten, was dir zweifellos zusteht. Niemand ist perfekt, Titus, das weiß ich mit ebensolcher Bestimmtheit zu sagen, wie ich behaupten kann, dass am Morgen die Sonne aufgeht. Mein Verhalten mag für dich nicht immer zum Vorteil gereichen, es mag dir auch nicht immer einleuchten, was ich tue, was ich anordne oder sage, doch ich gebe mir wahrhaftig Mühe, das Richtige zu tun. Manchmal ist das Richtige nicht klar und deutlich, und manchmal erscheint es auch falsch. Dies ist der Grund, aus dem ich unsere vorausgegangenen Gespräche nicht vergessen werde, denn ich finde, dass sie einen essentiellen Beitrag geleistet haben: Sie haben uns hingeführt, wo wir uns nun befinden. Ich kann nicht guten Gewissens behaupten, dass es mir gleich ist, wenn du mir nicht vertraust. Ganz im Gegenteil, es enttäuscht und verletzt mich. Doch ich kann nachvollziehen, dass manche Lektionen nicht einfach sind, denn diese Erfahrung habe ich auch schon kennengelernt, und dass man gerade in solchen Situationen einfach ein Ventil sucht. Wenn ich jenes Ventil bin, dann kann ich das akzeptieren."


    Ich musterte Titus ruhig und löste die Hände, um die Rechte auf die Lehne des Stuhls zu legen. "Ich habe mich beispielsweise gefragt, warum du gerade mir grollst und nicht Appius. Ich bin hier zu keinem Schluss gekommen, einzig hege ich die Vermutung, dass ich es bin, da ich die Fäden zusammenhalte." Denn was hatte ich getan, dass ihn derart verärgerte? Hatte er nicht immer schon mit neiderfülltem Blick auf mich gesehen? Oder hasserfülltem? "Du kannst jederzeit mit meiner Unterstützung rechnen, Titus. Wie wir auch zueinander stehen, wie viele Zwiste wir noch austragen werden - es ist wichtig, dass wir nach außen hin als unerschütterliches Bollwerk dastehen, nicht als windschiefe Hütte, deren Fenster aus den Angeln kippt, wenn man die Tür zu wuchtig schließt." Vielleicht hatte er bemerkt, dass ich anwesend war, als er seinen Amtseid abgelegt hatte. Dann würde er wissen, was ich meinte.


    Ich erinnerte mich nun an seine Aufforderung, weder rhetorisch kunstvoll noch umschiffend zu antworten. Diesen Befehl ignorierte ich auch weiterhin, immerhin hatte er selbst soeben glanzvoll vorgeführt, was er mir kurz darauf untersagen wollte. "Ich möchte dir eine ganz simple Frage stellen, Titus, um meine eingängliche Frage wieder aufzugreifen: Was genau möchtest du tun?" Und diese Frage interessierte mich nun wirklich, ja sie brannte förmlich unter den Nägeln. Hier würde sich nun zeigen, ob sich diese ganze Diskussion überhaupt lohnte, ob sie es wert war.

  • Ursus sprach ein völlig fehlerfreies, flüssiges und korrektes Griechisch, sogar nahezu akzentfrei. Wenn Corvinus ihn nicht oder falsch verstand, lag es sicher nicht an Fehlern, die Ursus machte. Außerdem ging Ursus für seinen Teil davon aus, daß Corvinus des Griechischen ebenso mächtig war wie er. Doch da es nicht den gewünschten Erfolg hatte, - Corvinus hatte ja wieder nicht zugehört, - sprach er nun wieder Latein.


    "Warum kannst Du meine Fragen nicht einfach beantworten, Marcus?", fragte Ursus und schüttelte den Kopf. "Ich soll Dich nicht interpretieren. Also könntest Du bitte ja oder nein sagen zu meinen Fragen?- Vor allem und im besonderen zu meiner letzten Frage? Du forderst nur und gibst nichts." Abgesehen von Geld, das Ursus nie erbeten hatte.


    Er war maßlos enttäuscht. Er hatte die Bitten von Corvinus erfüllt und keine seiner eigenen Bitten wurde erhört. Keine seiner Fragen beantwortet.


    "Was ich tun möchte? Ich dachte, da hätte ich mich klar ausgedrückt. Ich möchte nach und nach alle Bereiche der Verwaltung und Buchführung und den Schriftverkehr in praktischer Arbeit kennenlernen, ebenso auch alle gesellschaftlichen Verpflichtungen und was sonst noch anfällt. Was nützt mir die Theorie, die mir in Griechenland beigebracht wurde, ohne die Anschauung der Praxis? Da Appius gerade die Finanzen verwaltet, wäre es vielleicht erst einmal angebracht, wenn ich mich in die Buchführungen unserer Landgüter einarbeiten könnte. Wenn ich an den Gesprächen mit den Verwaltern teilnehmen könnte und vielleicht das eine oder andere Gut aufsuche, um mir vor Ort ein Bild von den Zusammenhängen und Notwendigkeiten zu machen. Das wäre ein Anfang."


    Ursus wollte eigentlich Corvinus die Wahl des ersten Bereiches lassen, aber wenn der unbedingt eine spezielle Antwort haben wollte, bitte.


    "Warum ich auf Appius wütend sein soll, ist mir völlig schleierhaft. Er hat mir nichts getan und kann schwerlich etwas dafür, daß Du ihm die Möglichkeit gewährst, alle nötigen Dinge zu lernen und für die Familie tätig zu sein, und mir nicht. - Warum Du mich so ausbremst, ist mir ebenfalls schleierhaft. Wäre es Dir lieber, wenn ich jede Nacht die Straßen von Rom unsicher machen und ein Vermögen verjubeln würde? Wenn ich ein Schmarotzer und Faulenzer und eine Schande für die Familie wäre? Warum freust Du Dich nicht, daß es junge Männer in der Familie gibt, Dir lernen und helfen wollen? Warum freust Du Dich nicht, daß ICH lernen und arbeiten will? Andere Familienoberhäupter wären sehr glücklich und stolz und würden alles tun, um dies zu unterstützen. - - Wenn es Dir so sehr quer geht, mich etwas zu lehren, dann gewähre mir wenigstens den Zugang zu den Unterlagen!"

  • "Ich fordere? Du hältst mir vor, dass ich nichts gebe?" echote ich fassungslos. Nicht einmal Wut gewann die Oberhand, so verblüfft war ich. Ein trockes Lachen bahnte seinen Weg nach draußen.


    "Titus, mir scheint, du bist derjenige, der nichts versteht. Wie könnte ich dir ein simples Ja oder Nein auf deine Fragen antworten, wo ich nicht einmal weiß, wovon konkret du sprichst? Ich kaufe keine Katze im Sack. Wenn du etwas von mir willst, musst du es schon konkretisieren, damit ich darauf reagieren kann." Es war schließlich unsinnig, jetzt zu versprechen, ihm irgendetwas zu zeigen, wenn sich nur Minuten später herausstellte, dass dies keinen Sinn hätte oder nicht machbar war. Was er dann aber sagte, schlug dem Fass den Boden aus. Veranschaulichung der Theorie? Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein!


    "Es hält dich niemand in der villa, wenn Festtage öffentlich zelebriert werden. Es sperrt dich ebensowenig jemand in deinem Zimmer ein, wenn eine Feier oder ein einfaches Essen mit Gästen hier im Hause stattfindet. Ganz im Gegenteil, es steht dir frei, gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen, ob auswärts oder hier im Hause." Als Magistrat wurde das sogar nicht nur von mir erwartet, sondern auch von Rom. Nur wie er auf die Idee kam, ich hätte dies untersagt, war mir mehr denn schleierhaft.


    "Ich bremse dich doch nicht aus - wo denn bitte sehr? Einen Brief wirst du ja wohl selbst schreiben können, wenn du das noch nicht gelernt hast, wirst du in der kommenden Amtszeit ein erhebliches Problem haben", entgegnete ich sarkastisch und schüttelte den Kopf. Ich wünschte mir ein Weinglas herbei, mein Mund war ausgedörrt. "Zugang zu den Unterlagen? Es verbietet dir doch niemand, die Bibliothek aufzusuchen, ebensowenig wie dir verboten ist, Appius anzusprechen oder mich konkrete Dinge zu fragen. Ich kann dein Dilemma nicht nachvollziehen, Titus. Ich hätte dir mehr zugetraut, als das hier. Du bist alt genug, selbst etwas in die Hand zu nehmen, und du brauchst auch niemanden mehr, der dich führt."

  • "Du hast mich immer noch nicht verstanden", stellte Ursus müde fest. Es war zum auswachsen.


    Hielt er sich eben an dem wenigen fest, was Corvinus gesagt hatte."Gut, ich habe also nun Zugang zu allen Unterlagen? Dann werde ich das heute noch nutzen. Ich darf an Gesprächen mit den Verwaltern teilnehmen? Wirst Du mir wenigstens Bescheid sagen, wenn solche Gespräche stattfinden? - Und zum vierten oder fünften mal die gleiche Frage: Bist Du bereit, Dein Bild von mir zu überdenken? Vielleicht einfach mal eine Weile abzuwarten, bis Du überhaupt mal etwas über mich weißt, was bisher tatsächlich nicht der Fall ist?" Zumal er nicht zuhörte, wenn man ihm was sagte. Er hörte nur Vorwürfe heraus, wie versteckt sie auch sein mochten. Die eigentlichen Aussagen oder gar die Fragen wollte er einfach nicht hören.


    "Ich möchte wissen, was in der Familie los ist, Marcus. Ich möchte wissen, was genau an Aufgaben und Problemen anfällt, was für Entscheidungen gefordert sind. Nicht, wie ein Brief geschrieben wird, das habe ich nun wahrhaftig schon vor Jahre gelernt. Sondern, was in den Briefen drinsteht, die im Zuge der Familienverwaltung anfallen. Ich möche im Notfall in der Lage sein, mich zurecht zu finden und Entscheidungen zu treffen. Die richtigen Entscheidungen, verstehst Du das nicht? Im Sinne der Familie! Du sagst, ich soll mir einfach nehmen, was ich zu brauchen glaube. Ich hätte das also einfach tun sollen? An Dir vorbei? Einfach so? Entschuldige vielmals, wenn mir nicht klar war, daß Du das auf diese Weise wünschst."


    Er atmete tief durch. "Ich hätte niemals nach Griechenland gehen dürfen, es hat mich nicht nur sämtliche Kontakte hier in Rom gekostet, sondern es hat mich durch den Tod meines Vaters während meiner Abwesenheit auch den Anschluß an die Familie gekostet. Ich habe eben getan, was mein Vater mir sagte. Ich habe immer getan, was mein Vater mir sagte, denn er forderte vor allem Gehorsam von mir. Es war vielleicht naiv, nach meiner Rückkehr zu erwarten, daß mir wieder gesagt würde, was ich zu tun habe oder was mir auch nur erlaubt ist zu tun. - Ja, diese Naivität, die muß ich mir wohl auf die Fahnen schreiben. Ich bin es eben noch nicht gewöhnt, anderer Leute Unterlagen einfach an mich zu reißen und sie dann durchzuarbeiten. Ich bin es nicht gewöhnt, eigenmächtig in die Aufgabengebiete anderer einzubrechen. - Aber ich habe nun verstanden, daß dies von mir erwartet wird. Also werde ich nicht mehr danach fragen und auch nicht mehr warten, bis mir Erlaubnisse erteilt werden. Ich werde ab jetzt einfach tun, was ich für richtig halte, ohne auf solche anscheinend unwichtigen Dinge wie zum Beispiel Befugnisse Rücksicht zu nehmen. Ich interpretiere Deine Worte jetzt so, daß ich als Familienmitglied sämtliche Befugnisse besitze. Vielen Dank, das genügt mir so." Und wenn Fragen auftauchten, würde er schon irgendwie an eine Antwort kommen. Corvinus war nun ganz sicher der letzte, den er fragen würde. Von dem war eh keine klare Antwort zu erhalten.

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