hortus | Cadhla und das Alphabet

  • Es sah so einfach aus, wenn es andere taten. Eine schlichte Bewegung, zielgerichtet, ein stetiges Auf und Ab, Bögen vollführend, fast wie ein kleiner Tanz, in einem ureigensten Rhytmus gefangen, den nachzuahmen sie sich unendlich schwer tat. Aber auch wenn die Götter (welche auch immer) anscheinend beim Talent für Sprachen und Literatur bei Cadhla gespart hatten, so hatten sie ihr doch in ihrer grenzenlosen Gnade eine gewisse Sturheit mitgegeben, was ihr bislang stets geholfen hatte, um den Kampf zu meistern, vor dem eine lange Zeit der intensiven Übung gestanden hatte.


    Also ging Cadhla folgerichtig davon aus, dass sich auch diese Kunst erlernen lassen würde, wenn sie es nur intensiv genug betrieb - einer der Angestellten der villa, ein Mann namens Livius Pyrrus, hatte ihr, als sie ihm gesagt hatte, sie benötige dies auf Anweisung ihres Herrn Aurelius Corvinus, auch den Gefallen getan und das lateinische Alphabet auf einem Papyrus notiert, in sauberen Buchstaben, sodass sie diese nur abzuschreiben brauchte, um ihren Gebrauch zu üben. Sich eine Wachstafel zu organisieren war ebenso wenig schwer gewesen, eine halb zerbrochene hatte im Müll gelegen und sie hatte sie zuerst repariert und dann begonnen, damit zu üben.


    Allerdings wirkten ihre Buchstaben stets, als hätte sie den stilus mit vorgehaltener Waffe gezwungen, sich so zu formen, wie sie es wollte, und sehr hübsch sah es auch nicht aus - zumindest konnte man nach und nach erkennen, dass ein V ein V sein sollte, und auch die O's waren nicht mehr krakelige Halbvierecke, sondern nahmen zumindest recht oft eine ovale Form ein. Es gab also Fortschritte - und auch wenn es ihr noch nicht half, die lateinische Sprache zu beherrschen, hatte sie doch erkannt, dass es nur ein weiterer Schritt dorthin war, und einer, den sie alleine meistern konnte, ohne jemanden fragen zu müssen.
    Dass sie durch einen glücklichen Zufall einen freien Nachmittag hatte erhalten können, war ein zweiter Umstand, der ihre Schreibübungen begünstigte - so saß sie im Schutz einer der hohen Hecken im hortus und übte eifrig einen neuen Buchstaben - heute war es ein R, dessen Schwünge so jämmerlich waren, dass man sich fast an ein L erinnert fühlte.


    Sim-Off:

    Reserviert :)

  • Ursus brummte der Kopf von den gesetzlichen Bestimmungen zum Erbrecht und den ganzen Listen und Tabellen. Stunden hatte er sich nun damit beschäftigt. Und auch wenn er meinte, ganz gut mit der Materie zurecht zu kommen, so hatte er doch inzwischen das dringende Bedürfnis nach frischer Luft.


    Es war auch ohnehin ein guter Moment, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Das Wetter war gar nicht so übel. Etwas kühl, aber trocken und sonnig. Nunja, mittlerweile war fast Winter, da konnte man wohl nichts besseres erwarten.


    Die frische Luft tief einatmend schlenderte Ursus durch den Garten und fühlte die innere Anspannung langsam von sich abfallen. Ja, diese Pause war wirklich eine sehr gute Idee gewesen und er hatte noch gar kein Bedürfnis, sich wieder hinein zu begeben. So durchschritt er auch Bereiche des Gartens, die er eher selten betrat.


    Natürlich rechnete er nicht damit, daß sich hier jemand aufhielt. So stockte sein Schritt, als er Cadhla im Schutz einer Hecke dahocken sah. Sie kritzelte auf einer Wachstafel herum, was ihn noch mehr erstaunte als die Tatsache, daß sie hier anwesend war. "Salve, Cadhla. Ich wußte gar nicht, daß Du schreiben kannst." Das war nicht unbedingt in beleidigender Weise abwertend gemeint. Eher waren seine Worte Ausdruck seiner Verwunderung darüber, daß eine Barbarin wie sie eben nicht nur kämpfen und putzen konnte, sondern sich auch mit hoch kultivierten Fähigkeiten befaßte. ( :D )

  • Cadhla war so sehr vertieft in ihre Schreibersuche gewesen, dass sie ihn gar nicht kommen gehört hatte - ein Umstand, der ihr, hätte sie sich in dem Moment seines Nahens nicht so furchtbar erschrocken, sicherlich peinlich gewesen wäre. Ihr wäre fast die Wachstafel aus der Hand gefallen, denn irgendwie hatte sie auch nicht damit gerechnet, an diesem Ort gestört zu werden, halb hinter der Hecke verborgen. Den stilus auf das bisher geschriebene pressend, erhob sie sich eilig, er musste ja denken, sie hätte nichts zu tun oder hätte sich von der Arbeit fortgeschlichen ...
    "Salve, dominus," sagte die Keltin schließlich, wenngleich auch etwas unsicher darüber, wie sie reagieren sollte. Irgendwie schien er sie dauernd bei Dingen zu ertappen, die nicht unbedingt auf ihrer langen Liste der Pflichten standen.


    "Ich nicht können schreiben, aber ich versuchen lernen schreiben. Es sein wie Kampf, es anstrengend, man viel muss üben, aber irgendwann man können und nicht mehr denken nach wenn tun." Ausgerechnet der, dem sie in den letzten Tagen wirklich aus dem Weg gegangen war, um ihm nicht begegnen zu müssen, hatte sie hier im Garten aufgestöbert. Wann immer sie an ihn dachte, falls sie überhaupt sich diesen Gedanken erlaubte, drängte sich die Erinnerung an den Kuss in den Vordergrund, den sie am liebsten ungeschehen gemacht hätte. "Aber ich nicht gut mit schreiben. Ich noch viel üben."

  • Warum erschrak sie nur so furchtbar? Ursus schien sie doch nicht bei etwas verbotenem erwischt zu haben? Gut, er hatte ihr ein paar Dinge gesagt, die ihr vermutlich einen ziemlichen Stich versetzt hatten. Oder war der Kuß das Problem? Er hatte doch ganz deutlich gesagt, daß er ihr nichts weitergehendes aufzwingen würde. Zumal sie das auch sicher zu verhindern wissen würde. Warum also diese Nervosität? Entschlossen schob er ihre erschrockene Reaktion beiseite und konzentrierte sich einfach auf das, was sie sagte.


    Er lächelte, als er ihre Erklärung hörte. Sie wollte tatsächlich Schreiben lernen! Das fand er sehr gut, denn hier in Rom war alles mögliche beschriftet, was das Leben für jemanden, der Lesen und Schreiben konnte, durchaus erleichterte. Daß sie normalerweise vielleicht andere Arbeiten zu erledigen hätte, darauf kam er im ersten Moment gar nicht. Immerhin konnte es sich ja bei diesen Übungen durchaus um Anweisungen von Corvinus handeln.


    "Ja, es ist wie beim Kampftraining. Auch wenn man weiß, wie man sich eigentlich bewegen sollte, so bringt doch nur die ständige Übung den Erfolg. Wenn Du dran bleibst, dann wirst Du Worte lesen, nur weil Du sie ansiehst. Auch ohne es wirklich zu wollen, man kann gar nicht anders. Und es kann auch viel Freude machen, zu lesen. - Und auch zu schreiben." Er blickte auf die Wachstafel, die sie größtenteils mit ihrer Hand verdeckte. "Wenn Du etwas weniger stark aufdrückst, kannst Du den Stilus leichter führen und die Schrift nachher auch leichter auslöschen. Es genügt, nur ganz leicht die Oberfläche des Wachses anzukratzen. - - Will Corvinus Dich zu einer Scriba ausbilden?" Das würde erklären, warum er Ursus diese unsägliche Nervensäge überlassen hatte.

  • Er schien zumindest nicht willens, ihr näher zu kommen, und das ließ Cadhla innerlich aufatmen. Bloß keine Wiederholung dieses Kusses. Der Berührungen. Der so wiederstrebenden wie verwirrenden Empfindungen, die sie einfach überrollt hatten wie eine kräftige Woge einen weißen, jungfräulichen Sandstrand. Etwas entspannte sich ihre Haltung und als sie merkte, dass der stilus, der ins Wachs gedrückt worden war, ihre Schreibversuche ziemlich unkenntlich gemacht hatte, seufzte sie leise. Wie konnte man nur freiwillig dauernd mit etwas so unpraktischem wie anfälligem wichtige Dinge erledigen? Sie verstand die Römer nicht, und wahrscheinlich würde sie diese nie verstehen.
    "Er nicht wissen, dass ich versuchen zu lernen wie schreiben. Ich glaube, er mich für dumm hält, weil ich nur lerne schwer sprechen Latein - es so andere Sprache ist wie Sprache von Heimat," sie zog leicht die Schultern hoch und seufzte etwas. Irgendwo hatte auch die Keltin einen gewissen Stolz, und als dumm wollte sie nicht gelten, auch nicht vor ihrem Besitzer.


    "Ich glauben, dass ich nicht viel habe Talent zu lernen andere Sprache, und vielleicht es besser, wenn können schreiben, und nicht müssen sprechen. Nicht meine Gedanken dumm, sondern nur fehlendes Talent für sprechen ich nicht immer kann sagen, was denken." Warum sagte sie ihm das? Warum sprach sie überhaupt jetzt mit ihm? Sie hätte sich auch mit einer eiligen, unaufschiebbaren Aufgabe aus der Sache herausreden können, aber .. jetzt stand sie doch wieder da und redete mit dem Aurelier. Du willst es doch, höhnte ihre innere Stimme und sie konnte sie nicht einmal verstummen lassen, da ein Funke Wahrheit darin lag.

  • "Er weiß es nicht?", fragte Ursus erstaunt nach und trat näher an sie heran. Er dachte sich nichts dabei, ihre Nähe war ihm eben einfach angenehm. Sie war auf ihre Weise sehr schön, ihre Stärke und ihre Reinlichkeit hatten eine enorm anziehende Wirkung auf ihn. So stand er nun direkt vor ihr, berührte sie aber nicht.


    "Eine neue Sprache zu lernen, ist niemals leicht. Ohne richtige Anleitung schon gar nicht." Er erinnerte sich an seine ersten Versuche in Griechisch. Es hatte lange gedauert, bis er diese Sprache wirklich beherrschte. "Du bist sicher nicht dumm, Cadhla. Aber Deine bisherige Ausbildung hatte sich eben auf ganz andere Dinge bezogen. Deshalb ist es für Dich jetzt schwerer. - Du wirst es schon lernen mit der Zeit. Und Lesen kann Dir dabei sehr helfen." Ihm selbst war es auch leichter gefallen, sich die Wörter zu merken, die er gelesen und nicht nur gehört hatte.


    "So sehr ich mich freue, daß Du Lesen und Schreiben lernen willst, es ist wirklich sehr praktisch, - Du solltest darüber aber nicht Deine anderen Pflichten vernachlässigen. Sonst gibt es schnell Ärger." Er wollte ihr nicht den Spaß an der Sache verderben, doch wenn sie sich gerade vor anderer Arbeit drückte, würde sie bald weitere Schattenseiten des Sklavendaseins kennenlernen.

  • Unmerklich rückte sie von ihm ab, nur ein klein wenig, in der Hoffnung, es würde ihm nicht auffallen - gerade seine Nähe war für sie verwirrend derzeit, da kam momentan nicht einmal ihr Herr mit, wenn es um Verwirrung ging. Aber Aurelus Corvinus hatte sie auch nicht einfach so geküsst. Also blieb sie lieber beim Thema Schrift und unterdrückte alles, was in eine andere, weitaus unpraktischere Richtung gehen mochte.
    "Es sein wie malen Bilder, und viele Bilder zusammen geben Wort, und Wort haben Bedeutung," sagte sie sinnierend. "Ich gehört es geben Volk mit namen Egüphtus, die schreiben nur mit richtige Bilder an Wand und auf Stein. Da sein das schneller." Sie deutete auf die verkrakelten Buchstaben, die davon zeugten, dass der Wille zwar vorhanden war, aber Talent und Anleitung noch nicht unbedingt.


    "Ich haben freien Nachmittag, getauscht Arbeit mit andere Sklaven, und nicht bekommen neue Pflichten," wehrte sie diesen Verdacht ab - die Sache wenigstens war wasserdicht. "Wenn Du nicht jetzt sagen ich gießen Blumen oder putzen Sandalen dir, dann ich haben frei bis abend, und können schreiben neues L und V und P." Sie glättete das in Aufruhr geratene Wachs auf der Tafel und blickte ihn ruhig an - wenn er ihr nicht glaubte, würde das jetzt ohnehin Ärger geben, damit würde sie leben müssen. Aber was wusste er auch schon über die Freuden eines getauscht freien Nachmittags, ohne stetiges Amphorenschleppen und ohne die sonstigen unpraktischen Arbeiten, die einem in einem so großen Haushalt sonst noch zufallen mochten.

  • Ursus bemerkte durchaus, daß sie etwas von ihm abrückte. Es konnte nicht an unangenehmen Gerüchen liegen, denn er hatte sich gründlich gewaschen und auch seine Kleidung war frisch gewesen. Hatte sie tatsächlich Angst vor ihm? Das war doch wirklich völlig unnötig. Er warf einen Blick auf die Wachstafel, trat wieder etwas näher heran und nahm ihr die Tafel aus der Hand. So mußte seine neuerliche Annährerung wie eine zufällige Bewegung wirken. Doch eigentlich wollte er testen, ob sie wieder abrücken würde.


    Er nahm ihr auch noch das Stilus aus der Hand und malte die von ihr genannten Buchstaben vor. "Versuch es erstmal mit kleinen, geraden Strichen, die Du aneinander setzt. Damit sehen die Buchstaben zwar eckig aus, doch durchaus klar und sauber. Schau Dir an, wie die Steinmetze es machen. Und nicht so tief eindrücken, siehst Du, so." Er machte es ihr einfach vor und gab ihr die Wachstafel dann wieder.


    "Ich werde Dich bestimmt nicht Blumen gießen oder Sandalen putzen schicken", lächelte er leicht amüsiert. "Zum einen verstehe ich nichts von Blumen und halte mich da lieber völlig raus. Zum anderen sind meine Sandalen gerade wirklich perfekt sauber." Er deutete nach unten auf seine tatsächlich tadellos aussehende Fußbekleidung.

  • Als er wieder näher heran kam, wogte auch ein vager Geruch nach herben Kräutern mit ihm mit - seltsam vertraut, denn in ihrer Heimat hatte man sich oft Kräuteressenzen auf die Haut geschmiert, um Sumpffliegen zu vertreiben, oder auch Krankheiten vorzubeugen. Die Erinnerung an ihre Heimat traf Cadhla wie ein Schlag, unvorbereitet tief ins Innerste, ohne dass sie damit gerechnet hätte oder wusste, wie sie es einordnen sollte. Das Bild von Cerwyn, einem anderen Krieger, mit dem sie viele Schlachten gefochten hatte, und dessen Nähe ihr bei weitem nicht unangenehm gewesen war, überlagerte sich mit dem tatsächlich vorhandenen Aurelius Ursus, doch der Geruch war fast derselbe. Sie schluckte langsam, noch immer hoffend, er würde weniger auf sie als auf die Wachstafel achten, und glücklicherweise beschäftigte er sich damit, die genannten Buchstaben aufzumalen, viel sauberer und klarer, als sie es jemals gekonnt hätte.


    Es schien ihm so leicht zu fallen, und in diesem einen Augenblick beneidete sie ihn darum, diese Kenntnisse zu besitzen und doch zu nutzen, als sei nichts Besonderes dabei.
    "Du hast ruhige Hand," sagte Cadhla schlicht, wenngleich ihre Stimme unerwartet rauh klang. Es ist nur Kräutertinktur, sagte sie sich, doch ihre innere Stimme lachte still vor sich hin. Als sie die Wachstafel zurücknahm, versuchte sie das Zittern ihrer Hand zu unterdrücken, aber es gelang nicht so recht, und so griff sie gleich nach dem stilus, in der Hoffnung, mit ein wenig Aktionismus alles irgendwie verstecken zu können. Diesmal gelang ihr das L schon besser.

  • Sie wich nicht noch einmal zurück. Und obwohl er sich einredete, daß sie es sicher nur nicht tat, aus Angst, er würde sie direkt darauf ansprechen, fühlte er tief in sich doch eine echte Freude darüber. Was er sich natürlich nicht erlaubte, zu bemerken.


    "Ich habe eine ruhige Hand, weil ich schon als kleines Kind gelernt habe, zu schreiben. Und seit dem habe ich es täglich getan, oft viele Stunden lang. Es wäre also eine Schande, hätte ich keine ruhige Hand und ordentliche Schrift." Er sagte dies lächelnd, denn er wollte ihr damit sagen, daß sie sich von seinem Können nicht abschrecken lassen sollte. Mit der gleichen Übung würde sie problemlos das gleiche vollbringen.


    Ihre Stimme hatte merkwürdig rauh geklungen und ihre Hand hatte gezittert, als sie die Wachstafel zurückgenommen hatte. Wieder blickte Ursus sie von der Seite an. "Siehst Du, schon viel besser. Du wirst sehen, bald ist es ganz leicht." Er sprach leise und suchte ihren Blick. Diese unglaublich grünen Augen! Im Sonnenlicht waren sie noch viel feuriger als im Mondlicht.

  • Sie wagte nicht einzuatmen. Genauer gesagt, Cadhla atmete so flach, dass es ihr möglich war, seinen Geruch nicht auch noch neben der frischen Luft des hortus abzubekommen, sie wollte das nicht riechen, nicht diese seltsame Mischung aus Vertrautheit und Fremdheit. Nicht so. Am liebsten wäre sie jetzt umgedreht und zurück in die villa gelaufen, um sich ein paar Amphoren zu organisieren, die sie herumtragen konnte. Oder einen Eimer, in den sie das von den Bäumen fallende Laub sammeln würde - eine unter den Sklaven nicht wirklich beliebte Aufgabe, denn sie glich einer unendlichen Arbeit, die niemals enden wollte.
    "Es sein wie Kampf. Ich kämpfen seit Kindheit, Du schreiben seit Kind sein, warum Du Dich hast gewundert, dass Frau kann kämpfen? Es ist Frage was man lernt, nichts sonst," sagte sie und starrte auf das nicht ganz so krakelige L herunter. Wieso hatte es jetzt so gut geklappt? Man konnte den Buchstaben jetzt jedenfalls schon einmal erkennen.


    Als sie den Kopf hob, um zu ihm zu sehen, begegneten sich beider Blicke erneut. Seine braunen Augen schimmerten warm, freundlich, als könnte er in keinem Menschen etwas Schlechtes sehen, und er lächelte, wenngleich er das oft tat, wie sie fand. Gegen ihn war sie der reinste Trauerkloß, denn sie gestattete ihren Empfindungen nur selten, sich auf ihrem Gesicht zu spiegeln. Mit den Fingern umklammerte sie die Wachstafel so fest, als könnte eine Sturmböe herüberwehen, aber eigentlich suchte sie nur einen Halt, den sie nicht finden würde. So dunkle, seelenvolle Augen. Cadhla blinzelte, versuchte auch das schnellere Schlagen ihres Herzens fortzublinzeln, aber es hatte keinen Erfolg.
    "Ich weiss, dass muss üben viel. Aber es auch interessant. So vieles schreiben Dein Volk, und so wenig meines. Es muss haben Grund, warum so viel schreiben. Man nicht tut etwas, wenn es ist schlecht." Liebe ist für alle da, Cadhla.

  • Ursus legte den Kopf schief. "Warum ich mich gewundert habe? Weil bei uns die Frauen nicht lernen zu kämpfen. Es ist... doch auch bei euch ungewöhnlich, oder? Nicht jedes Mädchen lernt das Kämpfen so wie Du?" Er hatte zwar schon vorher gehört, daß germanische Frauen in der Not durchaus kämpften, doch nur zur Verteidigung ihrers Hauses, ihrer Kinder. Das war etwas anderes als die Ausbildung zur Kriegerin, wie Cadhla sie erhalten hatte.


    Ihre Augen. Ihr Blick schien sich irgendwie einzubrennen. Er wußte in diesem Moment, daß dieser Blick aus diesen unglaublich grünen Augen ihm auch noch in seine Träume folgen würde. Er kannte niemanden sonst mit solchen Augen. Schon gar nicht mit solchem Feuer darin. Bloß nicht zu sehr darüber nachdenken.


    "Die Griechen schreiben noch viel mehr als wir", stellte er richtig und nickte, "Es hat Gründe. Wir schreiben so viel, damit nichts vergessen wird. Wenn man etwas nur erzählt, dann verändert es sich von Mund zu Mund. Aber manchmal ist es wichtig, daß etwas genau weitergegeben wird. Manchmal ist es nur schön, Sprache kann sehr schön sein. Und manchmal... werden Sachen aufgeschrieben, die echt unwichtig und überflüssig sind." Er lächelte wieder. Wenn sie erst einmal lesen konnte, würde sie letzteres sicher schnell feststellen.

  • "Es ist Dienst an Gott, zu lernen Kampf, und es ist auch Verzicht auf vieles. Man nicht länger lebt wie Frau, nicht mehr mit Familie, sondern nur mit Kriegern. Man lebt allein, und allein sein macht stark. Du viel verlierst wenn lernst Krieg führen und sein Frau - es nicht immer ist leicht, zu sehen andere mit Glück und Kindern und Freude, wenn Du hast Schwert und Stolz."
    Das hatte sie noch nie jemandem gesagt. Warum ihm? Wollte sie, dass er verstand, warum sie Abstand hielt, warum es ihr so wichtig war, diesen letzten Rest Stolz und Würde zu behalten, selbst hier in der Fremde, wo niemand wusste, was sie war und wieviel dieses Opfer sie gekostet hatte?


    "Jede Frau zuhause lernt Halten von Speer. Heben von Schwert - es immer kann passieren, dass Angreifer auch gehen in Haus und versuchen zu rauben Frauen und Kinder. Nicht immer kann sein Mann da um zu schützen. Niemand schlimmer kämpfen als Mutter, die schützt Kinder." Ihre Augen schimmerten verdächtig, denn die zweite Erinnerung drückte mit aller Macht empor, die Erinnerung an ihre Mutter, die zum Speer gegriffen hatte, und dann nur noch ein Schrei - und Ungewissheit. Nicht zu wissen, ob sie noch lebte oder tot war, schmerzte schlimmer als alles andere. Ebenso der Rest ihrer Familie. So blickte sie lieber wieder auf die Wachstafel herunter, floh seine dunklen, braunen Augen und starrte auf sein perfektes und ihr wackliges L.
    "Zuhause wir hören Geschichten und lernen Wort für Wort, alles behalten in Kopf. Druiden lernen Wissen von alten Druiden, Wort für Wort. Niemand, der leicht vergisst, kann dienen den Göttern, sie verdienen Erinnerung."

  • Ursus nickte ernst. Auch wenn er nicht wußte, wie es war, wenn eine Frau junge Mütter beobachtete in dem Wissen, nie selbst eine Familie haben zu dürfen, so konnte er doch nachvollziehen, daß dies sehr schmerzlich sein konnte.


    "Vielleicht ist es natürlich, daß eure Frauen auch grundsätzliche Waffenfertigkeiten haben. Schließlich seid ihr fast dauerhaft im Krieg. Hier ist es anders. Hier herrscht Frieden. Deshalb können wir es uns leisten, unseren Frauen diese Fertigkeiten zu ersparen." Er hielt das für einen Vorteil, auch wenn er einsah, daß es in Cadhlas Heimat von Nutzen war, wenn Frauen fähig waren, sich zu verteidigen.


    "Eure Druiden müssen also alles lernen, was ein anderer Druide ihnen beigebracht hat? Und es ist immer garantiert, daß der eine Druide nichts vergißt weiterzugeben? Wie viele Jahre muß der neue Druide lernen, um wirklich alles Wissen aufzunehmen? Und dieses Wissen hat dann nur der eine Druide und alle anderen wissen nichts und müssen den Druiden jedes mal fragen, wenn sie etwas erfahren wollen." So stellte er sich das wenigstens vor.


    "Hier kannst Du alles erfahren, wenn Du nur all diese Buchstaben kennst. Dann kannst Du alles nachlesen, was Du wissen willst. Und das Wissen ist immer zuverlässig da. Wir lernen auch viel und müssen viel im Kopf behalten." Auswendig lernen war über viele Jahre seine Hauptbeschäftigung gewesen, die meisten Lehrer waren eben ausgesprochen phantasielos.


    "Doch wir haben die Möglichkeit, alles Wissen zu erlangen durch das Lesen. Und wir können auch selbst niederschreiben, was wir woanders erfahren und was neues Wissen für unser Volk ist. Es kann dann vielfach abgeschrieben werden, damit man es überall verteilen und dann auch überall lesen und lernen kann." Schrift war einfach etwas elementares. Eine Offenbarung. "Man kann Briefe schreiben in alle Teile des römischen Imperiums. Und so mit Menschen sprechen, die tausende Meilen weit weg sind."

  • "Ich nicht kennen als Leben in Gefahr. Hier in Rom vieles ist still, und doch Menschen sind grausam miteinander. Sie lügen, sie betrügen, und sie nicht müssen - manchmal glauben dass Leben in Frieden lässt zuviel Freiheit zu tun schlechte Dinge. Wenn schreiben und wissen bietet Möglichkeit zu tun noch Schlechteres, dann sollten sein vorsichtig mit was aufschreiben," sagte Cadhla nachdenklich und hob den Blick zu Ursus an. Jetzt, da er so ruhig sprach, so nachdenklich wirkte, war es leichter, mit ihm umzugehen. Diskutieren konnte sie mit einem Mann, aber alles andere ...
    "Es sein lernen ganzes Leben lang für jungen Druiden, bis Lehrer stirbt. Und lernen sehr genau jedes Wort, das gesagt, denn Geschichten und Götterworte müssen gesagt werden richtig. Sie lernen zu behalten so vieles im Kopf, und nicht jeder genug Talent hat für lernen so vieles. Es wichtiges Wissen ist, geheimes Wissen, und wenn aufschreiben, jeder können lesen und nutzen. Es viel zu gefährlich. Ihr nicht denkt daran, dass zu viel Wissen oft auch nicht ist gut und hilfreich für Menschen?"


    Wieder glitt ihr Blick auf die Buchstaben. Er schrieb elegant, selbst der einfache Buchstabe wirkte, als sei er etwas Besonderes. Es war kaum auszumalen, dass es Menschen gab, die so etwas als Kind schon lernten - als Kind hatte sie selbst ganz andere Dinge gelernt und erfahren. "Du meinen ich könnte schreiben nach Hause - falls dort jemand können lesen - und fragen nach meine Eltern?" Der Funke der Hoffnung glomm auf, stärker und unbändiger denn je.

  • Ursus legte den Kopf schief. "Nein, es liegt nicht nur am Frieden. Die Intrigen und Bösartigkeiten gab es auch zu Notzeiten. Da zeigten sich die schlechten Eigenschaften der Menschen manchmal sogar noch mehr. Nein, ich glaube, es liegt an der großen Masse von Menschen. Und an den großen Unterschieden zwischen den verschiedenen Schichten." Sie war klug, diese Dinge zu hinterfragen. Und das, ohne wirklich zu ahnen, wie weit die Intrigen in Rom gingen. Sie kannte bisher nur die Spitze des Eisberges.


    "Du hast recht, nicht alles ist geeignet, aufgeschrieben zu werden. Daher gibt es Schriftstücke, die nicht jedem zugänglich sind. Und es werden auch immer noch Boten mit mündlicher Nachricht geschickt, wenn man etwas keinem Papier anvertrauen mag." Ganz so dumm waren Römer nun auch wieder nicht. Cadhla hatte ja wirklich eine schöne Meinung von seinem Volk.


    "Und ja. Wenn es jemanden geben würde, der lesen kann und der Deine Familie igendwie erreichen kann, könntest Du ihm schreiben und Dich nach ihnen erkundigen. Du könntest erfahren, was mit ihnen ist und sie könnten erfahren, daß Du noch lebst." Briefe konnten etwas wunderbares sein. Er hatte sie erst wirklich schätzen gelernt, nachdem sein Vater gestorben war und er kaum noch Briefe erhielt.


    Er konnte Hoffnung in ihrem Blick sehen. Eine Hoffnung, die er ihr gerne erfüllen würde, schon um wenigstens einmal reine Freude in diesen Augen strahlen zu sehen. Doch wer konnte schon dort lesen, wo ihre Familie lebte?

  • "Du also glauben, dass die meisten Menschen von Grund an sein schlecht und bösartig?" fragte Cadhla überrascht nach. "Du musst gehabt haben schreckliches Leben, wenn denken dass so viele schlecht. Ich gesehen schlechte und gute Menschen, es nie nur gute gibt. Aber auch nicht nur schlechte. Oder sein in Rom anders als zuhause?" fragte sie und starrte auf das perfekte L. Eine Zivilisation, die so vieles vermochte und doch verrottet schien bis unter das Dach, es passte einfach nicht zusammen. Wenn man schon so stolz auf die Errungenschaften war, die man erlangt hatte, wieso nahm man sie sich selbst wieder, anstatt zufrieden zu sein?


    "Du schreiben viele Briefe? Ich noch nie gemacht. Und auch nicht wissen an wen schreiben, aber ich denken, es sein ... besonders. Bekommen Gedanken von jemand anders geschenkt, nur für sich alleine, zum mitnehmen und mit sich tragen, wohin man gehen. Es müssen sein schön bekommen Brief von Menschen, die einem nahe." Es klang unerwartet sehnsüchtig, auch wenn sie wusste, dass niemand ihr jemals schreiben würde - ihre Eltern, ihre Sippe, niemand dort konnte schreiben. Und so würde sie auch dorthin nicht schreiben können, denn an wen hätte sie den Brief richten sollen? Die Lippen aufeinander pressend, atmete sie tief ein und schüttelte dann den Kopf. "Es sinnlos zu schreiben in Heimat. Niemand können lesen, den ich kennen."

  • Ursus schüttelte entsetzt den Kopf. "Aber nein, ich glaube nicht, daß die meisten Menschen schlecht sind. Im Gegenteil, die meisten sind gut. Aber hier leben so viele Menschen, daß es hier natürlich auch viele schlechte gibt. Und durch die große Masse an Menschen kann der einzelne schlechte, vor allem wenn er Macht und Reichtum besitzt, viel mehr Schaden anrichten als in einer kleinen Ansiedlung, verstehst Du?" Nein, wie sollte sie? Sie hatte nie dem Senat zugehört, nie die Diskussionen auf dem Forum geführt, nie die Nachrichten aus dem Reich vernommen.


    "Als mein Vater noch lebte und ich in Griechenland weilte, also sehr weit weg war, da habe ich viele Briefe geschrieben. Jetzt, durch mein Amt, werde ich auch wieder sehr viele Briefe zu schreiben haben. - Ja, es ist sehr schön, einen Brief von jemandem zu bekommen, der einem nahe steht." Er wich jetzt ihrem Blick aus. Es gab niemanden mehr, der ihm derartig nahe stand. Die Familienmitglieder hier waren ihm immer noch fremd. Corvinus konnte ihn nicht ausstehen und die anderen waren ständig zurückgezogen. Cotta war der einzige, dem er ein wenig näher stand, doch auch der ließ sich nicht mehr blicken.


    Schnell schob er diesen unangenehmen Gedanken beiseite. "Gibt es nicht einen Händler, der euer Dorf hin und wieder aufsucht? Könntest Du ihn nicht bitten, einen Brief zu überbringen und vorzulesen?" Das war die einzige Möglichkeit, die ihm einfiel.

  • "Je mehr haben Macht einzelner Mensch, desto leichter sein machen falsche Dinge, ich weiss," sagte sie mit einer recht klaren Sicht auf die Singe. "Ich gehört Geschichte von Kaiser Caligula, der hat gemacht Pferd zu Senator und solches. Es sein leicht zu tun, was wollen, wenn nicht müssen denken an andere, oder an Leben von anderen. Es auch leicht töten, wenn nicht denken daran, dass Feind ist Mensch, und haben ebenso Familie, Geliebte, Freunde." Seine Stimme vibrierte etwas, und sie nahm die feinen Schwingungen wahr, die andeuteten, dass die Erinnerung an Briefe für ihn einerseits schön sein musste, andererseits nicht minder traurig als für sie. Was ihn wohl bedrücken mochte? Aber andererseits - was ging es sie an? Sie war ihm schließlich in den letzten Tagen nicht ohne Grund aus dem Weg gegangen. Aber er hatte schon beim Samhainfest von seinen Eltern so traurig gesprochen, bestimmt vermisste er sie genauso, wie sie ihre eigenen Eltern vermisste.


    "Es geben Händler, aber der sein Mann von Stämmen wie ich - er nicht können schreiben und lesen, es nicht wird brauchen bei uns. Ich nicht glauben dass gibt Menschen, dem können schreiben und fragen nach Eltern. Ich nie wissen werde, was sein geschehen genau." Sie seufzte etwas und mit einem Mal hatte sie das Bedürfnis, etwas an dem zu ändern, was war. Auch wenn es zugegebenermaßen eine seltsame Idee war: "Ich Dir schreiben Brief, dominus. Dann Du bekommen wieder Post."

  • Es war merkwürdig, was sie für einen Durchblick hatte. Was könnte eine Frau wie sie alles erreichen mit einer hohen sozialen Stellung und mit einer guten Bildung? Was für eine Verschwendung, sie Böden schrubben zu lassen!


    "Ja, Du hast recht. Macht korrumpiert. Viele von denen, die heute schlechtes tun, haben einmal mit den besten Absichten angefangen. Doch wie verhindert man, daß dies mit einem geschieht?" Das war schon eher zu sich selbst gesprochen und weniger zu ihr. Vermutlich brauchte man Menschen, die einen auf den Teppich zurück holten, wenn man in die falsche Richtung lief.


    Passierte das gerade mit Corvinus? Wenn der wirklich glaubte, nur das beste für die Familie zu tun, indem er Ursus, den er für einen schlechten Menschen hielt, ausbremste? Und sah nicht, daß er jemanden, der ebenfalls nur das beste für die Familie wollte, gegen sich aufbrachte und der Familie damit letztendlich schadete? Es war niemand da, der Corvinus darauf aufmerksam machen konnte.


    Wieder mußte er sich zwingen, diese abwegigen Gedanken beiseite zu schieben. Briefe? Sie wollte ihm Briefe schreiben? Absurd! Absolut absurd!


    Doch obwohl sein Verstand sagte, daß dies wirklich dummes Zeug war, nickte er. "Ja. Ja, das ist eine nette Idee. Schreiben wir uns Briefe, Cadhla." Das würde ihr nicht nur helfen, sich im Lesen und Schreiben zu üben. Manches konnte man in Briefen besser ausdrücken, als in einem Gespräch. Vor allem zwischen den Zeilen.

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