cubiculum MAC | O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht?

  • Siv fluchte leise auf Germanisch vor sich hin, als sie durch die Gänge lief und nach dem Schlafraum suchte, in dem sie untergebracht war. Dieses Haus war einfach zu groß! Wie sollte sie sich jemals hier drinnen zurecht finden? Tilla hatte sie gestern zwar durch die Villa geführt, aber da war sie müde gewesen und hatte sich nicht mehr viel merken können, ganz davon abgesehen, dass es einfach zu groß war – das war etwas, was sie selbst in Gedanken nicht oft genug betonen konnte. Für ein Haus, das eigentlich nur dazu gedacht war, dass Menschen darin schliefen und vielleicht noch aßen, war es ZU GROSS. "Unnatürlich, das ist es. Menschen sollten nicht in Häusern leben, die so riesig sind, dass man sich in ihnen verirren kann…" Siv war hoffnungslos verloren. Probehalber öffnete sie eine Tür, um zu sehen, ob dahinter vielleicht ein bekannter Raum zu sehen war, aber sie erkannte nichts, und es war auch niemand darin, den sie hätte fragen können. Also zuckte sie nur die Achseln, schloss die Tür wieder und ging weiter.


    Den Tag heute hatte sie damit verbracht, die allgemeinen Aufgaben kennen zu lernen, die von den Sklaven zu erledigen waren – für sie offenbar hauptsächlich Küchenarbeit, und, sie verzog das Gesicht, die Latrinen sauber machen. Im Grunde war es auch nicht so großartig anders, als einen Stall auszumisten, trotzdem hätte Siv letzterem jederzeit den Vorzug gegeben. Zusätzlich, hatte ihr Brix ihr erklärt, bekamen die meisten Sklaven noch Aufgaben, die ihnen speziell zugewiesen wurden, aber da sie ihrem Besitzer – sogar in Gedanken triefte das Wort vor Hohn – noch nicht einmal begegnet war und er auch sonst keinem etwas gesagt hatte, wusste niemand, ob und was sie zu tun haben würde. Daran zu denken, dass sie, sie!, jemandem gehören sollte, brachte ihr Inneres wieder zum brodeln, und dass sie immer noch nichts gefunden hatte, woran sie sich orientieren konnte, machte es nicht gerade besser. Die nächste Tür, bei der Siv ihr Glück versuchte, öffnete sie mit dementsprechend etwas mehr Schwung. Zwei Dinge fielen ihr auf Anhieb auf: zum einen kannte sie auch diesen Raum nicht. Zum anderen war er nicht leer.

  • Entgegen jeglichen Dranges las ich noch bis spät in die Nach hinein über einem Papyrus von Gaius Cornelius Gallus gebrütet. Jenem bekannten Feldherr, der damals die Soldaten im Kampf gegen Marcus Antonius und Cleopatra befehligt hatte, und welcher später der erste praefectus Aegypti geworden war. Bequem in einem weichen Sessel aus geflochtenem Korb sitzend, die Füße auf einen zweiten der gleichen Art gebettet, schmökerte ich ganz allein im Raum vor mich hin und nahm nur gelegentlich einen Schluck von dem guten Wein aus dem gläsernen Pokal.


    Das Licht der Öllampe flackerte plötzlich im Windhauch, was mich aufsehen ließ, da ich kein Fenster geöffnet hatte und mir daher schleierhaft war, woher die plötzliche Zugluft gekommen war. Ich sah sogleich zur porta, nicht wenig erschrocken und nicht minder erstaunt über die larenhafte Gestalt, welche ebenso überrascht zu sein schien wie ich selbst. Einige Augenblicke ließ ich verstreichen, in denen ich nur langsam den Papyrus senkte und die Unbekannte ansah, die dort auf der Schwelle stand. Das weiche Licht malte warme Reflexe auf die helle Haut und das goldene Haar der Sklavin - denn nichts anderes konnte sie sein. Die tunica schein ein Stück zu kurz, vermutlich war sie noch nicht lange im Hause und hatte noch keine sitzende Kleidung. Ohne ein Wort zu verlieren, nahm ich die Füße vom mir gegenüber stehenden Sessel und rollte das Pergament zu einer Rolle, mit welcher ich anschließend auf den nun freien Stuhl wies. Mit undurchdringlicher Miene und nur leichtem Lächeln auf den Zügen, wartete ich darauf, dass die Sklavin meiner Geste folgen und sich vorstellen würde.

  • Siv wusste nicht warum, aber irgendwie hatte sie nicht damit gerechnet, dass jemand in dem Raum sein würde. Wie versteinert stand sie einige Momente da und starrte den Mann an, der sie ebenso überrascht musterte. Der Raum war in das weiche Licht einer Öllampe getaucht, und nebenbei registrierte sie, wie großzügig er eingerichtet war, auch wenn ihr Blick auf dem Mann haften blieb. Oh, großartig, schoss es ihr durch den Kopf. Es war spätabends, und sie hatte doch einfach nur den Weg zu ihrem Bett finden wollen. Und jetzt war sie offenbar in die Gemächer eines der Römer hineingestolpert. Ihr erster Gedanke war, einfach die Tür wieder zu schließen und zu gehen. Vielleicht noch ein Entschuldigung murmeln – wenn sie denn gewusst hätte, was das auf Latein bedeutete, hieß das. Entschuldigung war kein Wort, das man von römischen Soldaten lernen konnte, vor allem nicht wenn man ihre Gefangene war. Aber letztlich war das egal, sie hätte auch kein Problem damit gehabt, ohne ein Wort zu verschwinden. Leider überwand der Römer seine Überraschung schneller als sie – er nahm die Füße von dem zweiten Stuhl, rollte den Papyrus zusammen, den er in den Händen hielt, und bedeutete ihr sich zu setzen.


    Siv zögerte einen Moment. Wenn sie schon nicht gehen konnte, wäre sie doch zumindest lieber bei der Tür stehen geblieben – aber sie wollte verdammt sein, wenn sie den Römer glauben ließ, sie würde sich unwohl fühlen in seiner Gegenwart oder hätte gar Angst vor ihm. Dass sie sich tatsächlich nicht unbedingt wohl fühlte, musste er nicht wissen, und sie selbst versuchte es ignorieren. Bisher hatte sie immer nur mit den anderen Sklaven zu tun gehabt – es war das erste Mal, dass sie in diesem Haus auf einen der Römer traf, einen von denen, die sie würde bedienen müssen. Aber es konnte doch nicht so viel anders sein als es mit den Soldaten gewesen war… Ohne den Römer aus den Augen zu lassen, trat sie langsam in den Raum hinein und schloss die Tür hinter sich, bevor sie zu ihm hinüber ging und sich auf dem Sessel niederließ, auf den er zuvor gedeutet hatte. Obwohl sie sich lieber die Zunge abgebissen hätte als zuzugeben, wie es in ihr gerade aussah, konnte sie doch nicht verhindern, dass ihre Körpersprache recht eindeutig war. Sie saß mehr auf der Kante des Sessels als richtig darin, ihr Rücken war gerade, die Beine unter den Stuhl gezogen und verkreuzt, und ihre Finger spielten an ihrer Tunika herum, bis Siv es merkte und sie mit einer bewussten Anstrengung versuchte sie ruhig zu halten, was ihr aber nicht sonderlich gut gelang. Im Übrigen wartete sie ab – er hatte bisher ebenso wie sie geschwiegen, aber sie wusste beim besten Willen nicht, was sie hätte sagen sollen.

  • So stocksteif, wie sie letztenendes dasaß, zog ich den Schluss, dasss sich die Sklavin nicht unbedingt wohlfühlte. Ich betrachtete sie eingehend. Die alabasterfarbene Haut, die blauen Augen und das ährenblonde Haar mit seinen güldenen Lichtreflexen. Seit jeher hatte ich hellhäutige Frauen anderen gegenüber bevorzugt. Braungebrannten oder gar schwarzen Weibern konnte ich nichts abgewinnen. Wenn aber die Haut strahlte wie frisch poliertes Elfenbein, noch dazu das Haar so hell glänzte wie frisch gesponnenes Gold, dann rief die Frau Interesse in mir wach. So auch jetzt, obwohl es nur eine Sklavin war. Doch welche Römerin konnte schon mit hellem Haar punkten? Zögerlich wandte ich den Blick ab und ließ jenen zu dem gefüllten Weinkelch gleiten, der neben seinen drei umgedrehten Verwandten stand und das Licht der Öllampe kaleidoskopisch brach. Hernach langte ich zu einem der unbenutzten Gläser, drehte es herum und schenkte es halbvoll mit dem tiefroten, herben Rebensaft, den ich zu so später Stunde pur bevorzugte. Mit einem dumpfen, leisen Geräusch stellte ich den verzierten Krug wieder zurück auf den Tisch, griff betont langsam den Weinpokal und hielt ihn der Sklavin in.


    Das wortlose Spiel reizte mich und ließ mich kurz füchsisch schmunzeln. Was sie wohl hierher geführt hatte zu solch später Stunde, noch dazu, ohne anzuklopfen? Vermutlich war sie genau deswegen hier. Mein Frauengeschmack war schließlich nicht unbedingt ein Geheimnis in der Sklavenschaft. Erneut ließ ich den Blick über die Fremde schweifen. Brix und Matho hatten guten Geschmack bewiesen, und ich beglückwünschte mich dazu, die beiden entsandt zu haben. Gemächlich lehnte ich mich zurück, ließ den Blick jedoch auf der Sklavin ruhen. Recht schnell allerdings sah ich ein, dass sie wohl nicht zuerst sprechen würde und es einer kleinen Hilfe bedurfte. Ich stützte einen Ellbogen auf die Sessellehne und legte mein Kinn an die Hand. "Wie ist dein Name?" fragte ich sie leise und bedauerte insgeheim, dass ich den Reiz des Schweigens damit selbst zerstört hatte.

  • Der Römer ließ sich Zeit, und Siv hatte den Verdacht, dass er im Gegensatz zu ihr mit Absicht schwieg. Für einen Moment presste sie die Zähne aufeinander, und ihr Kinn schob sich etwas nach vorne, als sie ihren Kopf ein Stück anhob. Ihm schien die Situation zu gefallen, und das ärgerte Siv. Doch sie schwieg nach wie vor beharrlich, während der Mann sie auf eine Art musterte, die sie schon kannte. Je mehr sie sich Rom genähert hatten, desto mehr Blicke dieser Art hatten sie und die anderen Germanen auf sich gezogen – genauso wie sie selbst anfangs alle gemustert hatte, die so anders aussahen als sie mit ihren dunklen Augen, dunklen Haaren, der dunkleren Haut. Allerdings, und bei diesem Gedanken hätte sie am liebsten wieder das Gesicht verzogen, hatte sich ihr Interesse tatsächlich auf die Andersartigkeit beschränkt, im Gegensatz zu vielen Römern. Aber auch daran hatte sie sich gewöhnt – was war ihr schon übrig geblieben, mit einem Haufen römischer Soldaten um sie herum.


    Siv wurde aus ihren Gedanken gerissen, als der Römer sich schließlich nach vorne beugte. Sie unterdrückte im letzten Moment ein Zusammenzucken und beobachtete, wie er einen zweiten Pokal mit Wein füllte und ihn hier hinhielt, und nach einem Augenblick des Zögerns nahm sie ihn entgegen. Sie wartete immer noch darauf, dass irgendetwas passierte, und mehr um ihre Hände zu beschäftigen als aus irgendeinem anderen Grund drehte sie den Pokal in ihren Händen, schnupperte dann an der Flüssigkeit und probierte davon. Und musste sich zusammennehmen, um nicht genießerisch aufzuseufzen. Es war das erste Mal, dass sie Wein trank, und sie konnte daher nicht beurteilen, wie gut er tatsächlich war – aber der Geschmack sagte ihr um so vieles mehr zu als der von Honigwein. Sie hätte es nicht laut zugegeben, immerhin war Met aus ihrer Heimat und dieser Wein von den Römern, aber der Met war ihr einfach zu süß, um ihr wirklich zu schmecken. Sie nippte noch einmal daran und beobachtete erneut den Römer über den Rand des Pokals, als dieser das Schweigen endlich beendete.


    Nicht zum ersten Mal spielte Siv für einen Moment mit dem Gedanken, Hel zu sagen, als er nach ihrem Namen fragte. Hel, die Göttin der Toten und Herrscherin der Unterwelt, der sie geweiht war, so hatte ihr Vater es ihr eingetrichtert, seit sie denken konnte. Hel, die ihre Mutter mitgenommen hatte, noch in der Nacht ihrer Geburt. Hel, die sie ebenfalls in ihren Fängen gehabt – und dann doch wieder frei gegeben hatte. Hel, ihre Patin, ihre Schutzgöttin, und eines Tages ihre Richterin. Sie bezweifelte, ob der Römer – irgendein Römer – verstehen würde, was sie damit sagen wollte; dass sie allein vor dem Namen erzittern müssten, wüssten sie, wer Hel war. Sogar die Asen, hieß es, hatten Angst vor der Tochter Lokis – deswegen war sie ins Totenreich verbannt worden. Aber ignorant, wie die Römer waren, würde es wohl kaum einer von ihnen verstehen. Dennoch hatte sie mit dem Gedanken gespielt, jedes Mal wenn ein Römer nach ihrem Namen gefragt hatte. Sie, von den Römern Hel genannt, beim Namen der Göttin, die das ganze römische Reich das Fürchten lehren könnte. Aber sie hatte es nie getan. Ihr Respekt vor der dunklen Herrin war zu groß, ihre Ehrfurcht zu tief, als dass sie diesen Frevel wirklich begangen hätte. Es hatte seinen Grund, dass ihr Vater ihr nach ihrer Geburt – als klar war, dass Hel sie in dieser Nacht nicht zu sich holen würde – nicht den Namen der Totengöttin gegeben hatte, obwohl er ihr das Leben seiner Tochter geweiht hatte. Den Zorn Hels zog man besser nicht auf sich, und wo ihr Vater den Namen der dunklen Herrin aus Ehrfurcht verwendet hätte, hätte Siv ihn nur benutzt, um sich selbst Genugtuung zu verschaffen. "Siv", antwortete die Germanin also schließlich wahrheitsgemäß, während sie den Weinpokal wieder in ihren Fingern drehte. "Mein Name Siv."

  • Die Art, in welcher die Sklavin dort saß und mich mit ihren blauen Augen musterte, in Kombination mit der gegenwärtig vorherrschenden Situation, war beinahe mystisch. Immerhin schien sie nicht so sehr zu genieren, dass sie den Wein nicht einmal anrührte, denn sie benetzte ihre roten Lippen mit dem noch viel dunkleren Wein. Ich selbst nahm nun ebenfalls meinen Pokal, drehte ihn jedoch sinnierend zwischen den Händen und trank vorerst nicht daraus. Ihr Latein war beschwert vom Akzent der Nordvölker, ihr Wissen um Vokabeln, Grammatik und Semantik ähnlich schwach ausgeprägt wie Cadhlas. Vermutlich würden die beiden leichter lernen, wenn sie es zusammen taten?


    "Siv", wiederholte ich und ließ den Namen auf der Zunge zergehen. Er hatte einen melodischen Klang, obwohl er gleichsam so kurz war. Meinen eigenen Namen nannte ich nicht, da ich davon ausging, dass man der Sklavin bereits mitgeteilt hatte, wer ich war und wie sie mich zu nennen hatte, ehe man sie zu mir geschickt hatte. Dass dies nicht der Wahrheit entsprach, ahnte ich nicht, und ich machte mir auch keine weiteren Gedanken darum. Ein marginales Lächeln umspielte für einen knappen Moment meine Mundwinkel, dann leerte ich meinen schon halbleeren Weinpokal und stellte ihn neben die Schriftrolle zurück auf den Tisch. Erneut streifte ein Blick das feminine Gesicht der Sklavin, und ich hob die Hand, um flüchtig ihre zarte Haut zu berühren. "Ich wollte gerade zu Bett gehen", sagte ich zu Siv und schmunzelte. "Du hast demnach Glück, dass du mich noch wach antriffst", fuhr ich fort und wusste dabei genau, dass es für sie wohl eher Pech darstellen mochte als eine glückliche Fügung.


    Ich ließ einen Moment verstreichen und lehnte mich alsdann wieder im Sessel zurück. "Ich möchte, dass du heute Nacht hier bei mir bleibst", sprach ich dann unvermittelt. Dies war wohl ohnehin ihr Auftrag, aber damit gestaltete ich ihre Aufgabe schließlich leichter. Was sie kaum wissen konnte, war dass mir der Sinn nicht danach stand, meine Sklaven zu quälen. Ich hatte Cadhla ebensowenig etwas aufgezwungen wie ihren Vorgängerinnen, und gleichsam würde ich auch Siv nicht zwingen, etwas zu tun, das sie ganz und gar nicht wollte. "Es schläft sich angenehmer, wenn man nicht allein ist", fügte ich daher an und betrachtete Siv.

  • Die einzelne Öllampe brannte ruhig vor sich hin und erhellte den Bereich, in dem sie saßen, während der Rest des Raums in Halbdunkel gehüllt war, und Siv sah den Römer weiter an. Sie war sich bewusst darüber, dass sie ihn möglicherweise nicht so direkt mustern sollte, aber sie senkte ihren Blick nicht, und sie löste ihn auch nicht von ihm. Sie sah sich nun mal nicht wirklich als Sklavin, auch wenn sie es war und daran nicht viel ändern konnte. Aber die Situation konnte sie… gelinde gesagt, nicht einschätzen. Sie saß hier, dem Römer gegenüber, und betrachtete ihn ebenso wie er sie. Und außer seiner Frage und ihrem Namen war noch kein Wort gefallen – er nannte ihr seinen Namen nicht, er fragte noch nicht einmal, was sie hier wollte oder warum sie so hereingeplatzt war. Er schien sich noch nicht einmal darüber zu wundern. Es war seltsam, und gleichzeitig beunruhigte sie das etwas. Ein Teil von ihr beharrte auf der Meinung, dass es letztlich sein Problem war, was er dachte oder annahm, aber der Rest von ihr wusste, dass es nicht seines, sondern ihres war – oder doch sehr schnell zu ihrem werden konnte. Ob sie es wollte oder nicht, sie hatte zu gehorchen – die Römer hatten Mittel und Wege, sie dazu zu zwingen, und sie hatte mit einigen davon bereits Bekanntschaft geschlossen. Genug, um diese Erfahrungen nicht wiederholen zu wollen. Allerdings wusste sie auch, dass sie das wohl kaum vermeiden konnte, nicht solange sie ihr Temperament nicht wirklich im Griff hatte.


    Im Moment machte ihr ihr Temperament allerdings die geringsten Sorgen. Sie war von der gesamten Situation zu verwirrt, ganz abgesehen davon, dass der Römer ihr momentan nicht wirklich eine Angriffsfläche bot. Nicht so wie die Soldaten, die es ihr fast schon zu leicht gemacht hatten, ihnen mit Verachtung zu begegnen. Der Römer vor ihr dagegen sah sie weiterhin einfach nur an, wiederholte ihren Namen auf eine Art, als ob er das Wort schmecken wollte, und beugte sich erneut vor. Diesmal konnte sie ein Zusammenzucken nicht ganz unterdrücken, als seine Hand über ihre Wange strich, aber sie wich ihm nicht aus. Als er dann schließlich wieder das Wort ergriff, zog Siv kaum sichtbar die Brauen zusammen. Sie hatte Glück, dass er noch wach war? Hatte sie das jetzt richtig verstanden oder brachte sie irgendwelche Wörter durcheinander? Sie kam nicht auf die Idee er könne glauben, dass sie zu ihm geschickt worden war, stattdessen schloss sie aus seinen Worten – wenn sie ihn denn richtig verstanden hatte –, dass es ihr Glück war, weil sie ihn so nicht aus seiner Nachtruhe hatte reißen können. Daraus wiederum, kombiniert mit seinem Hinweis auf sein Bett – das Wort hatte sie heute gelernt – schlussfolgerte sie, dass er sie mit diesem Kommentar wieder entlassen wollte.


    Sie machte schon Anstalten aufzustehen, als der Römer weitersprach, und Siv erstarrte in der Bewegung. Diesmal hatte sie keinen Zweifel daran, dass sie ihn richtig verstanden hatte – und jetzt begann sie auch zu begreifen, warum er sich über ihre Anwesenheit nicht wunderte. Sie presste ihre Kiefer aufeinander, während sie sich wieder in den Sessel zurücksinken ließ. Obwohl sie bereits an diesem einen Tag begriffen hatte, dass sich für sie einiges geändert hatte im Vergleich zu der Reise hierher, blieben ein paar Dinge offenbar doch gleich. Ihre Augen blitzten auf, als die vertraute Wut und gleichzeitig das Gefühl der Ohnmacht in ihr aufflammte, aber zumindest meinte sie nun in einer Situation zu sein, die sie kannte. Nur dass der Römer sich doch deutlich anders verhielt als die Soldaten, irritierte Siv etwas, aber sie versuchte das zu ignorieren, während sie sich innerlich wappnete und äußerlich langsam nickte. "So du willst." Da es nun so aussah, als ob sie länger bleiben würde, fragte sie sich zum ersten Mal, wer er eigentlich war, und bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, sprach sie ihren Gedanken aus. "Wie dein Name sein – ist?"

  • Die Fehleinschätzung der Sklavin ging an mir vorbei, ebenso wie ihr Argwohn, als sie mich mit römischen Soldaten verglich. Zwar hatte ich zwei Amtszeiten als Tribun in einer Einheit verbracht - sogar im fernen Germanien - doch hatte sich in mir nicht die militärische Härte herausgebildet, die so vielen Soldaten eigen war. Was vermutlich daran lag, dass das Amt eines tribunus laticlavius ein Verwaltungsamt war, im Gegensatz zum Amt des schreienden Kesselflickers, der auf dem campus junge Männer zusammenstauchte.


    Hier hingegen war es so ruhig, wie es dies in einem römischen Haushalt um diese Uhrzeit sein sollte. Die Hunde schwiegen, fast alles schlief. Lediglich ein leises Rauschen war gelegentlich zu hören, wenn eine Windbö sich in den Blättern der Malve vor meinem Fenster verfing oder um das Haus strich. Wintertage in Rom waren ungemütlich, aber weitaus milder als der Winter in Germanien, der mit seinem Schnee und der Eiseskälte Menschen und Tiere peinigte. Ich sah auf. Ob Siv den Schnee vermisste? Wohl kaum, bedeutete er doch Elend und Hunger in ihrem Volk, sofern es frei gewesen und nicht romanisiert war, wovon man dank ihrer Anwesenheit hier ausgehen konnte. Ein Stück der Wildheit ihres Volkes schien in ihren Augen gefangen zu sein, oder war es nur der gedachte Gedanke, der mich in ihren Seelenspiegeln die Wildheit ihrer Heimat aufflammen sehen ließ?


    "Marcus Corvinus", antwortete ich auf ihre Frage, der nomen gentile durfte ihr schließlich bekannt sein, also erwähnte ich ihn nicht. "Corvinus bedeutet 'kleiner Rabe'. Hat dein Name auch einen tieferen Grund, Siv?" fragte ich sie freundlich.


    Alsbald erhob ich mich, ging einige wenige Schritt um den Sessel herum und löste das schmale Gürtband meiner tunica. Sorgsam rollte ich es zusammen und legte es auf eine nahe Kommode. Ehe ich mir den Stoff über den Kopf zog, hielt ich inne und sah erneut zu der zierlichen Germanin. Sie schien mir angespannt zu sein. Wieder erklang das Rauschen der Blätter vor dem Fenster. "Sehnst du dich nach dem Schnee deiner Heimat?" fragte ich sie unvermittelt, dann zog ich die tunica über den Kopf. Von nächtlicher Bekleidung hatte ich noch nie etwas gehalten, Tuniken waren dazu da, sie tagsüber zu tragen, ob mit oder ohne toga, und so war ich seit jungen Jahren ein Mensch, der sich nur mit seinem Schurz ins Bett legte, wenn überhaupt bekleidet. Ich faltete das Kleidungsstück locker einmal zusammen und warf es sodann über den Sessel, welcher Siv gegenüberstand und noch ein wenig meiner Körperwärme ausstrahlte. Dann nahm ich die Lampe vom Tisch und stellte sie auf den Nachtspind. Hernach schlug ich die Bettdecke zurück und schlüpfte darunter. Einladend hob ich eine Seite der Decke hoch und sah Siv an, ohne jedoch etwas zu sagen.

  • Marcus Corvinus… Was hatte Brix ihr noch einmal gesagt, in wessen Auftrag sie gekauft worden war? Sie versuchte sich zu erinnern, aber es wollte ihr nicht einfallen, ob es dieser Name gewesen war oder nicht. Sie meinte allerdings, der Name wäre länger gewesen, den der Germane ihr genannt hatte. Siv war mittlerweile lange genug in römischer Hand, dass sie das Prinzip der Namen eigentlich wissen sollte, aber sie interessierte sich schlicht nicht dafür. Sie hat zwar inzwischen schon einige Male gehört, wie die anderen Sklaven über die Aurelier sprachen, wenn sie die Römer in diesem Haus meinten, aber dass jeder von ihnen dies als Teil seines Namens trug, war nichts, was sich ihr sonderlich eingeprägt hatte. Als der Römer weitersprach, gab sie schließlich auf – sie würde noch früh genug erfahren, wer ihr eigentlicher Besitzer war, früher vermutlich als ihr lieb war. Stattdessen konzentrierte sie sich auf seine Worte, versuchte zu verstehen, was er sagte. Corvinus… klein… Rabe? Sie überlegte, welche Kombination wohl mit klein am ehesten passen würde, während sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie nur die Hälfte von dem verstand, was er sagte – oder eher, dass sie dennoch versuchte, einen Sinn darin zu finden. Ihr Name. Nachdem er gerade seinen erklärt hatte, schloss sie – diesmal richtig – daraus, dass er die Bedeutung von ihrem wissen wollte.


    Für einen Moment war sie versucht, einfach so zu tun, als ob sie gar nichts verstanden hätte. Es wäre so einfach… Aber sie hatte bereits begonnen, sich mit den anderen Sklaven zu unterhalten, so gut sie dazu eben in der Lage war. Früher oder später würden die Römer davon erfahren, also hatte es einfach keinen Sinn, ihnen etwas vormachen zu wollen. "Siv bedeutet… Siv…" Sie überlegte. "Braut. Frau – in später – für Thor. … Donnergott", fügte sie nach einer kleinen Pause noch hinzu. Sie ging nicht davon aus, dass er wusste, wer Thor war. Ihr Vater hatte ihr den Namen ihrer Mutter gegeben, nachdem Hel nicht in Frage gekommen war – und später hatte er oft, ähnlich wie Brix gestern, darüber gescherzt, wie passend er für sie war, viel passender als für ihre Mutter, die in einer Gewitternacht zur Welt gekommen war…


    Inzwischen hatte Corvinus sich erhoben und begann langsam, sich auszuziehen. Ohne mit der Wimper zu zucken, sah sie ihm dabei zu, während sie erneut irritiert war. Was sollte die Fragerei? Interessierte er sich tatsächlich dafür? Einen Moment lang musterte Siv ihn noch, dann zuckte sie innerlich mit den Achseln. Spielte es für sie eine Rolle, ob er mehr über sie wissen wollte? Kaum. Höchstens dass es etwas angenehmer war, wenn er sich nicht direkt nahm, was er wollte. Sie griff nach dem Pokal und trank erneut, leerte ihn etwa zur Hälfte, während er seine Tunika über den Stuhl legte und zum Bett hinüber ging. Wenn sie schon Alkohol zur Verfügung bekam, konnte sie ihn auch genauso gut nutzen, um ihr die Nacht leichter zu machen, und tatsächlich sandte der Wein eine wohlige Wärme in ihre Glieder, auch wenn es lange nicht genug gewesen war, um wirklich davon betrunken zu werden. "Was heißt Schnee? Ich meine, was… Was, was Schnee ist? Das Wort?" Heimat dagegen kannte sie. Aber wollte sie wirklich vor einem Römer zugeben, dass sie sich nach ihrer Heimat sehnte? "Heimat… ich sein lieb. Lieber." Lieber als hier, in jedem Fall. Aber das dürfte ihm auch klar sein, also vergab sie sich nichts, wenn sie es sagte.


    Danach stand sie ebenfalls auf und atmete tief ein, bevor sie ihre Tunika über den Kopf zog, unter der sie nichts trug. Sie war es gewöhnt, so herumzulaufen, hatte zu Hause im Sommer nackt gebadet, auch mit anderen zusammen – und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte sie sich so etwas wie Schamgefühl spätestens bei den römischen Soldaten schnell abgewöhnt. Für einen Moment stand sie einfach nur da, ohne ihre Blößen zu bedecken. Ihr Körper trug noch die Spuren, die sie aus der Zeit ihrer Gefangenschaft hatte, als sie kaum eine Gelegenheit zu Widerspruch und Widerstand ungenutzt hatte verstreichen lassen. Die Wunden verheilten, langsam aber sicher, und es war abzusehen, dass sie in nicht mehr allzu langer Zeit gänzlich verschwunden sein würden – aber noch waren sie sichtbar. Dann legte sie die Tunika neben seine und ging zu dem Bett, um sich neben ihn zu legen, ohne noch etwas zu sagen, aber auch ohne ihn mehr zu berühren als notwendig war.

  • Das Latein schien ihr doch größere Probleme zu bereiten, als ich angenommen hatte. Hingegen der Wein ihr zu schmecken schien, wie ich schmunzelnd feststellte. Fehlende Lateinkenntnisse waren bei einem Großteil aller Sklaven an der Tagesordnung, bedachte man die Umstände, unter welchen sie in römischen Besitz gelangten. Die wenigsten, vormals freien Völker hatten je mit Latein sprechenden Menschen zu tun gehabt. Viele meiner Landsmänner zeigten keinerlei Toleranz in Bezug auf diesen Umstand. Doch ich befand, dass es für das Verhältnis besser war, wenn man zumindest ein wenig Verständnis aufbringen konnte. Bei Cadhla klappte es schließlich auch recht gut, jemand hatte mir erzählt, dass sie freiwillig Schreiben lernte.


    Während ich noch darüber nachsann, was Siv mir eben hatte erzählen wollen - die vielen zwischengeworfenen, germanischen Worte hatten das Verstehen nicht unbedingt einfacher gemacht - erhob sich die Germanin und streifte ihre tunica ebenfalls ab. Ohne Schamgefühl schien sie das Kleidungsstück zu falten und warf es ebenfalls über den Sessel. Auf der hellen Haut waren dunklere Stellen erkennbar im diffusen Licht der Öllampe. Es mussten Striemen und Schrammen sein, vielleich blaue Flecke vom Transport hierher nach Rom oder durch die grobe Behandlung des Händlers und seiner Schergen. Mein Blick erfasste ruhig und eher bedächtig als in Erregung ihren Körper, ich verglich und beurteilte im Unterbewusstsein. Dann näherte sie sich, und ich schwieg noch immer. Ihr Versprecher war auf eine amüsante Art niedlich gewesen und ließ mir kurz grinsen. Kaum dass sie neben mir lag, ließ ich die Decke los und drehte mich gemütlich auf die Seite. Sie hatte die Lampe nun schräg hinter sich stehen, und das Licht floss glänzend über ihre leicht gewellten Strähnen. Als ich für einen kurzen Augenblick die Augen schloss, meinte ich Cadhla dort liegen zu sehen - war es Wunschdenken? Ich beschloss, sie an einem anderen Abend herzuholen.


    Den Kopf mit einem Arm stützend, betrachtete ich das Gesicht des Mädchens. "Thors Frau", griff ich den Gedanken von vorhin wieder auf. "War Thor der Name deines Gefährten? Dein Mann?" fragte ich, und versuchte so wenig schwierige Worte als möglich zu verwenden. Ein wirklich ungünstiges Thema, besah man sich den eigentlichen Grund, aus dem sie hier in meinem Bett lag, aber ich war ohnehin müde, da machte das keinen großen Unterschied. Immerhin musste es bereits weit nach Mitternacht sein. Siv schien peinlichst darauf bedacht zu sein, ihre Haut der meinen nicht nahe zu bringen, doch ich überging dies und suchte den Hautkontakt, indem ich mein Bein an ihres legte. Indes eine Hand mit den duftenden Strähnen ihres Haares spielte. "Schnee... In Germanien habt ihr im Winter doch viel davon. Schnee ist das, was im Winter vom Himmel fällt. Weiß und kalt. Hier schneit es nie, es ist zu warm. Stattdessen regnet es nur", erklärte ich und lächelte flüchtig. "Und der Sommer ist sehr warm. Du wirst ihn mögen." Ob sie mich überhaupt verstand? Ich studierte ihre Mimik und versuchte zu ergründen, was in ihr vorgehen mochte. "Hast du Angst?" wollte ich von ihr wissen.

  • Siv war angespannt, auch wenn sie sich bemühte sich nichts anmerken zu lassen, und die Anspannung wuchs mit jedem Moment, indem der Römer einfach nur dalag und nichts tat. Sie musterte ihn sowohl verwirrt als auch misstrauisch, und ihre Brauen zogen sich wieder zusammen. Was für ein Spiel spielte er? Er suchte zwar Körperkontakt, aber ansonsten tat er nichts, nichts von dem was sie erwartet hätte. Sie hätte nicht erwartet, dass er nach ihren Haaren griff und damit spielte, wie es Ragin immer getan hatte. Und sie hätte mit Sicherheit nicht erwartet, dass er sie weiter mit Fragen überhäufte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, bevor sie sie kurz zusammen presste. Abwarten. Einfach abwarten, sagte sie sich. Sie würde schon merken, was er wollte. Sie wollte jedenfalls nicht zeigen, dass sie nach wie vor keine Ahnung hatte, was sie von ihm oder von der Situation halten sollte. Also wich sie seinen Berührungen nicht aus, und weil er zumindest im Moment keine Anstalten machte, ihr noch näher zu kommen, entspannte sie sich etwas und rutschte ein bisschen hin und her, um sich bequemer hinzulegen.


    "Thor sein, ist, Gott. Donnergott", wiederholte sie, und jetzt glomm Spott in ihren Augen und ihrer Stimme auf. Sie die Frau eines Gottes? Dann wäre sie jetzt nicht hier, oder wenn doch, dann um über die Römer zu richten, und nicht als ihre Sklavin. "Ich nicht hier bin, wenn Thor, wenn Gott mein Mann. Thor nicht, nicht sein Name. Jedenfalls nicht allein." Es gab durchaus Kombinationen mit Thor, aber zumindest Siv war noch niemandem begegnet, dessen Eltern ihm den Namen des Donnergotts gegeben hätten. Dass Corvinus sie aber nach ihrem Mann fragte, störte sie nicht weiter. Ragin war tot, und auch wenn es noch nicht allzu lange her war – sie hatte ihn nicht geliebt. Es gab Momente, da dachte sie mit Wehmut an ihn, weil er ein guter Mann gewesen war, der es einem leicht gemacht hatte, ihn zu mögen – oder, in Sivs Fall eher: der es ihr verdammt schwer gemacht hatte, ihn nicht zu mögen. Tatsache war aber gewesen, dass sie ihn einfach nicht hatte mögen wollen. Sie war zu aufgebracht gewesen über die Tatsache, heiraten zu müssen. Nicht etwa wegen etwas so Unsinnigem wie Liebe, denn das war nichts, was in Sivs Leben bis zu diesem Zeitpunkt eine Rolle gespielt hätte, und das tat es bis heute noch nicht. Es ging um ihre Freiheit, die sie aufgeben musste. Und sie war empört gewesen, dass ihr Vater, ihr Vater!, sie tatsächlich verheiraten wollte, und das sogar gegen ihren Willen. Dass sie schon länger im heiratsfähigen Alter gewesen war, dass sie nicht ewig zu Hause leben konnte, dass ihr Vater zuvor schon einige Male versucht hatte, sie im Guten zu überzeugen, hatte sie dabei gekonnt ausgeblendet. Nein, sie hatte ihre Freiheit behalten wollen. Freiheit… Sie verzog spöttisch die Lippen, um das nagende Gefühl der Sehnsucht zu überspielen. Freiheit war jetzt nur noch ein Wort für sie. Freiheit war das, was ihr Herr ihr zugestand, und das würde wohl kaum den Namen Freiheit verdienen.


    "Ragin. Ragin hieß mein Mann, ist Name bei Mann, mein Mann. Er sein Krieger, viel Römer tot von ihm." Wieder blitzten ihre Augen auf. Sollte der Römer neben ihr ruhig wissen, wer ihr Mann gewesen war und was er getan hatte. Corvinus konnte noch von Glück reden, dass sie es ihm nicht wie Gift und Galle entgegen spuckte, so wie den Soldaten – aber das lag an seiner Art, wie er sich benahm, wie er mit ihr redete. Siv war davon verwirrter, als sie sich selbst eingestehen wollte. Und jetzt begann er tatsächlich noch, ihr zu erklären, was das Wort Schnee bedeutete – sie hatte ihre Frage eher aus einem Reflex heraus gestellt gehabt, nicht weil sie wirklich eine Antwort erwartet hätte. Diesmal war ihre Verwirrung sogar größer als ihr Misstrauen, als sie vergeblich versuchte, aus ihm schlau zu werden. Ein Teil von ihr begann sich zu wünschen, sie hätte einen der Soldaten vor sich, dann wüsste sie wenigstens, woran sie war. Aber sie wusste es eben nicht, und um ihre Unsicherheit zu überspielen, ging sie auf das ein was er sagte – und redete mehr mit ihm, als sie eigentlich wollte. Sie bewegte sich wieder etwas und konnte dabei nicht vermeiden, dass ihr Bein dabei an seinem entlang strich. "Schnee", sagte sie, und wiederholte mit einem Nicken auf Latein: "Schnee. Viel Schnee, in Germanien. Hier… reg… reget? Regent? Oh, was heißt das schon wieder…", murmelte sie. Dann fiel ihr etwas ein. "Regen? Wasser, bei Himmel? Sommer in Germanien warm, aber kurz. Sommer klein." Siv hatte es mit dem Wort 'bei'. Wenn sie nicht wusste, welche Präposition sie verwenden sollte, nahm sie einfach 'bei'. Sie wusste nicht warum, aber es gefiel ihr.


    Die Behauptung sie würde den Sommer hier mögen verstand sie zwar, aber darauf ging Siv nicht ein. Sie mochte Wärme, aber sie wollte den Sommer hier nicht mögen. Es war ein römischer Sommer, so einfach war das. Im nächsten Moment stützte sie sich genau wie er auf einem Ellenbogen ab und funkelte ihn an. Angst? Sie? Sie war Germanin, bei allen Göttern! Selbst wenn sie Angst hatte, würde sie es keinem Römer zeigen. Dementsprechend heftig war jetzt ihr Tonfall. "Angst? Bei Hel und ihrem dunklen Reich, ich keine Angst. Nicht vor Römer, oder durch, oder bei!"

  • Während ich die im goldenen Licht daliegende Germanin musterte, verglich ich sie beinahe automatisch mit Camryn. Jener Keltin, die ich fortgeschickt hatte, damit sie Nachforschungen betrffend meinen vermeintlichen Neffen anstellte. Sie war nun schon gut ein paar Wochen außer Haus, hatte sich aber noch nicht gemeldet. Ich ließ den Gedanken fallen und widmete mich erneut der zarten Gestalt an meiner Seite. Den Spott in ihren Augen bemerkte ich, und ich konnte es ihr nicht verübeln. Dieser Thor war also einer der heidnischen Götter, und nicht ihr Gefährte. Vermutlich hätte er, wäre er dies wirklich gewesen, aber auch nicht viel gegen die jetzige Situation tun können, immerhin wusste jeder Römer, dass die römischen Götter die einzig wahren waren, und gegen so einen heidnischen Gott würden sie gewiss mit Leichtigkeit siegen. Die Vorstellung entlockte mir ein Schmunzeln, dass angesichts der nächsten Offenbarung jedoch recht schnell wieder verschwand. Die Feindseligkeit, welche sie mit ihren Augen versprühte, schein für einen Sekundenbruchteil praktisch greifbar im Raum zu schweben, doch ich griff nicht danach, sondern ging gar nicht auf die Spitze ein. Zweifellos hatte sie anderes erwartet, womöglich aufgebrachte Zurechtweisung oder einfach eine wütende Bemerkung. Ich aber tat nichts dergleichen, sondern spielte nur weiter mit dem goldenen Haar, ließ das Ende einer Strähne über meinen Daumen gleiten und betrachtete das Schauspiel fasziniert.


    Als sie sich bewegte, spürte ich ganz deutlich ihr Bein an meinem. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus, doch ich entschied recht schnell für mich, dass es nicht reichte, um die Müdigkeit aus den Gliedern zu vertreiben, welche sich bereits dort eingenistet hatte. Siv lag jetzt da wie ich, nur spiegelverkehrt. Die Decke fiel, angepasst an die Kontur ihres seitlich daliegenden Körpers, sanft von den Schultern hinab zur Taille, nur um sich anschließend in rasantem Bogen an die Hüfte anzuschmiegen. Allein diese Form sprach mich bereits an.


    "Ja. Ich weiß. Ich war auch in Germanien. In der Legion", erklärte ich. "Der Winter ist sehr kalt. Viel kälter als hier. Vermisst du den Schnee?" fragte ich sie abermals und musste grinsen, als sie mir ihr germanisches Kauderwelsch entgegenspuckte, von dem ich nicht einmal im Ansatz verstand, was es bedeutete. Allerdings - ein paar Brocken hatte ich während meiner zwei Jahre in Mogontiacum aufgeschnappt. Also räusperte ich mich und sagte auf germanisch, aber mit grauenhaftem Akzent: "Holunderbeerbusch. Man trinkt ein rundes Haus auf mir." Was - laut diesem germanischen Wicht - soviel bedeutete wie 'Herhören, die nächste Runde geht auf mich.' Tja, soviel dazu. Da es, wie ich fand, prima zur Stimmung passte, kitzelte ich Siv mit ihrem eigenen Haar nun am Ohr. "Ja, ihr habt wenig Sonne, im Vergleich zu hier. Hier scheint oft die Sonne..." murmelte ich. Ihre Haut schien mich magisch anzuziehen. Dieser helle Farbton. Auch Cadhla hatte solch helle Haut, wie es bei den Nordvölkern nun einmal gewöhnlich war, auch wenn ihr Körper mit Sommersprossen bedeckt war. Siv hingegen wirkte wie ein formschönes Stück Elfenbein. Makellos, sah man von den verblassenden Wunden ab, die im Schein der Lampe besser sichtbar waren als vorhin im Zwielicht.


    "Vor", stimmte ich ihr grinsend zu. Ich war in Spiellaune, und zwar durch und durch. Deswegen schnappte ich mir auch den Arm, auf dem sie sich nicht aufstützte, und tat so, als ob ich gleich kräftig zubeißen würde. "Und vielleicht solltest du besser Angst haben. Wir fressen gern schöne Germaninnen." Ich senkte den Mund auf den Arm, küsste sie jedoch flüchtig, statt sie zu beißen. Dann grinste ich Siv breit an.

  • Sie sollte sich eigentlich langsam daran gewöhnen, dass er nicht so reagierte wie sie erwartete, aber sie tat es nicht. Als Siv ihn anfauchte, tat er gar nichts, antwortete noch nicht einmal, sondern spielte nur weiter mit ihren Haaren, und sie starrte ihn an – verwirrt, misstrauisch, und diesmal auch ziemlich verärgert. Sie war es nicht gewöhnt, dass jemand so gar nicht auf ihre Ausbrüche reagierte, egal ob der Betreffende nun versuchte zu beschwichtigen oder selbst wütend wurde. Vielleicht hätte ihr Vater diese Methode öfter anwenden sollen, aber sie war die Jüngste gewesen, das einzige Mädchen, und sie sah ihrer Mutter, die noch dazu in der Nacht ihrer Geburt gestorben war, so ähnlich… Er hatte sie verwöhnt, hatte ihren Launen meistens nachgegeben, und die meisten anderen in Sivs Umgebung ebenso – und dem Rest war sie einfach aus dem Weg getan, weil sie genau das nicht mochte. Und die Römer? Hatten, jedenfalls bisher, auch immer reagiert. Einzig das harte Leben in Germanien und ihre Brüder, die zwar ebenfalls vernarrt gewesen waren in ihre kleine Schwester, sie aber trotzdem nur zu oft geärgert hatten, hatten dafür gesorgt, dass Siv lernte, ihr Temperament, ihre Sturheit und ihre Launen wenigstens gelegentlich zu kontrollieren.

    Corvinus konnte sie aber nicht aus dem Weg gehen. Abgesehen davon, dass sie Sklavin war, lag sie im Moment in seinem Bett. Aber nichts in der Welt konnte sie daran hindern, eingeschnappt zu sein, und der Blick, mit dem sie ihn jetzt musterte, war finster. Der Römer ließ sich davon augenscheinlich wenig beeindrucken. Er spielte weiter mit ihren Strähnen und musterte sie, und als er dann wieder das Wort griff, war Siv gegen ihren Willen interessiert. Hatte sie das richtig verstanden, er war in Germanien gewesen? In ihrer Heimat? In der… Legion?!? Das Interesse blieb, änderte sich aber. Wieder schienen Gewitterwolken über ihr Gesicht zu ziehen und ihre Augen zu verdunkeln, während sie abfällig die Lippen kräuselte. "Legion? Du kämpfen? Wie viele Germanen hast du auf dem Gewissen, wie viele hast du in die Sklaverei gebracht?" Dann kam er wieder auf den Schnee zu sprechen, für den sich Siv jetzt am allerwenigsten interessierte, und sie verengte die Augen. "Ja, Schnee. Winter kalt. Leider nicht kalt genug, sonst wärt ihr Römer schon alle erfroren!" Aber wieder schien er ihren feindseligen Ton entweder nicht zu hören, oder er ignorierte ihn. Siv begann zu verzweifeln. Inzwischen war sie soweit, dass sie sogar eine Strafe in Kauf genommen hätte, um ihn aus der Reserve zu locken. Aber statt etwas zu tun, was sie erwartete, was sie kannte und womit sie hätte umgehen können, redete er nur weiter – auf Germanisch.


    Siv starrte Corvinus für einen Moment nur völlig verblüfft an, dann fing es an um ihre Mundwinkel zu zucken. "Man trinkt rundes Haus auf mir? Wer hat dir denn den Schwachsinn beigebracht?" Sie musste lachen, sowohl über das was er sagte, als auch über seine gruselige Aussprache, und genauso wenig wie sie ihren Zorn wirklich gut kontrollieren konnte, konnte sie ihre Heiterkeit verbergen. Sie musste sich zwingen daran zu denken, mit wem sie gerade im Bett lag, um wenigstens ihr Lachen zurückzuhalten. Sie duckte sich, als er begann, mit ihren Haaren ihren Hals zu kitzeln, und schob seine Hand weg, aber er schien schon wieder etwas anderes im Sinn zu haben. Er griff nach ihrem Arm und sagte etwas von Angst haben, und… was… fressen Germaninnen? Bevor Siv einen Sinn darin entdecken konnte, beugte er sich über ihren Arm und tat so, als ob er sie beißen wollte, aber letztlich wurde ein flüchtiger Kuss daraus, der eine Gänsehaut auslöste und ihr einen kurzen Schauer über den Rücken jagte. Als er sie danach grinsend ansah, starrte sie nur entgeistert zurück. Was wollte er? Was sollte das? Er benahm sich, als ob sie schon seit langem miteinander vertraut wären, als ob… Siv weigerte sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken. "Was du willst, Römer? Was, was das…" Sie hätte gestikuliert, aber auf den einen Arm stützte sie sich, den anderen war nach wie vor in seinem Griff. "Was soll das? Du kannst nicht einfach die Spielregeln ändern! Du, du… was…"

  • "Nein", entgegnete ich gut gelaunt und schüttelte den Kopf, nur kurz von ihrem Arm ablassend. "Nur Schreibarbeit." Als senatorischer Tribun hatte man eben nichts zu tun, außer Papierstapel zu verschieben, Lager zu kontrollieren und solche Dinge eben.Gänzlich unspektakulär, im Grunde. Worüber ich allerdings nicht ganz traurig war, immerhin konnte ich besser den stilus schwingen als ein Schwert, und ein Tribun, dem beim Anblick eines Toten - der nicht einmal selbst umgenietet worden war - bereits übel wurde, hätte wohl für so manchen Lacher gesorgt bei den Truppen. "Ich habe noch niemanden getötet", sagte ich daher. "Aber ich könnte ja heute Nacht damit anfangen." Wieder grinste ich wölfisch und näherte mich dem Arm. Das helle Lachen klang angenehm und stachelte die Albernheit noch weiter an, die seltsamerweise von mir Besitz ergriffen hatte - wo immer sie auch hergekommen war. Ihr Germanisch sagte mir wieder rein gar nichts, also konzentrierte ich mich auf das fröhliche Lachen und ihren Arm. Mit den Lippen zupfte ich an den feinen Härchen, die sich aufgerichtet hatten. Plötzlich spannten sich indes ihre Muskeln, und ich sah auf, um sie fragend anzublicken.


    Was ich wollte? Sie schien erbost und hätte wohl wild mit den Armen gefuchtelt, wenn sie nicht auf einen gestützt hätte und der andere nicht in Beschlag genommen worden wäre. Ich zog die Stirn zusammen und die Nase kraus, wieder brach ein germanischer Wortschwall über mich herein, unterbrochen von ein paar Brocken Latein, die allerdings alleinstehend keinen Sinn ergaben. "...soll das?" schlug ich daher scheinbar hilfsbereit vor, grinste jedoch dabei breit. "Um ehrlich zu sein, weiß ich das auch nicht. Aber es macht mir gerade Spaß." Ich zwinkerte, ließ jedoch dann von ihr ab und ließ mich mit einem tiefen Seufzer auf den Rücken und in die beqzemen Kissen sinken. Kurz darauf wandte ich den Kopf. "Dein Latein ist schlecht", sagte ich zu Siv. "Du musst es lernen." Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und studierte das, was man von Sivs Körper so sehen konnte. Ich löste die Linke und zwirbelte nun wieder in ihren Haaren, an denen ich ganz offensichtlich einen Narren gefressen hatte. Lange Haare, seidig glänzend im Licht, von ungewöhnlicher Farbe... Der Ausdruck in meinem Gesicht änderte sich und wurde nun etwas weicher. Ich griff gedanklich den Schnee wieder auf, wenn auch in anderem Zusammenhang. Ihre Haut war beinahe so hell wie Schnee... Und Siv selbst war äußerst anziehend, wenn sie wütend war.

  • Die Germanin war nicht einmal so sehr wütend, nicht nur, hieß das. Sie war wütend, verwirrt, misstrauisch, erheitert und noch mehr, so schien es ihr. Die verschiedensten Gefühle tobten in ihr, als ob sie an Odins jährlicher Jagd teilnehmen wollten, wechselten sich munter ab und mischten sich bunt durcheinander. Siv wusste nicht mehr, was sie tun oder wie sie sich verhalten sollte. Im Moment hatte sie noch nicht einmal mehr ihren Zorn, an den sie sich sonst festklammerte, in den sie sich verbiss, so sehr, dass sie alles andere ausblenden konnte. Der Römer mit seiner seltsamen Art nahm ihr so total den Wind aus den Segeln, dass er inzwischen schon mehr als einmal dafür gesorgt hatte, dass sie sprachlos war – was eher selten vorkam. Wenn sie nichts sagte, dann weil sie nichts sagen wollte, nicht weil ihr nichts einfiel.


    Wieder ein Blick, diesmal etwas zweifelnd. Wenn sie nicht gerade so durcheinander gewesen wäre, wäre sie beleidigt gewesen, weil er seinen Spaß an dieser Situation hatte, die sie so… nun ja, fast hilflos sein ließ. Zumindest fühlte sie sich inzwischen so. Sie war erleichtert, als er sie endlich losließ und sich auf das Kissen sinken ließ. Die spinnen, die Römer. (:D) Seit die Römer so sehr in ihr Leben getreten waren, dass sie zu einer mehr oder weniger konstanten Bedrohung geworden waren, hatte sie gedacht, dass Römer im Wesentlichen recht einfach gefertigt waren. Und in jedem Fall sich alle recht ähnlich. Und die Soldaten hatten ihr keinen Grund gegeben, diese Meinung zu ändern. Aber jetzt… Unsinn, fauchte sie sich selbst an Gedanken, aber auch das nur halbherzig. Sie selbst stützte sich nach wie vor auf einem Arm ab, und sie musterte den Römer, dessen Gesicht vom Licht beschienen wurde und der seine Finger offenbar einfach nicht von ihren Haaren lassen konnte. " Römer…" Der Tonfall hatte etwas Abfälliges, aber weit mehr etwas Grübelndes.


    In jedem anderen Gespräch hätte sie, laut oder in Gedanken, gefragt, warum um alles in der Welt sie Latein lernen sollte – aber jetzt war sie froh über die Ablenkung. "Ich weiß, Latein schlecht ist. Soldaten nicht machen lernen." Denen war es egal gewesen, ob und wie viel ihre Gefangenen lernten. Sie waren nicht diejenigen, die sie verkaufen würden und denen dementsprechend daran gelegen sein musste, ihren Wert zu steigern. Siv fiel plötzlich auf, dass sich die Art änderte, wie er sie nun betrachtete, und sie bewegte sich kurz unruhig. Sie versuchte, seinen Blick zu ignorieren, aber sie wollte auch nicht wegsehen, wollte nicht nachgeben, wollte sich nichts vergeben, und das hätte sie, ihrer Meinung nach, wenn sie wegsah. Am liebsten hätte sie gefragt, was er nun schon wieder hatte, aber das brachte sie dann doch nicht fertig – sie gestand sich nicht ein, dass sie befürchtete, die Antwort würde wieder ein Teil dieses Spiels sein, mit dem sie nichts anfangen konnte, sondern sagte sich einfach, sie wollte nicht mehr mit dem Römer reden. Also tat sie nichts, außer seinen Blick zu erwidern und ihn ebenso zu mustern.

  • Es mochte nicht allzu viel hängen geblieben sein vom in Germanien erworbenen Sprachschatz, aber die Bezeichnung für mein Volk wusste ich schon noch. Der Tonfall, in dem sie mir das Wort entgegenspuckte, war zwar gewöhnungsbedürftig, doch hörte ich auch die nachdenkliche Nuance heraus. Und jene war es auch, die mich schmunzeln ließ. Ich richtete mich seitlich etwas auf und beugte mich dicht an ihr Ohr heran. "Germanen", raunte ich und drehte mich nun wieder so auf die Seite, dass ich ihr gegenüber lag, den Kopf wie sie mit einem Arm stützend und sie aufmerksam ansehend.


    "Das macht nichts. Du kannst es jetzt lernen", erwiderte ich. "Frage Cadhla. Sie lernt auch noch und kann dir sicher helfen." Schweigen breitete sich auf unsichtbaren Schwingen im Raum aus und ließ die Flamme der Öllampe leicht flackern. Dies wiederum ließ die Schattierungen auf der hellen Haut und die unterschiedlich goldenen Nuancen im germanischen Haar lebendig schimmern, sich winden und verzerren. Eine Weile beobachtete ich das Spiel aus Licht und Schatten, aus Glanz und Stumpfheit, dann hob ich die freie Hand an Sivs Gesicht und strich ihr über die Wange. "Komm her", sagte ich zu ihr, drehte mich wieder auf den Rücken und legte den linken Arm halb um sie herum. Ich war tatsächlich müde, und etwas Nähe war alles, was ich mir gerade wünschte. Erneut stiegen einige triste Gedanken aus meinem Innersten hinauf. Ich drängte sie zurück, schloss die Augen und steckte meine Nase in Sivs gut riechendes, helles Haar. Behagliche Wärme breitete sich in meinem Körper aus, matte Trägheit machte sich breit. Ich war einfach nur dankbar, ich selbst sein zu können, mich nicht verstellen zu müssen. Und ich war dankbar, dass irgendwer Siv hergeschickt hatte.

  • Wieder ein überraschter Blick, als er ihr Germanen zuraunte und damit offensichtlich antwortete. Wie viel von dem, was sie sagte, verstand er tatsächlich? Vielleicht war sein Satz zuvor nur gedacht gewesen, um sie in Sicherheit zu wiegen, und in Wirklichkeit konnte er verstehen, was sie sagte… Für einen Moment runzelte Siv die Stirn, aber dann tat sie den Gedanken ab. Sie glaubte nicht, dass Corvinus sie wirklich verstand – dafür hatte er dann doch eindeutig zu wenig reagiert auf das, was sie ihm an Kopf geworfen hatte. Und selbst wenn, Siv war kein Mensch, der ein Blatt vor den Mund nahm. Wenn sie genug Latein gekonnt hätte, hätte sie es ihm in seiner Sprache gesagt, damit er sie verstand. Also war es auch egal. Als er dann Cadhla erwähnte, nickte sie nur – sie war sich nicht ganz sicher, was er gesagt hatte, aber vermutlich hatte es irgendetwas mit ihren Lateinkenntnissen zu tun, zumindest verstand sie die Wörter lernen und helfen. Danach schwieg auch er, und wieder breitete sich eine Stimmung aus, die dafür sorgte, dass die Verwirrung die anderen Gefühle verdrängten, die sich nach wie vor in ihr breit machten. Eine Zeitlang musterten sie sich einfach nur gegenseitig – der Römer scheinbar völlig entspannt und gelassen, die Germanin irgendwo zwischen Unruhe, Verwirrung und Entspannung.


    Das Licht fiel auf sein Gesicht und betonte die markanten Züge, und aus einem Reflex heraus hob Siv ihre Hand, um es zu berühren, ließ sie aber sofort wieder sinken, als er seine hob und über das ihre strich. Sie schloss kurz die Augen bei der sachten Berührung, öffnete sie aber sofort wieder, als sie spürte wie er seinen Arm um sie legte und sie zu sich zog. Sie folgte dem leichten Druck zögernd, wieder angespannt, rückte notgedrungen etwas näher an ihn heran und ließ sich schließlich ebenfalls ganz auf das Bett sinken, immer noch auf der Seite liegend, ihr Körper ihm zugewandt, ihr Kopf an seiner Schulter. Sie wusste nicht so recht wohin mit ihren Händen, weil sie in ihrer momentanen Position gar nicht anders konnte als ihn damit zu berühren, es sei denn sie legte sie hinter ihrem Rücken ab, was reichlich unbequem geworden wäre. Schließlich schob sie eine Hand halb unter ihren Kopf, während sich die andere federleicht in der Nähe ihres Kinns auf seine Brust legte. Wie lange war es her, seit sie das letzte Mal in dieser Art bei einem Mann gelegen hatte? Seit sie das letzte Mal einfach umarmt worden war und Nähe gespürt hatte, einfach so? Sie wusste es nicht. Sie wusste auch nicht, was er damit bezweckte, oder ob er vielleicht tatsächlich einfach nur das wollte: jemanden neben sich spüren. Aber das war ihr im Moment auch egal. Mit einem leisen Seufzen spürte Siv, wie die Anspannung langsam von ihr abfiel, als der Moment gegen ihren Willen zu wirken begann. Sie wollte seine Nähe eigentlich nicht genießen. Aber es war spät, sie war müde, und vor allem: sie hatte eine harte Zeit hinter sich. Es war leicht, in dieser Atmosphäre, kreiert durch den ruhigen Schein der Öllampe, den sachten Berührungen und das Schweigen, zu vergessen, wer oder was er war; so leicht, sich vorzustellen, er wäre jemand anders, wäre kein Römer; fast schon zu leicht…

  • Mit einem Gefühl tiefer Zufriedenheit in der Brust schlief ich schließlich ein, den Kopf der Sklavin nahe meinem und ihren warmen Körper in meinem Arm dicht an mich gedrückt. Es war selten, dass jemand bei mir schlief und nicht frühzeitig wieder ging. Das güldene Licht der flackernden Öllampe löste alsbald die matte Schwärze der geschlossenen Lider ab, die schwer darnieder sanken und dem Geist erlaubten, auf ungesehenen Schwingen durch den Nebel der Gedanken zu wandeln.


    "Ich schlief, ich schlief -,
    aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
    Die Welt ist tief,
    und tiefer als der Tag gedacht. -"


    Der Traum... Etwas presste mich an die Wand, bedrohte mich, engte mich ein. Ein Meuchler, ein Halsabschneider? Das Schlechte Gewissen, gar die Angst? Der Orcus... Ursus' Gesicht hatte deandraähnliche Züge. Etwas schnürte mir die Luft ab. Die Lungen brannten, ich konnte nicht atmen. Kühles Wasser umspülte mich, einer Insel gleich, und - kitzelte mich in der Nase?


    Und dann drang ein Zwitschern an mein Ohr, und ich öffnete mühsam die Augen, um festzustellen, dass ich nichts sehen konnte. Der Druck um meinen Oberkörper war mir aus dem Traum gefolgt, und irritiert und halb verschlafen suchte ich nach dem Grund für diesen Druck. Zuerst aber musste ich einen Wust aus blonden Strähnen von meinen Bartstoppeln zupfen, aus meinen Augen und dem Mund. Dann fiel es mir wieder ein. Die Sklavin namens Siv, die gestern Nacht in mein Zimmer gestürzt war. Sie war auch der Grund, aus dem sich mein Brustkorb beengt anfühlte, denn sie lag praktisch quer über und halb auf mir. Das Kinn aufs Brustbein gelegt, um etwas zu sehen, jedoch ohne mich zu drehen, betrachtete ich Sivs Hinterkopf und die leblos wirkende Hand, die auf meiner Brust lag. Ein Schmunzeln stahl sich auf meine verschlafenen Züge, und ich bedauerte, dass ich das Gesicht nicht sehen konnte. Vielleicht, wenn ich versuchte, sie herunterzuschieben? Ich richtete mich vorsichtig auf, stützte mich auf die Ellbogen und rutschte leicht zur Seite. Sie bewegte sich plötzlich, und ich hielt inne. Wie der Junge, den man mit den Fingern in der Keksdose ertappt hatte. Noch einmal versuchte ich, Siv von mir herunter zu bugsieren, ohne dass sie erwachte, doch ich sah recht schnell ein, dass das keinen Zweck hatte. Also legte ich mich wieder bequem und begann, gedankenverloren ihren nackten Rücken unter dem Laken zu streicheln.

  • Die Ruhe breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Es dauerte zwar noch etwas, bis die Anspannung so sehr von Siv abgefallen war, dass sie einschlafen konnte, aber mit der Zeit wurde ihr Atem ruhiger, so wie der des Römers, in dessen Arm sie lag. Ihr Schlaf war nicht traumlos – wieder einen Menschen neben sich zu spüren, beschäftigte noch ihr Unterbewusstsein, und im Traum war sie zurückversetzt in die Zeit, als Ragin noch lebte. Aber, nicht zuletzt wegen ihres Traums, war ihr Schlaf so tief und ruhig wie sie es in letzter Zeit selten erlebt hatte, und sie bewegte sich im Lauf der Nacht kaum – nur gelegentlich, um ihren Kopf in eine bequemere Position zu bringen. So kam es, dass sie schließlich, als es Morgen wurde, den Oberkörper des Römers zur Hälfte als Liegefläche missbrauchte. Ihr Atem ging nach wie vor ruhig, und sie schlief, ohne zu merken, dass der Mann unter ihr langsam aufwachte.


    Erst als er sich bewegte, begann ihr Geist, sich langsam aus den Tiefen des Schlafs zu lösen und empor zu tauchen. Da ihre 'Unterlage' allerdings aufhörte, sich zu bewegen, überquerte Siv nur langsam die Grenze zwischen Schlafen und Wachen, und selbst als sie sie hinter sich gelassen hatte, blieb ihr Bewusstsein noch eine ganze Weile in dieser grauen Zwischenwelt hängen. Ihr Traum schien sie zu verfolgen, denn sie spürte tatsächlich einen Mann neben – oder eher halb neben, halb unter – sich, der ihr über den Rücken strich. Die Berührung entlockte Siv ein leichtes Lächeln, und sie seufzte tief, während sie ihren Kopf, immer noch in halbwachem Zustand, etwas zur Seite bewegte. Noch im Traum gefangen, dachte sie in diesem Moment überhaupt nicht nach, wusste nicht, wo sie war oder wer neben ihr lag, wusste nicht einmal mehr, dass sie schon lange nicht mehr in Germanien war. Es war nicht so, dass sie bewusst dachte, Ragin wäre bei ihr. Aber unbewusst ging sie einfach davon aus, denn er war der einzige Mann gewesen, mit dem sie solche Momente geteilt hatte. Wieder kam ein wohliger Seufzer über ihre Lippen, und ihre Hand begann, sacht über seine Brust zu streicheln.

  • Mit leerem Kopf sah ich im Zimmer umher, oder zumindest in dem Teil, den ich von dieser Position aus einsehen konnte. Es war früher Morgen, davon kündeten die Sonnenstrahlen, die träge die schweren Vorhänge vor dem Fenster zu durchdringen suchten. Meine tunica war irgendwie von dem Sessel gerutscht, auf dem ich sie in der Nacht drapiert hatte. Wieder wanderte mein Blick zurück zum faszinierenden Haar Sivs. Abwesend streichelte ich über die weiche Haut, hielt allerdings kurz einen Moment irritiert inne, als Siv ein tiefes Seufzen ausstieß. War sie etwa wach? Flüchtig runzelte ich dir Stirn, strich dann neuerlich über den Rücken, verspielt und in gewisser Weise zärtlich. Wenn sie wach war, hätte sie sich gewiss schon geregt.


    Es war für mich unüblich, so lange nach dem Aufwachen noch im Bett zu liegen, aber ich musste zugeben, dass mich dieses Aufwachen doch ab und an reizen konnte. Es war angenehm, einen warmen Körper neben - oder eher auf - mir zu spüren, das gleichmäßige Heben und Senken eines atmenden Wesens. Siv drehte ihren Kopf nun ein wenig, und ich konnte mit einiger Verbiegung das leichte Lächeln sehen, das ihre Mundwinkel umspielte. Kurz darauf begann sie ihrerseits, mich zu kosen. Ein halb unterdrücktes, behagliches Seufzen begleitete das Ausatmen, strich über meine Brust und brachte einige einzelne, abstehende Haare Sivs zum Erzittern. Für einen Moment fühlte ich mich schwerelos, ganz von selbst strich meine Hand weiter am Rücken empor und suchte den Nacken Sivs, um sie dort einer Katze gleich zu kraulen. Dazu musste ich die Haare fortschieben. Die Finger suchten sich einen Weg in den Blondschopf, sachte führen die Fingernägel über die Kopfhaut. Ich mochte diese Art der Zuwendung selbst sehr gern, meine Mutter war mir oft auf diese Weise durch das Haar gefahren. Dass Siv eine Sklavin war, zählte in dieser Situation so gut wie gar nichts für mich. Sie war eben einfach da.

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