hortus | Wer Schmetterlinge lachen hört…

  • … der kann auch Wolken riechen.


    Siv seufzte tief auf. Sie mochte den Garten, ganz eindeutig, und sie verbrachte jeden freien Moment hier, den sie hatte. Die letzten Tage hatte sie damit verbracht, die verschiedenen Aufgaben kennen zu lernen – Küchenarbeit, aufräumen, ach ja, und natürlich: Römer bedienen. Die Germanin verzog kurz das Gesicht, als sie daran dachte. Die Küche war ihr noch am liebsten. Sie besaß zwar kein Talent zum Kochen, aber sie mochte Niki, und sie kannte sich immerhin mit den Kräutern aus dem Norden aus. Außerdem war in der Küche die Gefahr am geringsten, einem Römer über den Weg zu laufen. Im Garten war das anders, aber das nahm Siv in Kauf, wenn sie nur draußen sein konnte, an der frischen Luft, und nicht in diesem Haus, das sie trotz seiner Größe einengte. Sie konnte es nicht leiden, konnte es nicht leiden, ständig drinnen sein zu müssen, in fast jedem Raum einen viel zu langen Weg vor sich zu haben, bis sie nach draußen kam, Wände um sich zu haben, die ihr den Weg versperrten und sie zu erdrücken schienen.


    Sie schlenderte den Weg entlang und streifte ein paar Blätter mit ihren Fingern, musterte die Pflanzen, die ihr so fremdartig erschienen. Doch so sehr diese sie auch faszinierten, im Moment zog es Siv zu etwas Bekanntem, zu dem Teil des Gartens, in dem die Bäume aus dem Norden standen, aus ihrer Heimat… Mit einem erneuten Seufzen ließ sie sich an einem großen Laubbaum mit ausladenden Ästen entlang zu Boden sinken und schloss die Augen. Es war ihr egal, dass einer der Römer vorbeikommen und sie so sehen könnte. Im Haus hatte es gerade nicht wirklich etwas zu tun gegeben, und nachdem sie den ganzen Tag – die ganzen letzten Tage, um genau zu sein – am Rennen gewesen war, sehnte sie sich danach, wenigstens einen Moment Ruhe zu haben. Es war nicht einmal so sehr die Arbeit, denn sie war Anstrengungen gewohnt. Aber ständig, so schien es ihr, wurde ihr etwas Neues gezeigt, das sie lernen, wissen, können, musste, am besten auf Anhieb, und sie bekam langsam den Eindruck, dass ihr Kopf platzte. Und dazu kam das Haus… Hier im Garten hatte sie dagegen das Gefühl, aufatmen zu können.

  • Um diese Tageszeit hatte sie so gut wie nichts zu tun. Tilla kehrte von der Küche in die Schlafräume ein und zog einen dicken prall gefüllten Beutel unter dem Bett hervor. So.. jetzt aber nix wie raus. Die Sandalen baumelten, mittlerweile am Gürtel herabhängend, im Takt ihrer Schritte gegen die Knie. Es tat nicht weh, denn es würde gleich vorbei sein. Noch zwei Ecken.. noch eine. Jetzt endlich war sie im Garten. Tief sog sie die frische Luft ein und kehrte vom Weg ab. Es war immer wieder aufs Neue sehr spannend sich durch die Büsche zu schlagen. Hin und wieder begegnete sie deutlichen Spuren der Kaninchen, die sich des nachts in den Büschen trafen und mit klopfenden Pfoten sich gegenseitig ihre Abenteuer erzählten. So jedenfalls geschah es in Tillas Vorstellung...


    Nun kam der Kletterbaum in Sicht. Sie verliess einen Busch und band den Beutel am Gürtel fest. Hoch oben in der Baumkrone konnte sie sicher sein, dass sie nicht gestört würde. Nanu.. da lag doch wer! War das nicht Siv? Schmunzelnd betrachtete sie die Germanin und schlich an ihr vorbei, um an der Rückseite des Baumes nach dem für sie egrade so noch erreichbaren Ast zu langen. Die Füße zog sie in ein Astloch und stieg mit dessen Hilfe zum nächsten Ast hinauf. Eine dicke Astgabel schien ihr geeignet, um dort Platz zu nehmen. Was Tillas nicht wusste, war das ein Loch im Beutel immer größer wurde und schliesslich eine Walnuss freigab, die an den Ästen vorbeipolternd nach unten fiel. Erschrocken sah Tilla zu Siv zurück, darauf hoffend, dass Siv nicht getroffen werden würde.

  • Ohne es zu wollen, war Siv leicht weggedämmert, und so bekam sie nichts davon mit, dass Tilla sich an ihr vorbeischlich und den Baum hinaufkletterte. Was sie allerdings mitbekam, war die Walnuss, die an ihrer Wange abprallte, ihre Schulter traf und schließlich neben ihrem Arm zum Liegen kam. Schon bei der ersten Berührung hatte sie die Augen aufgeschlagen, und verblüfft richtete sie sich halb auf und sah sich um. Erst danach blickte sie nach unten, um zu sehen, was sie getroffen hatte, und griff nach der Nuss. Einen Moment lang drehte sie sie nachdenklich in ihren Fingern hin und her, sah sie erneut um sich und dann, als sie ein Knacken über sich hörte, schließlich auch nach oben. Ihre Augenbrauen wanderten ein Stück nach oben, als sie Tilla in den Ästen ausmachte, dann breitete sich auf ihrem Gesicht ein Grinsen aus. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie Cadhla an ihrem ersten Abend das Mädchen ermahnt hatte, vorsichtig zu sein. Für Siv sah es allerdings nicht so aus, als ob Tilla Vorsicht nötig hätte. Sie saß auf einer Astgabel, als ob es das normalste überhaupt wäre, und sah, scheinbar etwas erschrocken, zu ihr hinunter. Siv überlegte nicht lange. Sie fragte sich nur, warum sie nicht selbst auf die Idee gekommen war, auf den Baum zu klettern – immerhin hatte sie das oft getan, als sie noch durch ihre Wälder streifen konnte. Sie griff nach dem untersten Ast und schwang sich mühelos hoch, um dann geschickt zu Tilla nach oben zu klettern. Bei ihr angekommen hielt sie ihr die Walnuss hin. "Da. Macht es dir was aus, wenn ich bleibe? Du… In Ordnung, dass ich bleibe?"

  • Uffff.. die Walnuss richtete keinen großen Schaden an, dafür aber weckte sie Siv auf. Tilla grinste, als Siv sich so forschend umsah. Ob sie überlegte wo die Walnuss plötzlich herkam? Deren Blick richtete sich jedoch asbald nach oben. Tilla lächelte verlege,n als sich ihre Blicke trafen und freute sich, dass Siv zu ihr hoch kletterte. Ja, ist in Ordnung. deutete sie an und untersuchte den mitgebrachten Beutel. Schau, da ist das Loch. Sie kramte noch eine Walnuss hervor. Kannst du die knacken? Ich hab das noch nicht raus, wie das Knacken geht. Niki sagt, man muss sie nur entzwei knacken. Wie wollte sie nicht verraten? Ich soll an ein Eichhörnchen denken. Mittlerweile die Stirn runzelnd betrachtete Tilla die Nuss noch einmal ganz ausgiebig. Aber was ist ein Eichhörnchen? Klingt nach einem Tier, oder? Mit dieser Frage senkte sie die Nuss, lehnte sich mit dem Rücken an den Baumstamm und sah Siv fragend an. Nebenbei lauschte sie dem sanften Wind und auch ob jemand der anderen Bewohner der villa auf ihr Versteck in dieser luftigen Höhen aufmerksam geworden war. Wenn du nach dem Klettern ganz still bist, kommt die Vogelmaman her und baut an ihrem Nest weiter. Nun deutete sie nach oben auf ein halbfertiges Nest eines Bussards. Der Schnabel ist gebogen.. die kann bestimmt keine Walnüsse knacken? Stimmts?

  • Siv lächelte, als Tilla ihr bedeutete, dass sie bleiben konnte. In Ordnung, wiederholte sie die Geste mit ihren Händen. In Ordnung war noch ziemlich leicht zu verstehen. Sie kletterte auf einen anderen Ast, der näher bei Tilla war und ihr zusätzlich die Möglichkeit bot, sich an den Stamm anzulehnen, und bemühte sich Tillas Gesten zu folgen. Sie hatte immer noch Schwierigkeiten damit und verstand das Mädchen oft noch weniger als die anderen Sklaven. Aber sie lernte die Gesten schnell, schneller jedenfalls als Latein, und sie fand es lustig, sich ohne Worte zu unterhalten. Sie wiederholte Gesten, die sie begriffen hatte, und wann immer sie es konnte, benutzte sie sie, um sich mit Tilla zu verständigen.


    Sie inspizierte das Loch, aus dem die verräterische Nuss herausgefallen war, und grinste leicht, als Tilla noch eine Nuss hervorholte und diese ausgiebig musterte. Bei dem was sie deutete musste Siv diesmal allerdings passen. "Was?" Zusammen mit der Geste. "Tier? Was Tier? Und was du sagst von, von… über die Nuss?" Siv hielt die Walnuss hoch, die sie getroffen hatte und die sie immer noch in der Hand hielt. Dann sah sie ebenfalls nach oben, als Tilla dorthin deutete, und sah das Nest. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.


    "Sie fangen schon mit dem Nestbau an? Bei uns machen die Vögel das erst im Frühling… Viel später. Aber der Winter ist hier auch nicht so kalt. Die Vögel", sie deutete auch auf das Nest, während sie versuchte halbwegs zu übersetzen, "die Vögel… sie in Germania nicht, nicht… das tun. Nicht wenn Winter, wenn kalt." Sie schlang kurz die Arme um sich und tat so als ob sie fror, bevor sie ihren Blick wieder zum Nest wandte, in der Hoffnung, das Bussardweibchen zu Gesicht zu bekommen. Ohne nachzudenken steckte sie dabei die Walnuss in den Mund und biss mit ihren Backenzähnen einmal kräftig zu, so dass die beiden Hälften sich voneinander lösten, und ließ sie dann wieder in ihre offene Hand fallen, wo sie sie auseinander nahm und den Kern herauskrümelte.

  • Ja, ein Tier. Ein Eichhörnchen. In ihrer Vorstellung musste das Tier dem Tiernamen nach mindenstens Hörner haben. Tilla setzte einen gespreizten Finger je Faust auf den Kopf, ahmte Stierhörner nach. Es macht was mit den Walnüssen. Diese Eichhörnchen meine ich. Tilla mochte Rätsel über die sie nachdenken konnte wenn sie gerade nichts zu tun hatte. Doch von diesem Tier hatte sie noch nie gehört. Scheu und vorsichtig erwiderte sie Sivs Lächeln, folgte ihrem Blick nach oben. Mit leicht schiefgelegtem Kopf lauschte sie den Fremden Worten, die mit ein wenig Latein unterlegt wurden. Nickend zeigte sie die Vogel-Geste vor. Beide Arme seitwärts ausstrecken und ausschlagen. Wenn sie jetzt ein Vogel wäre, würde sie bestimmt flatternd abheben und erforschen wie Rom aus der Luft aussah.


    Warum tun sie das in deinem Land nicht? Wenn sie jetzt bauen, dann ist das Nest fertig und sie können dort schlafen gehen. Erschrocken über Sivs Versuch die Walnuss mit den Zähnen zu knacken, legte sie die eigene Hand auf den Mund und sah ganz erschrocken drein. Au.. tat das nicht weh? Eine Frage, die sie sich schon oft gestellt hatte. Was machst du? Zum Essen sind die Schalen zu hart. warnte sie dann jedoch vor, schüttelte den Kopf. Noch hatte Tilla nicht gesehen, dass sich in den aufgebrochenen Walnussteilen ein weicher essbarer Kern befand. Nicht...

  • Siv verstand immer noch nicht, was für ein Tier Tilla genau meinte. Irgendein Tier mit Hörnern, offenbar. Ein Stier? Oder meinte sie etwa ein Geweih, also einen Rehbock? Aber was hatte ein Stier oder ein Rehbock mit einer Nuss zu tun? Siv schüttelte verständnislos den Kopf und nahm sich vor, Tilla später noch mal zu fragen, wenn jemand dabei war der das Mädchen verstand – oder lesen. In Ordnung. Wieder die Geste, dazu ein Lachen. "Ich denke wir sollten das Thema lassen, ich komm eh nicht drauf. Wir… halt. Halten, bei Tier. Ich, ich nicht weiß, was du sagen wollen." Sie sah hoch zu dem Nest, wandte ihren Blick aber wieder Tilla zu und beobachtete interessiert, welche Gesten sie nun machte. Vogel war, wie in Ordnung, leicht zu verstehen, im Gegensatz zu diesem anderen Tier, und Siv grinste erfreut. Danach musste sie sich aber wieder konzentrieren, als von Tilla ein neuer Schwall Gesten kam. Die Germanin zog die Unterlippe zwischen die Zähne, und zwischen ihren Brauen bildete sich eine leichte Falte, als sie konzentriert zusah. "Sie… Warum die Vögel kein Nest… was, haben? Bauen?" Nachdem was sie selbst davor erzählt hatte, konnte das eigentlich nur eins bedeuten.


    In diesem Moment allerdings knackte sie gerade die Nuss, und Tillas erschrockene Reaktion hielt sie erst mal davon ab, auf die Sache mit dem Nestbau zu antworten. "Keine Sorge, Tilla. Die kann man essen." Sie steckte ein Stück der Nuss in den Mund und hielt dann dem Mädchen ihre offene Handfläche hin, auf der die beiden Hälften inzwischen nebeneinander lagen, krümelte ein weiteres Stück heraus und bot es ihr an. Danach wandte sie sich wieder den Vögeln zu. Die Vögel, auch hier verwendete Siv nur die Geste und deutete dann wieder nach oben, zum Nest, wobei sie die hoffentlich passende Geste wiederholte, "nicht das tun, in Germanien, weil… weil… da ist zu kalt." Siv deutete wieder ein Frieren an. Ihr war gar nicht bewusst, dass sie sich mit Tilla gerade in drei 'Sprachen' verständigte. Stattdessen fiel ihr das Wort für Schnee wieder ein, dass sie erst vor kurzem gelernt hatte – sie weigerte sich daran zu denken, von wem und unter welchen Umständen – und beschloss es zu verwenden, auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, ob Tilla es kannte. Immerhin schneite es hier ja angeblich nicht, wie ihr jemand gesagt hatte. "Viel Schnee. Und" Vögel "nicht da, manche jedenfalls. Sie gehen, gehen zu warme Land, und sind da, wenn in Germanien warm." Siv hatte sich schon oft gefragt, wo die Vögel hinzogen im Herbst – sie wusste nur, dass sie nach Süden flogen, dorthin wo es immer wärmer wurde, aber was genau ihr Ziel war, wusste sie nicht. Dann setzte sie sich mit einem Ruck auf, als ihr ein Gedanke kam. Vielleicht kamen sie ja hierher? Oder wenigstens ein paar von ihnen? Siv sah in den Himmel, als ob sie gleich ein paar sehen müsste. Sie wusste, dass es nur Vögel wären, aber es wären Vögel die sie von zu Hause kannte, und wären damit ein Stück Heimat…

  • Tilla nickte ernsthaft, wiederholte die Geste, die Siv ihr nachmachte. In Ordnung. Und fand es ganz lustig, dass die Geste in ihrem 'Gespräch' schon so oft aufgetaucht war. Zum Glück war Siv ihr nicht böse, schien die Störung ihres Schlafes schon wieder vergessen zu haben. Vorsichtig beugte sie sich vor, nahm das ihr angebotene Stück in die Hand und probierte eine Winzigkeit abknabbernd von der Nuss. Interessiert, mit wachem Blick registrierte sie die Gesten der älteren Frau. Tilla stellte fest, dass Siv sich wirklich Mühe gab. Genau wie Ursus, der alles wissen wollte, was dies und das zu bedeuten hatte. Leider hatten sie die mit ihm erfundenen Gesten noch nicht anwenden können. Aber vielleicht passierte das ja noch...


    In deinem Land? Sie bauen keine Nester wenn es kalt wird und fliegen dann fort? Und wohin? Nur weil es kalt ist? Komisch... vielleicht ist der Vogel da oben aus deinem Wald? beendete sie ihre Nachfrage. Tilla kräuselte nachdenklich die Nase, dachte über Sivs Worte nach, versuchte sie zu verstehen und aß dabei die Nuss auf, die gar nicht so schlecht schmeckte. Schnee? Was ist das? Wie das Wasser das einfriert und wieder schmilzt? Die Flüsse überquellen lässt? Tilla verwendete als Gesten: 'Wasser', 'Frieren' und 'Wegfliessen'. In der Luft entstand eine Regenwand, dann ein in Kurven sich windender Fluss. Das Wasser kommt über die Ufer, überschwemmt alles und nimmt alles mit. Genau wie das Meer. Warst du schon am Meer? Das kommt und geht und bleibt dabei immer blau.

  • Siv löste ihren Blick vom Himmel und seufzte leise. Warum sollten die Vögel in Rom bleiben? Auf der anderen Seite wussten sie nicht von den Römern, und dass diese ein Volk waren, dass man besser mied… wenn man die Wahl hatte. Sie schnitt kurz eine Grimasse und lächelte Tilla dann wieder zu. Im nächsten Moment saß sie aber nur noch da und beobachtete das Mädchen verständnislos. "Was?" fragte sie hilflos. Sie machte mit ihren Händen eine beschwichtigende Geste. "Langsamer, Tilla, ich komm nicht mit…"Vögel Nester"… machen. Aber wenn warm." Den Rest verstand sie nicht, nicht genug um wirklich darauf eingehen zu können. Und auch was Tilla zum Thema Schnee zu 'sagen' hatte, rief bei Siv nur ein Stirnrunzeln hervor. "Wasser? … Schlange? Was… Was meinst du mit kalter Schlange? Das ist… Schnee sein… ist bei Himmel. Ist weiß. Nichts Schlange.", Siv sah sich um, konnte aber nichts weißes in ihrer näheren Umgebung entdecken. Wie sollte sie jemandem erklären, was Schnee war, der noch keinen gesehen hatte? Selbst auf Germanisch hätte sie vermutlich Schwierigkeiten gehabt, das so hinzubekommen, dass Tilla sich Schnee vorstellen konnte, aber hier… Siv konnte nicht einmal wirklich Tillas Sprache. Wieder runzelte Siv die Stirn. Es ärgerte sie, dass sie nicht in der Lage war sich zu verständigen, wenn sie es wollte. Sie musste Latein lernen… und wenn es nur war, um sich mit den anderen Sklaven vernünftig unterhalten zu können. Brix war einer der wenigen, mit denen sie wirklich sprechen konnte, aber zumindest bisher hatten sich ihre Aufgaben kaum überschnitten, und so hatte sie selten die Gelegenheit gefunden, mit ihm zu reden. Sie schob die Gedanken über ihre nicht vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten weg und konzentrierte sich wieder auf Tilla, die munter weiter gestikulierte. Unterdessen ließ sie sich von dem Mädchen noch ein paar Nüsse geben und knackte sie mit ihren Zähnen, um dann das Innere hervorzuholen. "Was?" Dieses Wort würde sie ihr Leben lang verfolgen. "Ich… Wasser? Wasser viel? Du meinen… Regen? Bad? Ich bei Bad?"

  • Tilla merkte, dass sie angesichts Sivs Miene über ihr Ziel hinaus schoß verstanden zu werden. Langsam liess sie die Hände sinken und versuchte es dann doch noch einmal. Bei euch.. deinem Haus.. die Vögel.. bauen Nester wenn warm wird. Richtig? Sie wartete einen kurzen Moment und setzte dann fort. Manche Vögel.. von hier.. bauen Nester wenn kalt wird.. nutzen Nester auch wenn warm wird. Wieder wartete sie ab, und wiederholte das, was sie über den Schnee verstanden hatte. Bei Schnee.. ist Himmel weiss, richtig? Bei Regen ist Himmel grau. Bei Sturm ist Himmel schwarz. Bei Gewitter ist Himmel schwarz, gelb und weiss. Aber bei Sonne ist Himmel blau. Das gefällt mir. Meine Güte, der Himmel hatte wirklich viele Farben... fiel Tilla auf.


    Tilla schob den Nüsse-Sack zu Siv rüber. Dann deutete sie über die villa hinweg, winkte bis zum Horizont und 'strich' schliesslich so als ob, eine große imaginäre Fläche hinter der villa und dem Horizont waagrecht glatt. Nein, das Meer ist nicht im Bad. Zu wenig Platz für den Zuber. Der Meeresboden ist viel tiefer als im Zuber. Das Meer ist viel Wasser. An einem Fleck. Ohne Ende. Unendlich weit. Das ist das Meer. Es ist bei Sonne auch Blau wie der Himmel. Nur ein bisschen schöner blau. Sie lächelte versonnen, lehnte sich gemütlich an den Baumstamm. Prisca nimmt mich mit. Zum Meer. Bald Besuch kommt. Es kommt noch einer mit. Der Mann aus dem Stall.

  • Nachdem Tilla langsamer wurde, verstand Siv etwas mehr von dem, was sie ihr sagen wollte – soweit sie es begriffen hatte, wiederholte sie das, was die Germanin gesagt hatte, und fügte an… Siv beobachtete die Hände des Mädchens. Dass die Vögel hier offenbar auch Nester bauten, wenn es kalt war – offenbar wiederholte Tilla das. Siv sah hoch und nickte, während sie sie gleichzeitig entschuldigend angrinste. Beim nächsten Schwall Gesten wurde es wieder schwieriger. Sie begriff zwar inzwischen, dass es um Farben ging, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, welche Farben Tilla genau meinte, nur die, auf die sie deuten konnte, begriff sie. "Ich… Es tut mir wirklich leid, Tilla… Du meinst den Himmel?" Das war nicht schwer, dafür musste sie nur nach oben deuten. Nur wusste Siv nicht, was Himmel – oder Farben, wo sie schon dabei waren – auf Latein hieß, und Tilla hatte keine Möglichkeit, ihr das zu sagen. Also zuckte Siv mit den Achseln und fuhr fort, in dieser seltsamen Mischung aus Germanisch, Latein und Gesten zu reden. "Schnee ist weiß, und kommt vom Himmel, ja. Schnee bei Himmel, wie Regen – aber Schnee" kalt. Wieder das Frieren. Siv lächelte Tilla zu. Irgendwie verstanden sie sich, und selbst wenn nicht, war es kein Problem. Sie mochte das Mädchen, und davon abgesehen lenkte sie die Anstrengung, Tilla zu verstehen und sich selbst verständlich zu machen, von allem anderen ab, was ihr im Kopf herumging. Und gerade zur Zeit tat ihr das gut, weil sie viel zu viel am Grübeln war, wenn sie dazu kam.


    Sie nahm aus Tillas Säckchen noch ein paar Nüsse und knackte sie, um dem Mädchen dann ein paar zu reichen und die übrigen selbst auseinander zu brechen und die Nüsse zu essen. Während sie knabberte, sah sie weiter zu. "Eine große Fläche, voll mit Wasser? Meinst du ein See?" Siv kannte das Meer nicht; diesmal hätte sie auch keine Ahnung gehabt wovon Tilla sprach, wenn diese hätte reden können. Daher konnte sie auch die Gesten schlecht einordnen, die Unendlichkeit bedeuten sollten. "Hm. Viel viel Wasser. Du gehen, wo viel Wasser? Wer gehen auch?"

  • Na also. Siv hatte verstanden. Also langsamer gebärden. Tilla zwinkerte auf ihr Grinsen zaghaft zurück. Ja, den Himmel. Viele Farben.. kann er zeigen. versuchte sie es nochmal verständlich zu erklären. Hmm.. Schnee war also was anderes als Regen und kam wie der Regen vom Himmel. Tilla hob die Augenbrauen und merkte sich das neue Wort. Wieder still egworden sah sie Siv beim Nüsseknacken zu, nahm die weichen nussigen Kerne entgegen, um abermals zu probieren. Vielleicht kannte noch jemand aus dem Haus das Wort? Fragen würde sie ganz bestimmt. Vielleicht konnte man ihr auch bei dem Rätsel der Köchin Niki helfen. Was war das bloß nur für ein Tier? Ein Mensch? Mit Hörnern? Hmm... Nüsse essende Menschen? Das konnte ja auch sein... oder?


    Nachdenklich ihren Bissen runter schluckend nickte Tilla Siv zu. Wohin ging man zum Meer? Achso. Ja. Viel Wasser.. ohne Ende.. ist Meer. Davor ist.. eine weisse.. hm.. Fläche.. ganz weich. Sie überlegte und fuhr fort. Nochmal.. davor.. vor dem weiss.. geht es rauf.. und wieder runter.. dann ist man da.. am viel Wasser.. am Meer. Sie meinte die Dünen, kannte das Wort jedoch nicht. Tillas Wortschatz war wirklich nicht sehr groß, beschränkte sich eher auf das was sie an Namen und Bezeichnungen kannte und mit Gebärden ausdrücken konnte. Ich weiss den Namen. Hektor heisst er. Immer bei Prisca und doch nie da. Für die Herrin benutzte Tilla das fiktive Heraufschieben eines schweren Armreifs auf das eigene Handgelenk. Das war die Namensgebärde für Prisca. Für Siv hatte sie des übrigen auch eine Namensgebärde erfunden. Das.. dein Name... mit Händen.. Mit einer Hand. Tilla rückte auf dem Ast vor, tippte Sivs linke Schulter mit geballter Faust zweimal an und legte ihre nun flache Hand auf Sivs Herz. Siv Eisenherz. gebärdete sie scheu lächelnd Sivs Namensgebärde, spürte deren Herz klopfen und hoffte selbst, dass sie ihr nicht zu arg nahe trat.

  • Siv hatte schon Mühe, Tillas Beschreibungen zu folgen, wenn Tilla wusste wovon sie sprach und es um etwas ging, dass auch Siv kannte, selbst wenn sie es in dem Moment nicht begriff. Als Tilla aber Strand und Dünen beschrieb, deren Bezeichnungen sie selbst nicht kannte und die Siv noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, verstand die Germanin gar nichts mehr. "Bei… Vielwasser… noch viel? Viel… was?" Noch eine große Fläche, aber kein Wasser, denn diese Geste hatte Tilla nicht verwendet. Siv runzelte leicht die Stirn und überlegte. An Seen gab es davor keine weiten Flächen, jedenfalls nicht an denen die sie kannte. Oder meinte Tilla etwa eine Wiese, die bis ans Ufer reichte? Aber was sollte diese rollende Bewegung bedeuten? "Meinst du Berge? Aber…" So wie Tilla es beschrieb – zumindest so wie Siv es auffasste –, waren diese Landschaften, von denen sie sprach, recht dicht beieinander. Aber Siv hatte Mühe damit sich eine große Menge Wasser, Berge und dazwischen eine Wiese vorzustellen.


    Die Germanin streckte ihre Beine und ließ sie dann vom Ast herunterbaumeln, während Tilla weitergestikulierte. Die Namensgeste für Prisca kannte Siv inzwischen, aber den anderen Namen nicht. Hektor selbst hatte sie zwar getroffen, aber sie wusste nicht, dass er Priscas Sklave war, und stellte daher keine Verbindung her. Tilla wartete aber gar nicht ab, bis sie fragen konnte – was vermutlich bei Siv ohnehin nur zu noch größerer Verwirrung geführt hätte –, und zeigte, dass sie für die Germanin auch eine Namensgeste erfunden hatte. "Herz? Mein Name, du geben mit Herz?" Siv war gerührt. Sie verstand zwar nicht den vollen Namen, und sie wusste auch nicht so genau, warum diese Geste, erfunden von dem Mädchen ihr gegenüber, sie so berührte, aber sie war gerührt. Sie hob ihre rechte Hand, legte sie auf Tillas und drückte sie kurz, während sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. "Danke. Gut, gutes… Geste. Bewegung. Für Name von mir. Ich, ich mögen. Möge." Dann klopfte sie sich ebenfalls mit der Faust zweimal auf ihre linke Schulter. "Das auch… Teil von Bewegung? Von Namebewegung? Oder nur das?" Ihre Hand legte sich erneut auf ihr Herz.

  • Jaaa... ganz viel Wasser. erwiderte Tilla eifrig nickend. Und davor weisse Berge mit spitzen grünen Stengeln. Wie Grashalme aber viel größer. So groß wie mein Ellenbogen. Tilla deutete die Größe des Dünengrases an und sah Siv an. Verstand sie jetzt? Oder besser ein Bild malen? In Farbe. Oder sollte sie mit Siv auf einem Pferd reitend ausbüchsen und mit ihr den Weg zum Meer suchen? Das wäre bestimmt ein tolles Abenteuer. Dann könnten sie zu einem nahegelegenen Wald reiten. Einen neuen Baum aussuchen. In dessen Astgabeln schlafen. Am nächsten Morgen vom Rauschen der Blätter, gar dem Wind geweckt werden. Vielleicht kam dann dieses seltsame Tier vorbei? Sie steckte sich die Nüsse in den Mund, während sie vor sich hin träumte, diesem Tagtraum nachhing.


    Leider war dieser Tagtraum viel zu kurz. Siv riss sie mit ihrer Frage heraus. Tilla lächelte und nickte. Das ist dein Name. Siv Eisenherz. versuchte Tilla zu erklären, nahm die Berührung wahr, die Siv ihr gab. Sie freute sich, dass diese Geste der Älteren gefiel, wiederholte die Geste ganz langsam mit der anderen Hand noch einmal, beinahe spiegelbildlich zu Siv. Tilla saß ja auf dem Ast ihr gegenüber.


    Klopfen.. gehört dazu. Klopfen im Herz. Starkes Klopfen. Schöne Geste. Nur für dich. fügte sie immer noch lächelnd hinzu. Nahm das Lächeln der anderen in sich auf und rutschte langsam näher, umarmte Siv ganz vorsichtig, um sie nicht mit einer unbedachten Bewegung vom Ast zu werfen. Auch wenn Siv erst wenige Stunden hier zugegen war, Tilla fühlte sich bei ihr und ihrer Nähe pudelwohl. Und das wollte was heissen. Sonst war sie schüchtern, scheu. Irgendwie immer auf dem Sprung. Löckchen Tilla nahm eine Strähne ihres dunklen Haars, zwirbelte diese um den Zeigefinger und liess die Strähne vom herabsinkenden Finger gleiten. Das war ihre Namensgeste.

  • Nein, Siv begriff nicht, was Tilla meinte, als diese von Dünen sprach. Sie verstand nur, dass vor dem vielen Wasser offenbar Berge kamen, oder vielleicht auch Hügel, mit hohem Gras bewachsen… Aber die Germanin war sich nicht ganz sicher, ob sie das wirklich richtig verstand oder Tilla ihr nicht etwas ganz anderes erzählen wollen. Von dem Tagtraum des Mädchens bekam Siv nichts mit, zum Glück, musste man wohl sagen – denn sie hätte nicht nur begeistert mitgeträumt, sondern versucht ihn in die Tat umzusetzen. Aber noch wusste sie ja noch nicht einmal, dass es hinter der Villa Stallungen gab, Pferde… Die Möglichkeit reiten zu können hätte sie nicht mehr losgelassen, wüsste sie davon – nicht nur weil sie Pferde und Reiten liebte seit sie denken konnte. Nein, hier kam noch ein anderer Grund dazu, ein fast noch wichtigerer: auf einem Pferd durch die Gegend zu galoppieren, die Landschaft vorbeirasen zu sehen, den Wind im Gesicht und die Haare hinter sich flattern zu spüren, hatte selbst zu Hause in Germanien dafür gesorgt, dass Siv sich so frei fühlte wie selten. Was musste das dann nur hier für ein Gefühl sein, was könnte es hier für sie bedeuten, wo Freiheit nur noch ein Wort für sie war.


    Als Tilla ihre Namensgeste noch einmal wiederholte und mit anderen Gesten zu erklären versuchte, lächelte Siv. Herz. Irgendetwas mit Herz. Sie würde später Brix fragen, was Tilla genau meinte, wenn sie beide zusammen erwischte hieß das. Dann wurde die Germanin aus ihrer Überlegung gerissen, als Tilla sich auf einmal zu ihr hinüber beugte und sie vorsichtig umarmte. Überrascht saß Siv im ersten Moment einfach nur da und rührte sich nicht, dann legte sie, noch vorsichtiger als Tilla, ihren Arm um das Mädchen. Sie war noch nicht lange hier, aber sie hatte bisher eher den Eindruck gehabt, dass Tilla eher scheu war – nicht unbedingt still und zurückgezogen, aber immer darauf bedacht, etwas Abstand zu haben. Und Siv selbst war eigentlich selbst eher bemüht, niemanden zu nahe an sich heran zu lassen. Nicht zuzulassen, dass sie sich hier wirklich wohl fühlte. Aber sie konnte das Mädchen in diesem Moment auch nicht einfach zurückstoßen, und so erwiderte sie die Umarmung zaghaft. Danach lehnte sie sich wieder an den Baum und wiederholte grinsend das Zwirbeln der Haare. Tillas Namensgeste kannte sie schon. "Ja, das bist du, Tilla."

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