hortus | Das Blätterräumkommando unterwegs

  • "Es sein Weg der kosten viel," gab Cadhla schließlich leise und nachdenklich zu. Würde sie es noch einmal tun, hätte sie die Wahl und das Wissen um die Konsequenz dieser Wahl? Ja, die Antwort würde immer nur ja lauten. Sie konnte sich für sich selbst kein anderes Leben vorstellen. "Aber niemand gesagt hat, dass Leben sein leicht und jeder Weg sein gerade, ohne Steine, ohne Probleme. Ich lieber leben mit Schwierigkeit, mit Wissen darum dass ist richtig für mich, was ich tun, als leben ohne Gefahr, aber auch ohne Glück. Ich denken, dass immer besser ist tun Dinge, die man selber wollen tun, auch wenn ist schwerer, als tun Dinge, die man nicht wollen tun, und sein leichter als anderes Weg. Ich mir sicher bin, dass Du wirst finden eigenen Weg um erkennen, was Du wollen sein und wollen tun, Siv." Sie hatte sehr sicher gesprochen, als wollte sie diesen Worten noch mehr Gewicht verleihen, und hatte die Germanin dabei direkt angeblickt, sie nicht aus dem eigenen Blick entlassen, um dann unvermittelt zu lächeln. Wie oft hatte sie doch gezweifelt, geflucht im Stillen, ihre Wut über das Alleinsein im Kampf ausgelassen, um dann ermattet und erschöpft festzustellen, dass sie es sich gar nicht anders vorstellen konnte. Im Grunde glaubte Cadhla fest daran, dass es für jeden Menschen etwas gab, das dieser besonders gut konnte, und das ihn erfüllte, man musste es nur finden. In den Dingen des Gefühls allerdings, nun, ohne allzu viel Erfahrung konnte sie bei vielem nur raten. Und hoffen.


    Sie trat ein wenig näher, wohl darum wissend, wie leicht es Mithörer geben konnte, selbst wenn sie diese im menschenleeren Garten wohl aus weiter Ferne bereits gehört hätten - sicher war sicher, in diesem riesigen Haus mit den vielen Menschen hatte sich die Keltin ein gesundes Misstrauen bewahrt.
    "Er ... mich auch lieben. Aber er wissen wie ich, dass nicht ist Weg für ... sein zusammen. Dass er wird immer sein Römer, und ich immer werde sein Frau meines Volkes. Es nicht gibt Leben gemeinsam für ihn und mich, ich das weiss wohl. Manchmal ist nicht leicht zu wissen, zu wissen dass sein werde Sklave für lange Zeit, und nicht kann ändern mit eigener Kraft an Dingen." Langsam sog Cadhla den Atem ein, fühlt die kühle Luft ihre Lungen füllen, und blickte dann in den klaren, hellen Himmel, dessen Farben ihr so fremdartig erschienen, wenn der Abend kam. "Ich nichtmal wissen wie ist liegen bei Mann ... wissen wie geht, aber nicht wissen wie ist," gab sie dann freimütig zu und schmunzelte schief. "Auch das ist Preis von sein Kriegerin, Du geloben liegen allein und nicht haben Kind in jeder Zeit. Du hast gehabt Mann, Siv?" Nüchtern betrachtet war das alles ein Thema, das sie sich normalerweise nicht gewagt hätte, mit irgendjemandem überhaupt anzusprechen - in ihrem Leben hatte es nie wirkliche Freundinnen gegeben, die nicht auch mit ihr verwandt gewesen wären - aber bei Siv hatte sie das Gefühl, dass sie ihr vertrauen könnte.

  • Siv konnte nicht sagen, ob sie tatsächlich den Weg einer Kriegerin beschritten hätte, unter diesen Umständen. Alleine zu sein, meistens jedenfalls – sie glaubte nicht, dass das etwas für sie war. Und verlor man nicht irgendwann den Mut zu kämpfen, wenn man nicht mehr wusste, wofür man eigentlich kämpfte? Die Germanin war verwirrt, waren das doch Gedanken, die sie sich bisher nie gemacht hatte, wenn es darum gegangen war ob sie Kriegerin sein konnte. Sie hatte immer nur… endlich eine Waffe in der Hand haben wollen. Kämpfen wollen. Sie hatte nie darüber nachgedacht, was es letztlich bedeutete, vielleicht, weil sie ohnehin wusste, dass ihr dieser Weg versperrt war. Jetzt aber wurde ihr zum ersten Mal klar, dass Kriegerin zu sein mehr bedeutete, mehr abverlangte… Und dass man mehr als Beweggrund brauchte als nur den Wunsch, es den Brüdern gleich zu tun und sich mit ihnen auch auf dieser Ebene messen zu können. Siv blähte nachdenklich ihre Nasenflügel. "Ich… bis jetzt, ich… immer gehen Weg, wo… richtig fühlen. Meistens jedenfalls, wenn ich nicht grad… beleidigt war oder so…" Das letzte kam, obwohl sie es auf Germanisch sagte, eher zögernd. Es fiel ihr nicht leicht, das einzugestehen, nicht einmal vor sich selbst.


    Anschließend sah sie die Keltin mitfühlend an, als diese über den Römer sprach, den sie liebte… Siv wusste nach wie vor nicht, was sie sagen oder tun sollte, um Cadhla zu helfen, so gern sie es auch würde. Aber sie hatte keine Idee. Sie selbst war immer gerade heraus, und Cadhla schien ebenso zu sein – nur was tun, wenn Menschen wie sie in einer Situation waren, in der es kein ‚gerade heraus’ gab? Oder besser: in der sie so einfach nicht handeln konnten? Aber immerhin liebte er sie auch – und gerade weil Siv selbst mit Liebe keinerlei Erfahrung hatte, war sie erleichtert, das zu hören. So musste sie sich wenigstens darüber keine Gedanken machen, was sie der Keltin sagen sollte. "Ja, Sklave sein… nicht, nicht einfach. Ich…. ich auch nicht weiß, was du… was du tun könntest. Oder sollst. Ich… … nicht weiß was du tun. Er liebet dich, das… das gut ist, oder? Auch, auch wenn… nicht ein Weg zusammen ist, ist… kann sein. Ich würde sagen, genieß die Zeit, die ihr habt… so lange es möglich ist. Vielleicht… vielleicht gut, du froh sein, für, für… Zeit. Mit ihm. Jetzt. Nicht denken an, an… Zukunft." Siv lächelte aufmunternd und hoffte, die richtigen Worte gefunden zu haben. Was gab es sonst schon zu sagen, in dieser Situation? Im nächsten Moment starrte die Germanin Cadhla verblüfft an. "Du… nie liegen bei Mann?" Das musste sie erst mal verdauen. In ihrer Sippe war es üblich, dass Mädchen im Alter von etwa 14 heirateten – Siv war mit 15 schon älter gewesen als üblich. Mit dem Mann das Bett zu teilen, gehörte einfach dazu, und Siv wollte das auch nicht mehr missen – nicht wenn es ein Mann wie Ragin war. Oder Corvinus… Siv unterdrückte die kleine Stimme in ihrem Inneren und konzentrierte sich auf Cadhla. "Ja, ich haben Mann. Sein Name sein Ragin, aber er nicht, nicht… nicht leben. Er sein tot, von Römer. Das sein vor… vor Römer die, die machen mich als Sklavin."

  • "Wenn Du fühlen, dass Weg für Dich richtig und Du nicht haben Zweifel, dann es nicht kann sein ganz falsch, was Du tun," sagte Cadhla sinnierend und lächelte dann etwas. Sie hatte zwar nicht wirklich die Worte verstehen können, die Siv in ihrer Heimatsprache gesagt hatte, doch glaubte sie zu ahnen, was die Bedeutung dessen gewesen war. Letztendlich waren die Worte auch nicht so entscheidend, vielmehr der Klang der Stimme, der Gesichtsausdruck - für einen kurzen Moment fühlte sie sich Siv sehr nahe, fast wie einer Schwester, mit der sie schon viele Jahre ihres Lebens geteilt hatte, und es war das erste Mal in den letzten Tagen und Wochen, dass sie sich in der edlen und herausragenden villa Aurelia ein wenig zuhause fühlte.
    Diese Nähe zu fühlen gab ihr etwas von dem zurück, was sie in ihrer Heimat hatte zurücklassen müssen, das Gefühl, sich auf sicherem Boden zu bewegen, die Grenzen dessen zu kennen, was man tat, und auch in dieser Vertrautheit zu sehen, dass man damit zufrieden sein konnte. Dass es etwas gab, das einem Menschen nicht genommen werden konnte, nicht einmal durch die Römer.


    Dass es ausgerechnet ein Römer war, der ihr eine ganz andere Welt eröffnet hatte, mochte sie sich dabei nicht einmal gerne eingestehen. Die Liebe zu Ursus hatte etwas sehr zwiespältiges, denn auf der einen Seite sehnte sie sich nach ihm, auf der anderen Seite wusste sie sehr genau, wie wenig Aussicht darauf bestand, jemals mit ihm glücklich zu werden, zu groß waren ihre Unterschiede, und mit ihr irgendwo hin fliehen würde er nicht, soviel glaubte sie zu wissen.
    "Es sich fühlt gut an. Warm. Als wäre Welt ... schöner. Wenn er lachen, ich muss auch lachen. Wenn er sieht an mich, ich mich fühle gut und richtig. Aber es auch ist ... mit Schmerz. Wenn er sieht an andere Frau, es tun weh. Wenn er sein ...dominus, ich mich nicht fühlen wie Frau die wird geliebt. Aber das immer sein wird und ich nicht weiss wie können ändern. Wahrscheinlich nicht können ändern alles."
    Sivs Erstaunen über ihre Jungfräulichkeit ließ Cadhla kurz auflachen. "Nein, ich nie gehabt Mann, ich Jungfrau. Wenn Du bist Schildmaid, Du niemals heiraten und niemals sein bei Mann. Es .. ich mich oft fragen ob ist schön. Manche Frau es mögen, manche nicht. Es tun weh?" Das klang nun zweifelnd und unsicher und enthüllte das ganze Maß ihrer Unwissenheit.

  • Siv wurde warm ums Herz, als sie Cadhlas Worte hörte. Es kann nicht ganz falsch sein, was du tust… wenn du fühlst dass der Weg richtig für dich ist. Sie lächelte die Keltin an. "Danke. Viel, viel… Dank. Ich nicht weiß was kommen, hier, in Rom… In, als Sklavin. Ich, ich wissen… ich weiß dass Weg, richtiger Weg… schwierig. Mehr schwierig als wie früh, früh… früher. In Germanien. Aber…" Siv wusste nicht warum, aber das Gespräch mit Cadhla gab ihr eine Hoffnung, die sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. "Aber weil schwierig, deshalb muss nicht sein… schlecht. Oder?" Vielleicht hatte es ja irgendetwas Gutes, dass sie hier gelandet war. Es konnte nicht ganz schlecht sein, nicht wenn sie jemanden wie Cadhla hier traf. Aus einem Impuls heraus überwand sie den geringen Abstand zu der Keltin und umarmte sie kurz, aber mit aufrichtig empfundener Freundschaft. Es war neu für sie, eine Freundin zu haben, und sie stellte fest, dass es etwas anderes war, mit einer Frau so zu reden als mit Männern. Schon allein, weil es ihr in Cadhlas Gegenwart scheinbar leichter fiel, bestimmte Seiten an sich zuzulassen – wie zum Beispiel der Teil in ihr, der wenigstens irgendetwas Gutes an ihrer Situation finden wollte, und wenn es nur war, um es für sie selbst erträglicher zu machen.


    Fasziniert lauschte die Germanin dann Cadhlas Erzählungen darüber, wie es sich anfühlte verliebt zu sein. Sie wusste es nicht, hatte so etwas noch nie empfunden. Sicher hatte sie schon für einen Mann geschwärmt – Vilmar vor allem –, aber es war, jedenfalls bei ihr, nie etwas Ernsteres daraus geworden, es hatten sich nie mehr Gefühle entwickelt. "Nein…" meinte sie dann nachdenklich. "Nein, man nicht ändern kann alles. Vielleicht…" Es kam ihr etwas seltsam vor, dass ausgerechnet sie Ratschläge geben sollte – gerade in so einer Situation. Und dann auch noch Cadhla, die so viel… lebenserfahrener zu sein schien als sie. Und was sie aussprechen wollte, würde sie selbst in gewissen Situationen mit Sicherheit nicht hören wollen. Aber sie sagte es trotzdem. "Vielleicht man gar nicht… soll ändern, alles. Ich denke nicht. Und… na ja, es ist halt schwierig, weil er Römer ist… Und Römer bleibt." Siv kam gar nicht in den Sinn, dass er möglicherweise mit Cadhla irgendwohin fliehen würde – bei allen Worten, die die Keltin gerade über Liebe verloren hatte, blieb es für Siv doch nur Theorie. Zu was Liebe manche Menschen bringen konnte, war für sie noch nie nachvollziehbar gewesen, und so dachte sie gar nicht daran.


    Gleich darauf stimmte sie in Cadhlas Lachen mit ein und nickte dann. Es machte Sinn, was sie sagte – wenn eine Kriegerin immer alleine war und Freunde und Familie weitestgehend zurücklassen musste, dann war es auch logisch, dass sie keinen Mann haben durfte. Und auch nie bei einem lag. Cadhlas Stimme klang gleich darauf unsicher, so anders als noch zuvor, wo sie so überzeugt davon gesprochen hatte, dass Siv ihren Weg finden würde… Die Germanin lächelte aufmunternd. "Ich nicht weiß, wie für andere Frau. Ich… es mögen. Liegen bei Mann. Es, es ist…" Siv brach ab. Sie konnte auf Latein nicht wirklich beschreiben wie es war, mit einem Mann zu schlafen – und Germanisch verstand Cadhla nicht. "Wenn, wenn… du bei Mann, erste Mal. Dann tun weh. Aber… nicht viel. Bei mir, jedenfalls. Ragin guter Mann. Und ich, ich … Vertrauen." Ragin hatte gewartet, bis sie ihm vertraute, bevor er mit ihr schlief – und das hatte sehr geholfen. Vilmar dagegen hatte sie nicht unbedingt vertraut, aber ihn hatte sie einfach haben wollen, ebenso wie er sie, und bei ihm hatte sie herausgefunden, dass Vertrauen nicht immer eine wichtige Rolle spielte. Und Corvinus… nun. Sie gestand es sich nur ungern ein, aber ihn wollte sie auch. Und solange er ihr nicht das Gefühl gab, sie müsste ihm zu Willen sein, weil sie seine Sklavin war… akzeptierte sie es einfach und genoss die gemeinsame Zeit. "Wenn du vertrauen, ihm, dann gut. Und dann einfach Spaß. Sein schön." Siv zuckte etwas hilflos mit den Achseln.

  • Cadhla lauschte Sivs Worten mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und hob schließlich eins der gezackten Blätter aus ihrem Korb auf, wohl das eines Ahornbaumes, und hielt es gut sichtbar vor sich. "Du sehen, dass Blatt ist komplizierter in Form als andere? Es gibt Blätter mit geradem Rand und welche die aussehen wie dies hier. Ich denken, dass es nicht ist wichtig, wie verschlungen ist Weg, wie anders Weg von dem anderer, wahrscheinlich haben jeder Mensch eigenen Weg. Aber alles ist wie es ist, und deswegen nicht sein schlechter als anderes. Nur eben anders. Wer nicht leben wie Du, erleben Dinge wie Du nicht kann sein wie Du und deswegen auch nicht verstehen. Also ich nicht denken, dass Weg schlecht, wenn ist schwierig. Du lernen viel mehr wenn haben nicht zu leicht." Das schien sie ernst zu meinen, denn die Worte klangen überzeugt und gewichtig - und nach einem kurzen Moment überreichte sie Siv kurzerhand das Ahornblatt. "Ahorn ist großer Baum, der wachsen langsam, aber sein dann lange Zeit stark und geben viel Schatten, wenn ist warm. Wenn du also sein wie Ahorn, dann sicher ist nicht falsch." Was Siv allerdings über ihre Erfahrungen mit der körperlichen Liebe und den Männern bisher berichtete, ließ sie wieder nachdenklicher werden, denn hier hatte sie ganz augenscheinlich eine riesige Wissenslücke. Beobachten und Erleben war eben niemals dasselbe.


    "Es machen jedenfalls ganz verrückt, weil fühlen so viel auf einmal," stellte Cadhla schließlich fest - wenn sie sich an Corvinus' Berührungen im Badebecken entsann und das in seinem Raum, stieg noch immer etwas innere Hitze in ihr auf. Konnte man danach so gieren, wie sie es von Siv beschrieben bekommen hatte? Selbst wenn es wehtat, es tat offensichtlich nicht weh genug, um damit aufzuhören, und dann sollte es ja Spaß machen. Sie hatte sich immer gewundert, warum so viele junge Paare ihres Stammes früh am Abend schon in ihren Häusern verschwanden, aber wenn sie Sivs Worten so zuhörte, wurde es mit der Zeit nachvollziehbar. Letztendlich war Liebe dabei wohl nicht entscheidend.
    "Du Dir wünschen, dass Du findest Mann, den Du lieben irgendwann?" fragte sie nach einer Weile der schweigenden Überlegung neugierig, denn eigentlich hatte es bisher nicht danach geklungen, als sei das für Siv besonders entscheidend. "Ursus sagen, wenn man sich lieben, dann ... körperliches Zusammensein ist noch schöner. Noch erfüllender auch für Herz. Ich natürlich nicht wissen, wie sein, aber es schwer fällt zu glauben dass sein genug nur zu haben Vergnügen. Auch wenn machen noch so viel Spaß."

  • Siv musterte das Blatt in Cadhlas Hand und hörte ihr schweigend zu. Ihr gefiel der Vergleich, den die Keltin zog – Blätterformen und Lebenswege, beides war unterschiedlich, nicht nur von Baum zu Baum und Volk zu Volk, sondern von Blatt zu Blatt und Mensch zu Mensch. Sie wurde etwas rot, als Cadhla ihr schließlich das Blatt in die Hand drückte und sie mit dem Baum verglich, an dem es wuchs. Versonnen betrachtete die Germanin das Ahornblatt einen Moment lang an, während sie über das nachgrübelte, was sie gehört hatte. Sie lernte viel, viel mehr, als sie es zu Hause getan hätte, so viel war sicher. Gleichzeitig könnte ihr Leben wesentlich schlechter sein, sowohl als Sklavin als auch als Freie, auch wenn sie noch nicht so weit war, das auch zuzugeben. "Weg ist… ist… verschlungen? Verschlungen, ja. Und schwierig… Aber wenn sein wie, wie… wie Blatt", sie hob es kurz hoch, "dann gut." Siv lächelte und schob das Ahornblatt vorsichtig unter ihre Tunika. "Danke, Cadhla."


    Bei Siv dauerte es zunächst noch einen Moment, bis sie nachdenklicher wurde. Sie schmunzelte leicht und nickte. "Oh, machen verrückt, ja. Aber ist schön, du können glaubt." Erst als Cadhla ihr die Frage stellte, die Frage nach Liebe, ob sie sich für sich selbst jemanden wünschte… und weiter erzählte, ohne eine Antwort abzuwarten, davon was der Römer ihr von der Liebe gesagt hatte, dass es dann noch schöner, noch erfüllender sei, beieinander zu liegen… Erst da wurde Siv nachdenklich. Im ersten Moment wollte sie reagieren, wie sie immer reagierte, wenn die Sprache auf Liebe kam – abwinken. Sie konnte damit nichts anfangen, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, was daran so Besonderes sein sollte. Ihre Brüder hatten sich zu Idioten gemacht, jedes Mal wenn sie verliebt gewesen waren. Sie hatten das Objekt ihrer Begierde angehimmelt und die in Sivs Augen dümmsten Sachen angestellt, nur um das betreffende Mädchen zu beeindrucken, und sie hatten sich abhängig gemacht von ihr, von ihren Launen, ihren Wünschen, selbst ihren nur nebenbei hingeworfenen Bemerkungen. Und ihr Vater hatte ihr genauso wenig vorgelebt, wie Liebe sein konnte – er Frauen gegenüber immer distanziert gewesen und hatte auch nie den Eindruck gemacht, als ob er eine wollte. Nur manchmal, abends, wenn er dachte sie und ihre Brüder schliefen, sie aber noch wach lag, hörte sie ihn leise weinen, und wenn die Sprache auf ihre Mutter kam, dann reagierte er immer kurz angebunden, hatte aber manches Mal einen seltsamen Schimmer in den Augen. Siv hatte diese Zeichen nie verbunden, ihr war nie klar geworden, wie sehr er ihre Mutter vermisste, selbst nach Jahren noch – aber wenn sie es realisiert hätte, wäre ihre Einstellung der Liebe gegenüber vermutlich nicht nur indifferent, sondern geradewegs negativ gewesen. In ihrer pragmatischen Sichtweise hätte sie sich gefragt, wie etwas gut sein konnte, das einen so großen Schmerz verursachte, dass man selbst nach Jahren noch darunter litt? Aber Siv hatte diese Verbindung nie gezogen, und so stufte sie Liebe als etwas ein, was den Leuten etwas von ihrem klaren Denken nahm, was offensichtlich schön sein konnte, manchmal etwas weh tat, aber im Großen und Ganzen nichts Besonderes war – jedenfalls nicht dass sie es erkennen könnte. Ihr Vater hatte sie mit traurigen Augen angesehen, wenn sie zu Hause so argumentiert hatte, aber das war untergegangen in dem Gelächter ihrer Brüder, die sie aufgezogen und ihr empfohlen hatten zu warten, bis sie sich auch einmal verliebt hätte, dann würden sie schon weiter sehen. Woraufhin Siv immer entsprechend konterte – und sich im Anschluss daran meistens eine mehr oder minder heftige Diskussion entbrannte, die für gewöhnlich in einer kleinen Rauferei unter Geschwistern endete.


    In diesem Moment war Siv – obwohl ihre Heimat und ihre Geschwister so unendlich fern waren – drauf und dran, zu reagieren wie immer. Liebe ist nichts, was es schöner macht, ist nichts Besonderes, es mag ganz nett sein, aber du solltest nicht darauf bauen… Aber die gewohnten Worte, die ihr bereits – sogar auf Latein – auf der Zunge lagen, wollten ihren Mund nicht verlassen, und das aus verschiedenen Gründen. Zum einen war da Cadhla, die ihr gerade erst erzählt hatte, dass sie sich, im Grunde gegen ihren Willen, in einen Römer verliebt hatte – und absolut nichts gegen dieses Gefühl tun konnte. Und wo ihre Brüder teilweise lächerlich gewirkt hatten in ihrer Vernarrtheit, war Cadhlas Wesen von Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit durchzogen, ebenso wie von der Sorge, das Richtige zu tun. Sie wollte und sollte nicht verliebt sein, nicht als Schildmaid, nicht als Sklavin, und erst recht nicht in einen Römer, und doch war sie es. Siv spürte, dass sie nicht das Recht hatte, sich darüber lustig zu machen – und auch wenn sie tatsächlich so über Liebe dachte, hätte sie sich lustig gemacht über Cadhla und das, was diese empfand, wenn sie ihre Meinung nun laut sagte. Dann war da eben Cadhlas Art, wie sie sich verhielt, wie sie wirkte – Siv war beeindruckt davon, und ohne es zu merken, kamen ihr zum ersten Mal Zweifel, ob Liebe nicht vielleicht doch mehr sein könnte als sie bisher geglaubt hatte. Und zum Schluss musste sie sich eingestehen, dass sie – trotz aller Besserwisserei und Altklugheit, die sie ihren Brüdern gegenüber an den Tag gelegt hatte, trotz aller Vermutungen und Überzeugungen und vermeintlichem Wissen – keine Ahnung hatte. Sie wusste es nicht. Sie kannte diese Art von Gefühlen nicht, konnte höchstens vermuten, was es bewirken oder auslösen konnte. Sie wusste es einfach nicht. Nach einem weiteren Moment des Zögerns war es schließlich das, was Siv eingestand. "Ich nicht weiß. Ich… nie wollen Mann, zu lieben. Nie wollen sein, sein… abhängig, und ich… ich denk einfach, dass Liebe abhängig macht. Aber ich will frei sein, ich will nicht… Ich will sein frei, nicht abhängig. Aber ich… ich nicht weiß. Nicht weiß wie, wie… Liebe sein. Nicht weiß, wie ist sein bei Mann, wenn… wenn du lieben Mann und er liebet du. Ich, bis, bis jetzt… nur haben liegen bei Mann. Manche Mal Spaß, manche Mal nein, aber nie… das was du sagen, dabei." Ein Schatten flog über ihr Gesicht, als sie an die Reise nach Rom dachte und die Soldaten, aber das war eine völlig andere Situation gewesen, anders als mit Ragin oder Vilmar, und auch anders als mit Corvinus, der immerhin ihr Herr war und ihr eigentlich befehlen könnte, ihm zu Willen zu sein, und es gab nichts was sie dagegen hätte tun können – aber er tat es nicht. Siv schüttelte die Gedanken ab und musterte Cadhla. "Ich nicht weiß", wiederholte sie noch einmal, und diesmal – wieder ohne es zu merken – schwang fast so etwas wie Bedauern in ihrem Ton mit. "Nicht weiß."

  • Die Keltin streckte den Arm aus und berührte Sivs Schulter, drückte diese kurz, aber merklich und richtete sich dann wieder auf, um ihr ins Gesicht zu blicken. "Du mir nicht danken müssen, Siv. Manchmal leichter ist, wenn man kann sprechen über Dinge, die man hat in Kopf, und dann man sieht klarer, was ist Weg und was ist wichtig für selbst. Wenn Du mir danken, dann ich Dir auch danken für können sprechen mit Dir über Dinge, über die ich muss denken seit ich bin hier und bin Sklavin von anderem Menschen." Sie lächelte die Germanin aufrichtig an - und mit keinem Menschen in Rom hatte sie sich so verbunden gefühlt bisher. Hätten sie im selben Stamm gelebt, wären sie wahrscheinlich schon als Kinder Freundinnen gewesen und hätten sich sicherlich auch diese kleinen Geheimnisse erzählt, die Kinder so gern teilten - das Wissen um eine geheime Höhle, Gekicher über irgendeinen sich peinlich benehmenden Jungen und ähnliches. Hatte sie überhaupt in den letzten Jahren eine Freundin gehabt? Jetzt, da Cadhla dieser Mangel erst wirklich bewusst wurde, ahnte sie auch, was sie verpasst hatte, was sie vielleicht niemals wieder zurückbekommen würde. Ja, als Schildmaid lebte man mit vielen Entbehrungen, und ein Mensch, der einen begleitete, war vielleicht die schlimmste Entbehrung von allen.


    Als Siv von der Abhängigkeit in der Liebe sprach, nickte Cadhla leicht und seuftze dann. Im Grunde war es das ja auch. Man konnte sich davon nicht unbedingt befreien, man hatte den anderen Menschen stets präsent vor Augen, man dachte automatisch immer wieder an eben diese Person, ohne dass man es wirklich wollte. Aber war es so schrecklich? Blieb man nicht in anderen Entscheidungen doch frei? War es besser, nicht zu lieben, diese Sehnsucht nicht zu kennen, das angenehme Kribbeln, wenn der andere nahe war, nur um vollkommen frei und unabhängig zu sein und zu bleiben?
    "Ich weiss wie ist Leben ohne gehören zu irgendeinem Menschen sonst und es ist einsames Leben, Siv. Auch wenn Liebe Dir macht vieles nicht leichter und vieles noch schwerer, es ist doch schön ist in manchem. Wenn Dein Tag wird schöner, weil Du siehst ihn lächeln. Wenn Dein Herz gehen schneller weil er sprechen mit Dir. Wenn Du ihn einfach nur ansehen und fühlen besser und wärmer, dann es kann doch nicht sein vollkommen schlecht. Warum würden geben Götter Menschen Gefühl wie Liebe, wenn nicht wollen, dass haben schöneres Leben und Freude durch sein bei anderen?"


    Cadhla legte den Kopf schief und fügte dann, etwas nachdenklicher, an: "Ich Dir wünschen dass Du einmal hast Menschen, den Du kannst lieben und mit dem Du kannst leben um werden glücklich. Du hast verdient werden glücklich, auch wenn es nicht sein bei Dir zuhause." Eventuell hätte sie noch etwas angefügt, aber aus der Nähe des Hauses konnten beide eine unangenehm bekannte Stimme hören, Matho, der lauthals nach Cadhla rief. Die Keltin seufzte und rollte mit den Augen, andeutend, dass sie nicht gerade motiviert war, dem Gebrüll des lästigen und selbstverliebten Haushofmeisters Folge zu leisten.

  • Siv lächelte Cadhla an, als diese ihre Schulter drückte und den Dank erwiderte. "Für mich, sein… sein auch… so. Dass kann reden, mit dir." Mehr sagte sie nicht, aber sie hatte das Gefühl, dass das auch gar nicht nötig war. Sie fühlte eine Verbundenheit zu der rothaarigen Keltin in sich, die ihr so viel erfahrener und gefestigter zu sein schien als sie und der das Gespräch doch genauso gut getan hatte wie ihr selbst, eine Verbundenheit, die sie so noch nie gespürt hatte. Wo Cadhla an die letzten Jahre dachte, hätte Siv an ihr ganzes Leben zurückdenken können. Sie hatte nie eine Freundin gehabt. Mädchen, mit denen sie gespielt hatte, das ja – aber nie eine Freundin. Sie hatte viel zu gern mit ihren Brüdern und deren Freunden gespielt, war viel zu wild, viel zu sehr als Junge aufgewachsen. Wie sie ihre Kindheit verbracht hatte, hatte nicht genug Kontakt mit anderen Mädchen zugelassen, als dass eine wirkliche Freundschaft hätte entstehen können, zu unterschiedlich war die Erziehung, zu unterschiedlich dementsprechend auch die Interessen und der Charakter. Bis jetzt hatte Siv eine weibliche Bezugsperson nie vermisst, nie bewusst jedenfalls, auch wenn andere des Öfteren gemeint hatten, dass ihr eine Mutter fehle – aber jetzt, während sie mit Cadhla hier im Garten arbeitete, fragte sie sich, wie es wohl gewesen wäre, jemanden wie sie bereits von klein auf zu kennen und als Freundin zu haben. In jedem Fall war es etwas, das Siv jetzt, wo sie es hatte, nicht mehr hergeben wollte.


    Über die Abhängigkeit hatte Cadhla eine etwas andere Ansicht. Zwar schien sie zuzustimmen, dass Liebe abhängig machte, aber sie es in diesem Fall billigend in Kauf zu nehmen, dass es so war, und erklärte Siv auch warum. Die blickte etwas kritisch, während sich in ihr die Indifferenz mit Zweifeln zu durchweben begann. Einsames Leben… Einsam wollte Siv nicht sein, bei weitem nicht. Aber einsam war sie ja nie gewesen, oder doch? Aber sie hatte auch geliebt, nur nie auf diese Art, von der Cadhla sprach – sie hatte ihren Vater, ihre Brüder geliebt, und auch Ragin, als guten Freund, auf eine gewisse Art und Weise. Allerdings hatte sie dabei immer darauf geachtet, sich nicht zu sehr zu binden, um sich nicht zu abhängig zu machen, und irgendwie war ihr das immer gelungen – weil die Menschen um sie herum, allen voran ihr Vater und später dann Ragin, sie genug geliebt hatten, um ihr ihre Freiheit größtenteils zu lassen. Aber das war Siv nicht klar. Für sie hatte es nur einfach meistens funktioniert, wenn sie ihren Willen hatte durchsetzen wollen. Nur, und das war zumindest einem Teil von ihr klar, wenn sie erst einmal wirklich liebte, von ganzem Herzen – dann war ihr das nicht mehr möglich. Dann würde sie nachgeben müssen, würde sich fügen müssen, nicht immer, aber zu oft, jedenfalls kam es ihr so vor. Und sich nebenbei lächerlich machen. Das kam für sie nicht in Frage. Aber was Cadhla nun erzählte… davon, dass alles schöner und heller und freundlicher zu sein schien… "Ich… nicht weiß…" Siv zuckte etwas hilflos mit den Achseln. Sie wusste, wie es war, bei einem Mann zu liegen, sie kannte Lust, und sie kannte auch das Gegenteil – aber was Liebe betraf, konnte sie nicht mehr sagen als eben das: "Ich weiß es nicht."


    Als die Keltin dann noch anfügte, dass sie ihr wünschte, Liebe zu finden, glücklich zu werden, wurde Siv leicht rot. Sie wusste nicht, ob sie das wollte, aber was Cadhla eben erzählt hatte, klang gut… und gar nicht danach, als ob es so sehr abhängig machte. Oder besser, es klang so als ob es keine Rolle spielte. Aber trotzdem… Bevor Siv sich noch weiter Gedanken darüber machen oder etwas sagen konnte, erklang eine nur allzu bekannte Stimme und brüllte erst nach Cadhla, dann nach Siv. Als die Germanin sich umsah, erkannte sie, dass die meisten anderen der Pärchen in ihren jeweiligen Teilen des Gartens bereits fertig waren. Ihr Gesichtsausdruck spiegelte Cadhlas wider, als sie eine Grimasse schnitt, dann hievte sie die letzten, gerade zusammengerechten Blätter in ihren Korb und griff nach ihm, um ihn zu Matho zu schaffen. "Nicht dass er denkt, wir würden faulenzen… Wir gehen, mehr gut, zu Matho."

  • "Matho wirklich ist dümmste Rübe auf Feld," sagte Cadhla und grinste verschwörerisch zu Siv. Sie mochte den von sich selbst grenzenlos eingenommenen Haushofmeister nicht und ihre Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Vielleicht lag es an ihrer Art - sie ließ sih von ihm zwar vieles sagen, aber in ihren Augen stand dafür deutlich, was sie ihm nicht ins Gesicht spie, und auch wenn Matho ein selbstherrliches Arschloch war, er war kein vollkommener Idiot. Aufsässige Sklaven konnte er bestrafen, schlagen, einsperren, auf halbe Rationen setzen - aber die Verachtung in Cadhlas Augen war stumm und blieb unausgesprochen. Er revanchierte sich für ihre Blicke immer mit unangenehmen Arbeiten, wann immer er sie erwischen konnte, aber letztendlich waren es nur Arbeiten, keine Schläge, kein Eingesperrtsein. Die Arbeiten konnte man ertragen.


    "Ich denken du machen alles richtig, auch wenn Römer manchmal zu dumm zu sehen das - oder Matho," bekräftigte Cadhla ihre Worte von vorhin noch einmal und hob ihren Korb auf, drückte die Blätter darin platt und machte sich schon einmal gedanklich für den sicherlich folgenden Anschiss bereit, denn sie hätten weitaus mehr Blätter sammeln können, wäre nicht anderes wichtiger gewesen. Aber das konnte sie nicht schrecken. In diesem Moment hatte sie etwas so wichtiges gewonnen, dass Matho sie auch mit einer Peitsche durch die villa hätte jagen können, ausser dem körperlichen Schmerz hätte sie nicht sehr viel mehr deswegen empfunden. Endlich schien sie in Rom etwas gefunden zu haben, das man weder kaufen noch erzwingen konnte, was auch einem Sklaven wie einem Senator einfach nur geschenkt wurde - eine Art von Freundschaft. Sie blickte lächelnd zu Siv und setzte sich dann in Richtung des Hauses in Bewegung, und die Sonne schien endlich auch in dieser viel zu großen Stadt angekommen zu sein, um für Cadhla zu scheinen.


    ~ finis ~

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