Nach dem Gespräch mit Helena hatte ich eigentlich in mein Arbeitszimmer zurückkehren wollen. Doch dort angekommen, war mir nach allem, nur nicht nach dem Wälzen von Schriften, dem Vergleich von Angeboten oder dem Lesen von Berichten. Ohne mich zu setzen, machte ich gleich wieder kehrt und verließ die bereit liegenden Arbeiten unangetastet.
Eine Weile wanderte ich in der villa herum, nach Zerstreuung suchend. Doch nichts und niemand war anzutreffen, abgesehen von Arsinoe, die mich kurz im Vorübergehen anlächelte und dann ihren Weg in die Waschküche fortsetzte. Schließlich trugen mich meine Füße in mein cubiculum. Es schien ganz so, als hätten sie sich mit meinem Unterbewusstsein abgesprochen. Drinnen herrschte tristes Halbdunkel. Ich schloss die Tür und lehnte mich schwer an das kühle Holz des Türblatts. Ein tiefer Seufzer kam über meine Lippen, und ich gab mir keine Mühe mehr, die Fassade aufrecht zu erhalten. Der Hinterkopf ruhte am Holz, die Augen waren geschlossen. Meine Lippen schmeckten noch nach dem Kuss Helenas, meine Ohren klingelten von ihren Worten, und in meinem Geist schwappten die harschen Worte von Ursus allmählich wieder an die Oberfläche. Der Kloß, befindlich in meinem Halse seit dem Betreten von Helenas Gemach, wuchs auf unerträgliche Große an.
Ich stieß mich von der Tür ab, gestattete diesem Durcheinander nicht, herauszubrechen und wollte ihm auch keine Möglichkeit geben, über Umwege zu erreichen, was es beabsichtigte. Ich schleppte mich träge zu der kleinen Kommode, auf welcher die Waschschüssel stand, blieb vor ihr stehen und stützte mich mit der Rechten neben dem Spiegel an der Wand ab. Was tat ich nur? Helena? Allein der Gedanke an Eventualitäten war verboren und gehörte verbannt. Ursus? Verdammt noch mal, er war mein Neffe! Verdiente er da nicht, dass ich Milde walten ließ, dass ich nachgab? Und Deandra? Herrje, wir waren zu Fremden fürienander geworden, obgleich sie doch einst meine Schwester gewesen war! Mühsam quälte sich der Atem an dem Kloß vorbei, der in meinem Halse feststeckte. Stoßweise presste ich ich die Luft hinaus. Der stützende Arm zitterte marginal, mein Körper krampfte. Warum nur zerbrach alles um mich herum, wo ich doch genau das zu verhindern suchte? "Warum?!" Wieso war Ursus mir gram, warum verstand er nicht? Wie konnte Helena mich nur vor eine solche Prüfung stellen, warum misstraute mir Aquilius, weshalb empfand ich nur mehr Zuneigung für Deandra und nichts weiter, wieso schien mich Prisca zu meiden und, verdammt noch mal, Vater, "Warum hast du mich verlassen?" Gepresst waren die Worte, ein Zugeständnis an mein scheinbares Unvermögen, die Familie zusammenzuhalten.
Ich schnaufte und zog geräuschvoll die Nase hoch. Wen scherten schon sittsame Tugenden, es war ja ohnehin niemand zugegen. Nur der bleiche, weinerliche Mann im Spiegel, der sich an der Wand abstützte, um nicht vollends zu fallen. Zu fallen wie ein Unfähiger, der es nicht anders verdient hatte. Wie jemand, der bereits alles verloren hatte. Dem es nichts ausmachen würde, auch noch sich selbst zu opfern. Hasserfüllt starrte ich mein Spiegelbild an, schnaufte wie eine alte Matrone beim Treppensteigen. Alles zerfiel! Nichts war von Bestand, wenn es mich betraf. Wenn ich die Finger im Spiel hatte. Es war zu viel! Zu viel! Ich wünschte mir Aquilius herbei, doch allein Kraft meiner Gedanken würde er nicht erscheinen. Nur das Spiegelbild leistete mir Gesellschaft, schien mich mit seinen heißen Tränen auf dem wutverzerrten Gesicht zu verhöhnen.
Es klirrte. Es schepperte und krachte, als ich das vierte Mal mit der baren Faust auf den stattlichen Spiegel einhieb. Rot verschmierte Scherben regneten gen Boden und bildeten ein Mosaik, das mich gleich tausendfach zeigte. Ich brüllte wie ein Berserker, doch nicht vor Schmerz, sondern in Raserei, bis meine Stimme aufgab. Matho stürmte herein, verschwand jedoch gleich wieder, als er mein Gebärden erlebte. Meine Knöchel waren aufgeplatzt, die Hand und der Unterarm von Schnitten übersäht. Und allmählich, tatsächlich, wich das Gefühl, das mich in die Zerstörung getrieben hatte. Bitter lächelte ich, als ich an den unschuldigen Tisch dachte, der Aquilius zum Opfer gefallen war. Siehst du, Caius, nicht nur du bist bisweilen schwach. Die Anspannung wich, zurück blieben Leere und dieses verdammte Selbstmitleid. Ich lehnte mich an die Wand neben der Kommode, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen. Blut tropfte rhythmisch von meiner linken Hand, und ganz allmählich beruhigte ich mich soweit, dass auch der Schmerz an Relevanz gewann. Ich zitterte, teils vor Anstrengung ob des inneren Zwangs, der mir Beherrschung gebot. So stand ich einfach nur da und versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen.
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