cubiculum MAC | Oh, the guilt!

  • Die Grimasse, die Siv schmitt, als Mathos Name fiel, ging an mir vorüber, und so bemerkte ich auch nicht den vermutlich ungewollten Hinweis darauf, dass Siv mit Matho nicht gut zurande kam. Überrascht hob ich eine Braue, kaum dass Siv fauchend über Soldaten schimpfte und dabei wieder ins Germanische verfiel. Ich sah sie nur verständnislos an, bis ich verstand - was in diesem Falle wohl einen Tick zu lange gedauert hatte - und eine leicht besorgte Falte auf meiner Stirn entstand. Ich wiederstand dem Impuls, zu behaupten, dass es gewiss auch unter germanischen Soldaten welche gab, die nicht gerade die Unschuld in Person waren, und schluckte den Kommentar stattdessen hinunter, was mir auch recht leicht fiel, denn Siv sagte etwas, das mich nachdenklich werden ließ.


    "Nicht alle tun das, Siv", wiederholte ich leise nach einer geraumen Weile des stummen, gegenseitigen Musterns. Kurz darauf räusperte ich mich und wandte mich wieder den Münzen zu, die auf dem Tisch vor uns lagen. "Ja, auf dem Markt", erwiderte ich und nickte. "Warum die Halben nicht so wichtig sind? Davon gibt es weniger. Es werden viel mehr aurei, denarii, Sesterzen und Asse produziert...gemacht...als andere Münzen. Und es ist nicht wichtig, mit welchen Münzen man zahlt. Hauptsache, die Summe stimmt." Ich lächelte flüchtig und sah zur Seite, zu Siv hin, die aufgrund der Münzenbegutachtung nicht mehr allzu weit entfernt saß. Ich konnte den Duft riechen, der ihren Körper umgab.


    "Ja", erwiderte ich und betrachtete nun wieder die Münzsammlung auf dem Tisch. "Du solltest lernen, welchen Gegenwert römisches Geld besitzt, denn du wirst sicher irgendwann etwas für mich oder jemand anderen besorgen gehen müssen." Und da wäre es schon von Vorteil, wenn man Siv - und damit indirekt auch mich - nicht so einfach übers Ohr würde hauen können. Das Zögern dann in ihrem Ausdruck fiel mir zwar auf, doch bereitete es mich nicht auf die Frage vor, die sie stellte - und die damit verbundene Schwierigkeit der Erklärung, was größere Zahlen betraf. "Zweiundvierzig aurei", antwortete ich Siv wahrheitsgemäß. Wie befürchtet, traf mich ein Blick, der mir ihr Unverständnis verdeutlichte. Ich überlegte, hob dann beide Hände und zeigte ihr viermal alle zehn Finger, dicht gefolgt von einer Hand, an der Daumen und Zeigefinger abstanden. "Zweiundvierzig aurei", wiederholte ich und schmunzelte.

  • Siv musste für einen Moment mit sich kämpfen, um ihre Fassung wieder zu bekommen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Die Erinnerung an die Soldaten, an ihre Gefangennahme und Reise nach Rom wühlten sie mehr auf, als sie wollte, mehr als sie zeigen wollte, aber wie meistens konnte sie kaum verhindern, dass ihre Emotionen relativ deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen waren. Was sie ahnte und wofür sie sich gleichzeitig verfluchte – aber es war bisher einfach noch nie nötig gewesen, ihre Gefühle vor anderen zu verbergen. Sie hatte kaum mit Menschen zu tun gehabt, vor denen sie hatte verbergen wollen, wie sie sich fühlte. Am liebsten hätte sie Corvinus an den Kopf geschleudert, was Soldaten waren, was sie getan hatten, aber wenigstens so weit hatte sie inzwischen Kontrolle gelernt. Dabei half auch, dass er nichts weiter sagte, sondern sie nur musterte und einfach weiterreden ließ. Bei ihren nächsten Worte allerdings veränderte sich sein Gesichtsausdruck etwas, und wenn Siv es nicht besser gewusst hätte, hätte sie gesagt, er sah etwas betroffen drein. Siv runzelte leicht die Stirn. Offene Betroffenheit über etwas, was sie im Zorn oder ohne Überlegen einfach so sagte, war eine der wenigen Reaktionen, die sie innehalten und nachdenken ließen. Seine Antwort kam leise und erst nach einiger Zeit, in der sie sich einfach nur angesehen hatten, und jetzt war es an ihr, betroffen zu sein. Sie hatte nicht sagen wollen, dass er einer von diesen Römern war. Im Gegenteil, sie hatte damit eigentlich das Geständnis gemacht, dass sie ihre Meinung über Römer zu ändern begann, über manche jedenfalls. Dass sie begann zu differenzieren.


    Siv sagte dazu erst mal gar nichts, sondern wandte sich ebenfalls wieder den Münzen zu. Corvinus hatte sie falsch verstanden, das war offensichtlich. Aber wollte sie, dass er sie richtig verstand? Wollte sie, dass er wusste, dass sie ihn für anders hielt, dass sie anders über ihn dachte als über die meisten Römer? Sie wusste es nicht, und es war wesentlich einfacher für sie und ihr inneres Gleichgewicht, diese Gedanken zu verdrängen und sich auf die Münzen zu konzentrieren. Allerdings klappte es mit der Konzentration nicht so richtig, weil sich die Situation von gerade eben immer wieder dazwischen schob. Er hatte nachdenklich ausgesehen, fast ein bisschen traurig, und dieser Anblick verfolgte sie. Sie konnte damit umgehen, wenn jemand wütend auf sie war. Aber sie hasste es, wenn jemand wegen ihr unglücklich war. Und da spielte es auch keine Rolle, dass er ein Römer war, nicht wenn sie es eigentlich gar nicht gewollt hatte. Ihre Finger glitten über die Münzen, hoben ein paar an und drehten sie hin und her, während ihr Geist anderweitig beschäftigt war. Allerdings bemühte sie sich immer wieder, ihm aufmerksam zuzuhören, und sie rutschte etwas weiter in dem Sessel vor, um die Münzen besser begutachten zu können. "Warum sie mache wenig… mehr wenig von Halbe wie von, von diese da? Wenn nicht wichtig mit, mit… was Münze du zahlst?" Sie sah auf und stellte einigermaßen überrascht fest, dass er ihr näher war als sie gedacht hätte. Etwas verlegen schob sie ein paar Haarsträhnen zurück und setzte sich etwas auf, rutschte aber nicht wirklich zurück. Als er auf ihre Frage antwortete, warf sie ihm zunächst nur einen verständnislosen Blick zu, erst als er die Zahl die er meinte mit seinen Fingern verdeutlichte, begriff sie langsam. Er hatte seine Hände oft gehoben – und er hatte von den goldenen Münzen gesprochen.


    "Zweiund… vier… zig? Das sein… viel?" Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Oder was es bedeutete. Zu wissen, wie viel sie wert war… für den Sklavenhändler. Und für Corvinus? "So viel bin ich also wert? Das sein Wert, von mir?" In ihrer Stimme mischte sich Bitterkeit mit so etwas Unglauben, darüber, tatsächlich für einen festen Preis verkauft worden zu sein, nicht mehr zu sein als eine Ware, ein Stück Vieh, ein Gegenstand… Ihre Zähne mahlten für einen Moment aufeinander, und sie starrte auf die Münzen hinab. Wie seltsam war es doch, wenn das eigene Leben mit diesen kleinen runden Metalldingern bemessen werden konnte, wenn man Sklave war und ein anderer nur genug davon hatte… Aber Siv ging auch immer noch etwas anderes im Kopf herum, und inzwischen war sie an dem Punkt angelangt, an dem sie es loswerden wollte. Dass sie, sobald sie erst einmal als Sklavin verkauft worden war, wie ein Gegenstand einen gewissen Wert hatte, hatte sie schon länger gewusst, und es war einfach müßig, darüber zu grübeln, auch wenn es sie nach wie vor manchmal traf. Aber was gerade eben passiert war, konnte sie nicht einfach so stehen lassen. Das hatte sie noch nie gekonnt. Mit einem Ruck sah Siv wieder hoch und Corvinus in die Augen, und ihr Blick war aufrichtig. "Ich nicht will sagen, vorher, dass du so sein. So bist. Dass, dass… Sklaven schlecht sein, für dich. Ich…" Sie stockte kurz und fuhr sich kurz mit der Zunge über die Lippen, während ihre Hände auf dem Tisch lagen und an den Münzen herumfingerten. "Ich weiß, dass nicht alle so sein. Ich… weiß, dass du… nicht so sein. Ich will denke schlecht Römer, alle Römer… Aber… du, du reden, mit mir. Du wollen lernst Germanisch. Du zeigen Münzen. Du… gleich bei Anfang… Du alberst mit mir rum. Das hast du schon am ersten Abend gemacht." An den Morgen dachte sie lieber nicht, aber sie tat es natürlich trotzdem, und der Anflug eines zufriedenen Schmunzelns spielte für einen Moment um ihre Mundwinkel. "Du einfach… anders wie ich denken."

  • Mir entging nicht, dass sie mit ihren Gedanken an einem anderen Ort war, ob bei dem, was mit den Soldaten vorgefallen war, oder in ihrer Heimat oder ganz woanders, wusste ich nicht. Aber die Art, wie sie die Münzen ansah oder viel mehr durch sie hindurchsah, sprach Bände. Ich ließ ihr die Zeit und dachte selbst auch wieder nach. Daran, was vor kurzem in Helenas Zimmer vorgefallen war, was sie getan und ich gesagt hatte, und so drehte auch ich eine Münze, den quadrans, gedankenlos zwischen Daumen und Zeigefinger. So ein Stück Metall hatte keine Sorgen, dachte ich, es wird einfach nur weitergereicht von Hand zu Hand. Einer niemals endenden Wanderung gleich.


    "Eine gute Frage", sagte ich schlichlich, um die Stille zu durchbrechen und Sivs Frage zu beantworten. "Ich weiß es nicht. Vermutlich sind die Ganzen einfach schöner." Was im Grunde auch keine richtige Antwort auf Sivs Frage war, aber ich wusste es wirklich nicht. Einer meiner Mundwinkel hob sich im Versuch eines halbherzigen Lächelnss, als Siv sich das Haar zurückstrich, und eine jähe Welle der Zuneigung durchflutete mich und brachte mich aus dem Konzept, sodass ich einige Male blinzeln musste, ehe ich mich erneut räusperte und ihr antwortete. "Zweiundvierzig aurei sind ein durchschnittlicher Preis. Nicht wenig und nicht viel", erwiderte ich und sah die Fassungslosigkeit auf ihrem Gesicht. "Das ist der Preis, den ich gezahlt habe", sagte ich, weil ich ihr nicht bestätigen wollte, dass sie vom gleichen Wert für mich war, wie ein Säckchen Gold. Mich verwunderte das selbst etwas, und einen Moment wirkte ich irritiert, überspielte es jedoch damit, dass ich die Münzen nun wieder einsammelte und zurück in den Lederbeutel steckte. Nun ja, zumindest versuchte ich es, doch Siv war nicht dumm. Vermutlich hatte sie gemerkt, dass ich auswich, und ich ertappte mich bei dem Wunsch, dass sie nicht noch einmal nachhaken würde.


    Ich legte das Ledersäcklein vor ihr auf den Tisch und sah hernach Siv an, die mich aufmerksam musterte. Was sie sagte, schien ihr wichtig zu sein, zumindest deutete das Befeuchten der Lippen daraufhin. Lippen die von äußerst schmackhaftem Rot waren... Ich blinzelte sie an und fixierte dann kurz die Wand hinter ihr, als sie vom ersten Abend sprach. Ich ging davon aus, dass sie damit auch den Morgen meinte, und dass sie vermutlich etwas fehlinterpretierte, was meine Absichten betraf. Vermutlich, dachte ich mir, verglich sie mich auch nur mit den bereits zuvor erwähnten Soldaten. Der Wunsch, die zarten Lippen zu kosten, die sich gerade in zugenbrecherischem Germanisch wölbten, von dem ich keinen Ton verstand, wurde geringer. Ich hatte noch nie eine Frau gezwungen, bei mir zu liegen. Ich dachte an Cadhla und seufzte schließlich abschließend. "Nicht nur Sklaven können sich einsam fühlen, Siv. Selbst jemand, der viel Arbeit und eine große Familie hat, kann das." Ich schwieg noch einen Moment, dann fügte ich mit einem Unterton, der mir selbst nicht gefiel, hinzu: "Du darfst jetzt gehen."

  • Die Ganzen waren schöner? Siv glaubte kaum, dass das tatsächlich der Grund war, wenn es denn überhaupt einen Grund gab, aber ihr gefiel der Gedanke. Auf ihre Frage nach ihrem Wert bekam sie erst mal keine Antwort, denn der Römer ließ sich Zeit, bis er schließlich das Wort ergriff. Nicht viel und nicht wenig. Während Siv nebenbei diese Umschreibung für das ihr bisher unbekannte Wort ‚durchschnittlich’ irgendwo in ihrem Kopf verstaute, war der Großteil ihrer Aufmerksamkeit geteilt zwischen dem was er weiter sagte, und dem was sie noch beschäftigte. 42 Aurei, so viel war sie wert, das war ihr Preis, wie er selbst sagte. Das Wert nicht unbedingt dasselbe wie Preis bedeutete, wusste sie nicht, und abgelenkt wie sie in diesem Moment ohnehin war, fiel ihr auch nicht auf, dass er von zahlen sprach – was sie unter anderen Umständen vielleicht auf den Unterschied zwischen diesen Worten gebracht hätte. Dazu kam, dass sie eigentlich gar nichts anderes erwartete als die Bestätigung, dass diese 42 Aurei ihr Wert waren. So hing sie ihren eigenen Gedanken nach, und sein Moment der Verwunderung ging vorbei, ohne dass es ihr wirklich aufgefallen wäre.


    Siv ging der kurze Wortwechsel von zuvor wirklich nicht aus dem Kopf. Sie mochte aufbrausend sein und manchmal schneller aussprechen was ihr auf der Zunge lag als gut war, aber im Grunde war sie ein anständiger Mensch. Sie stand für ihre Fehler ein. Als sie nun anfing zu sprechen, kam das, was sie sagte, einer Entschuldigung so nahe wie es für ihre Verhältnisse ging – und es fiel ihr nicht leicht, erst recht nicht in dieser Situation. Allerdings schien Corvinus das nicht wirklich so zu sehen. Siv blinzelte irritiert, als er sie zunächst nicht einmal ansah, und seine darauf folgenden Worte lösten bei ihr Unverständnis aus. Hatte sie sich falsch ausgedrückt? Oder warum ging er so gar nicht auf ihre Worte ein, auf das was sie gemeint hatte? Und was meinte er damit, nicht nur Sklaven waren einsam… War es das? Redete er nur mit ihr weil er sich einsam fühlte, weil sonst keiner da war – oder weil ihm langweilig war? Irgendwas in ihrem Magen zog sich zusammen bei dem Gedanken, aber sie konnte ihn auch nicht abschütteln. Sie war seine Sklavin, warum sollte sie mehr sein als ein Lückenfüller. Wenn er die Wahl hätte, würde er sich doch bestimmt nicht mit ihr zusammensetzen. Er war ein Römer, so einfach war das. Sie musste vorübergehend verwirrt gewesen sein, in ihm etwas anderes zu sehen als das. Und vermutlich musste sie es ihm sogar noch anrechnen, dass er sie nicht ausgelacht hatte oder schlimmeres, sondern auf ihre Worte gar nicht wirklich einging, sondern sie einfach nur so abtat. Nur warum hatte sie dann das Gefühl, dass es ihr die Kehle zuschnürte und sie Tränen unterdrücken musste? Sie konnte doch nicht ernsthaft enttäuscht sein, nicht wegen einem Römer. Die Germanin presste die Lippen aufeinander, um das Zittern zu verhindern, und sagte sich, dass nichts anderes passiert war als das, was sie erwartet hatte. Sie starrte ihn an und suchte nach Worten, wollte sich aufregen, ihn anfauchen, ihn beschimpfen. Aber es war einer der seltenen Momente in ihrem Leben – die sich in letzter Zeit, in seiner Gegenwart, zu häufen schienen –, in denen sie keine zu finden schien. Sie war erleichtert, als Corvinus sie entließ, so sehr, dass sein Tonfall sie gar nicht mehr wirklich störte, und sie verließ den Raum so schnell, dass es beinahe einer Flucht glich.

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