hortus | Training

  • Auch wenn Ursus auf Cadhla unbekümmert, fröhlich und unbeschwert wirkte, so hatte er durchaus seine Sorgen und Nöte. Vielleicht waren die seinen nicht vergleichbar mit der Entbehrung der Freiheit, doch er führte beständig einen Zweifrontenkrieg: zum einen in der Politik da draußen, auch wenn der sich zur Zeit noch in Grenzen hielt, und zum anderen innerhalb der Familie. Dies waren Sorgen, die erdrückend sein könnten, wenn er zulassen würde, daß er davon erdrückt wurde. Doch man konnte doch nicht ständig und andauernd Trübsal blasen! Er war der Meinung, daß man dem Leben so viel Glück wie nur möglich abgewinnen mußte, denn freiwillig gab es so etwas nicht her. Und Glück konnte man nur empfinden, wenn man die positiven Dinge, die Freude - auch über Kleinigkeiten - an sich heranließ.


    "Gut, dann sagst Du mir Deinen Wunsch, sobald Dir einer eingefallen ist", nickte Ursus lächelnd. Er würde hin und wieder nachfragen, damit sie nicht vergaß, darüber nachzudenken. Ihr listiges Schmunzeln gefiel ihm, vor allem wie ihre Augen dabei blitzten. Fast wäre er in diesem Anblick versunken, es kostete ihn Mühe, sich davon loszureißen.


    Doch der Vorschlag, wie die Kinder fangen zu spielen, kam ihm fast ein wenig albern vor. Trotzdem akzeptierte er ihn. Und umfing Cadhla in einer blitzschnellen Bewegung mit seinen Armen. "Du meinst fangen im Sinne von so?" Nun waren es seine Augen, die übermütig blitzten. Für einen Moment war er versucht... nein, das wäre nicht richtig. Er lachte und ließ sie wieder los, dann sprintete er los und versuchte, so viele Hindernisse wie möglich zwischen sie und sich zu bringen...

  • "Ich Dir werden sagen wenn haben Idee," sagte Cadhla abschließend und damit war für sie das Thema 'Wunsch' erstmal abgehakt. Vielleicht fiel ihr etwas Harmloseres ein als das, was ihr gerade fast auf der Zunge gelegen hätte, aber im Augenblick war das ganz und gar unmöglich. Und diese Art Wunsch hatte sie einfach nicht zu äußern. Er war Römer, er war einer der Herren im Haus und ... er war nun einmal auch ein Mann. Einer, den sie seltsamerweise mochte und in dessen Nähe sie sich neuerdings nervöser fühlte als bei anderen Männern. Früher hatte sie Männer als vorhanden wahrgenommen, aber ihre Nähe nicht besonders registriert, bei ihm war es anders geworden. Und diesen Umstand galt es irgendwie zu ignorieren, damit sie sich nicht ganz darin verlor. So war es auch gut, dass er auf ihren neuen Vorschlag einging, es mit einer wilden Jagd durchs Gelände zu versuchen - da konnte man sich auch auf anderes konzentrieren, ohne zuviel denken zu müssen.


    Mit dem in-die-Arme nehmen überraschte er sie ziemlich, und der Moment dauerte gleichsam zu lange und doch viel zu kurz, dass sie hätte groß darauf reagieren können, das Herz schlug ihr mit einem Mal nur bis zum Hals hinauf, ließ sie ihn verwirrt anblicken. Als er loslief, zögerte sie einen Moment, denn von dem schnellen Start war sie überrascht, aber als er die erse halbhohe Hecke erreicht hatte, lief auch sie und versuchte, denselben Weg zu nehmen, ohne an irgendeinem der vielen Gewächse im Garten hängen zu bleiben. "Dich kriege ich!" rief sie ihm hinterher und wich einem breitblättrigen Busch aus, mit dem sie fast kollidiert wäre, ihm hinterher jagend, als gelte es, mehr zu gewinnen als nur ein Fangenspiel.

  • Es war ihm durchaus schwergefallen, sie einfach loszulassen, statt die Situation auszunutzen. Doch irgendwie... wäre es einfach falsch gewesen, ihr wieder einen Kuß zu rauben. Vielleicht kam ja mal der Tag, an dem sie sich bereitwillig küssen ließ. Noch immer ließ der Gedanke an den Kuß damals auf dem Hof seine Lippen kribbeln.


    Es war ja nicht so, als hätte er noch nie eine Frau geküßt. Doch es war niemals so gewesen. So... eigentümlich anders.


    Aber auch wenn er die Situation nicht zum küssen genutzt hatte, die Überrumpelung hatte funktioniert. Alles ist erlaubt, hatte sie gesagt. Also auch dieser Überfall. Und nun rannte er. So schnell er konnte. Dich kriege ich, hatte sie gerufen und es hatte recht entschlossen geklungen.


    Er hechtete auf die niedrige Hecke zu und setzte mit einem mehr oder weniger eleganten Sprung darüber, wobei seine Füße einige Blätter abrissen. Und nein, er schaute sich nicht um. So etwas kostete nur Zeit und da er ihre Leistungen kannte, wußte er auch, daß er nicht die geringste Zeit verplempern konnte. Er mußte rennen, so schnell er konnte. Schlecht war nur, daß er sich unaufhaltsam der Mauer näherte, die den Garten begrenzte.


    Nun, er lief mittig auf zwei Bäume zu, ohne erkennen zu lassen, welchen er umrunden würde, um die Richtung wieder zu wechseln. Es gab eine Chance von 50 : 50 daß sie die gleiche Richtung wählte und somit die Gefahr groß war, von ihr erwischt zu werden. Erst im letzten Moment entschied er sich für rechts...

  • Er war zumindest in der Tatsache, dass er ihre Anweisungen sehr passend umsetzte, ein guter Schüler - mit einer Umarmung hatte sie nie und nimmer gerechnet, und insgeheim lachte sie über diese verrückte, verwirrende Idee. Diese eigentlich auch wundervolle Idee, denn es waren seine Arme gewesen, die sich um ihren Körper gelegt hatten, ein wunderbares, warmes Gefühl, auch wenn es fast sofort wieder vorbei gewesen war, damit er seinen Vorteil auch nutzen konnte. Und schnell war er noch dazu - als er über die Hecke sprang, hörte sie es gerade noch rascheln, dann war er außer Sicht und sie musste einige unvorteilhafte, Zeit kostende Ausfallschritte machen, um die Hecke zu umrunden, weil sie das Risiko nicht eingehen wollte, auf der anderen Seite eventuell in einem Dornengestrüpp zu landen, dem er durch Glück hatte ausweichen können. Als sie die Hecke umrundet hatte, sah sie auf weiter Flur erstmal nichts mehr von ihm - aber da sie wusste, dass er hier entlang gekommen sein musste, lief sie weiter, in Richtung der das Grundstück begrenzenden Mauer. Zwei Bäume ragten auf ihrem Weg auf - und damit auch eine notwendige Entscheidung der Richtung.


    Rechts oder links? Sie entschied sich kurzerhand für rechts, weil das ihr Schwertarm war, und verschwand zwischen zwei weiteren Hecken, die einen natürlichen Sichtschutz bildeten, wohl um den Bewohnern de villa die Illusion zu vermitteln, dass es keine Mauern gäbe - und da sah sie ihn, auf dem mit Steinplatten gepflasterten Weg. Er war deutlich leichter zu laufen, da man nicht auf Hindernisse achten musste, und mit schneller gehendem Atem zwang sie sich zu mehr Geschwindigkeit - er sollte nicht glauben, sie würde sich nicht anstrengen, ihn zu fangen. Und tatsächlich, sie holte auf, was auf diesem Untergrund auch deutlich leichter war als auf dem Gras, das sich in einiger Entfernung bereits wieder abzeichnete. "Gleich ich Dich habe!" rief sie ihm, ein Keuchen unterdrückend, nach, er sollte wissen, dass sie näher kam, vielleicht würde es ihn verunsichern - das Gras hatte er erreicht, sie jagte ihm nach wie ein Schatzjäger den Schatzräubern versuchte nachzukommen.


    Während er auf eine weitere Hecke zuhielt, wusste sie, dass sie entweder vor einem langen Weg des Aufholens und Abstandnehmens stand, oder aber, sie gab alles und versuchte ihn jetzt zur Strecke zu bringen - sie tat letzteres, fühlte den Schweiß über die Stirn laufen, die Muskeln spannen, und nutzte den einzigen Moment, den es geben konnte, um ihn abzufangen, sich kräftig vom Boden abzustoßen, um mit den Armen voraus ihm nachzuspringen - wäre er auch nur einen Schritt schneller geworden, würde sie unsanft auf dem Boden landen, und er konnte seinen Abstand ewig ausbauen, bis sie wieder auf die Beine käme - dieser Gedanke jedoch flutete eher nebensächlich vorbei, als sie sprang ...

  • Ursus rannte wie noch nie in seinem Leben. Er hatte sich spontan für die rechte Seite entschieden und wagte auch nicht, sich umzusehen, da er den Zeitverlust fürchtete. Er hörte ihren weiteren Ruf, daß sie ihn gleich hätte und es klang gefährlich nahe. In rasendem Tempo rannte er um die Kurve, hoffte, daß sie sein Manöver nicht mitbekommen hatte.


    Sein Atem ging keuchend, während er seine Beine fast buchstäblich in die Hand nahm. Er wußte ja, daß sie einige Tricks auf Lager hatte, von denen er nicht das geringste ahnte. Und so war ihm natürlich auch klar, daß sie ihn irgendwann kriegen würde. Doch er hatte den festen Willen, diesen Zeitpunkt so lange wie möglich hinauszuschieben. Schon um ihr zu zeigen, daß er nicht so ein Weichling war, wie sie glaubte. Auch wenn er im Vergleich zu ihr vermutlich wirklich ein solcher war. Doch das auch nur vor sich selbst zuzugeben, ließ widerum sein Stolz nicht zu.


    Da kam wieder eine halbhohe Hecke in Sicht. Na, er kannte diesen Garten so gut wie kaum ein anderer, daher hielt er mit unvermindertem Tempo auf die Hecke zu, um auch sie zu überspringen. Im Geiste berechnete er schon den Absprungspunkt, mußte ja seine Schritte entsprechend setzen, damit er mit dem richtigen Fuß abspringen konnte.


    Da spürte er sie mehr, als er sie hörte. Im allerletzten Augenblick versuchte er, sich durch einen gewagten Sprung aus ihrer Reichweite zu bringen, doch es reichte nicht ganz. Sie erwischte ihn zwar nicht voll, aber genug, um ihn zu Fall zu bringen. Er stürzte dem Boden entgegen und konnte nun nichts weiter mehr tun, als den Schwung des Falls zu nutzen, um sich zur Seite zu rollen, von ihr weg. Und sich dann so schnell wie möglich aufzurappeln und weiterzulaufen. - Soweit zumindest der Plan...

  • Sie wusste, dass sie ihn erwischt hatte, in jenem Moment, in dem sie den scharfen Atemzug hörte, als ihre Finger seinen Leib berührten - ein Moment, in dem sie sich fühlte, als würde sie in einer fernen Wirklichkeit schweben, unendlich langsam und doch zugleich unendlich schnell, der Zeit entrückt, als könnte sie den reinen Augenblick des Berührens aus der Realität extrahieren, um ihn zu drehen und zu wenden, von allen Seiten zufrieden betrachten, um dann mit einem heftigen Ruck in die Ereignisse zurückgeschleudert zu werden - er schlug auf dem Boden auf, kurz darauf sie selbst, und der Erdboden war ausgesprochen hart und kalt. Mehr instinktiv denn gewollt rollte sie sich beim Aufschlag zusammen und dann zur Seite hin ab, wie sie es von den Kampfübungen ihres Stammes her gewöhnt war, denn wer unglücklich aufkam, blieb in der Regel mit verstauchten Gelenken liegen und kam so schnell nicht mehr hoch - ebenfalls keuchend nun, da ihre Seite heftig auf dem harten Boden aufgekommen war und ein stechender Schmerz ihren Körper entlang gezogen war, glitt sie zur Seite, die Beine angezogen, und Momente lang spiegelte ihr Gesicht den inneren Schmerz deutlich, den sie nur im Atem wiederzugeben wagte. Wer überleben wollte, der musste sich beherrschen, durfte nicht zeigen, wo er verletzt war, dass er verletzt war. Sie roch die Bäume der Heimat wieder, ihren würzigen, unverkennbaren Odem, den Wald, die freie, unberührte Natur, der harte Boden wie im Winter zuhause, erhitzte Glieder ...


    Vor ihr rappelte sich ein Römer auf, den sie im freien Fall niedergeschlagen hatte, ein verfluchter Römer, einer von denen, die sie verwundet, verschleppt und versklavt hatten, und sie hatte ihn gänzlich in ihrer Hand, denn sie war stärker, sie war geübter, und vor allem, sie hatte den Willen zu töten, der so vielen Männern im Grunde abging, die sich ihrer Stärke und ihres Geschicks rühmten. Ein Funke glomm hinter ihren Augen auf, und ehe sie noch halbwegs aufrecht gestanden hätte, stürzte sie schon wieder auf den Aurelier zu, das Gesicht nun zu einer Maske grimmiger Wut verzerrt, die wenig mit dem gemein hatte, was sie sonst offenbarte - ihre eigentliche Ruhe schien dahin, und Ursus sah zum ersten Mal jenes Gesicht, das ihre Feinde gesehen hatten, bevor sie in der Regel starben, dieses unbarmherzige Gesicht einer Frau, die wusste, warum sie kämpfte, und dass sie bis zum letzten Tropfen ihres Blutes kämpfen würde, wenn sie es musste, um zu siegen. Einem Raubtier war sie in diesem Moment ähnlicher als einem Menschen, als sie auf seinen Körper traf und sogleich versuchte, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen, um ihm deutlich zu machen, dass er nicht mehr auf der Seite der Gewinner war - und dieses Mal schonte sie ihn in keinem Fall, als sei jene Cadhla, die er vielleicht gemocht, vielleicht mehr als gemocht hatte, vorerst in den Hintergrund getreten ...

  • Als man Ursus das Reiten lehrte, lehrte man ihn auch, richtig zu fallen, die Kraft des Aufpralls durch Abrollen zu mindern. Der Aufprall war hart und schmerzhaft. Und er entrang Ursus ein kurzes Stöhnen, welches ihm nicht gelang zu unterdrücken. Doch ernsthaft verletzt hatte er sich nicht, er schaffte es sogar, sich erstaunlich schnell aufzurappeln. Womit er nicht gerechnet hatte, war, daß Cadhla sich derartig schnell auf ihn stürzen würde. Er bemerkte es zu spät, jeder Ausweichversuch war zum Scheitern verurteilt.


    Er sah das gefährliche Funkeln in ihren Augen, den grimmigen, harten Gesichtsausdruck, der geradezu unbarmherzig. Doch er begriff nicht, daß sich hier gerade ihre ganze Wut auf alle Römer entlud - und sich gegen ihn richtete.


    Alles war erlaubt, so waren ihre Regeln. Und so schien es ihm eher so, als wolle sie ihm eine Lektion erteilen, indem sie ihm zeigte, daß dies kein lustiges Kinderspiel, sondern hartes Training war, in dem sie ihm zweifellos überlegen war.


    Hätte er geahnt, wie ernst die Lage gerade war, hätte er vielleicht doch noch mehr Kraft und Beharrlichkeit in seine Verteidigungsbemühungen gelegt. Doch es war für ihn immer noch ein Übungskampf, bei dem man sich möglichst nicht gegenseitig verletzte.


    Seine Erfahrung im Ringen reichte aus, um ihre Bemühungen, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen, zu erkennen. Und er kannte einige Methoden, dies abzuwenden. Und so versuchte er beinahe in Schulstundenmanier, diese erlernten Methoden anzuwenden. Ob dies allerdings bei einem derart ernsthaft geführten Angriff zum Erfolg führen würde?

  • Sie kämpfte nicht gegen ihren Schüler, nun kämpfte Cadhla gegen einen Römer, dessen einziges Ziel war, sie erneut zur Sklavin zu machen, und sei es nur zu einer Sklavin ihres Gefühls. Intellektuell konnte sie sich gegen diese Entwicklung nicht wehren, auch emotional nicht, aber körperlich konnte sie ihm Abstand einflößen, konnte sie dafür sorgen, dass er nicht wagen würde, sie noch einmal zu berühren, und gleichzeitig rang ihr Inneres verzweifelt mit dem Hass auf sein Volk und etwas, das sie zu ihm mehr hinzog als zu allem anderen. Am liebsten hätte sie ihn tatsächlich umgebracht, denn dann wäre das Problem aus der Welt, aber es gab noch andere Probleme, die durch diesen Umstand erwachen würden, tötete sie einen römischen Bürger, war ihr Leben auch verwirkt. Und ein Teil in ihrem Inneren wollte ihn leben sehen, glücklich sehen, ihn bei sich selbst sehen, so unmöglich dies auch war - er wehrte sich auf seine Weise gegen ihren Angriff, und einige seiner Griffe waren auch erfolgreich, aber eher einem Übungskampf tauglich, nicht einem ernsten Angriff auf sein Leben. So dauerte es nicht zu lange, bis er gemerkt haben musste, was sie da wirklich tat - in einer bloßen Übung strengte man sich nicht so an, kämpfte nicht so verbissen, und vor allem, in einer Übung hätte sie kaum getan, was sie nun versuchte - sie zog ihr Knie einfach empor, um irgendeinen Teil seines Leibs zu treffen, dorthin, wo sie die Weichteile vermutete - kein Ringer hätte dies jemals getan, aber sie war auch keine Ringerin.


    Sicher, seine Routine gab ihm nicht nur einmal die gute Gelegenheit, sie aufzuhalten - aber letztendlich war ihr Wille, ihm ernsthaft überlegen zu sein und ihm dies auch zu zeigen, so stark, dass sie sich von gelegentlichen Rückschlägen nicht aufhalten ließ. Beide rollten über den Boden, und sie fühlte die Kühle der Erde nicht mehr, war allein darauf konzentriert, ihm keinen zu großen Vorteil erwachsen zu lassen, und doch, es gelang ihm mehr als einmal, sie abzublocken, weil er eine Kampftechnik anwandte, die sie nicht kannte, auf die sie sich erst einmal einstellen musste, um sie zu unterwandern. Cadhlas schneller, brutaler Feld-Wald-Wiesenprügelkampf traf auf alte, perfektionierte Ringerkunst, deren Traditionen seit Jahrhunderten in den Gymnasien verfeinert wurden, und es war ob der Ungleichheit ein sehr eigentümlicher Kampf. Sie keuchte nun, das Gesicht war ob der Anstrengung rot geworden, unschön leuchtend, intensiv brannten die Augen der Keltin dabei aus dem erhitzten Antlitz, und sie schien nicht aufgeben zu wollen, bis sie ihre Hände freigerissen hatte und diese um seinen Hals zu liegen kamen ...

  • Zu Beginn war Ursus noch völlig arglos, auch wenn er fand, dass sie mit verdammt harten Bandagen kämpfte. Alles ist erlaubt, hämmerte es immer wieder in seinem Verstand. So war die Abmachung gewesen und er hatte sich damit schließlich einverstanden erklärt. Sie war eine harte Kämpferin, das hatte er immer gewusst. Eine erfahrene Kämpferin, im Gegensatz zu ihm. Und sie versuchte wohl, ihm zu zeigen, wie hart es werden konnte, wie verbissen ein Feind daran arbeiten würde, ihm Schmerzen zuzufügen und nach Möglichkeit zu töten.


    Er wehrte sich nach bestem Wissen und besten Kräften. Dachte er. Und immerhin gelang es ihm dank seiner Kenntnisse im Ringen immer wieder mal, ihren Angriffen wirksam zu begegnen. Er steckte auch einiges ein, doch Klappern gehörte nun einmal zum Handwerk. Ohne Blessuren konnte wirksames Kampftraining eben nicht ablaufen. Und noch hatte er nicht verloren, noch wogte der Kampf unentschieden hin und her.


    Als ihr Knie schließlich mit Macht in seinem Unterleib landete und seine kostbarsten Teile nur allzu knapp verfehlte, war der heiße Schmerz nicht nur dazu angetan, ihm einen Schmerzensschrei zu entlocken und leuchtende Sterne vor seinen Augen aufgehen zu lassen, sondern auch die Erkenntnis in ihm zu wecken, dass dies wohl doch kein Übungskampf mehr war, sondern bitterer Ernst.


    Das sprühende Brennen in ihren unbeschreiblich grünen Augen, der bittere, verbissene Gesichtsausdruck, den sie zeigte, während sie alles darauf anlegte, ihn zu besiegen… War das Haß? Auf ihn?


    Diese ernüchternde Frage ließ ihn einen Moment innehalten. Ein fataler Fehler, wie er gleich darauf feststellen musste, da sie nun ihre Hände freibekam und damit nach seinem Hals fasste. Die Glut in ihren Augen, das vor Anstrengung hochrote Gesicht, das alles zeigte, wie sehr sie ihren Instinkten folgte. Den Instinkten, die ihr sagten, dass sie einen Römer, einen Todfeind vor sich hatte. Der Verstand, in dem vielleicht ein klein wenig Zuneigung für ihn als Person existierte, war anscheinend völlig ausgeschaltet.


    Mit dem Verstehen erwachte auch eine Kraft in dem erschöpften, verschwitzten Körper des Römers, wie sie nur aus Verzweiflung geboren wurde. Ursus wusste, wenn er es nicht schaffte, sie aus ihrem Kampfrausch zu wecken – und es nicht schaffte, den Griff um seine Kehle innerhalb kürzester Zeit zu lösen, dann würde er sein Leben jetzt und hier beenden.


    "Cadhla!", war das letzte, was er noch hervorstoßen konnte, bevor ihre Hände vermutlich erbarmungslos zudrücken würden. Gleichzeitig riß er seine Arme hoch, versuchte mit aller Gewalt ihre Arme – und damit ihre Hände – wegzustoßen, damit sie ihn nicht würgen konnte…

  • Der Kampf wogte hin und her, und sie hätte nicht sagen können, wer nun gerade der Stärkere war - als ihm endlich aufging, dass sie keinen Spaß machte, dass dieser Kampf so ernst war, wie ein Kampf nur ernst sein konnte, begann sich Ursus zu wehren, und Cadhla musste sich anstrengen, die Oberhand zurück zu erobern - auch wenn sie ihre Anstrengungen keineswegs abreißen ließ, spürte sie nun doch auch die Gegenwehr so, wie es in einem Kampf sein sollte. Er schonte sie nicht, kämpfte deutlich härter als jemals zuvor, und sie würde nicht nur einen blauen Fleck am Leib davontragen, das wusste sie, ihr Fuß schmerzte noch vom Aufschlag auf dem Boden, aber das durfte sie nicht zeigen, nicht einmal beachten, sonst würde es zum Nachteil werden. Beider Blicke trafen sich, sie sah in seinen Augen das Erkennen seinerseits ob der sich abzeichnenden Lage, und den aufflackernden Funken, den sie nicht recht einordnen konnte, hörte seine Stimme, die sich tief in ihr Innerstes schnitt, in ihrem Kopf, aber vor allem ihrem Herzen verhallte, ein Echo hinterließ, das in ihr zu dröhnen begann, sich ausdehnte, ihr keinen Platz mehr ließ, den Gedanken zu vollenden, der ihre Handlungen gelenkt hatte ...


    Abrupt lösten sich ihre Finger von seinem Hals, und sie sah wohl, dass sie ein Mal dort hinterlassen hatte, ohne darüber zu denken, dass man sich darüber Gedanken machen würde, sobald man es sah. Nein, in diesem Moment war sie vollkommen blind für die gesamte Umgebung, für diese Welt, die so fremd war und so viele ihrer Fragen einfach grundsätzlich offen ließ. Sie sah auch das Gras nicht, das die beiden durch ihr Wälzen und Kämpfen plattgedrückt hatten, sie sah weder den Garten noch den Himmel, auch für den würzigen, klaren Geruch der Luft hatte sie keinen Sinn mehr verfügbar, sie sah allein seine Augen, diesen flackernden Blick zwischen Ungewissheit und so vielem anderen, das sie nicht zu deuten imstande war.


    Und in diesem Augenblick wusste sie es endlich in einer solchen Klarheit, als sei ein Schleier von ihrem Inneren gelüftet worden, den sie zuvor nicht einmal wahrgenommen hatte. Es war geschehen, und es wäre besser gewesen, es hätte sich niemals ereignet. Sie wusste, dass sie einen Menschen, den sie liebte, nicht töten konnte, niemals töten würde ... in diesem Moment war es leicht, lächerlich einfach, sich herabzubeugen und die Lippen auf die seinen zu legen, aus eigenem Willen, und wie schon einmal schmeckte sie ihn, nur lag sie diesmal obenauf, konnte nach eigenem Willen seinen Mund kosten und in dieser Empfindung versinken, ohne sich irgendwo noch festhalten zu wollen.

  • Die Luft wurde zunächst schnell knapp, doch seine Bemühungen schienen dann doch von Erfolg gekrönt zu sein, denn plötzlich ließ der Druck um seinen Hals nach und japsend sog er die plötzlich so unendlich kostbar gewordene Luft ein.


    Der Kampf schien vorüber zu sein, keine weiteren Angriffe erfolgten. Hatte er es nun geschafft, ihren Kampfesrausch zu beenden oder hatte sie einfach aufgehört zu kämpfen? Kaum der Bruchteil einer Sekunde blieb ihm für diese Überlegung. Denn schon geschah das Unglaubliche, Unfassbare: Ihre Lippen legten sich auf die seinen zu einem genießerischen Kuss.


    Es war einfach unmöglich, in irgendeiner Weise zu reagieren. Gerade noch hatte er um sein Leben gekämpft, ja, sich fast schon davon verabschiedet, da wurde er aus den tiefsten Tiefen des Tartarus direkt in das Reich der Götter katapultiert. Nun schwanden ihm die Sinne nicht mehr wegen Sauerstoffmangels, sondern durch ein plötzlich explodierendes Wirrwarr von Gefühlen.


    Sie küsste ihn! Sie küsste ihn, weil sie es wollte! Er hatte nicht mal die Gelegenheit, sich dagegen zu wehren, selbst wenn er das gewollt hätte. Sein Blick war von dem ihren gebannt. Ihre herrlichen grünen Augen, eben noch voller Hass und Aggression, schienen plötzlich ganz das Gegenteil auszustrahlen. Doch wie konnte er sich da sicher sein?


    Doch, er war sicher. Ihr Kuss sprach eine deutliche, unmissverständliche Sprache. Dies war keine Provokation und keine Ablenkung. Dies war… echte Zuneigung… ?


    Erst nach einer Weile war er in der Lage, den Kuss zu erwidern. Vorsichtig und zärtlich, soweit sie es zuließ. Alle Schmerzen waren vergessen, kein Gedanke hatte mehr in seinem Verstand Platz. Seine Hände tasteten sich liebkosend über ihre Arme und Schultern bis zu ihrem Kopf vor. Seine Finger fuhren sanft durch ihre Haare…

  • Niemand hatte Cadhla jemals gesagt, dass es weiblicher wirkte, wenn man bei einem Kuss die Augen schloss - verträumter, mädchenhafter, unschuldiger. Aber all diese Attribute trafen auf die jungfräuliche Kriegerin weit weniger zu als auf die meisten anderen Frauen, und wie sie einem Feind in die Augen blickte, wenn sie ihn tötete, so blickte sie auch dem Menschen, den sie liebte, offen und geradewegs in seine Augen. In diesem ersten, wirklich bewusst geteilten Kuss wollte sie jede Nuance seiner Mimik erkunden, und wenn sie ihn schon mit den Lippen nicht vollkommen ertasten konnte, dann doch wenigstens mit ihrem Blick vereinnahmen und dieses Bild so tief in sich aufnehmen, wie es nur ging. Für einen Mann waren seine Lippen sehr weich, aber im Grunde hatte sie auch keine wirklichen Vergleichsmomente - sie genoss nur die Zartheit der Berührung, dass er ihr die Zeit ließ, es auf ihre Weise zu tun, so langsam, wie sie es tun musste, um den Kuss vollkommen auskosten zu können.


    Ihre Kopfhaut prickelte, als seine Finger sich durch ihr Haar tasteten, und unwillkürlich löste sich ein leises Seufzen von ihren Lippen, sie hielt inne, betrachtete ihn schweigend, die eigenen Lippen nur einen winzigen Lufthauch breit von den seinen entfernt. Der Moment hätte ewig dauern können, und es kam ihr so vor, als hätte sie jedes Zeitgefühl verloren, wenn sie in seine Augen blickte. Er sah so schön aus, trotz des erhitzten Gesichts, trotz des Schmutzes, den sie sicherlich beide inzwischen auf ihren Körpern, Kleidern und Armen hatten, und nun schloß sie die Augen doch, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, diese wollte sie ihm diesmal nicht zeigen. Sie hatte schon zu oft geweint, wenngleich bis zu diesem Tag aus Schmerz, nicht aus reinem, puren Glück, gemischt mit einer bitteren Erkenntnis, die trotz der Intensität des Kusses nicht zu verdrängen war - selbst wenn er ihre Gefühle in irgendeiner Weise teilen sollte, es wäre kein gemeinsames Leben für diese beiden Menschen möglich. Nicht zwischen einem Patrizier und einer Sklavin, so weit hatte sie die römische Gesellschaft verstanden. Nicht einmal für einen Patrizier und eine Freigelassene.
    "Es sein so sinnlos und doch sein da," flüsterte sie leise, und in diesen Worten lag die ganze Aussichtslosigkeit ihrer Situation.

  • Verträumter, mädchenhafter, unschuldiger? Nein. Gab es etwas, was unschuldiger sein konnte als dieser offene Blick, dieser Ausdruck von Erstaunen und Faszination in ihren Augen? Die meisten jungen Frauen kokettierten doch nur, wenn sie ihre Augen beim Küssen schlossen. Bei Cadhla war alles gerade heraus und offen. Auch wenn sie küßte. Und gerade das fand Ursus so besonders anziehend an ihr. Nichts an ihr war Spiel oder gar Lüge.


    Auch wenn es ihm zunehmend schwerer fiel, die Initiative erst einmal ihr zu überlassen, riß er sich doch zusammen. Als sich ihre Lippen lösten, sprach er kein Wort, sondern blickte sie nur an. Fragend, ein wenig besorgt, denn er fürchtete, sie würde ihre Zärtlichkeiten sogleich wieder bereuen. Der Abstand zwischen ihren Lippen war nur ein Hauch. Wieviel Kraft es kostete, nun nicht seinerseits seine Lippen auf die ihren zu legen...


    Seine Hände hörten nicht auf, sie sanft zu streicheln. Als sie nun doch ihre Augen schloß und dabei plötzlich auf eine eigenartige Weise schmerzvoll verzweifelt wirkte, strich er leicht mit einem Daumen über ihre Wange, als wolle er ihr eine Träne wegwischen. Doch da war keine Träne.


    "Was ist sinnlos?", fragte er schließlich ebenso leise zurück. Was meinte sie? Ihre Zuneigung zueinander? Die Gefühle, die für sie neu und verwirrend sein mußten? Vielleicht sogar... Liebe?


    Er wagte nicht zu hoffen, daß sie sich in ihn verliebt haben konnte. Er selbst war schon lange verliebt in sie. Auch wenn er es bis jetzt nicht so wirklich zugegeben hatte. Nicht mal vor sich selbst. Doch er empfand so... eigenartig für sie, wie er noch nie für einen anderen Menschen empfunden hatte. Natürlich gab es keine gemeinsame Zukunft für sie beide. Und das war sehr traurig. Doch trotzdem konnten sie versuchen, dem anderen das Leben ein wenig glücklicher zu gestalten. Und war es nicht das, was Liebe wahrhaft ausmachte? Der unbändige Wunsch, den anderen glücklich zu machen?


    Gerade sie beide mochten nur wenig Möglichkeiten haben, etwas für den jeweils anderen zu tun. Doch vielleicht machte gerade das jede Kleinigkeit, die sie doch zu tun imstande waren, umso kostbarer.


    Im Moment war er glücklich. Durch ihre Nähe und durch das Geschenk, daß sie ihm mit ihrem Kuß gemacht hatte. Er kannte sie mittlerweile gut genug um zu wissen, daß dieser Kuß weit mehr Bedeutung hatte, als es bei jeder anderen Frau der Fall gewesen wäre.

  • Dass er noch fragte ... dass er noch wissen wollte, warum es sinnlos war, er musste es doch wissen. Sicher, wahrscheinlich war es für einen Römer normal, eine Sklain zu begehren und sich dabei nichts weiter zu denken, Corvinus hatte schließlich bisher auch keinen Hehl daraus gemacht, dass Frauen aller Art für ihn interessant waren und er ihre Vorzüge gern und ausgiebig genoss. Und sie konnte seinen Blick nicht deuten, nur hoffen, etwas darin zu entdecken, von dem sie hoffte, es wäre da, bei dem sie hoffte, sie wäre nicht die einzige, die so empfand. Die Lippen langsam aufeinander pressend, wandte sie den Blick ab,weg von seinem Gesicht, hin zum Gras, auf dem sie lagen, aber leider gab ihr das grüne Halmkonglomerat keinerlei Aufschluss darüber, was sie nun sagen oder tun sollte. Gras hatte immerhin nicht allzu viele Erfahrungen mit der Liebe, es wurde zumeist eher unfreiwilliger Zeuge derselben.


    "Es sein sinnlos zu ... hoffen, dass es geben gleiches Gefühl von Dir, dass ich haben für Dich," sagte sie schließlich, blickte ihn dabei aber nicht an, sie klammerte sich noch immer an das unschuldige (und zerdrückte) Gras, welches sich gerade Mühe gab, nicht unter dem Gewicht der Körper zu kapitulieren. Aber im Grunde war Gras so einiges gewöhnt. "Du sein Patrizier, und ich sein Sklavin, es niemals gibt Weg für Menschen wie mich zu hoffen, dass Mensch wie Du ..." Cadhla schüttelte den Kopf, denn was sie sagen wollte, konnte sie ohnehin nicht in Worte packen. Dafür war ihr Latein einfach zu mangelhaft, zu wenig ausgereift, und für alles, was über die bloße Bewältigung des Alltags hinausging, musste sie sich einem Kampf mit den Buchstaben stellen, für den ihr die Anregungen und die Erfahrungen fehlten. "Und selbst wenn Hoffnung nicht seien umsonst, es geben keine Lösung, ausser Unglück für haben Gefühl wie das. Du wissen, was ich meine."


    Ihre Mundwinkel hoben sich ein wenig, zu einem müden, fast bitteren Lächeln, aber wenigstens war es jetzt heraus. Sie fühlte sich besser, erleichtert, denn sie hatte das Gefühl lange genug mit sich herumgeschleppt, ohne wirklich damit umgehen zu können, und es sich nun doch von der Seele gesprochen zu haben, entfaltete eine befreuende Wirkung. Auch wenn er es wahrscheinlich nicht verstehen würde, vielleicht war es auch erheiternd für ihn, dass eine Sklavin so für ihn empfinden konnte - aber damit würde sie leben müssen. Es war gesagt, und man konnte die Worte nicht mehr zurücknehmen.

  • Als sie ihn abermals küßte, verlor er sich beinahe in ihrem Blick. Bis sie diesen plötzlich abwandte und den Kuß beendete. Ursus seufzte leise, denn er hatte das Gefühl, daß sich hier endlich erfüllte, was sich schon seit Wochen an Spannung aufgebaut hatte.


    Doch ihre Worte, die von Hoffnungslosigkeit und zukünftigem Schmerz geprägt waren, machten dieses schöne Gefühl beinahe zunichte. "Cadhla", sagte er sanft und versuchte mit einer Hand behutsam ihr Gesicht ihm zuzuwenden.


    "Ich ... habe noch nie so für einen anderen Menschen empfunden wie für Dich." Wie konnte sie glauben, er würde nichts für sie empfinden? Wie konnte sie sich gar die Hoffnung darauf verbieten? War er nicht vom ersten Augenblick an in sie vernarrt gewesen? Und im Laufe der Zeit war aus dieser Vernarrtheit eben mehr geworden. Weit mehr.


    "Du hast natürlich recht. Für einen Patrizier und eine Sklavin kann es keine gemeinsame Zukunft geben. Aber..." Er stockte. "Aber niemand kann irgendjemandem verbieten, einen anderen zu lieben. Niemand kann irgendjemandem verbieten, dem geliebten Menschen Glück zu wünschen. Wir werden nie miteinander leben können, aber ... wir können trotzdem füreinander da sein."


    Wieder ließ er seine Finger durch ihre Haare gleiten. "Du magst Corvinus gehören. Und er kann uns verbieten... beieinander zu liegen. Aber... Dein Herz gehört allein Dir." Er blickte sie ernst an. Leichter wurde es für sie jetzt sicherlich nicht. Sie war als Sklavin in einer viel schwächeren Position als er, das durfte er nicht vergessen.

  • Vielleicht war dies der Ausgleich zum kämpferischen Talent, welches ihr die Götter überreichlich geschenkt hatten - sie tat sich schwer mit Gefühlsdingen, erkannte die eines anderen Menschen nicht immer, und selten wirklich zuverlässig, und überhaupt blieben dabei immer so viele Unsicherheiten übrig, dass sie selten wirklich Vergnügen dabei empfand, sich in andere einzufühlen zu versuchen. Letztendlich blieben immer Unsicherheiten, wenn ein Mensch mit einer Waffe in der Hand einen anderen angriff, war das eindeutig, klar und immer verständlich. Dies aber, dieses seltsame, tiefe Sehnen nach der Nähe eines Menschen, das war unberechenbar. Es passierte einfach, und man konnte es weder verhindern noch ausschalten, allerhöchstens unterdrücken, und nicht einmal das wollte sie mehr.


    "Nein," sagte sie leise, nachdem sie ihm schweigend zugehört hatte, sich gegen seine Finger nicht zur Wehr gesetzt hatte und es einfach genossen hatte, ihn sich nahe zu fühlen. Die Wärme seines Körpers schien so angenehm zu sein, wie ein sicherer Halt in einer chaotischen, wenig vorhersehbaren Welt, dass sie sich liebend gern daran geschmiegt hätte, einfach nur für einen einzigen Moment. Einen ewigen Moment. "Nein. Mein Herz mir nicht mehr gehört, schon viele Tage nicht. Ich nicht gewusst, und lange nicht gesehen, aber nun ich weiss, dass ist, wie es ist. Es gehören Dir." Sie hätte singen sollen, tanzen, glücklich sein, dass ihre Gefühle erwiedert wurden, und doch, ein Teil von ihr freute sich, ein anderer Teil fürchtete sich vor dem, was kommen würde. Denn dass dieser Weg kein leichter sein würde, das wusste sie jetzt schon, mit dem sicheren Instinkt einer Kriegerin, die das Nahen der Gefahr vorahnte.

  • Dies war mit Sicherheit das schönste, das je ein Mensch zu ihm gesagt hatte. Und es traf ihn ins Tiefste seiner Seele, sie das sagen zu hören. Ihr Herz gehörte ihm. Was für schlichte Worte, ganz ihrer Art entsprechend. Und genau so gemeint, wie sie es sagte. Er hätte vor Freude weinen mögen, mußte gar gegen aufsteigende Tränen ankämpfen, gewann diesen Kampf zum Glück. Er wollte doch nicht, daß sie ihn für schwach hielt.


    "Und doch besitzt Du ein Herz...", erwiderte er nach einer Weile ein wenig heiser. Denn seines hatte er schon lange an sie verloren.


    Er hob den Kopf an, auf daß ihre Lippen sich ein weiteres mal fanden. Zu einem gemeinsamen Rausch der Gefühle. Zärtlich, forschend und hungrig. Er ließ sich von der Welle, die ihn erfaßte, davontragen und wünschte sich, dieser Moment möge ewig andauern.


    Nur sehr zögernd löste er schließlich den Kuß wieder. Blickte ihr tief in die Augen. Hoffte, daß sie das Glück und die Freude in seinen Augen erkennen konnte."Laß uns nicht daran denken, was wir nicht haben können. Laß uns daran denken, was wir haben. Sonst tun wir uns nur weh. Und ... ich möchte nicht, daß Du noch mehr Leid ertragen mußt." Im Gegenteil. Er wollte, daß auch ihre Augen vor Glück strahlten.


    Es würde wahrhaftig nicht leicht werden für sie beide. In einem Haus wie diesem ließ sich nur schwer etwas verheimlichen. Und wenn Corvinus davon erfuhr, daß sie beide mehr verband als schlichtes gemeinsames Training, dann würde auch das vermutlich bald unterbunden werden. Corvinus hatte ja schon bei der Frage nach dem Training so merkwürdig reagiert.

  • Und doch besitzt Du ein Herz ... war es seines? Besaß sie das seine wirklich? Und woran erkannte man, dass dem wirklich so war? Ihre ganze Unerfahrenheit mit zwischenmenschlichen Gefühlen offenbarte sich in diesem Moment, in dem sie doch hätte uneingeschränkt glücklich sein sollen, und so wundervoll und strahlend seine Worte klangen, fühlte sie sich doch davon auch verunsichert. Wie sollte es weitergehen? Alles, was sie bereits kannte, kam für sie nicht in Frage. Sie konnte ihn nicht heiraten, nicht seine Kinder bekommen, nicht seine Frau werden - bei den Römern galt eine Sklavin nichts, und sie hätte auch nicht einem Manne untertan sein wollen. Und wie es bei den Römern lief, wusste sie ja auch - man lag bei den Sklavinnen und heiratete eine Römerin, der man nicht einmal treu sein musste oder wollte.


    Es war so viel leichter, seinen Kuss zu genießen, die Wärme seiner Lippen dabei zu schmecken und nicht mehr nachzudenken, denn alles, was sie zu denken gehabt hätte, wäre früher oder später in dieselbe bittere Richtung gelaufen wie schon zuvor. Dass ein Mensch so vertraut und gut schmecken konnte, raubte Cadhla den Atem, ihr kam es fast so vor, als würde sie ihn schon eine halbe Ewigkeit lang kennen, alles an ihm so wohlvertraut sein, und doch erlebte sie ihn in diesem Moment als etwas Besonderes, als einen ganz neuen Menschen. Seine Augen wirkten so hell, als hätte er die Sonne darin gefangen, und so hatte sie ihn bisher wirklich noch nie erlebt, so froh, so in dieser Welt verhaftet und gleichzeitig doch kein Teil davon. Diese Stimmung nahm sie ganz gefangen, riss sie mit, und ohne es bewusst gesteuert zu haben, lächelte auch Cadhla warmherzig und offen, als sich beider Lippen wieder trennten.


    "Es ist, wie ist," sagte Cadhla leise und strich ihm mit einer Hand über sein weiches Haar, einen Moment lang auch bei dem seltsamen Kontrast ihrer schwieligen, hartflächigen Hand und seinem so gepflegten, weichen Haar schmunzelnd. "Aber wie gehen weiter? Ich ... nie geliebt Menschen. Nicht vorher. Du bist Erster." Wieder schlichte, klare Worte, die kaum Zweifel an ihrem Gewicht und der damit einhergehenden Aussage ließen, keine Koketterie, keine Ausflüchte, sie hätte es wohl auch nicht anders gekonnt.

  • Ihr Lächeln war so offen und warmherzig, wie er es bei ihr noch nie gesehen hatte. Es war, als würde die Sonne aufgehen. Mitten in einer sturmgepeitschten, finsteren Nacht. Allein dieses Lächeln war ihm jede Mühsal, jede Pein wert, die ihn noch erwarten mochte. Es wärmte ihn, wie ihn schon lange nichts mehr gewärmt hatte, tief in seinem Inneren. Und er hoffte, daß er ihr die gleiche Wärme schenken konnte, die er von ihr empfing.


    Als sie ihm gestand, daß er der erste Mann war, den sie liebte, überraschte ihn das nicht unbedingt. Sie hatte ihm ja schon einiges über ihre Vergangenheit erzählt. Doch vielleicht würde sie jetzt überraschen, was er ihr gestand. "Auch ich habe noch keine Frau geliebt. Nicht so." Dies war ebenso wahr wie ihre Worte. Zwar hatte er durchaus die eine oder andere Bettgenossin gehabt, doch Liebe war da sicherlich nicht im Spiel gewesen. Und weder er noch die jeweilige Frau hatten sich dergleichen vorgegaukelt. Sie hatten einfach ihren Spaß gehabt. "Wie genau es jetzt weitergeht, kann ich Dir nicht einmal sagen." Denn er glaubte nicht, daß sie jetzt über den Beischlaf sprach. Daß Corvinus dies verboten hatte, störte ihn dabei weniger, als daß sie es mit ihren Grundsätzen nicht vereinbaren konnte.


    Wie sie ihm über das Haar strich! Ursus konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, daß dies jemand getan hatte. Und wenn, dann nicht so wie sie jetzt.


    Sanft und zärtlich streichelte er ihr Gesicht, genoß den Blick in ihre strahlenden Augen. "Ich denke, alles weitere sollten wir einfach sich entwickeln lassen. Jeden Augenblick genießen, den wir füreinander haben", was wenig genug sein würden, "und... uns vertrauen." Während eine Hand noch erst durch ihre Haare fuhr und dann über ihre Wange streichelte, wanderte die andere über die Schulter zu ihrem Rücken. Er drückte sie leicht an sich und seine Lippen suchte die ihren...

  • Konnte es wirklich wahr sein, dass er so etwas noch nie empfunden hatte? Dass er wirklich etwas ganz Neues mit ihr teilte, dass sie sich beide weder gewünscht noch darum gebeten hatten - um es dann dennoch zu erhalten? Das alles war verwirrend, aber auf andere Art und Weise verwirrend als jene körperliche Nähe, die sie mit Corvinus bisher erlebt hatte. Denn dies kannte sie gar nicht, mit Liebe jedoch konnte sie weit mehr anfangen, sie hatte immer gefühlt, dass ihre Eltern sie geliebt hatten, und oft genug Liebe bei anderen beobachtet - wenn man den nicht körperlichen Teil davon bedachte. Man erkannte sie an zärtlichen Gesten, an Blicken, an dem stillen Beisammensein der Menschen, die dieses Gefühl teilten, und auch wenn es sonst nichts gab, woran Cadhla sich hätte halten können, dann war es das Wissen darum, wie es sich anfühlte, sich an seine Schulter zu lehnen und zu wissen, dass sie in diesen Momenten schwach sein durfte, ohne schwach zu wirken. Niemand sonst hatte sie jemals mit so viel Zuversicht erfüllt. "Vertrauen," flüsterte sie leise, das Wort wiederholend. War es wirklich so einfach? Insgeheim vermutete sie, dass sich das, was sich zwischen ihnen beiden entwickelt hatte, nicht mit so schlichten Worten würde fassen lassen, aber sie sprach den Gedanken nicht aus.


    Er zog sie an sich, und für diesen Moment schien es, als hätte sie nie etwas schöneres erlebt als die beruhigende Nähe dieses Mannes - sie verlagerte sich etwas, um nicht zu schwer auf ihm zu liegen, und dann schwiegen ihre Gedanken, sprachen nur noch die Berührungen ihrer Lippen auf den seinen. Ein zarter Kuss war es, noch immer vorsichtig, noch immer auskostend, wie es sich mit dieser fremdartigen Art, sich gegenseitig die Gefühle zu zeigen, verhielt, ob sie es denn richtig machte, und mit der Zeit fand Cadhla mehr Geschmack daran, kostete ihn etwas mutiger, fühlte selbst ihren Körper an den seinen geschmiegt, als sollte es so sein, als wäre jeder andere Zustand falsch und unnatürlich.
    Schneller ging ihr Atem, und jenes eigentümliche Gefühl kehrte zurück, das sie schon erlebt, aber nicht wirklich verfolgt hatte, dieses Mal hatte das Gefühl der aufsteigenden Hitze nichts Fremdes an sich, nichts beängstigendes, es war zwar neu, aber auch in seltsamer Weise richtig, ohne dass sie hätte erklären können, wieso es mit ihm richtig war und mit einem anderen nicht. Erst als sie sich darüber bewusst wurde, dass ihr Körper unwillkürlich an dem seinen entlang gerieben war, riss sie sich mit einem leisen, überraschten Keuchen los und blickte auf ihn herab.

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