Wintersonnwende | Ein chattisches Julfest


  • Nebel hing zwischen den Stämmen der Pinien. Dichte Schwaden von milchigem Grau wanden sich um Baum und Strauch, verschleierten die festen Formen der Dinge, schienen alles aufzulösen in fahler Unbestimmtheit. Schon am Nachmittag war es dämmrig geworden, und jetzt, am frühen Abend, war es stockdunkel. Heute war die längste Nacht des Jahres, die finsterste Zeit. Doch von nun an würden die Tage wieder länger werden. Und so wie Baldur wiederkehren würde aus Hels lichtlosem Reich, so würde die Sonne von heute an wieder Kraft gewinnen, und die Dunkelheit jeden Tag ein Stück weiter zurückdrängen.
    In einem dichten Pinienwald, in den Hügeln etwa eine Stunde nordöstlich von Rom, hatte der Germane auf einer Anhöhe ein Feuer entfacht, ein grosses prasselndes Lagerfeuer das Licht und Wärme verbreitete. Er wartete auf seine Stammesgenossinnen, mit denen er sich hier verabredet hatte, hoffte sehr dass sie kommen konnten und dass sie den beschriebenen Weg bis hierher finden würden.


    Gedämpft schimmerte die rote Glut durch den Nebel. Einen kleinen Unterschlupf hatte er daneben gebaut, aus einer Lederplane und Zweigen. Ein paar immergrüne Wacholderzweige lagen davor. Der Wallach Canus, auf dem er in den letzten Tagen in den Vorbergen des Apennin herumgeritten war, stand angepflockt daneben, eine Decke über dem Rücken, und kaute träge auf einer Mundvoll Waldgras herum. Severus war auf die Jagd gegangen - er hatte gehofft selbst einen Juleber erlegen zu können - doch er war ziemlich erfolglos gewesen. Sein Bogen und Jagdspiess waren selbstgebaut und nicht besonders gut, und das Land sowieso viel zu domestiziert.
    So war er heute doch noch einmal in die Stadt hineingegangen, und hatte, seinem kleinen schmutzigen Nebenverdienst sei Dank, ein paar Sachen gekauft, um das Julfest einigermassen gebührend zu feiern. Met und Brot hatte er erstanden, und bei einem Fleischer auch einen Schweinerücken, den er nun an einen Spiess steckte und mit zwei Astgabeln über das Feuer hing. Die Äpfel wenigstens waren selbstgeklaut.


    Klamm war es im Nebel, sobald man sich vom Feuer entfernte. Eine feine Feuchtigkeit legte sich aufs Gesicht. Es roch nach Holz, Moos und nasser Erde. Severus atmete tief ein, sog die Luft geniesserisch in seine Lungen, hätte sich am liebsten einen Vorrat davon mitgenommen für die Zeit wo er wieder in die stinkende Stadt zurückkehren würde müssen. Mit schräggelegtem Kopf lauschte er auf die Geräusche des Waldes. Das leise Rauschen der Bäume, das Plätschern eines nahen Baches, ein Aufstampfen und Schnauben des Pferdes, alles drang nur gedämpft bis zu ihm.
    Vielleicht hätte er die Frauen doch besser am Stadttor abholen sollen. Die Wege waren ja auch nicht gerade sicher. Er rückte die Sica, die er auf dem Rücken unter dem Mantel trug zurecht, entzündete eine Fackel und verliess die Lichtung, um den Frauen ein Stück entgegen zu gehen. Einem schmalen Pfad folgte er hügelabwärts durch den Nebel, dann einem Hohlweg bis zum Waldrand. Den Mantel um sich geschlagen lehnte er sich an eine knorrige alte Pinie und wartete ruhig. Das Licht der Fackel glitt unstet über den rissigen Stamm, warf Schatten und liess sie wieder verschwinden, huschte durchs Geäst und beleuchtete geisterhaft treibende Nebelfetzen. Fast hätte man meinen können, der Baum müsse gleich erwachen, den Schlaf abschütteln und sich die Äste reiben wie steifgewordene Finger.

  • Endlich war es soweit! Jul, das Fest der Feste stand unmittelbar bevor. Es war heute der kürzeste Tag und die längste Nacht in diesem Jahr. Aus diesem Grund hatte sich Minna mit ihren beiden Stammesgenossen an einem geheimen Ort im Wald verabredet um mit ihnen ungestört zu feiern. Glücklicherweise wurden zur gleichen Zeit die Saturnalien gefeiert. So war es für Minna ein Einfaches gewesen, sich unbemerkt aus der Villa Claudia zu stehlen. Ihre Freundin Fiona begleitete sie dabei. Sie war zwar Keltin, doch sie hatte Minna auch zu ihrem Samhainfest eingeladen. Beide trugen einen Korb mit Leckereien, die sie zuvor aus der Küche geklaut hatten. Einen großen Krug Wein hatten sie auch noch dabei. Met wäre ihr zwar lieber gewesen, aber den konnten sie leider nicht auf die Schnelle auftreiben. Also mussten sie sich damit begnügen.


    Bevor sie sich auf den Weg in den Wald machten, gingen sie zunächst zur Villa Aurelia. Dort mussten sie noch Siv abholen. Schließlich befand diese sich noch nicht sehr lange in Rom und kannte sich folglich nicht in der Umgebung aus. Als sie bei der aurelischen Villa ankamen, wartete Siv bereits. Minna stellte die beiden Frauen kurz einander vor und dann ging es zügig weiter. Man wollte nicht allzu viel Zeit verlieren, denn es war schon lange dunkel geworden. Kühl war es an diesem Abend, jedoch nichts im Vergleich zu dem Wetter, was zur gleichen Zeit in ihrer Heimat herrschte. Trotzdem war sie froh darüber, daran gedacht zu haben einen Mantel mitzunehmen. Das Tuch, welches ihre blonden Haare bedeckte, zog sie beim Gehen ein wenig fester. Ihr war nicht ganz wohl zu dritt im Dunkeln herzulaufen. Vorsichtig tastete sie nach dem kleinen Messer, das sie aus der Küche gestohlen hatte und nun vorsichtshalber bei sich trug. Man konnte ja nie wissen, was für Schurken hier herumliefen.


    Es dauerte eine ganze Weile bis die drei Frauen sich dem Wald näherten. Minna begann sich schon Sorgen zu machen, dass sie Severus’ Wegbeschreibung falsch verstanden haben könnte. Doch da entdeckte sie ein Feuer, dass plötzlich im Nebel auftauchte. Erleichtert atmete sie aus. "He, seht mal, dort drüben muss es sein! Kommt, wir haben es gleich geschafft." Angespornt durch den hellen Lichtschein, beschleunigte sie ihren Schritt und hoffte, dass die anderen Beiden eilig nachkamen. Als sie dem Waldrand näher kamen, wurde der Nebel wieder etwas lichter und erkannten den Germanen. Ganz lässig lehnte dieser an einem Baum und wartete schon auf sie. "Heilsa Severus, da sind wir. Wartest du schon lange?" Sie drehte sich um und deutete auf Fiona. "Du kennst doch sicherlich noch Fiona. Ich habe sie einfach mal mitgenommen. Ich hoffe, dass ist für dich in Ordnung."

  • Fiona hatte sich geehrt gefühlt, als Minna sie zum germanischen Julfest eingeladen hatte. Sie mußte sich jetzt wohl ungegfähr genauso unsicher fühlen, wie ihre Freundin, als sie diese vor wenigen Wochen zum Samhainfest eingeladen hatte. Doch sie wollte sich einfach einmal überraschen lassen, was diese Nacht bringen würde.
    Wegen der Saturnalien war es für sie ein leichtes gewesen, die Villa zu verlassen. Mit allerhand Leckereien verließen sie das Haus und holten unterwegs noch eine andere Frau ab. Fiona hatte sie flüchtig auf der flavischen Saturnalienfeier gesehen, hatte aber nicht nit ihr gesprochen. Es stellte sich heraus, daß ihr Name Siv war und sie aus dem gleichen Volk wie Minna stammte.
    Wie immer hatte Fiona auch in dieser Nacht ihr Messer unter der Tunika. Glücklicherweise hatte sie es noch nie groß benutzen müssen, doch sicher war sicher!
    Es war wirklich ungewohnt kalt, doch ihr wollener Umhang tat ihr gute Dienste. So mußte sie nicht frieren.
    Minna hatte ihr erzählt, man würde sich außerhalb der Stadt mit einem Stammesgenossen in einem Wäldchen treffen. Dort würde man dann an einem Lagerfeuer sitzen. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, daß es sich bei diesem Stammesgenossen um Severus handeln würde, den sie bereits beim Samhainfest kennengelernt hatte und über den sie am Saturnalienfest von Bridhe einiges erfahren hatte.


    Der Weg vom Stadttor hinauf zu dem Wäldchen hatte sich wirklich lang gezogen, doch verfügte Minna offenbar über eine gute Wegbeschreibung. So erreichten sie schließlich den Platz, an dem sie feiern wollten. Von einiger Entfernung konnte man schon das Lagerfeuer erkennen. Ein einzelner Mann wartete dort schon auf die drei Frauen.
    Erst als Minna den Mann mit Heilsa Severus begrüßte, realisierte Fiona, wer denn der Stammesgenosse tatsächlich war, mit dem sie feiern wollten.
    "Severus?" kam es leise in einem ungläubigen Ton über Fionas Lippen. Im Schein des Lagerfeuers erkannte sie schließlich sein Gesicht. Ja, das war er- Bridhes Severus!

    Da Fiona des Germanischen nicht mächtig war, begrüßte sie ihn in Latein, da dies für alle Beteiligten am einfachsten war. "Salve Severus, schön dich wieder zu treffen!"

  • Seit dem Fest bei den Flaviern freute Siv sich den Abend, an dem sie sich mit Minna und Severus verabredet hatte. Sie jubelte innerlich bei dem Gedanken, das Julfest feiern zu können, noch dazu mit zwei anderen Chatten, und zumindest einige der anderen in der aurelischen Villa hatten gemerkt, dass etwas los sein musste, war sie doch fröhlich wie noch nie. Siv war aber allen Fragen ausgewichen – nur Cadhla hatte sie eingeweiht, hatte ihr nicht nur von den beiden Chatten erzählt, sondern auch von ihrem Vorhaben, zusammen außerhalb von Rom zu feiern. Sonst hatte sie keinem etwas gesagt, und sie hatte auch nicht gefragt, ob sie gehen durfte. Es ging um das Julfest, um ihre Stammesgenossen, ihre Heimat – und das wollte sie mit niemandem teilen, ebenso wenig wie sie Corvinus’ Geschenk vor jemand anderem hatte öffnen wollen. Sie wollte wenigstens die Illusion haben, frei entscheiden zu können, so frei, dass sie noch nicht einmal jemandem Bescheid sagen musste, nur diesen einen Abend. Siv hatte keine Ahnung, was die Konsequenzen sein mochten, wenn sie aufflog, aber das war ihr egal. Davon abgesehen glaubte sie nicht, dass großartig etwas passieren würde. Zum einen waren immer noch diese Saturnalien im Gange, zu denen die Sklaven wie Freie behandelt wurden. Zum anderen hätte sie, Saturnalien oder nicht, abends ohnehin nichts mehr zu tun – es würde sie also keiner vermissen, es sei denn Corvinus rief – oder eher bat, aufgrund der Saturnalien – sie zu sich, um mit ihr den Abend zu verbringen. Sie hatte das Gefühl, dass er ihre Gesellschaft genoss, meistens jedenfalls, und auch wenn sie sich dagegen wehrte, konnte sie doch nicht verleugnen, dass es ihr genauso ging, zumindest dann, wenn er sie nicht gerade verwirrte oder aufregte. Nur was sie damit anfangen sollte, wusste sie nicht.


    Siv schob diese Gedanken weg, während sie vor dem Haus wartete. Es war Wintersonnwende. Nicht die Zeit, um über einen Römer und sein Verhalten zu grübeln. Es war die Zeit von Odins Jagd… begleitet von den Toten, denen, die einen Platz in Walhalla gefunden hatten. Ragin… Es würde seine erste Jagd werden, und Siv fragte sich, ob er sich darauf freute. Ob er die Gelegenheit nutzen würde, um nach ihr zu sehen… Oder ob er es nicht tat, weil er wusste was ihr passiert war, weil er wusste dass sie nicht mehr in Germanien war… Sie warf kurz einen Blick zurück zur Pforte. Sie hatte sich nicht davon gestohlen, sondern war einfach zur Tür hinaus gegangen, mit dem Bündel, dass sie zuvor noch in der Küche gepackt hatte, und hatte Leone zugenickt, als ob sie alles Recht der Welt hätte, die Villa zu verlassen. Dann hatte sie sich weit genug entfernt, dass sie nicht mehr gesehen werden konnte, bevor sie stehen blieb. Frechheit siegte eben, zumindest hatte Leone sie nicht aufgehalten. Ihre Gedanken wanderten wieder zurück zu Ragin, aber nicht für lange, denn im nächsten Moment tauchten Minna und Fiona auf, die sie abholten. Sie grüßten sich und machten sich dann auf den Weg, und wäre sie sich in den Straßen Roms noch verloren gewesen ohne die Führung der anderen beiden, fühlte sie sich in ihrem Element, kaum dass sie die Stadt verlassen hatten. Anhand von Severus’ Worten war es für Siv kein Problem, den Weg zu ihrem Treffpunkt zu finden. Sie spürte die Kühle in ihre Knochen kriechen, aber sie war nichts gegen die Kälte die sie gewohnt war um diese Jahreszeit. Siv atmete tief ein, sog die frische Luft tief in die Lungen und sprang übermütig durch die Gegend, bis sie an den Waldrand kamen und auf Severus trafen. "Heilsa", grüßte auch sie, mit einem schalkhaften Augenzwinkern, das im Fackelschein vermutlich kaum zu sehen war. "Was, feiern wir nicht an dem Ort, den du zuerst vorgeschlagen hast? Oder hattest du Angst, wir würden den Weg nicht finden?" Ihr Tonfall war neckend und zeigte deutlich, dass sie ihre Worte nicht ernst meinte. Während sie in den Wald voraus ging, in die Richtung die Severus beschrieben hatte, wechselte sie, wenn auch mit Bedauern, ins Latein. Sie würde wieder nur die Hälfte verstehen und sich mehr schlecht als recht ausdrücken können, aber es unfair gegenüber Fiona gewesen, Germanisch zu reden. "Es… nicht viel Weg sein. Nicht weit. Oder?"

  • Die Gestalten dreier Frauen lösten sich aus dem Nebel, Fylgien gleich oder Nachtreiterinnen, die in dieser dunklen und zauberischen Zeit unterwegs waren. Drei? Im Schein der Fackel erkannte er ihre Gesichter. Die fröhliche Begrüssung vertrieb den Hauch von Scheu, den dieses mystische Bild in ihm hervorgerufen hatte.
    "Heilsa!"
    Er löste sich von der knorrigen Pinie und trat auf die drei zu.
    "Es ist gut dass ihr hier seid. Habt ihr es gleich gefunden? Heil Dir, Minna. Nein, nicht lange. Ich habe derweil den Nebelfrauen zugesehen, wie sie im Reigen schreiten. Aber lass mich das doch nehmen."
    Er streckte die Hand nach dem Korb aus, um ihn für sie zu tragen.
    Fiona zu sehen erstaunte ihn, und auch die Keltin wirkte überrascht, als sie seinen Namen sagte. Das Wissen, dass sie doch eine Freundin von Bridhe war, liess Severus im ersten Moment etwas reserviert dreinblicken. Aber wenn Minna sie für würdig befand, das Julfest mit ihnen zu begehen, dann sollte es so sein - und ausserdem war er ja auch bei ihnen zu Gast gewesen, und erinnerte sich sehr gut daran wie unerschrocken die rotgelockte Keltin angesichts des impertinenten Römers gewesen war.
    "Salve Fyonha" - er fiel ins Lateinische und nickte ihr freundlich zu - "ich grüsse Dich als Gast auf unserem Julfest."
    Und wieder wechselte er ins Chattische, genoss es einfach die vertraute Sprache sprechen zu können, als er Siv begrüsste, die schon ganz übermütig vorausstürmte.
    "Heilsa Siv! Doch natürlich, ich bin nur gekommen um euren Weg zu erhellen" - er hob die Fackel und grinste - "durch den dunklen Wald, nicht dass ihr gar vom Pfad abkommt und einem hungrigen Thursen in die Hände fallt und ich ohne euch feiern muss! - Ja, es ist nicht mehr weit, nur ein Stück den Weg entlang, und dann den Hügel hinauf."
    Er wandte sich den beiden anderen zu, und wiederholte für Fiona auf Latein:
    "Es ist noch ein kleines Stück Weges. Hier entlang..."


    Ihnen mit der Fackel leuchtend trat er in den Hohlweg hinein, Siv hinterher, die den Weg schon ausfindig gemacht hatte. Wie in einem Tunnel waren die Wipfel der Bäume über ihren Köpfen verflochten. Der Nebel wogte, der Boden federte weich bei jedem Schritt und ein harziger Geruch lag in der feuchten Luft. Dann ging es einen kleinen Pfad entlang, kaum mehr als ein Wildwechsel, und schliesslich den Hügel hinauf und auf die kleine Lichtung wo das Feuer prasselte und wärmte. Der graue Wallach sah den Ankommenden entgegen, schnaubte und blähte die Nüstern.
    "Ich bin schon eine Weile hier", erklärte Severus und krauste ebenfalls die Nase. Irgendwas roch komisch. Einladend wies er auf das Feuer. Er hatte vorhin ein paar dickere Äste und ein Stück eines Baumstammes herbeigeschleppt, auf denen man drumrum sitzen konnte.
    "Ich war jagen in den letzten Tagen, in den Bergen da, dem Apennin, aber das Land ist so zahm und... - oh, das Fleisch!"
    Hektisch nahm er den Spiess mit dem Braten vom Feuer, der auf einer Seite schon angekohlt war, auf der anderen dafür noch ziemlich roh.
    "Hmm..."
    Er begutachtete das Fleisch kritisch, drehte es dann herum und hängte es wieder übers Feuer. Würde schon gehen. Am Gras wischte er sich die Finger ab, und holte aus dem kleinen Unterschlupf am Rande der Lichtung den Met hervor. Der stammte vom selben Händler, bei dem sie damals auch für Samhain eingekauft hatten. Einen Becher hatte er auch - nur einen, aber man konnte ihn ja weitergeben - den füllte er, goss den ersten Schluck ins Feuer. "Dem Wallvater", murmelte er dabei, reichte den Becher dann Fiona.
    "Sei willkommen an unserem Feuer, Fyonha."
    Eine Frage, oder Sorge, ging ihm jetzt schon eine Weile im Kopf herum. Er wandte sich an seine Stammesgenossinen und fragte etwas zögerlich:
    "Will eine von euch vielleicht den Blót vollziehen? Ich... ich bin natürlich kein Gode, aber ich kann das schon machen, es ist nur - ich weiss nicht ob ein Julopfer von meiner Hand den Asen so gefällig wäre. Oft zeigten sie mir ihre Ungunst im letzen Jahr."

  • Sim-Off:

    Ich mache jetzt einfach mal weiter und hoffe, man möge es mir verzeihen, wenn ich jemanden übersprungen habe! :)


    Fiona war sehr froh, daß Ziel endlich erreicht zu haben, denn der Weg hier herauf hatte sich doch gezogen. Lange war es her, seit sie durch Wald und Felder gelaufen war und aus diesem Grund hatte sie sich auch sehr gefreut, Minna begleiten zu dürfen. Der Nebel hatte sie dabei nicht gestört. Den war sie ohnehin von ihrer Heimat her gewöhnt.
    Severus begrüßte seinerseits die Frauen in seiner Muttersprache. Da Fiona davon nichts verstand, war sie dankbar gewesen, als er für sie ins Lateinische wechselte und sie ebenfalls begrüßte.
    Er war wohl sicher genauso erstaunt, sie zu siehen, wie Fiona es war.
    Fiona lächelte freundlich und nachdem Severus wieder die Germaninnen angesprochen hatte, begann Fiona, sich etwas umzusehen.
    Noch ein Stückchen weiter oben auf dem Hügel, hatte der Germane ein Lagerfeuer entfacht und nachdem er sie darauf hingewiesen hatte, folgte sie der Gruppe.
    Dort angekommen blieb sie erst einen Moment am Feuer stehen und wärmte sich wieder auf. Trotz ihres Umhangs, den sie sich am Abend umgebunden hatte, fröstelte es sie ein wenig. Der Schein des Lagerfeuers weckte die Erinnerung an ein anderes Fest. Ein Fest, welches noch gar nicht lange zurück gelegen hatte.
    Das Samhainfest, das sie vor gut zwei Monaten in der Villa Aurelia gefeiert hatten, barg für sie zwiespältige Erinnerungen. Zum Einen war sie doch glücklich gewesen, ihren Ahnen huldigen zu können, zum Anderen war dieses Fest doch etwas aus den Rudern gelaufen. Nicht zuletzt, weil ein Römer hinzugekommen war, der sie erstaunlicherweise nicht verraten hatte. Doch soweit würde es in dieser Nacht sicher nicht kommen.
    Erfreulicherweise war es Severus gelungen, wieder etwas Met aufzutreiben und als er ihr den Becher anbot, nachdem er den ersten Schluck ins Feuer gegossen hatte, nahm sie ihn dankend. "Vielen Dank Severus, es ist mir eine Ehre, an euerem Julfest teilnehmen zu dürfen." Sie nahm einen Schluck und genoß das Getränk. Dann gab sie den Becher weiter an Siv.
    "Leider weiß ich nicht viel von euren Gebräuchen. Worum geht es genau bei eurem Fest?", fragte sie in die Runde. In der Villa war nicht mehr genügend Zeit gewesen, groß über den Sinn und Zweck des Julfestes mit Minna zu sprechen.

  • Sim-Off:

    Das ist überhaupt kein Problem! Im Gegenteil, so ist der Thread wenigstens nicht ganz untergegangen. :) Tut mir wirklich leid, dass ich nicht früher geantwortet habe, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen.


    Minna war erleichtert darüber, dass Severus ihnen entgegen gekommen war. Dankbar übergab sie dem Chatten den schweren Korb und folgte ihm und Siv anschließend in den Wald hinein. Dichtes Wurzelwerk bedeckte den Boden. Trotz allem fiel es ihr nicht schwer den Weg entlang zu gehen, denn schließlich kannte sie solche holprigen Pfade aus ihrer Heimat zu genüge. Je tiefer sie in den Wald vordrangen, desto schmaler wurde der Weg als er ohnehin schon war und für sie stand jetzt schon fest: Dieser Ort war gut. Sehr gut sogar. Hier würde sie niemand überraschen.


    Als sie endlich auf der kleinen Lichtung ankamen, staunte Minna nicht schlecht. Severus schien für das Fest schon alles vorbereitet zu haben. Und dabei hatte er sich richtig Mühe gegeben! Das Feuer war bereits entfacht und erhellte den Platz. Auch an einen Braten hatte Severus gedacht, auch wenn dieser nicht ganz so gelingen wollte wie es der Germane vorhatte. "Der Platz ist wunderschön..." Hier gefiel es ihr wirklich. Sie atmete tief ein und genoss die Stille. Nur das Knistern des Lagerfeuers und das Schnauben war zu hören. Schnauben? Da erst erblickte sie das Pferd, dass ruhig am Rande verharrte. Vorsichtig trat sie heran und strich sanft über seinen Hals. "Na du, ganz ruhig mein Lieber. Hab keine Angst vor uns." Daraufhin schnaubte das Pferd leise, so als hätte es sie verstanden. Zumindest kam es Minna so vor und so freute sie sich, Tiere waren für sie schon immer etwas Besonderes gewesen.


    Anschließend setzte sie sich zu Fiona, die sich bereits am Feuer wärmte. Zu ihrer Freude hatte Severus etwas Met auftreiben können. Wo er den wohl immer herzauberte? Nach Fiona bekam erst Siv den Becher, sodass Minna noch ein wenig warten musste, bis sie vom Met kosten konnte. "Oh, für uns ist es das höchste Fest. Jul ist die längste Nacht des Jahres. An diesem Tag feiern wir die wiedergeborene Sonne. Denn von nun an werden die Tage wieder länger, weil die Sonne mehr Kraft hat." Hoffentlich hatte sie das auf Latein alles richtig erklärt. Sie blickte zu den anderen beiden Germanen hinüber. Vielleicht wollte einer von ihnen noch etwas ergänzen? Dann wandte sie sich wieder zu Fiona. "Habt ihr Kelten denn auch so ein Fest?"


    Nach einer Weile sprach Severus sie zögernd auf den Blót an. Dass er keine Gode war, empfand Minna nicht als problematisch. Es war schließlich auch für asentreue Menschen möglich das Opfer durchzuführen. Doch sollte sie wirklich? Sie war sich nicht so recht sicher. Denn auch sie schien in die Ungunst der Asen gefallen zu sein. "Ich... ich weiß nicht so recht. Was meinst du dazu?" Fragend schaute sie Siv an. Was sie wohl von diesem Vorschlag hielt?

  • Siv lief durch den Wald voran, bis sie die kleine Lichtung erreichten, und so leichtfüßig wie ihre Füße über den Boden sprangen, so leicht war ihr ums Herz. Sie sog tief die Luft in ihre Lungen, während sie das Bündel festhielt, in dem sich zwar ab und zu etwas regte, es aber im Großen und Ganzen ruhig war. Als sie beim Feuer angekommen waren, sah sie erfreut den grauen Wallach, der in der Nähe stand. Zusammen mit Minna ging sie zu ihm und begrüßte ihn, und für einen Moment war sie versucht, Severus zu bitten, sie reiten zu lassen, wenigstens eine kleine Runde – sie hatte so lange auf keinem Pferd mehr gesessen… Aber so schwer es ihr auch fiel, sie sagte nichts. Sie war nicht dafür hierher gekommen. Mit einem unhörbaren Seufzer löste sie sich schließlich von dem Grauen und setzte sich zu den anderen ans Feuer. "Danke." Sie lächelte Fiona zu, nahm den Becher entgegen und trank einen Schluck des Mets, ignorierte die Tatsache, dass er ihr eigentlich zu süß war, und genoss einfach den bekannten Geschmack, der ihren Mund füllte. Versonnen betrachtete sie die Flammen, während Minna Fiona erklärte, worum es bei Jul ging. Die Sonne… Sivs Gedanken schweiften erneut zu Odins Jagd. Die Tage nach Jul, so hatte ihr Vater es immer erzählt, als sie und ihre Brüder noch klein waren, standen die Tore zum Reich der Geister offen, und sie begleiteten Odin auf seiner Jagd, zogen am Himmel entlang und blickten auf die Lebenden. Diese Zeit war magisch, und die Tatsache, dass die Römer in eben dieser Zeit die Saturnalien feierten, bewies für Siv nur, dass sie noch magischer sein musste als sie bisher angenommen hatte, wenn sich auch die Götter anderer Völker diese Zeit aussuchten, um verehrt zu werden.


    Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Severus den Blót ansprach. Im Gegensatz zu ihren beiden Stammesgenossen hatte sie aber ein Selbstbewusstsein, das man als mehr als gesund bezeichnen konnte. Für sie war die Verschleppung durch die Römer kein Zeichen dafür, dass die Götter ihr womöglich nicht wohlgesonnen waren. Und es hätte viel passieren müssen, damit sie überhaupt auf diesen Gedanken kam. Sie hatte das Julopfer noch nie selbst vollzogen, immerhin blieb das in der Regel dem Goden vorbehalten, aber darüber machte sie sich keine Sorgen. Selbst wenn Severus und Minna nicht gezögert hätten, hätte Siv sich angeboten, und ihre Hand sank auf den Beutel, der auf ihrem Schoß lag. "Ich kann das Julopfer gerne durchführen." Mit einem Lächeln öffnete sie den Beutel, und neben einem zweiten, in dem sie etwas Essen mitgebracht hatte, war darin ein Kaninchen zu sehen, dass sie zuvor mit einer Kräutermixtur, die unter anderem Mohn enthielt, wirkungsvoll zum Schlafen gebracht hatte. Es zuckte gelegentlich mit einer Hinterpfote, aber ansonsten rührte es sich nicht. Siv sah Severus und Minna an. " Ich wusste nicht, ob einer von euch für ein Opfertier sorgen kann, und da ich die Gelegenheit hatte… Ich wollte einfach sicher gehen. Eigentlich wäre ein Eber angebracht, aber ich denke, die Götter werden uns verzeihen, dass wir damit nicht dienen können. Hat denn einer von euch noch ein Tier?" Sie ging nicht davon aus, dass Severus den Grauen dafür mitgenommen hatte – auch wenn sie schon einigen Blóts beigewohnt hatte, bei denen den Göttern Pferde geopfert worden waren. Aber sie wollte auch kein Pferd opfern. Ein Eber, ja, ein Eber wäre perfekt, für das Julfest… Aber ein Kaninchen würde es auch tun. Hauptsache sie hatten ein lebendes Opfer. Dann lächelte sie Fiona entschuldigend zu. "Entschuldigung. Mein Latein sein, ist schlecht. Wir… wir reden, wir wollen… Es geht um das Opfer… Wir…" Etwas hilflos sah sie zu den beiden anderen, deren Latein bei weitem besser war als ihres.

  • Fiona genoß die Wärme des Feuers und sie genoß auch die Anwesenheit ihrer Freundin, die sie in den letzten Monaten auf ihren Wegen begleitet hatte. Wenn sie genauer darüber nachdachte, wurde ihr bewußt, wie tief ihre Freundschaft doch mittlerweile ging. Nach allem, was ihr bisher widerfahren war, eine bessere Freundin hätte sie nirgends finden können!
    Minna erklärte ihr, was es mit dem Julfest auf sich hatte. Die Wiedergeburt der Sonne also, feierte man. "Nun, ja und nein, Minna", antwortete sie. "Am heutigen Tag feiern wir kein Fest, doch in einigen Wochen feiern wir ein solches. Man nennt es Imbolc und ja, wir feiern dann die Rückkehr der Sonne."
    Wie gebannt schaute sie in die lodernden Flammen des Feuers. Die Rückkehr der Sonne! Sie musste innerlich darüber lachen. Es war ein schmerzhaftes Lachen. Für sie würde die Sonne niemals wieder richtig scheinen! Imbolc war immer ein schönes Familienfest gewesen. Doch diese Familie existierte nicht mehr! Bald würde es sich zum ersten mal jähren, daß man ihre Familie ausgelöscht und sie in die Sklaverei verschleppt hatte. NEIN! Sie würde sich verweigern! Nicht mehr länger wollte sie das alles erleiden müssen!
    Einen Moment wurde sie von ihren Gedanken abgelenkt, als die drei Germanen sich in ihrer Muttersprache unterhielten. Es musste um etwas äußerst wichtiges gehen. Doch sie konnte den Sinn, der dahinter steckte, nicht erfassen. So wandte sie ihren Blick wieder ab und schaute erneut ins Feuer.
    "Oh Rhiannon, große Göttin hilf mir! Ich kann nicht mehr! Gib mir bitte die Kraft, das zu tun, was ich tun muß!", murmelte sie leise in ihrer Muttersprache. Schon einmal war sie ihr erschienen, in der Villa Claudia. Damals hatte sie ihr neuen Lebensmut gegeben. Doch was nützte all der Lebensmut, wenn eine Aussicht, auf Freiheit weit, weit weg schien?
    Sie spürte auf einmal das Messer unter ihrer Tunika. Es wollte sich tief in ihre Haut brennen. War das Rhiannons Zeichen? "Ich danke dir große Göttin!" antwortete sie leise. Sichtlich entspannt schaute sie zu Minna und lächelte sie befeit an. Fiona hatte eine Entscheidung getroffen!

  • Schon öffnete Severus den Mund, um die Frauen vor dem bissigen Wallach zu warnen - doch der war heute ganz friedlich und ausgeglichen. Die letzten Tage, die weiten Ritte, hatten ihm wohl gutgetan. Ja, ob Mensch ob Tier, in der Stadt eingesperrt zu sein, das schlug einem jeden auf das Gemüt.
    Allerdings, der Germane hatte das Pferd nicht zum Opfern mitgebracht. Tatsächlich hatte er gar nicht an ein blutiges Opfer gedacht! Die Asen und Wanen, die Disen und die Fylgien hatten ihn mehr als einmal im Stich gelassen, und Wodan hatte seinen Ger zerbrechen lassen, in dem alles entscheidenden Kampf mit dem Neiding Flavius Aristides... - ja, Severus fand, dass diese treulosen Götter froh sein sollten, wenn sie etwas Met und Braten abbekamen, ein Tier hatten sie eigentlich gar nicht verdient! Doch Sivs Umsicht, und die lebhafte Art mit der sie sich gleich bereit erklärte den Blót zu vollziehen, liessen ein vages Gefühl von Pflichtvergessenheit in ihm aufsteigen. Was war ein Krieger schon, ohne die Gunst der Götter? Mut und Kampfesgeschick, dies alles verblasste vor einer Laune des Schicksals, vor dem Willen der Bewohner Asgards. Zudem - oft zeigte der Wallvater und ebenso der Einarmige auch dem Krieger grosse Ungunst, der ihnen in Wirklichkeit am Herzen lag. Als Bewährungsprobe, oder um ihn die Reihen der Einherier zu rufen.


    Severus bezwang für diesmal sein Hadern. Er nickte und sagte nur: "Gut.", schüttelte dann kurz den Kopf auf die Frage ob er auch ein Opfertier dabei hatte. Den Dolch aus dem Gürtel ziehend, suchte er ein Stück der Lichtung aus, wo das Gras dicht und gleichmässig wuchs. Dort kniete er sich hin, und begann mit der Klinge die Grasnarbe zu durchtrennen, in zwei langen, parallelen Schnitten, etwas eine Elle weit auseinander, um eine Stätte für das Opfer zu bereiten.
    "Wir werden den Asen ein Opfer bringen", meinte er erklärend auf Latein, "unseren Göttern.", und sah dabei zu Fiona auf. Der rote Feuerschein huschte über ihre Züge, glomm in ihren roten Locken, als hätte sie selbst Flammenhaar. Sie sah abwesend aus, und Severus, obgleich nicht gerade der feinfühligste, meinte einen Ausdruck von tiefem Schmerz über ihr Gesicht hinwegziehen zu sehen, bevor sie dann auf einmal seltsam lächelte. Minna hatte es ja schon auf den Punkt gebracht, was für ein Fest sie hier heute begingen, aber dieser kurze Eindruck brachte ihn dazu, noch etwas hinzuzufügen.
    "Wir feiern heute, zur Sonnwende, ja auch... die Hoffnung."
    Er räusperte sich, wollte nicht sentimental klingen, und löste mit erdigen Händen die Grasnarbe vom Untergrund während er weiter, halb zu Fiona, halb zu sich selbst sprach.
    "Heute ist die dunkelste, die längste Nacht. Alles scheint tot. Aber wenn der tiefste Punkt erreicht ist, die Talsohle, die Verzweiflung, und man steht es doch durch und lässt sich nicht erschüttern, oder nicht zu sehr jedenfalls - dann erstarken auch wieder die Kräfte. So wie die Sonne eben. Also, zum Beispiel ich - vor einem Jahr, im letzten Winter, da war ich eingekerkert, die Flavier haben einen Fluch über mich gesprochen, und sie wollten mich kreuzigen. Ich dachte es wäre das Ende, aber dann bin ich doch davongekommen. - Also, das gehört auch dazu, zu diesem Fest."
    Er zuckte die Schultern und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Mit beiden Händen hob er dann den Streifen der Grasnarbe - der an beiden Enden noch mit dem Boden verbunden war - ein Stück empor, und sah sich nach Stöcken oder Astgabeln um, die man darunter klemmen konnte, um den Streifen hochzuhalten, und so einen Zwischenraum für die Opferung zu schaffen. Bei einem Kaninchen musste der ja nicht sehr gross sein.

  • Fiona sah zu Severus auf, als der ihr zu erklären begann, welchem Zweck dieses Fest diente. Sie gewann immer mehr den Eindruck, er wolle sie aufmuntern. Wahrscheinlich war es ihm nicht entgangen, welche dunklen Gedanken sie soeben gehegt hatte. "Für mich gibt es nichts mehr zu hoffen, Severus! Es wird für mich keinen Sonnenaufgang mehr geben! Sie haben mir alles genommen! Bald wird es ein Jahr her sein, da sie meine ganze Familie mordeten!" Deutlich konnte man die Verbitterung in ihren Worten erahnen.
    Sie erschauderte, als Severus davon berichtete, daß man ihn beinahe ans Kreuz geschlagen hätte. Sie stellte sich diese Todesart als sehr qualvoll vor. "Was hast du getan, daß sie dich kreuzigen wollten?" Fiona sah ihn fragend an und lenkte sich somit kurze Zeit von ihren eigenen Sorgen ab. Es muß etwas schlimmes gewesen sein. Die Römer kreuzigten doch nur, wenn schwerwiedende Vergehen vorlagen. Hatte er vielleicht getötet? Vom Gespräch mit Bridhe wußte sie ja bereits, daß er gewaltbereit sein konnte.
    Dann sah sie kurz zu Siv und Minna hinüber. Was machten sie da? Ob sie das Opfer vorbereiteten? Sie kannte sich so gar nicht mit den Gebräuchen der Germanen aus. "Was werdet ihr denn Opfern?" fragte sie, wieder zu Severus gewandt. Gerüchteweise hatte sie schon gehört, daß es üblich war, blutige Opfer zu solchen Festen darzubringen.

  • Während Minna noch etwas unsicher war und zögerte, war Siv bereits voller Tatendrang. Sie bot sogar an den Blót durchzuführen. Als sie auch noch ein lebendes Kaninchen aus ihrem Beutel hervorzauberte, war sie vollends erstaunt. Siv hatte wirklich an alles gedacht. Und sie? An so gut wie nichts. Betreten schüttelte sie den Kopf auf Sivs Frage, ob sie auch ein Tier dabei hatte. Schlechtes Gewissen machte sie in ihr unangenehm bemerkbar. Wie konnte sie nur so unvorbereitet das Julfest feiern? So lange lebte sie ja noch nicht hier, dass sie hätte vergessen können, wie man den Göttern auf gebührende Art und Weise huldigt. Dabei benötigte sie doch besonders jetzt die Gunst der Götter, denn schließlich plante sie mit Fiona schon seit einigen Wochen zu fliehen. Nachdem Severus bereits damit anfing eine geeignete Opferstätte herzurichten, rappelte auch sie sich schließlich auf und half ihrer Stammesgenossin bei der Vorbereitung. Völlig mit den Gedanken an den Blót bemerkte sie zunächst Fionas melancholische Stimmung nicht. Stattdessen wandte sie sich zu Siv. "Wir brauchen noch ein Gefäß, in dem wir das Blut des Kaninchens auffangen können..." Sie sah sich um, ob sie etwas in der Art fand, konnte aber nichts dergleichen ausmachen.


    Erst jetzt, als sie sich nach einem passenden Opfergefäß umschaute, bemerkte sie Fionas seltsamen Blick. Die Keltin lächelte sie auf eine merkwürdige Art an. Ihr Gesichtsausdruck verunsicherte Minna. Sie konnte nicht direkt sagen, ob Fiona sie nun direkt anschaute oder einfach nur vor sich hin schmunzelte. Was wohl gerade in ihr vor ging?


    Sie wollte sich schon wieder mit der Vorbereitung fortfahren, als Severus von seinem Schicksal zu erzählen begann. Davon, wie er vor dem Kreuz verschont geblieben war... Moment, hatte sie soeben richtig gehört, man hatte vorgehabt ihn kreuzigen? Ungläubig starrte sie ihn an. Wie furchtbar! Doch sie fragte sich auch zugleich nach dem Warum. Selbst diese Römer waren sicherlich nicht so grausam und kreuzigten einfach so einen Sklaven. Auch Fiona schien diesen Gedanken zu haben und fragte ihn sogleich danach. Minna dagegen blieb ruhig und wartete seine Antwort ab.

  • Siv schwieg, während Severus sprach und dabei den Bereich für die Opferung vorbereitete. Sie wunderte sich ein wenig, dass keiner der beiden anderen an das Opfer gedacht hatte – für sie wäre es undenkbar gewesen, ein Fest wie Jul zu feiern, ohne den Göttern ein lebendes Opfer zu bringen, dessen Blut noch hell und frisch war. Sie musterte Fiona kurz, die seltsam abwesend zu sein schien, dann wanderte ihr Blick wieder zu Severus. "Sie… Was? Sie wollten was mit dir machen?" Siv konnte mit den Wörtern einkerkern, Fluch und kreuzigen nichts anfangen, aber sie verstand den Schluss. "Wieso du… denkst du sein Ende, haben Ende? Ein Jahr vor jetzt?" Wäre ein Römer anwesend gewesen, hätte Siv sich einen Dreck darum geschert, auf Latein zu fragen, wenn sie es auch auf Germanisch hätte tun können. Fiona war aber keine Römerin, und so bemühte sie sich, auf Latein zu begreifen, um was sich die Unterhaltung gerade drehte. Um es wirklich zu verstehen, würde sie um ihre Muttersprache wohl nicht herumkommen, aber sie wollte wenigstens ihren guten Willen zeigen. Sie lächelte kurz, um dann aufzustehen und nach Ästen zu suchen, die Severus benutzen konnte um die Grasnarbe zu halten. Kurz darauf war sie wieder da und reichte ihm zwei, beide gegabelt, und legte außerdem drei Steine vor den Zwischenraum, der entstanden war durch die gelöste Grasnarbe.


    Sie ließ sich wieder nieder, zwischen dem Feuer und der vorbereiteten Opferstätte, und dachte an die verschiedenen Bestandteile der Opferung. Sie wusste im Schlaf, was dazu gehörte, was sie zu tun oder zu sagen hatte, hatte oft genug solchen Festen beigewohnt. Aber selbst die zu sein, die das Blót durchführte, war etwas anderes als nur dabei zu sein. Auf Minnas Frage hin deutete sie auf das Gefäß, aus dem sie gerade noch getrunken hatten, und meinte: "Der Becher geht doch. Trinken können wir daraus nachher immer noch, oder eben direkt aus der Flasche." Als Severus fertig war, kniete Siv sich vor der Stelle nieder, in einer schnellen, aber bestimmten Geste zeichneten ihre Finger in der Luft das Zeichen des Hammers, Thors Zeichen, in die Luft über der Grasnarbe, um die Stelle zu heiligen. Währenddessen lauschte sie Fionas Worten, aber erst, als sie mit der Segnung fertig war, sah sie auf und die Keltin an. "Es immer… gibt Sonnenaufgang." Sie war betroffen über die Bitterkeit, die sie in Fionas Stimme zu hören meinte, aber sie versuchte es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen. Sie konnte nachvollziehen, wie die andere Sklavin sich fühlen musste, machten sie doch alle dasselbe durch – die Hilflosigkeit, die Wut, die Ohnmacht… Aber trotz allem war da doch immer noch Hoffnung. "Römer… haben alle nehmen. Von uns allen. Aber trotzdem… Trotzdem gibt es Hoffnung, die gibt es doch immer. Deswegen feiern wir Jul. Und die Götter wollen, dass wir Hoffnung haben, gerade wenn sie uns auf die Probe stellen." Siv hätte gerne Fionas Hand genommen und sie kurz gedrückt, aber dafür kannte sie sie nicht lange genug.

  • Fiona beobachtete genau, was Minna und Siv taten, um das Opfer vorzubereiten.
    Unwillkürlich mußte sie an die großen Feste denken, an denen sie in ihrer Heimat teilgenommen hatte. In alter Zeit war es üblich gewesen, daß ein Druide zugegen sein mußte, der die rituellen Opferungen vornahm. Doch seitdem die Römer das Druidentum verboten hatten, konnten solche Opferungen nur noch im Geheimen durchgeführt werden, da jeder Druide von den Römern erbittert verfolgt wurde. War ein Mann oder eine Frau als Druide entlarvt worden, so war das sein sicherer Tod! "Sie haben uns alles genommen" sagte sie plötzlich unvermittelt und in Gedanken verloren. Erst als sie bemerkte, daß Siv sie angesprochen hatte, sah sie zu der Germanin auf, die sich sichtlich Mühe gab, um die lateinischen Worte über ihre Lippen zu bringen. Sie hatte ihre betrübte Stimmung bemerkt. Fiona, die sonst eher einem Engergiebündel glich und immer das Gute in den Dingen sehen wollte, war wie ausgewechselt!
    "Ich wünschte, ich verstünde deine Sprache, dann müßtest du nicht die Sprache der Diebe und Mörder sprechen." Sie klang so verbittert und schien untröstlich zu sein. Auch Sivs Hinweis, es gäbe immer einen Sonnenaufaufgang, konnte daran nicht wirklich etwas ändern. "Ein Sonnenaufgang, dem ein weiterer Tag in Ketten folgt! Nein! Für mich gibt es keinen Sonnenaufgang mehr! Siv, ich werde nie wieder in Freiheit leben! Meine ganze Familie ist ausgelöscht worden. Nein, die Hoffnung starb an jenen Morgen, als sie unser Anwesen überfielen und alles töteten, was lebte!" Sie sprach ruhig, jedoch mit Tränen in den Augen. Sie wollte die Feier ihrer Freunde nicht auf diese Weise stören und entweihen. So erhob sie sich, und faßte sich noch einmal an die Stelle, an der sich unter ihrer Tunika das Messer befand. Dann sah sie sich um. Etwas abseits von dem Platz, den Severus als Feier- und Opferplatz auserkohren hatte, gab es ein Wäldchen. Dort würde sie nun hineingehen und es vollenden. Sie würde ihren Göttern ein letztes Opfer dabringen. Sie würde sich dabringen! Die Hoffnung auf dieser Welt war tot, doch auf der anderen Seite würden ihre Lieben auf sie warten!
    Bevor sie losgehen wollte, richtete sie sich noch einmal an ihre Freunde.
    "Minna, Siv, Severus! Ich danke euch für eure Freundlichkeit, doch für mich ist nun die Zeit gekommen. Ich möchte keinen weiteren Tag in Ketten erleben! Ich werde jetzt zu meiner Familie gehen!" Mit ruhigen klaren Worten, so als ob sie nur 'Bis bald' sagen wollte, redete sie auf die Germanen ein. Dann nickte sie ihnen noch einmal freundlich zu und wollte gehen.

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