Eine Verlorene und ein Finder

  • Nach den Saturnalien war wieder Ruhe im Haushalt der Flavier eingekehrt, und das war Straton, der in seiner Eigenschaft als vilicus seines Herrn unterwegs war, um einige neue Händler und deren Angebot zu inspizieren, durchaus recht. Eine große Feier und die dafür notwendigen Speisen zu organisieren war im Grunde harte Arbeit, und dass dieser Jahresendpunkt nun endlich erreicht und überschritten war, nahm doch eine nicht geringe Last von seinen Schultern. Die Feier war erstaunlich harmonisch verlaufen, wenn man von einigen Randnotzigen absah, und nun konnte er in aller Ruhe und mit der Zufriedenheit seines Herrn im Rücken sich alle Zeit der Welt zu nehmen, um Angebote zu vergleichen und den Händler zu finden, von dem er in Zukunft frische Meeresfrüchte und exotischere Waren beziehen würde. Die Gewürze aus dem Osten waren immernoch heiß begehrt, und sein Herr mochte besonders gewürzten puls zum Frühstück, dem man die Herkunft der Gewürze noch anschmeckte. So flanierte Straton, der von zwei weiteren Sklaven der villa Flavia begleitet wurde, die normalerweise in der Küche arbeiteten, zwischen den einzelnen Ständen umher und ließ den Tag einen guten Tag sein.


    Für das Einkaufen von Kleidung würde sich der Grieche niemals wirklich begeistern können, wie die meisten Männer, aber der Vergleich und das Feilschen bei Lebensmitteln machte ihm durchaus Spaß, galt es doch, die richtigen Argumente zu finden, um dem Händler genau das abzuschwatzen, was man wollte - und gespartes Geld konnte dann für anderes ausgegeben werden, nicht zuletzt auch für teure Ingredienzien für Parfums oder Öle. Da war sein Herr nie besonders aufmerksam gegenüber gewesen, und solange all die Dinge besorgt wurden, die er wünschte, war ihm der Rest im Grunde egal - so genoss Straton eine für einen Sklaven doch recht große Freiheit und konnte am Einkaufen auch eine gewisse Freude finden.
    Als er gerade das Angebot eines Fruchthändlers betrachtete und die Stirn runzelte, da einige der Äpfel aussahen, als seien sie nachträglich ein bisschen verschönert worden, um dem Kunden mehr ins Auge zu stechen, zog etwas Helles an ihm vorbei und fing seine Aufmerksamkeit ein. Kannte er diese Frau nicht irgendwoher? Diese hellen Haare - natürlich, sie war auch bei dieser Saturnalienfeier gewesen und hatte sich mit Severus unterhalten, aber gesprochen hatten sie sich eigentlich nicht. Dafür sah sie aber recht verloren aus. Er behielt sie nebenbei im Auge und verfolgte ihre Schritte für eine ganze Weile mit seinem Blick ..


    Sim-Off:

    Reserviert :]

  • Wenige Tage nach den Saturnalien bot sich den Menschen auf den Straßen Roms ein nicht ganz alltäglicher Anblick. Eine blonde Sklavin wurde von zwei anderen Sklaven in die Mitte genommen und halb durch die Menge getragen, halb geschleift, mit dem Rücken nach vorne. Siv hatte sich bisher erfolgreich weigern können, mit auf den Markt zu gehen – oder sonst wohin, sah man einmal von der Saturnalienfeier und dem Julfest ab –, aber sogar sie hatte gewusst, dass es nicht ewig so weitergehen würde, auch wenn sie gehofft hatte, das Unvermeidlich noch ein wenig länger hinauszögern zu können. Und heute war es soweit gewesen. Sie sollte Tuniken bekommen – nicht einfach welche, die im Haus über waren, sondern eigene, die ihr vernünftig passten. Zuerst hatte sie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, als Dina zu ihr gekommen war und ihr Bescheid gegeben hatte. Sie war ja im Grunde selbst schuld – zwei der Tuniken hatte sie ruiniert, als sie Corvinus und Helena versorgt hatte, eine erst vor kurzem, beim Julfest. Nichts was sich nicht richten ließe, aber geflickte und ausgebesserte Sachen sollten die Sklaven der Aurelier nicht tragen, weil es ein schlechtes Licht auf die Familie warf. Aber Siv wollte keine neue Tunika, und so sehr sie auch das Haus verlassen wollte, wollte sie es doch nicht tun, um den Tag in den Straßen Roms zu verbringen. Es gab nicht viel, wovor sie Angst hatte, aber Menschenmengen und dieses Gefühl der völligen Orientierungslosigkeit, das sie in dieser Stadt jedes Mal ergriff, gehörten dazu. Und Siv war nicht wirklich gut darin, sich ihren Ängsten zu stellen.


    Dina hatte irgendwann aufgegeben und Brix dazu geholt, und der hatte nur gelacht und sie gefragt, ob sie Angst habe. Und Siv hätte ihn verfluchen können, dafür, dass er sie trotz der kurzen Zeit schon so gut kannte. Sie und Angst? Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen als das zuzugeben. Natürlich war sie daraufhin mitgekommen. Aber als sie sich den Märkten näherten und die Menschen um sie herum immer mehr wurden, war die Germanin einfach stehen geblieben und hatte auf dem Absatz kehrt gemacht. Gekommen war sie nur einige Schritte weit, bevor Dina und Brix ihr unter die Armen gegriffen und sie einfach mitgeschleift hatten, lachend und trotz ihrer Proteste. Siv kam sich etwas lächerlich vor, aber die beiden entließen sie erst aus ihrem Griff, als sie schon bei einem Händler waren. Dina suchte ein paar Sachen für Siv aus – während Brix rumalberte und die Germanin einfach nur dastand und abwechselnd den Händler, Brix und Dina mit Blicken durchbohrte. Die Ägypterin versuchte, Siv fürs Einkaufen zu begeistern, aber damit konnte sich die Germanin auch nicht wirklich anfreunden. Sicher gab es einiges zu sehen – genau das war das Problem, es war einfach zu viel. Warum so viel Zeit verschwenden, wenn es doch nur darum ging, sich ein paar Tuniken auszusuchen? Wieso bestand Dina darauf, dass sie sie anprobierte, und dann auch noch in verschiedenen Farben? Siv verzog das Gesicht, während die Ägypterin um sie herumsprang und ihr mal dies, mal jenes an den Körper hielt. "Na wenigstens eine hat hier ihren Spaß. Zwei", korrigierte sie sich mit einem Seufzen, als sie Brix’ breites Grinsen sah.


    Als sie schließlich fertig waren, konnte Siv ein erleichtertes Aufseufzen nicht unterdrücken, aber kaum einen Moment später stellte sie mit Erschrecken fest, dass sie noch nicht fertig waren. Wenn sie schon auf dem Markt waren, würden sie auch gleich Lebensmittel einkaufen, erklärte Brix ihr mit einem gutmütigen Zwinkern, wohl wissend, wie wenig Siv das gefallen würde, und die Germanin stöhnte leise auf, ergab sich aber wortlos in ihr Schicksal. Hätte sie etwas gesagt, hätte Brix nur die Gelegenheit genutzt, sie weiter aufzuziehen. Sie gingen weiter, zu anderen Händlern, und dann geschah es. Siv war ganz normal weitergegangen, aber Brix und Dina hatten bei einem Gewürzhändler halt gemacht – und als Siv auffiel, dass die beiden nicht mehr neben ihr waren, konnte sie schon nicht mehr ausmachen in der Menge. Die Germanin blieb für einen Moment wie erstarrt stehen und versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken, die fast sofort von ihr Besitz ergriff. Suchend sah sie sich um und ging etwas zurück, aber schon nach ein paar Schritten wusste sie noch nicht einmal mehr genau die Richtung, aus der sie gekommen war. Waren sie an dieser Ecke schon hierhin eingebogen oder war es die davor gewesen? Wieder blieb Siv stehen, am Rand, um nicht ständig angerempelt zu werden, und sah sich um, aber wieder konnte sie kein bekanntes Gesicht sehen. Ihr Magen zog sich noch etwas mehr zusammen. Was, wenn sie sie nicht wiederfand? Wie sollte sie den Heimweg finden? Die Germanin schluckte mühsam. Sie hasste dieses Gefühl. Bis sie in römische Gefangenschaft geraten war, hatte sie immer gewusst, wo sie war, hatte immer gewusst, welchen Weg sie zu gehen hatte, selbst in fremden Gegenden. Sie hatte schon als Kind gelernt, sich zurecht zu finden, und sie hatte immer etwas gefunden, woran sie sich orientieren konnte, etwas, was ihr einen Hinweis auf den nächsten Schritt gab und den danach. Sie hatte sich einfach sicher gefühlt. Aber hier… musste sie ja schon Angst haben, von der Menge irgendwo mit hin gerissen zu werden, wo sie nicht hin wollte. Nicht dass es einen Unterschied machte, sie kannte sich ohnehin nicht aus. Sie fühlte sich so unglaublich verloren, jetzt, wo sie zum ersten Mal wirklich allein war in Rom, und für jemanden wie sie, die es gewohnt war einfach zu wissen, wo sie sich hinwenden musste ohne nachzudenken, war das furchtbar. Reiß dich zusammen, schimpfte sie sich in Gedanken. Du findest dich in jedem Wald zurecht, es kann doch nicht so schwer sein, hier weiterzukommen! Aber sie kannte den Weg nicht, konnte sich nicht erinnern, und sie sprach Latein nicht gut genug, um jemanden zu fragen und die Antwort dann auch zu verstehen. Und sie war – noch – nicht verzweifelt genug, einfach irgendjemanden zu bitten, sie nach Hause zu bringen. Dass es schon jemanden gab, der sie bereits seit einiger Zeit im Blick behielt, merkte sie dagegen nicht – und das war genauso sehr ein Zeichen für ihre aufkeimende Panik wie die Tatsache, dass ihr noch nicht einmal der Gedanke an eine Flucht kam, so gering auch die Gelegenheit sein mochte, die sich ihr gerade bot.

  • Während der Händler noch versuchte, den Griechen für seine Äpfel zu interessieren - seiner Kleidung nach war er zwar Sklave, aber einer aus einem guten Haushalt, in dem man sich gut gearbeitete Tuniken offensichtlich leisten konnte - und Straton ihm schließlich durch ein entschiedenes Kopfschütteln klar machte, dass er seine Früchte zumindest nicht an diesen Mann bringen würde, hatte er die blonde Frau weiter beobachtet und war sich inzwischen sicher, dass sie jemanden oder etwas suchte. Wahrscheinlich kannte sie sich auf dem Markt einfach nicht aus, zwischen den vielen unterschiedlichen Ständen konnte man leicht die Übersicht verlieren, und er selbst hatte sich den Weg nur eingeprägt, weil es seine Art war, auf herausragende Merkmale zu achten, anhand derer man dann den Rückweg finden konnte.
    Diese junge Frau aber war anscheinend in Rom noch fremd, und so setzte sich der Grieche in Bewegung, wich geschickt einer Plebejerin in einer grellroten stola aus und schließlich gelang es ihm, vor der Unbekannten stehen zu bleiben - er wartete, bis sie zu ihm blickte, um sie nicht zu erschrecken, und räusperte sich dann, bewusst langsam und deutlich sprechend, bei diesen Nordleuten wusste man schließlich nie, ob sie Latein konnten oder nicht.


    "Salve - ich bin Straton und wir kennen uns von der Saturnalienfeier im Haus meines Herrn, bei den Flaviern. Ich habe Dich dort gesehen - kann ich dir vielleicht helfen? Du wirkst, als würdest Du den Weg nicht kennen." Der Grieche verwendete bewusst einfache lateinische Worte, versuchte auch darauf zu achten, sie während des Sprechens anzusehen, ohne sie anzustarren, damit sie ihn nicht für einen Lüstling hielt, der sie vom Markt in eine Gasse zerren wollte, um sich an ihr gütlich zu tun - vielmehr blieb er im gleichen Abstand stehen, den man wählte, wenn man einen Fremden ansprach, ließ ihr also genug Platz, schließlich wusste er nicht, ob und wie sie panisch reagieren würde, und wartete einfach ab.
    An diesem Tag hatte er eine einfache dunkelblaue tunica gewählt, die unverziert war, aber deren Stoff besser verarbeitet war als jener, den viele plebejische Familien selbst fertigten und nutzten. Ruhig und aus dunklen Augen blickte der Grieche die Germanin an und wartete ihre Reaktion ab, während an einem anderen Stand die beiden Sklaven, die ihn begleiteten, einen Teil des Einkaufs bei einem bereits bekannten Händler vornahmen.

  • Siv schloss für einen Moment die Augen und bemühte sich, ihre Angst zu unterdrücken. Dann holte sie tief Luft und tauchte wieder in die Menge ein, versuchte in die Richtung zu gehen, aus der sie meinte gekommen zu sein. Aber sie konnte sich nicht erinnern, und unsicher wie sie war, wurde sie von den Menschen um sie herum zur Seite geschoben, angerempelt und mitgerissen, bis sie sich aus dem Hauptstrom wieder herausgekämpft hatte und sich erneut einen Platz am Rand suchte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte – einfach hier zu warten und zu hoffen, dass Brix und Dina sie finden würden? Aber die beiden wussten ja auch nicht, wo sie geblieben war – sie waren es ja gewesen, die stehen geblieben waren, und Siv selbst war inzwischen auf ihrer Suche mit Sicherheit noch ein Stück weitergegangen. Aber hier herumzulaufen brachte sie auch nicht weiter. Sie würde die beiden noch viel weniger finden als umgekehrt. Die Germanin streckte sich etwas und versuchte, über die Menge hinweg zu sehen, aber sie konnte kein bekanntes Gesicht entdecken – was kein Wunder war. Siv war so viele Menschen auf einmal nicht gewöhnt, und sie konnte einfach den Überblick nicht behalten. Selbst wenn Brix oder Dina gerade vorbeigingen, hätte sie vermutlich Schwierigkeiten, sie zu sehen.


    Mit zusammengebissenen Zähnen und dem angestrengten Versuch, der Angst nicht zu erlauben, die Oberhand zu bekommen, drehte sie sich wieder um, nur um einen Mann vor ihr stehen zu sehen, der sie aufmerksam musterte. Erschrocken und hörbar sog sie die Luft ein und prallte zurück, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass jemanden neben ihr zu sehen. Während sie die Hand auf ihr klopfendes Herz presste, sprach er sie schon an, und fast wie von selbst stellte sich jene Konzentration ein, die sie immer brauchte, wenn sie jemanden auf Latein reden hörte. "Salve… Straton." Siv runzelte leicht die Stirn und versuchte sich an die Saturnalienfeier zu erinnern, während sie den Mann ebenfalls musterte. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, aber sie war sich nicht ganz sicher… Aber eigentlich musste sie ihn dort getroffen haben – diese Feier war bisher der einzige Ort gewesen, an dem sie Menschen außerhalb der Villa Aurelia gesehen hatte. Und sie wollte im Moment zu sehr jemanden um sich haben, den sie wenigstens vom Sehen her kannte. Der ihr helfen konnte. "Ich… mein Name… ist Siv. Ich sein, ich bin von Villa Aurelia." Die Germanin registrierte nicht bewusst, dass Straton sich bemühte, ihren Sicherheitsabstand nicht zu unterschreiten und überhaupt sich so zu benehmen, dass er sie kaum erschrecken konnte, aber unbewusst ließ sein Verhalten sie aufatmen. Er hatte sich so hingestellt, dass er sie von der Menge etwas abschirmte, und durch den Freiraum, den er ihr ließ, hatte sie zum ersten Mal seit sie Brix und Dina verloren hatte, wieder das Gefühl einigermaßen atmen zu können. "Ich nicht… weiß Weg, Weg zu Villa. Ich hier bin mit… Brix und Dina, mit denen war ich unterwegs, aber ich hab sie verloren, und… Ich bin hier mit Sklaven, zwei, aber sie… sie nicht… nicht hier." Wieder ließ Siv ihren Blick kurz über die Menge schweifen, bevor sie Straton wieder ansah und etwas hilflos mit den Achseln zuckte.

  • Es war wirklich voll auf dem Markt zu dieser Zeit, und irgendein Rüpel rempelte promt auch seinen Ellenbogen in den Rücken des Griechen, sodass dieser unwillkürlich einen Schritt nach vorn tun musste - er wandte sich zur Seite und sandte dem Mann einen zornigen Blick und einen unflätigen griechischen Fluch nach, bevor er wieder zu der jungen Frau vor ihm blickte, deren Haarfarbe sie ebenso als eine Nichtrömerin auswies wie dies sein Profil und die scharfen Züge zu tun pflegten. Ansonsten war sie hübsch, und wie die meisten Haussklavinnen wirkte sie gepflegt, etwas, was der auf Sauberkeit und Reinlichkeit sehr bedachte Straton sehr zu schätzen wusste.
    Ihre Haut wirkte weich und rein, und das erschien ihm anziehender als ihre Haarfarbe, auch wenn diese exotische Helligkeit durchaus etwas für sich hatte. Gepaart mit ihrem doch hilflos wirkenden Blick stellte er sich die ernsthafte Frage, wieso sie ihm bei den Saturnalien nicht mehr aufgefallen war. Aber schätzungsweise hatten ihn die vielen Dinge auch einfach abgelenkt, mit denen er an jenem Tag beschäftigt gewesen war. Nicht zuletzt hatte er sich schon lange nicht mehr nach Frauen umgeblickt, und irgendwann kam man außer Übung, wenngleich das auf seinen Herrn wohl nie zutreffen würde.


    "Ah - aus dem aurelischen Haushalt bist Du. Nun, wenn Du möchtest, zeige ich Dir den Weg zur villa Aurelia - wenn Du hier jemanden auf dem Markt verlierst, findest du sie nur schwer wieder. Aber vielleicht hilft es auch, dorthin zurück zu gehen, wo Du glaubst, sie verloren zu haben, und ab dort zu suchen?"
    Allerdings, sehr wahrscheinlich brachte diese Methode nicht den gewünschten Erfolg, dafür war es zu voll. Nach den Saturnalien waren die Vorratskammern der vornehmen und weniger vornehmen Häuser leer, und die Sklaven vieler Haushalte waren ausgeschwärmt, um ihren Pflichten nachzukommen und diese wieder zu füllen. Mit etwas Muße konnte man an diesem Gewühl höchst unterschiedlich aussehender, gekleideter und riechender Menschen durchaus ein Vergnügen finden, und normalerweise hätte Straton auch beim Einkauf die Zeit genutzt, um ausgiebig zu beobachten. Aber im Augenblick waren und blieben seine Gedanken abgelenkt und Siv zugewandt, deren eigentümlicher Name fast perfekt zu ihrer fremdartigen, ungezähmten Erscheinung zu passen schien.
    "Vielleicht willst Du erst einmal einen Schritt beiseite gehen? Hier stehen wir anderen mitten im Weg." Er schob sich strategisch günstig in den Weg der anbrandenden Masse, um ihr die Gelegenheit zu geben, an den 'Rand' des Stroms zu treten, zwischen zwei Fruchtstände.

  • Als Straton angerempelt wurde und in ihre Richtung stolperte, machte Siv unwillkürlich einen halben Schritt rückwärts. Im nächsten Moment musste sie sich ein Grinsen verkneifen, als er dem Mann etwas hinterher rief. Die Germanin konnte ihn zwar nicht verstehen, aber sie kannte sich mit Flüchen gut genug aus, um sich anhand des Tonfalls ungefähr vorstellen zu können, was Straton gesagt haben musste. Sie nutzte die Gelegenheit, solange er zur Seite gewandt war, um sein Profil zu mustern. Kannte sie ihn nun tatsächlich oder nicht? Er war in jedem Fall kein Römer, so wie er aussah – er hatte mit ihnen den etwas dunkleren Hautton, die Haar- und Augenfarbe gemein, aber seine Gesichtszüge waren anders, schärfer geschnitten. Und er schien ebenfalls ein Sklave zu sein, einer eines wohlhabenderen Hauses, seiner Tunika nach zu schließen. Sie selbst trug auch weit bessere Sachen, als sie je erwartet hätte zu bekommen als Sklavin. Die Römer waren ein seltsames Völkchen, wenn zumindest die Höhergestellten so sehr Wert darauf legten, dass ihre Sklaven gut aussahen, wenn sie darauf achten mussten, weil der Eindruck so wichtig war… Siv erschien das Ganze etwas unsinnig. Wie ein Mann beurteilt wurde, hing doch hauptsächlich daran – sollte daran hängen –, wie er handelte, welche Taten er für sich sprechen lassen konnte. Menschen konnten gut und viel reden, aber zu was sie fähig waren, was sie wert waren, zeigte sich erst, wenn sie wirklich handeln mussten. Einem Sklaven neue Sachen kaufen war nicht schwer. Davon mal ganz abgesehen, was konnte das Aussehen seiner Sklaven und Diener schon über einen Mann aussagen, wenn man nicht wissen konnte, ob er es nur tat, weil es erwartet wurde? Weil es sonst seinem Ruf schaden würde?


    Siv wandte ihre Augen auch nicht ab, als Straton sich wieder zu ihr drehte. Sie war noch nie einem Blick ausgewichen, und zumindest bisher hatte ihr das noch keine wirklichen Schwierigkeiten gebracht, war sie doch auch noch nicht vielen Römern begegnet. Corvinus, so seltsam es ihr schien, bestand jedenfalls nicht darauf, dass sie die Augen senkte, wie es sich für eine Sklavin gehörte. Und mit den übrigen Aureliern hatte sie bisher noch recht wenig zu tun gehabt. Die Germanin runzelte leicht die Stirn, während sie sich auf seine Worte konzentrierte und in ihrem Kopf wie jedes Mal die Satzteile aussortiert und beiseite geschoben wurden, die sie nicht kannte, um aus dem Rest einen möglichen Sinn entschlüsseln zu können. "Dort… dort gehen wo… Meinst du wo ich die anderen verloren hab? Wenn ich das wüsste…" Siv seufzte leise. "Ich nicht weiß, wo andere sein. Nicht weiß, wo… wo gehen." Die Germanin gestikulierte kurz und sah in Richtung der Menschenmenge. Vermutlich würde sie die anderen auch nicht mehr finden, wenn sie gewusst hätte, wo sie suchen sollte. Sie lächelte Straton dankbar an, als dieser sich nun den Menschen in den Weg stellte, um ihr Gelegenheit zu geben sich ganz aus der Menge zurückzuziehen, und sie nutzte den wenigen Freiraum, um zwischen zwei Stände zu treten – weit genug, um auch ihm noch Platz zu lassen. "Danke. Ich… ich nicht gut, hier, bei viel Menschen. Nicht gut bei Stadt." Sie lächelte schief. "Das hier… eins Mal, dass ich bin in Stadt. Du kannst zeigen Weg zu Aurelia, bitte? Ich bin, ich… dafür wär ich sehr dankbar, ich will hier einfach nur weg… Ich habe Danke. Für du zeigen Weg."

  • Straton blickte sich einige Momente lang um, ob er vielleicht jemanden entdecken konnte, der wirkte, als würde er jemanden suchen - aber angesichts der vielen Menschen, unter denen es schwerfiel, eine bestimmte Person längere Zeit im Blick zu behalten, gab er dieses Vorhaben schnell wieder auf. Es war müßig zu hoffen, die beiden anderen Sklaven zu finden, mit denen sie hergekommen war, und so wäre es wohl das Beste, wenn er sie auf dem Rückweg von seinen Einkäufen einfach bei der villa Aurelia ablieferte, bevor sie noch wegen zu langen Ausbleibens Ärger bekam. Auch wenn ihm im Grunde egal sein konnte, wie es einer Sklavin aus einem anderen Haushalt erging, so wusste er doch um die guten Beziehungen zwischen seinem Herrn und Aurelius Corvinus, und schätzungsweise würde es seinem Herrn gefallen, wenn er in seinem Sinne handelte.
    Zudem - auch wenn sie des Lateinischen kaum mächtig war, hatte Siv eine freundliche Art, die dem Griechen durchaus sympathisch war, und das traf für gewöhnlich auf die wenigsten Menschen zu. Die meisten Personen, die er während seines Lebens kennengelernt hatte, versteckten sich sehr hinter einer Maske der Höflichkeit, und was hinter jener Maske zu entdecken war, gefiel ihm selten genug. Siv hingegen wirkte auf ihre Art authentisch und damit überzeugender, dass dabei auch ein guter Teil männlicher Urinstinkt auf ihre Unsicherheit reagierte, hätte sich Straton niemals freiwillig eingestanden, wäre er sich dessen überhaupt bewusst gewesen.


    "Rom ist verwirrend, wenn man diese Stadt nicht kennt - ich habe mich das erste Mal hier auch verlaufen," sagte er, als könnte es sie wieder ein wenig beruhigen, und eigentlich wusste er auch nicht genau, warum er in diesem Moment freundlich zu sein versuchte. Darüber würde er irgendwann später nachdenken, oder auch gar nicht. "Ich muss noch einige Einkäufe tätigen, deswegen bin ich auch hier, und danach werden wir bei Deinem Zuhause vorbeigehen und Du kommst sicher dorthin, bist Du damit einverstanden? Den Weg zu erklären wäre jetzt sehr kompliziert, vor allem, wenn Du Dich hier nicht richtig auskennst." So gern er auch ein rettender Held sein mochte, seine Pflicht konnte er nicht beiseite schieben und die beiden Sklaven, die er mitgebracht hatte, waren zwar gute Träger, aber den entscheidenden Unterschied zwischen frischen und alten Austern hätten sie nicht nennen können, ebensowenig hätten sie genau jene Früchte gekauft, die sein Herr bevorzugte. Manche Dinge musste er eben selbst erledigen, und im Grunde fand er auch ein gewisses Vergnügen daran, besondere Dinge zu entdecken.
    "Es wird nicht lange dauern, so viel fehlt nicht mehr - und ich werde aufpassen, dass Du mir nicht verloren gehst." Sie lächelte, und das machte ihr Gesicht ungleich hübscher. Wüssten Frauen, welche Macht sie durch ein Lächeln gewannen, überlegte Straton, dann würden sie es wohl andauernd tun. Ihr Lächeln gefiel ihm.

  • Siv zog eine Grimasse. "Nicht Rom, alle Stadt. Alle Stadt so, so… wirr, und laut, und… Ich nie lernen Weg. Nicht in Stadt." Aber sie freute sich tatsächlich – nicht dass Straton sich verlaufen hatte, aber dass er es ihr sagte und ihr damit zeigte, dass sie nicht die Einzige war, der es so ging. Nicht viele Männer – jedenfalls nicht viele, die sie kannte –, hätten das zugegeben, und Siv wusste zu schätzen, dass er es tat. Zumal er es offensichtlich nur sagte, um sie aufzubauen. Und es tat ihr gut, war sie doch nicht nur gerade erst fast in Panik geraten, sondern praktisch den ganzen Tag bisher aufgezogen worden mit ihrer Angst vor der Stadt, den Straßen und den Menschen, hauptsächlich von Brix. Sie wusste, dass der Germane in dieser Situation auch anders reagieren würde, dass er sich nicht über sie lustig machen würde, nicht wenn er merkte, dass sie der Panik wirklich nahe war, aber dennocht tat es einfach gut, jemanden vor sich zu haben, der sie ernst nahm.


    Als er weitersprach, verstand sie nur, dass er wohl noch nicht fertig war hier. Vermutlich musste er noch einkaufen, was sonst sollte er auf dem Markt wollen? Siv war nicht unbedingt begeistert von der Aussicht, noch mehr Zeit hier zu verbringen, und noch weniger davon, sich wieder ins Getümmel stürzen zu müssen… Aber sie konnte von Straton auch nicht erwarten, sie sofort nach Hause zu bringen. Sie war ja schon dankbar, dass er sich überhaupt die Mühe machte, denn mit Sicherheit bedeutete das einen Umweg für ihn. Wieder lächelte sie. "Ja. Du, du tun was müssen, wieso du hier bist. Ich… Weg erklären nicht geben sinnvoll, ich sicher nicht gehen, nicht… wissen. Verstehen?" Für einen Moment runzelte Siv die Stirn, als sie in ihrem recht kümmerlichen Wortschatz nach einem Wort kramte, das halbwegs passte. "Ich würd den Weg nicht finden, so oder so nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, mich hier je zurechtfinden zu können… Ich… Danke. Für helfen." Ein leichtes Grinsen. Langsam kam ihr eigentlich fröhliches Wesen wieder durch. "Aufpassen sein gut. Ich wieder weg, wieder… verloren? wenn nicht."


    Siv nickte Straton noch einmal zu und folgte ihm dann. Zum ersten Mal sah sie die beiden Sklaven, die ihn offenbar begleiteten und bereits ein paar Dinge trugen, und sie nickte ihnen kurz zu, bevor diese sich weiter um die Einkäufe kümmerten. Die Germanin biss unterdessen die Zähne zusammen und trat wieder in die Menge hinein. Diesmal achtete sie darauf, dass sie bei ihrem Begleiter blieb, ging so nahe bei ihm, dass sie ihn unmöglich verlieren konnte. Gleichzeitig versuchte sie, es nicht zu auffällig werden zu lassen, wie unwohl, ja verloren sie sich fühlte, kaum dass sie wieder in den Strom der Menschen getreten waren, aber das stellte sich als ein recht schwieriges Unterfangen heraus. Beides zugleich funktionierte nicht. Einen Moment lang kämpfte Siv mit sich, dann gewann, zu ihrem eigenen Ärger, die Angst, und sie blieb dicht bei Straton, auch wenn sie sich gerade noch beherrschen konnte, ihn bei der Hand oder an einem Zipfel seiner Tunika zu fassen. So weit gesunken war sie dann doch nicht. Zum Teil um von sich und ihrem erbärmlichen Verhalten gerade abzulenken, zum Teil aber auch weil sie sich wirklich dafür interessierte, begann sie ihm Fragen zu stellen. "Du nicht Römer, oder? Wo, wo deine Heimat?"

  • Während sie sprach, ihm auf seine Worte antwortete, konnte Straton die junge Frau erst genauer betrachten, und es schien, als würde sie langsam wieder ihre Ruhe finden - ihr Blick huschte nicht mehr so eilends hin und her, ihre Haltung hatte sich etwas entspannt, und ihre Schultern hatten sich wieder etwas nach hinten geschoben, alles sichere Anzeichen für die Richtigkeit seiner Vermutung. "Du bist wohl eher kleine Orte gewöhnt? Oder eher den Wald und weite Landschaften?" fragte er, zu seinen Vermutungen eine weitere hinzufügend - die meisten Germanensklaven, und das war sie, das bewies ihre gutturale lateinische Aussprache, waren wohl frisch aus irgendwelchen Wäldern gefangen. Vielleicht war sie eines der Opfer der stetigen Grenzstreitigkeiten mit den noch immer aufsässigen Germanenstämmen, die nicht befriedet worden waren, bedachte man ihre helle Haut und das ebenso helle Haar, fand der Grieche diesen Gedanken gar nicht so abwegig. Viele der im einstigen Grenzbereich lebenden Völker hatten sich bereits mit römischem Blut vermischt, und ihr Haar war darob dunkler geworden, aber Siv besaß noch alle Merkmale unberührten Seins abseits römischer Machtpolitik.


    "Zur Not binde ich Dich einfach an mir fest," meinte Straton schließlich trocken und erwiederte ihr Lächeln auf seine persönliche, recht schmallppige Weise, bei der man oft nicht sicher sein konnte, wie ernst dieses Lächeln gemeint war - aber da dieser Ausdruck auch die dunklen Augen erreichte, die etwas wärmer zu blicken schienen, war sein Lächeln wohl echt. "Du musst mir nicht danken. Ich kann mir gut vorstellen, wie es sein muss, an einem fremden Ort niemanden zu kennen und den Weg verloren zu haben. So einen Punkt erreicht jeder Mensch irgendwann einmal im Leben. Wer weiss, vielleicht hilfst Du mir einmal, das kann man nie vorhersehen." Gemächlich schob er sich in der Menge voran, als fürchte er sie nicht, und hätte man ihn danach gefragt, hätte er wohl auch eher über den Gedanken gelacht. Wer einmal in Tarraco auf dem Fischmarkt mit den dortigen Händlern gefeilscht hatte, fürchtete auch die Händler Roms nicht mehr. Er steuerte einen der Stände an, an denen er schon vor einigen Tagen schon eingekauft hatte, weil sie gute Oliven führten und bedeutete seinen Mitsklaven, hier ebenso zu halten.


    "Kennst Du Oliven?" Die Frage nach seiner Herkunft schob er erst einmal auf, und ließ sich von dem dienstbeflissenen Händler, der in ihm einen Mann erkannte, der Geld auszugeben hatte, eine Handvoll Oliven zur Probe geben, die Straton auch Siv hinhielt. "Probiere sie mal, sie schmecken sehr gut, wenn sie in Öl eingelegt waren," und schon hatte er sich selbst eine der dunkelgrünen, etwas schrumplig aussehenden kleinen Früchte in den Mund gesteckt und kaute sinnierend darauf herum. "Ich bin in Hispania aufgewachsen, das liegt im Süden und Westen von hier - aber ich bin eigentlich Achaier, das liegt im Südosten Roms und war einst genauso bedeutend wie es Rom nun ist." Noch eine Olive fand den Weg zwischen seine Lippen, dann blickte er zum Händler zurück und schüttelte den Kopf. "Die anderen möchte ich auch probieren, diese hier sind zu lange abgelagert, Deinen Ramsch kannst Du den Proleten andrehen, aber nicht mir." Es klang sehr bestimmt, und der Händler entblößte mit einem zahnlückigen Grinsen seine gelben Zähne, bevor er schmeichlerisch antwortete: "Ich wusste, dass ich dir nichts vormachen kann, koste diese hier ..." Die nächste Olivenprobe kam heran, diesmal in einer einfachen Holzschale, und es waren nun schwarze, ebenso schrumpelige kleine Ovale, die der Grieche auch Siv anbot.

  • Siv beruhigte sich tatsächlich zunehmend – sie fühlte sich immer noch unwohl, aber allein schon das Wissen, nicht mehr alleine zu sein, half ihr. Und Straton war noch dazu jemand, der sich hier auskannte und ihr helfen würde. "Kleine, eh… Orte? Ich von Germanien, von… Platz mit wenig Hausen. Wenn das kleine Orte, dann ja. Und viel Wald…" Beim letzten Satz nahm ihre Stimme einen leicht sehnsüchtigen Tonfall an. "Weit. Viel mehr weit wie hier. Und klein… wenig Menschen. Mehr wenig wie hier." Sie zuckte die Achseln und beäugte erneut halb misstrauisch, halb unwohl die Menge, in die sie bald eintauchen würden. Als sie sein Lächeln sah, fragte sie sich für einen Moment irritiert, ob er sich nicht vielleicht doch lustig über sie machte – aber dann kam sie zu dem Schluss, dass es einfach seine Art war zu lächeln. Jedenfalls hatte sie das Gefühl, dass es ehrlich gemeint war, und Siv war ein Mensch, der auf sein Gefühl vertraute – davon abgesehen grübelte sie ungern lange, erst recht nicht darüber, wie ihr Gegenüber dieses oder jenes wohl gemeint haben könnte… Und dafür, dass sie es nicht mochte, hatte sie in letzter Zeit wahrlich genug Stoff zum Grübeln. Dieses ganze Sklavensein ließ sich so anders an, als sie gedacht hätte. Die übrigen Sklaven und die Freundschaften, die sie zu knüpfen begann, mit Cadhla vor allem, die Römer, denen sie hier inzwischen begegnet war – was zugegebenermaßen nicht viele waren, aber von diesen wenigen verhielten sich doch einige anders als die Soldaten, behandelten Sklaven, nun ja, fast normal… Das alles führte dazu, dass sie eigentlich fast so etwas wie ein normales Leben führte, wenn man davon absah, dass sie Sklavin war. Corvinus und sein seltsames Benehmen schob sie im Moment, wie meistens, einfach weg. Siv war wirklich kein Fan von allzu langem Grübeln.


    "Binden fest… vielleicht das gute Idee ist." Ihr Tonfall war ebenso trocken wie Stratons, und sie rümpfte kurz die Nase bei dem Gedanken daran, wie schnell es gegangen war, Brix und Dina zu verlieren. Dann verzog sie ihre Lippen erneut zu einem aufrichtigen Lächeln. "Wenn ich helfen kann dir, ich helfen." Und Siv meinte, was sie sagte. Sie mochte ihre Fehler haben, aber Unaufrichtigkeit gehörte nicht dazu, nicht einmal höfliches Geplänkel, das nicht wirklich ernst gemeint war. Und wenn es darauf ankam, half sie, ungeachtet dessen, wem es zugute kam oder was es sie kosten würde – ohne groß darüber zu grübeln. Was sie durchaus schon in Schwierigkeiten gebracht hatte. Sie folgte Straton über den Markt und hörte, ziemlich verständnislos diesmal, seine Erklärung, woher er kam. Hispania sagte ihr etwas, aber Achaier? "Eh… Achaier? Was… was das sein? Und wie sein? Hispania und Acha… Achaia?" Auch seine Beschreibungen, wo diese – ja, was waren es? Städte? Länder? eigentlich lagen, konnte sie nicht ganz nachvollziehen. Sicher wusste sie nun, in welcher Richtung die Orte ungefähr lagen, aber sie konnte ja noch nicht einmal Rom wirklich einordnen in der Karte vor ihrem inneren Auge, die sie von der Welt hatte. Sie wusste nur, dass Rom sehr weit im Süden lag, von ihrer Heimat aus gesehen. Als Straton ihr Oliven anbot, zögerte sie für einen Moment, nahm dann aber welche – sowohl von den grünen, die Straton kurz darauf ablehnte, als auch von den schwarzen. Ihre Augenbrauen wanderten in einer Mischung aus Verblüffung und Anerkennung ein Stück nach oben, als sie den zu Anfangs etwas gewöhnungsbedürftigen Geschmack auf der Zunge spürte, der sich langsam in ihrem Mund zu entfalten schien. "Hmm. Das Oliven, ja?" Sie mochte Oliven. Warum nur mochte sie die Dinge, die sie hier bekam? Wein, Oliven… sie sollte sich auf die Sachen aus ihrer Heimat konzentrieren, aber Siv konnte sich nicht helfen – sie mochte Oliven. Allerdings hielt sie sich etwas zurück – Straton schien bei dem Händler etwas kaufen zu wollen, und im Gegensatz zu ihr war er nicht so begeistert von dem, was er angeboten bekam. Sie wusste nicht, ob er mit den bisher angebotenen Oliven tatsächlich nicht zufrieden, oder ob es Kalkül war, um dem Händler etwas von seinen besseren Vorräten zu entlocken. In beiden Fällen hielt sie sich besser zurück, um ihrem Begleiter das Geschäft nicht zu verderben.

  • "Ich schätze, ich würde mich im weiten Land oder im Wald eher verloren fühlen als in einer Stadt - aber es ist auch immer eine Frage, was man kennt, und was man gewöhnt ist," gab Straton zu bedenken, während er die schwarzen Oliven sinnierend probierte und den darin enthaltenen Kern zur Seite hin weg in elegantem Bogen ausspuckte. Dass weder sie noch er bald die Heimat wiedersehen würden, war nun einmal ein Teil des Sklavenlebens, und er hatte sich über die Jahre hinweg daran gewöhnt.
    Die Wochen, in denen er bei seinem Herrn in Achaia geweilt hatte, um dessen Angelegenheiten zu regeln, waren die schönsten seines Lebens gewesen, und das schwarze, dunkle Loch, das sich davor aufgetan hatte, war ein wenig verblasst, nicht aber die Erinnerung an jene, wegen derer es sich überhaupt aufgetan hatte. Einen kurzen, sinnierenden Seitenblick warf er bei diesem Gedanken auf Siv - was sie wohl erlebt hatte, bevor sie Sklavin geworden war? Aber sie danach zu fragen, erschien ihm als verfrüht und vor allem, es rührte bei den meisten Sklaven ein schlechtes Gefühl an, die einstmals die Freiheit gekostet hatten. Diesen Tag wollte er nicht unbedingt mit trüben Gedanken fortführen, zum Grübeln würde sie sicherlich früh genug kommen, wenn ihr danach war.


    "Du kannst mir helfen, die Waren zu kosten, damit mich diese übereifrigen Händler nicht betrügen, und das versuchen sie immer," meinte Straton, als er dem Händler zunickte, die schwarzen Oliven waren qualitativ einfach besser als die dunkelgrünen, und er ließ sich gleich ein Fässchen davon einpacken, das einer der anderen Sklaven übernahm. "Koste einmal diese hier," damit deutete er auf Oliven, die eine sehr helle grüne Farbe hatten und in Kräuterlake eingelegt waren. "Sie sind milder und werden meistens vor dem Essen verspeist, damit man sich nicht den Appetit verdirbt durch einen zu starken Geschmack."
    Dazu ein guter Schluck Rotwein von den Gütern seines Herrn und ein Stück Ziegenkäse samt Fladenbrot, und er war schon sehr zufrieden. Es war zwar eine sehr einfache Mahlzeit, aber man konnte sehr viele verschiedene Geschmäcker dabei erleben, und das machte für ihn den Reiz aus. "Aus welchem Land stammst Du, Siv? dann erkläre ich Dir, wie die anderen Länder liegen, damit Du es Dir besser vorstellen kannst." Er machte eine kurze Pause und sah ihr beim Olivenkosten zu, ohne zu sehr zu starren - immerhin war sie hübsch, ihr Lächeln hatte einen Reiz für ihn, und so beließ er es bei wenigen Blicken, bevor er die Schätze in der Auslage weiter mit seinen Blicken durchforstete. Seltsam genug war es, dass ihre Begleitung den Reiz des Einkaufs zu erhöhen wusste.

  • "Kennt… kennen… Ja, ich denke bei du… wie du", verbesserte sie sich selbst sofort. Ihr Latein war zwar immer noch schlecht, hatte sich aber doch deutlich gebessert in den wenigen Wochen, die sie jetzt bei den Aureliern war. Ihr Wortschatz war größer geworden, und sie kannte zumindest mehr grammatikalische Formen als noch vor kurzem. Siv hatte inzwischen deutlich gemerkt, dass nicht alle Römer gleich waren, und es konnte einen deutlichen Unterschied machen, wo man landete – es machte einen deutlichen Unterschied bei ihr, verglich sie die Römer in der Villa Aurelia mit den Soldaten. Wie gut sie ihre Sprache sprach, war eines der letzten Dinge, für das sich die römischen Soldaten bei ihr interessiert hatten. Sie hatten es auch selten wirklich für nötig gehalten, mit ihr oder den anderen Gefangenen zu reden, jedenfalls was über irgendwelche Anweisungen, Befehle oder Strafen hinausging. Hier hingegen sprach man normal ihr, langsamer und mit einfachen Worten, wenn es nötig war, und verbesserte sie gelegentlich, auch wenn das eher selten vorkam, jedenfalls wenn man sie verstand. Aber Siv war aufmerksam und schnell von Begriff, und sie war gut darin geworden, aus wenigen Worten auf den Sinn des Satzes zu schließen, zumal wenn sie das Gesprächsthema an sich schon kannte. Und sie hatte inzwischen genug von den Grundprinzipien der lateinischen Sprache verstanden, dass sie in der Lage war, bei ihr fremden Worten den Wortstamm zu erkennen und daraus Rückschlüsse zu ziehen, genauso wie sie mittlerweile die meisten grammatikalischen Formen kannte und einordnen konnte. Noch war sie nicht soweit, diese selbst wirklich anwenden zu können – selbst die einfache Vergangenheits- oder Zukunftsform der Verben machte ihr noch Schwierigkeiten. Und es war seltsam, aber sie sprach lieber in ihrem bisherigen fehlerhaften Latein, als Formen zu verwenden, bei denen sie sich nicht sicher war, ob sie falsch waren oder nicht. Sie wusste, dass ihr dadurch einiges an Übung verloren ging, aber so wie sie jetzt sprach, wusste sie einfach bei dem meisten, dass es falsch war, und was. Siv hatte ihren Stolz. Bevor sie anfing ihr neues Wissen anzuwenden, bevor sie versuchte, es richtig zu sagen, wollte sie sich sicher sein, dass es wirklich richtig war. Solange das nicht der Fall war, ließ sie es lieber.


    An den Wald zu denken deprimierte Siv im Moment eher, und jetzt kam tatsächlich der Moment, in dem sie fast – aber auch nur fast – dankbar war für die Menge um sie herum, die sie ablenkte. Sie musterte die Auslage des Händlers, ließ ihren Blick über die Oliven schweifen, und schmunzelte verschmitzt, als Straton auf ihr Hilfsangebot einging. "Händler dich betrügen?" Siv grinste dem Händler hinter dem Stand kurz zu, der ihnen beiden einen halb verdutzten, halb empörten Blick zuwarf, und ignorierte ihn dann. "Händler gleich – egal, egal wo… wo du sein. Bist. Händler versuchen, mehr gut zu… zu haben. Zu bekommen." Stratons Erklärung zu den nächsten Oliven begriff sie nicht wirklich, aber sie probierte sie einfach und kam, ohne seine Worte zu verstehen, zu demselben Schluss wie er – jedenfalls dazu, dass diese Oliven milder waren als die anderen. Diesmal konnte sie nicht anders einen, wenn auch leisen Laut des Genusses von sich zu geben. "Mmh… Die gut sind." Sie sah Straton kurz an, musterte sein Profil, als er gerade die Auslage in Augenschein nahm, bevor sie sich noch eine Olive schnappte. "Ich sein aus Germanien, von den Chatten. Ich nicht… sagen kann, nicht genau, wo sein meine Heimat von hier. Nur Norden." Seltsamerweise störte sie es plötzlich, dass sie darüber so wenig wusste – bisher hatte sie das eher wenig interessiert. Sie hatte es einfach nicht gebraucht, und im Grunde brauchte sie es auch jetzt nicht. Aber dass sie nur wusste, dass ihre Heimat von hier aus irgendwo nördlich war, nagte an ihrem Stolz. Siv hob die Olive zum Mund und knabberte daran, Straton zum Teil verlegen, zum Teil trotzig, zum Teil erwartungsvoll ansehend. Seine Erwähnung dieser Länder hatte ihr Interesse geweckt, und allein der Klang der Namen ließ in ihrem Kopf Bilder von fremdartigen Dingen erscheinen, noch fremdartiger als das, was sie hier in Rom bisher gesehen hatte. Auch wenn von dem Zauber vermutlich etwas verloren gehen würde, wenn Straton von den Ländern erzählen würde, wollte sie doch mehr darüber wissen.

  • Ihr Latein war - offen gestanden - grässlich. Für einen Mann wie Straton, der in einem gebildeten Haushalt aufgewachsen war, bei dem auch Wert auf die Ausbildung der Sklaven gelegt worden war, sodass er neben Latein und Griechisch fließend auch noch den ein oder anderen hispanischen Dialekt beherrschte, war Sivs Vergewaltigung der lateinischen Sprache ziemlich schwer zu ertragen, aber er rechnete ihr an, dass sie bemüht war, ihre Fehler zu verbessern, wenn sie diese selbst entdeckte. Zu viele Menschen verließen sich darauf, dass man sie dann doch irgendwie verstehen würde, und trafen keinerlei Anstalten, irgend etwas an ihren Sprachkenntnissen zu verändern, was dann dazu führte, dass es immer wieder Sklaven gab, die zwar zwanzig und mehr Jahre in einem Haushalt verbrachten, aber doch ein Latein sprachen, für das sich selbst ein peregrinus schämen würde. Und da er Bildung zu schätzen wusste, konnte er auch eine Frau nicht deswegen verurteilen, weil sie eben das Lateinische noch nicht beherrschte, sich aber Mühe gab zu lernen. Im Grunde hätte Stratons Welt sehr einfach sein können - gäbe es nur lernwillige und wohlerzogene Menschen auf der Welt, wäre er erheblich zufriedener mit der menschlichen Rasse an sich gewesen, aber sicherlich auch sehr viel gelangweilter.


    Ihr leiser Laut des Genusses ließ ihn seine Gedankenwelt verlassen und zur Realität zurückkehren, gleichsam etwas überrascht wie auch erstaunt. Dass sie eventuell Oliven gar nicht kennen könnte, hatte er nicht bedacht, aber auch dieser Umstand fand Eingang in seine zukünftigen Überlegungen. "Von denen zwei Handvoll," sagte er in Richtung des Händlers, der die Oliven, die Siv so gut geschmeckt haben, sogleich in einen kleinen Tonkrug füllte und diesen mit einem Tuch verschloss, wie man es bei den meisten Mengen dieser Art, die zudem Öl oder Flüssigkeit mit sich führten, meist tat. "Sehen wir, was er sonst noch hat," damit neigte sich der Grieche, von einer gewissen Zufriedenheit über ihre Freude an den Oliven ergriffen, über das Angebot und deutete schließlich auf dunkelgrüne, mit winzigen geräucherten Sardellenstücken gefüllte Oliven, die wegen der Fischfüllung ziemlich teuer waren. "Die hier auch zum probieren," sagte er so bestimmt, dass der Händler gar nicht mehr protestierte - die Attitüde des Sklaven war die eines Mannes, der gewöhnt war, Geld beim Einkaufen auszugeben, und ob es nun seines war oder das seines Herrn, war dem Händler herzlich egal, hauptsache, er verdiente daran. "Versuche diese einmal." Damit bot Straton die Oliven Siv an, die er eben erhalten hatte, und wieder zeigte sich ein Anflug eines Schmunzelns auf seinen Lippen, denn dieser Geschmack war schon ein ganz anderes Extrem als die milden Oliven von eben - aber eben auch reizvoll.


    "Wenn Du Germanin bist, kann ich Dir leicht erklären, wo Deine Heimat liegt - aber nicht hier, dafür brauchen wir ein bisschen Platz auf dem Boden, dann zeichne ich Dir die Karte des römischen Reiches auf," führte er seine Gedanken fort, als sie ihm gesagt hatte, woher sie stammte. Das hatte er damals gemeinsam mit Aquilius fast spielerisch gelernt, die Karte des Imperiums und der umgebenden Länder, sie hatten wilde Schlachten mit Tonfiguren geführt, die Legionen versinnbildlichten, alles in allem sicherlich ein geschickter Schachzug seines Vaters, um zwei übermütige Jungen für das eher trockene Thema der Geographie zu interessieren. Wie lange war dies doch alles her ...

  • Straton ließ von den milden Oliven einen kleinen Tonkrug füllen, danach musterte er weiter die Auslage und deutete auf die nächsten, die er zum Kosten haben wollte. Dabei legte er eine Art an den Tag, die Siv für einen Moment zweifeln ließ, ob er tatsächlich ein Sklave war. Er sprach mit dem Händler in einem eher kommandierenden Ton, und dieser dachte auch gar nicht daran, zu widersprechen. Die Germanin sah Straton kurz von der Seite an und grübelte, aber auch wenn seine Kleidung eine gewisse Qualität hatte, war sie doch die Kleidung eines Sklaven, und sie meinte sich zu erinnern, dass er von seinem Herrn gesprochen hatte. Aber sie konnte sein Verhalten nicht ganz mit seinem Stand als Sklave vereinbaren. Wie konnte ein Unfreier mit einem Freien so reden? Sie hatte inzwischen nicht nur gemerkt, sondern sich auch selbst eingestanden, dass wohl nicht alles so lief wie sie es zuvor erwartet hätte, aber Straton bewegte und benahm sich mit einer Sicherheit und Selbstverständlichkeit, um die sie ihn zu beneiden begann. Nicht dass sie Sklavin bleiben wollte, aber sie war es nun mal und sie wusste nicht, wann – und ob – sich das jemals ändern würde. Unweigerlich drängte sich ihr daher die Frage auf, was sie tun musste, um wenigstens soweit zu kommen, dass sie zumindest keine einfache Sklavin mehr war, die von jedem herumgeschubst werden konnte.


    Sie nahm von den nächsten Oliven, die Straton ihr anbot, welche, nichtsahnend, dass diese um ein Gutteil teurer waren als die vorigen, und musterte sie kurz. Sie sahen schon wieder anders aus als die vorigen, abgesehen von der Form, und diese hatten auch eine Füllung, von der Siv aber nur raten konnte, was es war. Sie steckte die Olive zwischen die Lippen und kaute, während ihre linke Augenbraue leicht nach oben wanderte. Der Geschmack, der in ihrem Mundraum regelrecht zu explodieren schien, war nicht gänzlich anders als der vorige, aber es war doch ein deutlicher Unterschied festzustellen – vor allem waren diese Oliven weit davon entfernt, als mild bezeichnet werden zu können. Der eigentümliche Geschmack der Oliven wurde durch die Füllung – die Siv als Fisch einschätzte – dezent unterstützt, und auch wenn sie von dieser Sorte nicht viel hätte essen können, nicht ohne ein Brot dazu jedenfalls, stellte sie fest, dass sie auch diese köstlich fand. Ihre Augen schlossen sich für einen Moment. Warum nur haben die hier so gutes Essen… Ein lautloser Seufzer, dann öffnete sie ihre Augen wieder und nickte Straton zu. "Sehr gut. Das, das in Mitte… das ist Fisch? Ja?"


    Bei Stratons nächsten Worten hatte Siv wieder Mühe, wenigstens die Kernaussage zu verstehen, und sie runzelte leicht die Stirn, während sie sich konzentrierte und die Sätze gedanklich in einzelne Teile zerpflückte. "Platz auf Boden? Boden…" Sie wusste, dass sie das Wort schon mal gehört hatte, und forschte in ihrem Gehirn nach, kam aber im Moment nicht drauf. Aber wenn sie den Rest richtig verstanden hatte, dann war dieser Teil auch nicht so wichtig für die Bedeutung der Sätze. "Du kann sagen, wo ist meine Heimat? Und andere Land, Hispania und Acha… Ach… Achirgendwas? Ich wolle…" Siv stockte für einen Moment und verbesserte sich dann. Straton hatte etwas an sich, dass sie dazu brachte, richtig reden zu wollen, oder zumindest richtiger als bisher – er schien so viel zu wissen. Er wirkte nicht überheblich, aber ihr wurde dennoch deutlich bewusst, dass ihr Wissen um die Welt eher spärlich war, jedenfalls um diese Welt, in der sie jetzt lebte. Ihr Ehrgeiz wurde nicht geweckt, das musste er gar nicht, aber er wurde im Moment definitiv angestachelt. Sie sprach etwas langsamer weiter als bisher, zögernd, weil sie neue Formen ausprobierte. "Ich… würden… würde… gern mehr, mehr wissen. Mehr neu. Mehr von andere, von fremde Land. Du kann erzählen mir?"

  • "Du hast einen guten Geschmack," sagte der Grieche anerkennend, denn nicht jeder schmeckte die besondere Komponente dieser Oliven sicher heraus. "Ja, es ist Fisch, genauer gesagt, kleine Stücke Sardelle, die man in die Oliven steckt, um das Aroma mit Salz zu verbessern." Eine Olivensorte, die er selbst sehr gern hatte - und dass sie so ein großes Gefallen daran zu finden schien, bedachte man ihre genießende Mimik, ließ ihn sie einige Momente länger betrachten, als es sonst im Gespräch mit anderen Menschen der Fall war. Wie ihr Gesicht zu leuchten begann, wenn sie sich an etwas erfreute - eine so ehrliche, jugendliche Freude sprach noch davon, dass die Welt sie nicht verdorben haben konnte, was gerade bei Sklavinnen viel zu schnell geschah. Im Grunde war sie um diese unschuldige Freude zu beneiden, und war sich dessen wahrscheinlich nicht einmal bewusst. In einem gewissen Alter lebte man intensiv, ohne zu wissen, was dies für ein wundervoller Umstand war, und sobald diese Intensität verloren gegangen war, wusste man erst, wie begnadet diese Zeit doch gewesen war, ohne sie jemals zurück zu erlangen. Er hatte auch einmal so gelacht, so genossen, und wie lange schien dies her ...


    Aber bevor er sich selbst einen Ausflug in traurige Erinnerungen gestattete, und sich dies womöglich in seinen Augen wiedergespiegelt hätte, drängte er diese Gedanken beiseite, wie er es in den letzten Jahren immer wieder getan hatte, hatte tun müssen, um nicht zu verzweifeln. "Ich kann Dir sagen, wo Deine Heimat liegt, ja - wenn man eine Karte vor Augen hat, kann man es sich meistens besser vorstellen, es hat mir früher auch geholfen, diese Welt zu verstehen." Sie wirkte so neugierig, so wissbegierig, dass er sich insgeheim wunderte, warum sie keinen Lehrer bekommen zu haben schien, der sich um die Nutzung dieses Wunsches zu lernen kümmerte. Ihr Herr schien sich wohl eher darum zu kümmern, dass sie das Haus hütete, was für eine gedankenlose Verschwendung vorhandenen Potentials - im Grunde eine traurige Entwicklung, aber die jungen römischen Herren von heute schätzten gebildete Sklaven auch höher ein als kluge Sklavinnen, Frauen dienten ihnen doch meist eher als Bettwärmerinnen oder etwas dergleichen. "Wenn Du etwas wissen willst, frage nur, ich werde versuchen, es Dir zu erklären, Siv. Es gibt so vieles zu erleben und zu entdecken, gerade hier in Rom, in dem so viele Kulturen und Menschen zusammenleben wie an keinem anderen Ort des Imperiums."


    Und er hatte lange nicht mehr wirklich gelehrt - sicher, er hatte Bridhe Hilfen zum Schreiben und Lesen gegeben, auch das Rechnen mit ihr geübt, um sie auf den Umgang mit einem Abakus vorzubereiten, aber ihr Wunsch nach Wissen schien anders motiviert zu sein als der Sivs. Wissen zu erreichen, um einfach mehr zu wissen, eine solche Motivation war selten genug. "Aber ich stelle Dir eine Bedingung - ich gebe Dir dieses Wissen nicht umsonst. Wenn ich Dir von der Ferne erzähle, erzählst Du mir etwas von Deiner Heimat, denn über diese weiss ich nicht allzuviel." Es war ein faires Tauschgeschäft, und die Germanen waren zudem ein interessantes, in vielem kaum für ihn verständliches Volk, bei Severus' merkwürdigem Benehmen angefangen und bei Siv's Lernfreude aufgehört. Bisher hatte er einige Barbaren kennengelernt, aber die meisten waren doch eher laut und geistig nicht besonders rege gewesen. Er kaute genüsslich auf einer weiteren Olive und ließ auch von diesen ein kleines Gefäß füllen.

  • Siv grinste kurz, als sich ihre Einschätzung, dass es Fisch war, als richtig erwies – mit dem Rest hatte sie eher Probleme. Was war Sardelle? Oder Aroma? Aber sie ließ diese Fragen für den Moment. Sie wollte Straton nicht mit Fragen löchern – er hatte sich nicht nur bereit erklärt ihr zu helfen, sondern erwies sich als interessanter und aufmerksamer Begleiter. Tatsächlich achtete sie kaum noch auf die Menschen um sich herum, die über den Markt liefen, und das war Stratons Verdienst, sah man mal von ihrer eigenen Neugier ab und der Tatsache, wie leicht sie sich selbst von einfachen Dingen wie Oliven fesseln lassen konnte – und diese Eigenschaften waren keine, die ihr selbst wirklich bewusst gewesen wären. Als Straton dann nicht nur einwilligte, ihr von den beiden Ländern zu erzählen, sondern noch von mehr, fingen Sivs Augen an zu leuchten, und auf ihrem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. "Ehrlich? Das wär großartig, das- Das, das gut ist. Das…" 'Gut' war definitiv nicht aussagekräftig genug. Die Germanin gestikulierte mit einer Olive in der Hand. "Was, was anderes Wort für gut? Mehr gut, viel viel mehr gut? Sowas wie großartig, toll, fantastisch… Ich freue, ich gerne wisse, weiß Dinge. Gerne lernen, und alles Verschieden so, so… interessant."


    Als Straton erneut das Wort ergriff, war Siv für einen kurzen Augenblick irritiert. Nicht umsonst? Was meinte er damit? Oder hatte sie ihn vielleicht falsch verstanden? Aber nein, nicht und umsonst, das war deutlich… Straton sprach indes schon weiter, und Sivs kurze Verwirrung löste sich in Nichts auf, als sie ihn übermütig angrinste. "Du wollen wissen von Germanien? Ich kann viel erzählen, sehr viel. Du mehr sein, sein… vorsichtig. Aufpassen. Nicht ich erzählen zu viel, und du… du bekommen… langweilig. Traurig? Nein… Du bist kein interessant, du nicht findest interessant." Sie lächelte. "Ich erzählen… ich würde gerne dir erzählen von Heimat." Was nicht unbedingt normal war. Bis jetzt hatte sie kaum über ihre Heimat gesprochen, zu tief saß der Schmerz und zu groß war die Sehnsucht, die damit einher ging. Aber es war nur fair, wenn sie Straton auch etwas dafür gab, dass er sich mit ihr beschäftigte und ihr Dinge erzählte, von fernen Ländern… Wieder schillerten bunte Bilder vor ihrem inneren Auge, als ihre Fantasie sich auf den Weg machte in diese Länder, und was sie sah, verdrängte zumindest für den Moment jeden Schmerz und jede Sehnsucht. "In Ordnung, ich nehm dich beim Wort. Acha… wasauchimmer. Das ist Heimat von dir, ja? Wie ist da? Wie… was sein Stadt, große Stadt, wie Rom? Wie sein Menschen?" Nach einem kurzen Augenblick fügte sie hinzu: "Und was du willst wissen von Germanien?"

  • Während Straton mit dem Händler die Bezahlung abwickelte, bedauerte er fast, den Olivenstand alsbald verlassen zu müssen, aber es gab noch andere Stände, die er besuchen musste, um alle Sachen zu bekommen, die er auf seiner Liste stehen hatte - kurz zog er, nachdem die letzten Oliven verspeist waren, seine Wachstafel hervor und strich die Oliven von der Liste, um den nächsten Punkt anzusehen - Käse. Da wusste er auch schon, wohin er gehen würde, und bedeutete ihr, dass er vorangehen wollte - der Händler überschlug sich vor Höflichkeit, der Einkauf war gut gewesen, und hatte diesem einiges an Sesterzen eingebracht, was er auch zu würdigen wusste. Letztendlich war es für einen Händler nicht entscheidend, ob der Einkäufer nun Sklave, Freigelassener, peregrinus oder Bürger - gar Patrizier - war, solange am Ende das Geld stimmte. Zudem, die wirklich reichen Römer kamen nicht selbst, sondern schickten ihre Sklaven, und die Sklaven und Freigelassenen des kaiserlichen Palastes verfügten ohnehin über einen Einfluss und oft auch Reichtum, der einem reichen eques gleichkam. So war es nicht erstaunlich, dass Straton das Interesse und die Aufmerksamkeit des Händlers besessen hatte und dieser den ein oder anderen weniger gut gekleideten Käufer erst einmal hatte warten lassen.


    "Ausgezeichnet - oder wunderbar - oder herausragend," lieferte Straton Siv gleich drei Wörter, mit denen besondere Zufriedenheit ausgedrückt werden konnte, wenn einem danach war. "Ich freue mich, dass Du lernen willst. Dieser Wunsch fehlt so vielen Menschen leider, und die meisten begnügen sich mit dem Wissen, das sie von ihren Eltern vorgegeben erhalten." Er gab sich zwar noch immer Mühe, Worte zu wählen, die einem Anfänger in der lateinischen Sprache bekannt vorkommen mussten, aber seine Wortwahl geriet unbewusst doch immer wieder in die Bahnen eines gebildeten Mannes, so sehr er sich auch anstrengen mochte. Wahrscheinlich konnte kein Mensch wirklich aus der Haut, die er viele Jahre getragen hatte, so leicht schlüpfen, und so mischten sich immer wieder einige verräterische Worte, die einem gebildeten Römer die Herkunft Stratons aus einem hohen Haus leicht verraten hätten, in dessen Formulierungen.
    "So schnell langweile ich mich nicht," fügte er auf ihre Worte hin an und gestattete sich einen kurzen Anflug eines Lächelns. Es musste schon viel geschehen, dass er sich wirklich langweilte, und wenn es nicht gerade um Nichtigkeiten ging, dann passierte dies eigentlich nie. Gemächlich führte er die junge Sklavin abermals durch die Menge, ging selbst voran, und achtete darauf, dass sie nachkam, bis sie schließlich nach einigem Drängeln und Rangeln den Stand jenes Händlers erreicht hatten, der den gewünschten Käse anbot.


    "Achaia ist ein rauhes und zugleich liebliches Land," begann er seine Erzählung und deutete auf einen milden Ziegenkäse, der seine Worte unterstreichen sollte - auch dieser Händler, ein rundlicher kleiner Mann mit schwarzglänzendem Haar, verstand die Geste und hatte den Griechen in dessen Landessprache begrüßt - "Chaire!" - und die ebensolche Erwiederung erhalten. Schon erhielten Siv und Straton zwei kleine Häppchen des Käses zum probieren, und als er sich diesen auf der Zunge zergehen ließ, trieb ihn der würzigmilde Geschmack in eine Vergangenheit fort, die er lange verbannt hatte. "Die hohen Berge meiner Heimat sind oftmals nur von wenigen Bäumen bewachsen, und die Olivenhaine - Bäume, an denen die Früchte wachsen, die wir gerade gegessen haben - erfüllen die Luft mit ihrem Duft, mit der Ahnung des Genusses, den sie uns schenken. Jene Berge bieten saftiges Gras, und die Ziegen, die darauf weiden, geben einen herrlichen Käse - so einen isst Du gerade." Er deutete auf eine andere Sorte, und auch hier wurde beiden etwas zum Probieren gereicht, nun ein etwas schärferer Geschmack, aber dennoch einzigartig würzig. "Die Sonne scheint fast immer, und die Winter sind mild, milder noch als hier. Die größte polis - Stadt - meiner Heimat ist Athen, welche einst auch über ein Reich herrschte wie es Rom heute tut. Auf der agora - dem forum - kannst Du viele Ideen hören, die Philosophen, die ihre Gedanken anderen vorstellen, streiten dauernd miteinander, und man kann sich selten satthören daran." Er seufzte leise, und zum ersten Mal seit langem überkam ihn wieder ein gewisses Heimweh, die Sehnsucht nach der Ferne, die ihm doch im Herzen näher war als jeder andere Ort.

  • Die Germanin beobachtete, wie Straton bezahlte, und sie hatte das deutliche Gefühl, dass der Händler sehr zufrieden war. Mit einem letzten, etwas bedauernden Blick zu dem Stand und den Oliven folgte sie ihrem Begleiter in die Menge hinein, versuchte angestrengt, den Menschen auszuweichen und nicht angerempelt zu werden – was ihr weniger gut gelang. Sie fragte sich, wie die anderen – namentlich Straton neben ihr – es schafften, sich so hindurch zu schlängeln, dass sie gegen niemanden stießen, während sie selbst, so schien es ihr, ständig von der einen Seite auf die andere hüpfte und trotzdem laufend irgendwem im Weg war oder sich jemand ihr in den Weg schob. Gleichzeitig versuchte sie, ihm zuzuhören. "In Ordnung… das ist gut. Wunderbar. Du… wenn du erzählen." Siv machte einen Schritt zurück und hinter Straton, um einem Mann auszuweichen, der ihr entgegen kam, danach kam sie wieder an seine Seite, nur um ihn etwas verständnislos anzusehen und sofort gegen den nächsten Mann zu prallen, der auf einmal vor ihr war. "Äääh… Begnügen? Vorge… Tut mir leid, aber… Ich…" Immerhin hatte sie den Anfang verstanden. "Ich lernen gerne. Neues, neues Dinge sind interessant. Ich nicht weiß, warum andere nicht denken das." Siv hatte immer schon gern gefragt, war immer neugierig gewesen, hatte mehr wissen wollen. Aber zuhause war sie damit eher auf Unverständnis gestoßen, jedenfalls bei den meisten. Manche hatten ihr das auch einfach ins Gesicht gesagt – woraufhin Siv dann beleidigt war. Sie musste nicht unbedingt selbst etwas mit Holz herstellen wollen, nur weil sie wissen wollte, wie es funktionierte. Aber viele hatten dennoch versucht ihr so gut wie möglich zu antworten, und einer von denen, bei dem sie am liebsten gewesen war, war der Schmied gewesen. Abgesehen davon, dass sie sein Handwerk mit am interessantesten fand – zusammen mit dem der Heiler und dem des Tischlers; sie fand eigentlich alles interessant, wo man irgendetwas, sei es nun Metall, Holz oder ein Mensch, irgendwie verändern konnte –, konnte man bei ihm mit Abstand die blumigsten Schimpfwörter und Flüche hören, mehr als bei den Kriegern, und das war etwas, was Siv nicht im Ansatz lernen musste. Es prägte sich ihr ein ohne dass sie etwas dafür tun musste.


    Während Straton beim nächsten Stand Halt machte – Käse, wie Siv mit einem genießerischen Seufzen feststellte –, hörte sie ihm gleichzeitig zu, wie er über Achaia erzählte. Als er begann, war sie noch fest entschlossen, sich den Namen diesmal zu merken, aber der Gedanke war bald weg, ebenso vergessen wie der Käse in ihrer Hand. Sie verstand lange nicht alles, was er sagte, aber das musste sie auch gar nicht. Im Gegenteil, die Teile die fehlten wurden von ihr irgendwie ergänzt, und wie von selbst entstand in ihrem Kopf ein Bild der Landschaften, die er beschrieb, vom Wetter, von den Städten… Ein Land mit Bergen, mit Bäumen, die in ihren Gedanken ähnlich wie Eichen aussahen, an denen Oliven wuchsen, die zwar nicht zahlreich, dafür aber umso ausladender und höher waren; Gras, das weich und grün war – nicht so dunkel und gesättigt vom Regen wie in ihrer Heimat, aber auch nicht hell, fast gelb und trocken wie hier, sondern ein saftiges Grün; und Tiere mit dem seltsamen Namen Ziegen, die offenbar Milch gaben – oder meinte Straton wörtlich, dass sie Käse gaben? Diese Vorstellung brachte Siv zum Schmunzeln. Sie vermutete auch, dass sie Ziegen wahrscheinlich kannte, aber das Wort klang so fremdartig, dass sie sich lieber etwas anderes darunter vorstellte, solange sie noch die Gelegenheit dazu hatte. Und weiter erzählte Straton, von Athen, von den Menschen in dieser Stadt. Siv wusste nicht was Philosophen waren, aber sie verstand die Worte Ideen hören, Gedanken, streiten und wieder hören, und in ihrer Vorstellung wurden diese Philosophen zu wundersamen Menschen, die mitten in der Stadt auf und ab gingen, Ideen dachten und sich gegenseitig verstehen konnten, ohne ein Wort zu sagen. Sie wusste selbst, dass ihre Fantasien kaum der Wahrheit entsprachen. Aber es war einfach zu schön, sich ein solches Land vorzustellen, und sie beschloss, die Vorstellung im Kopf zu behalten und dieses Land, ihr Land, weiter auszubauen, immer ein Stückchen hinzuzufügen, wenn sie von fremden Ländern hörte. Das Stück Käse wanderte endlich in ihren Mund, und nach einer kurzen Pause auch ein Stück von der zweiten Sorte, auf die Straton gedeutet hatte. Gleichzeitig sah sie ihn aufmerksam an. Er klang traurig, fast sehnsüchtig, und obwohl er zuvor gesagt hatte, dass er in Hispania aufgewachsen war, fand Siv das nicht eigenartig. Spätestens seit sie mit Cadhla über ihre Mutter gesprochen hatte, wusste sie, dass man sogar etwas vermissen konnte was man noch nie hatte kennen lernen dürfen. "Deine Heimat klingt schön. Viel schön. Du, du vermissen sie." Das war eine Feststellung, keine Frage. "Ich kann verstehe das." Dann lachte sie plötzlich leise. "Aber ich denke wohl viel anders, viel verschieden von Achaia, wie sein. Ich nicht verstehe, nicht verstehe alle… alle Worte du sagst. Also ich denke selbst, und denke neue Dinge. Ich stell mir einfach was vor. … Was sein Chaire?"

  • Erst als Siv mit ihren Worten offenbarte, dass er offensichtlich linguistisch ein wenig zu weit vorgaloppiert war, fiel dies auch dem Griechen auf, und er musste doch mit einer gewissen Zufriedenheit feststellen, dass sie offensichtlich versuchte, dennoch so viel wie möglich seiner Worte zu verstehen - ihr Gesicht leuchtete dabei vor Eifer, ließ sie noch fast kindlich wirken, ein Anblick, der ihn mehr rührte, als er es für möglich gehalten hatte. Wieder einmal kehrte der Gedanke an die Überlegung zurück, die er einstmals gehegt hatte - vielleicht als grammaticus Kinder zu unterrichten, die wirklich lernen wollten, die wissbegierig waren, aber von diesem Traum war er ebenso weit entfernt wie von seiner Freiheit. Im Grunde war dieser Gedanke einer jener, die er ab und an einmal aus den verborgenen Tiefen seiner Persönlichkeit hervor holte, ihn drehte und wendete, von allen Seiten sorgsam betrachtete und schließlich als noch nicht realisierbar beiseite legte. Noch hatte er den Kaufpreis nicht zusammen, den er wert wäre, und mit jedem Jahr, das er bei Aquilius verbrachte, würde er ihm Wert steigen, soviel war sicher. Und wie so oft schob er auch diesen Gedanken gekonnt beiseite und würde ihn vielleicht ein andermal betrachten, vielleicht eingehender, vielleicht gar nicht, es war ein so müßiger Gedanke.


    Der Stand mit den verschiedenen Käsesorten war da schon eine deutlich angenehmere Alternative, und Siv als Begleiterin hatte seine Aufmerksamkeit mehr verdient als nutzlose Träume, die ihn nur wehmütig machen würden, das wusste Straton ebenso genau, wie er im Grunde seines Herzens wusste, dass auch diese rationale Überlegung den sinnlosen Gedanken nicht würde fortspülen können. "Achaia ist ein wundervolles Land, und jeder, der sich nicht dorthin sehnen würde als Achaier, der ist sein Blut nicht wert," gab Straton schließlich zu, und diese Worte enthielten deutlich mehr persönliche Empfindung, als er sie in den letzten Wochen irgendwo offenbart hätte. Warum er sich überhaupt so verriet, konnte er nicht erklären, nur, dass er langsam senil wurde, zu einem alten Mann, dem alten Mann, als der er sich oft genug fühlte. Er ließ sich noch ein Bröckchen des würzigeren Käses auf der Zunge zergehen und kostete das Echo des herben Aromas am Gaumen, ohne den Blick abzuwenden.
    "Vielleicht erlebst Du meine Heimat eines Tages, und kannst Dir selbst ein Bild der Hügel und Täler machen, das kann man nie wissen. Ansonsten kann ich Dir die Worte der Dichter zitieren, wie sie über Achaias Schönheit schreiben, und dass viele der ihren auch aus meiner Heimat stammen, lässt dieses Bild klarer werden. Irgendwann wirst Du alle Worte verstehen, die ich spreche, und dann erzähle ich Dir noch einmal davon. Chaire - das ist unser Gruß - als würde ein Römer salve sagen."

  • Siv gab sich noch ein wenig weiter ihren Träumereien hin, gestaltete in ihren Gedanken das Land weiter, das längst schon nicht mehr Achaia war, jedenfalls nicht das Achaia, von dem Straton erzählt hatte. Als ihr Begleiter schließlich antwortete, ahnte sie nicht, dass er ihr damit mehr von sich offenbarte als er es sonst für gewöhnlich tat. Vielleicht hätte sein Verhalten darauf hindeuten können, aber Siv kam überhaupt nicht auf den Gedanken, dass es so sein könnte. Ihre Gefühle gingen zwar tief, lebten aber dennoch dicht an der Oberfläche, und sie konnte gar nicht anders als sie zeigen – sie gaben sich von selbst preis, selbst dann, wenn sie es nicht wollte. Was Siv neben einem leidenschaftlichen Menschen auch sehr schlecht darin machte, anderen etwas zu verheimlichen oder vorzuspielen. Ihre Emotionen verrieten sie meistens. In Germanien war das selten ein Problem gewesen, aber hier in Rom konnte sie das eher in Schwierigkeiten bringen, wo auf den Anschein so viel Wert gelegt wurde… Sogar unter den Sklaven gab es Ränkespiele und Intrigen, und das war etwas, was Siv völlig fremd war. Also sah sie Straton nicht überrascht an, sondern lächelte ihm nur offen und etwas wehmütig zu.


    "Ich kann verstehen. Ich vermisse Heimat auch… Ich glaube, alle vermissen Heimat, wenn fort. Oder viele. Ich gern will Heimat von dir sehen. Ich würde gerne." Ihr Lächeln änderte sich etwas, als sie Stratons nächste Worte hörte, wurde fröhlicher, und sie probierte endlich auch das zweite Stück Käse. "Was Dichter? Ich, ich will Worte verstehen, alle Worte…" Um die Wahrheit zu sagen, Siv war fasziniert davon. Sie war fasziniert davon, dass andere Menschen aus anderen Gegenden eine andere Sprache sprachen als sie. Und sie war fasziniert von der Möglichkeit, mit diesen Menschen in dieser ihr eigentlich fremden Sprache zu sprechen und sie zu verstehen. Chaire. Es klang fremdartig. Und schön. Und es war eine fremde Sprache, wie Latein, nur war es nicht die Sprache der Römer, was es für Siv noch viel anziehender machte… In diesem Moment beschloss sie, Griechisch zu lernen. Dass sie überhaupt niemanden hatte, der ihr das beibringen konnte, daran dachte sie gar nicht, ebenso wenig wie daran, dass sie möglicherweise gar keine vernünftige Gelegenheit bekommen würde – selbst wenn sich beispielsweise Straton bereit erklärte. Sie dachte im Moment weder daran, dass sie Sklavin war, noch daran, was das für sie bedeutete. Dieser Moment war einfach zu locker, zu schön, um ihn mit solchen Gedanken zu verderben. Sie wollte Griechisch lernen, und das tat sie auch gleich kund. "Worte von Achaia auch. Chaire. Merk ich mir. Chaire sein salve. Übrigens, der Käse ist lecker. Käse… ist gut." Sie steckte sich das letzte Stück des würzigen Käses in den Mund und genoss den Geschmack ausgiebig, bevor sie Straton wieder ansah. Sie hätte zu gerne mehr von Achaia erfahren, oder etwas über Hispania… Aber sie hatten eine Abmachung. "In Germanien, wir haben Wald… Viel Wald. Meine Heimat, viel Wald. Und alles, alles… ist grün, so dunkelgrün. Irgendwie sieht man allem an, dass es viel Wasser hat. Du kannst das Leben sehen, überall." Siv überlegte einen Moment, während sie nach den richtigen Worten suchte. "Wasser. Viel Wasser, in Germanien. Im Winter kommt Schnee, und, und… Frühling, Sommer, Herbst kommt Regen. Und du können sehen, dass viel Wasser kommt, weil, weil Wald, und andere Pflanzen, alles ist… frisch. Ist wie haben viel Wasser."

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!