Zum Festtag der Proserpina - ein Monodrama*

  • Sim-Off:

    * einige Jahrhunderte zu früh, doch damals vermutlich aktueller denn später: Johann Wolfgang Goethe, Proserpina


    Zum Festtag der Proserpina wurden jener Göttin nicht nur Opferungen dargebracht, auch auf den Straßen nahm so manches Gesinde den Tage zum Anlass, sich einige Sesterzen zu erspielen. Im Grunde war es ein äußerst gewagtes Stück, denn keine Kopulation, kein Mord, keine Schlacht, nicht einmal ein Kuss der Liebenden kam darin vor, doch der Vorteil dessen war, dass ein einziger Schauspieler ausreichte, die in die Unterwelt entrissene Proserpina darzustellen, dazu ein paar Stimmen aus dem Hintergrund. Er, der an diesem Tage auf der provisorischen Bühne nahe des Forum Romanum stand, war die schönste Proserpinen von allen. In Athen hatte er sie verkörpert, in Cnossus, Leptis Magna und in Alexandria, und nun endlich in Rom, der Blüte des Lebens.


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    Proserpina, die Schönste von allen.


    Die Bühne bestand aus einem Podium, auf welchem die schöne Proserpina bald regungslos stand, um der Zuschauer zu harren. Hinter ihr bewegte sich blaufarbener Stoff und kündete von einer Person, welche die letzten Falten dahinter richtete. Vor der Stoffbahn standen aus Holz gefertigte, zweidimensionale Abbilder von Felsen, zudem an der Seite der Schattenriss eines Baumes, an welchem ein einzelner, mit Wachs überzogener, grell rotfarben leuchtender Granatapfel befestigt war.


    "Halte! Halt einmal, Unselige!" drang die Stimme der Proserpina bis weithin über die versammelten Zuschauern hinweg, als gelte der Ruf ihnen. Und fürwahr, einige, welche eben noch am Straßentheater wollten vorbei ziehen, blieben nun neugierig stehen.
    "Vergebens irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her! Endlos liegen vor dir die Trauergefilde, und was du suchst, liegt immer hinter dir. Nicht vorwärts, aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen! Die schwarze Höhle des Tartarus verwölbt die lieben Gegenden des Himmels, in die ich sonst nach meines Ahnherrn froher Wohnung mit Liebesblick hinaufsah!"
    Über den blaufarbenen Stoff im Hintergrund senkt sich von oben herab graufarbener Stoff, in welchen düstere Donnerwolken waren eingefärbt.


    "Ach! Tochter du des Jupiters, wie tief bist du verloren! – Gespielinnen! Als jene blumenreiche Täler für uns gesamt noch blühten, als an dem himmelklaren Strom des Alpheus wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten, einander Kränze wanden und heimlich an den Jüngling dachten, dessen Haupt unser Herz sie widmete, da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen, keine Zeit zu lang, um freundliche Geschichten zu wiederholen, und die Sonne riß leichter nicht aus ihrem Silberbette sich auf, als wir, voll Lust zu leben, früh im Tau die Rosenfüße badeten. – O Mädchen! Mädchen! Die ihr, einsam nun, zerstreut an jenen Quellen schleicht, die Blumen auflest, die ich, ach, Entführte! aus meinem Schoße fallen ließ, ihr steht und seht mir nach, wohin ich verschwand!"
    Wahrhaft theatralisch wand sich der Schmerz über das Antlitz der Schönen, sich verzehrend irrte sie über die kleine Bühne hinweg, so dass manch ein mannhafter Römer der Zuschauermenge sich bereits im Herzen aufmachte, die holde Jungfer aus ihrem Darben zu befreien.


    "Wo du auch bist, Püppchen, ich werd' dich retten!" gröhlte ein stämmiger Bursche, der recht weit von der Bühne entfernt stand - zur Erleichterung der schönen Proserpina - und anschließend ein lautes Lachen vernehmen ließ. Es war der beinah kahle Pintelus, welcher an Arbeitstagen nahe des Forum Boarium in einer Schlachterei das Fleischerbeil schwang und an diesem, seinem freien Tag bereits ein wenig tiefer in die Weinkrüge der Tavernen vom Forum Boarium bis zum Forum Romanum hin geschaut hatte.



    "Ja, Püppchen, wir retten dich!" fiel gleich ein weiterer Zuschauer, Ragettix genannt, in das Gelächter ein. Auch Ragettix arbeitete in eben jener Schlachterei am Forum Boarium, doch er schwang nicht das Beil, sondern durfte nur die Innereien aus den aufgehängten Säuen und Lämmern kratzen.


  • Nur Bruchteile eines Herzschlages lang ließ die Schöne sich von ihrem Spiel ablenken, fuhr mit herzzerreißender Elendsstimme fort. "Weggerissen haben sie mich, die raschen Pferde des Orkus;" Hinter dem Vorhand erklang das Trappeln von Hufen, vermutlich dem Aneinanderschlagen zweier Steine entlockt. "Mit festen Armen hielt mich der unerbittliche Gott! Amor! ach Amor floh lachend auf zum Olymp – " Das helle Lachen einer Männerstimme verdrängte nun das Hufgetrappel. "Hast du nicht, Mutwilliger, genug an Himmel und Erde? Mußt du die Flammen der Hölle durch deine Flammen vermehren? – Heruntergerissen in diese endlosen Tiefen! Königin hier!"
    Seitlich der stoffenen Bahnen schob sich eine Hand vor das Bühnenbild, eine goldfarben bemalte Krone aus dünnem Blei in ihrer Hand. Die schöne Proserpina ergriff das Symbol der Macht und krönte sich selbst.


    "Oh ja, Püppchen! Königin meiner schlaflosen Nächte" raunte Pintelus heiser und die um ihn herum stehenden Gesellen lachten aus tiefen Kehlen.


    Die schöne Proserpina ließ sich indes nicht beirren. "Königin?" schmetterte sie den Zuschauern vorwurfsvoll entgegen, so als trügen all diese allein nur an ihrem unseligen Unglücke Schuld, und tatsächlich zuckte manch einer in der vordersten Reihe ein wenig erstaunt zurück.
    "Vor der nur Schatten sich neigen! Hoffnungslos ist ihr Schmerz! Hoffnungslos der Abgeschiedenen Glück, und ich wend es nicht. Den ernsten Gerichten hat das Schicksal sie übergeben; Und unter ihnen wandl' ich umher, Göttin! Königin! Selbst Sklavin des Schicksals!" Unter dem Vorhang hinter ihr hoben sich nun schemenhafte Gestalten, mindestens vier Hände ließen die düsteren, schwarzfarbenen Schatten aus Holz um Proserpinas Füße wandeln.
    "Ach, das fliehende Wasser möcht ich dem Tantalus schöpfen, mit lieblichen Früchten ihn sättigen! Armer Alter! Für gereiztes Verlangen gestraft! – in Ixions Rad möcht ich greifen, einhalten seinen Schmerz! Aber was vermögen wir Götter über die ewigen Qualen!" Zu den Schatten hinzu begann im Hintergrund nun Stöhnen und Ächzen.
    "Trostlos für mich und für sie, wohn ich unter ihnen und schaue der armen Danaiden Geschäftigkeit! Leer und immer leer! Wie sie schöpfen und füllen! Leer und immer leer! Nicht einen Tropfen Wassers zum Munde, nicht einen Tropfen Wassers in ihre Wannen! Leer und immer leer!"


    "Ach, ich kenn' dein Leid, mein Püppchen! Meine Kanne ist auch immer nur leer - kein Tropfen mehr zu meinem Mund!" Verwegen hob Pintelus seine tatsächlich leere Weinkanne über seinen Kopf und schwenkte sie hin und her.
    "Oh ja, Püppchen, meine auch!" beeilte Ragettix sich anzufügen und auch er hob seinen Krug, wand einmal ihn um, um zu zeigen, dass kein Tropfen mehr daraus rann.

  • Noch eben mit den Händen hinaus gewiesen in die endlose Ewigkeit, in welcher die Bewohner des Tartarus ihren Qualen sich ergaben, zog nun die schöne Proserpina sie an ihre gewölbte Brust, zu ihrem Herzen hin. "Ach, so ist's mit dir auch, mein Herz! Woher willst du schöpfen? – und wohin? – Euer ruhiges Wandeln, Selige, streicht nur vor mir vorüber; Mein Weg ist nicht mit euch! In euren leichten Tänzen, in euren tiefen Hainen, in eurer lispelnden Wohnung rauscht's nicht von Leben wie droben, schwankt nicht von Schmerz zu Lust."


    "Aber ich schwanke von Lust." Den leeren Weinkrug aus seiner Hand drückte Pintelus seinem Kumpanen Ragettix gegen die Brust und schob vor sich die ersten Zuschauer bei Seite. Nicht lange zögernd stellte Ragettix die beiden Gefäße auf dem Boden ab, um Pintelus zu folgen, der sich träge durch die Menge nach vorne zu drücken versuchte.


    "Der Seligkeit Fülle. – Ist's auf seinen düstern Augenbraunen, im verschlossenen Blicke? Magst du ihn Gemahl nennen? Und darfst du ihn anders nennen? Liebe! Liebe! Warum öffnetest du sein Herz auf einen Augenblick? Und warum nach mir, da du wußtest, es werde sich wieder auf ewig verschließen?"


    "Wenn nicht nach dir, Püppchen, nach wem dann? Nach wem dann?" schmetterte Pintelus nun, als wäre er selbst Teil jenes Stückes dort vorn auf der Bühne.


    Indes, die schöne Proserpina war es gewohnt, die Blicke der Männer auf sich zu ziehen, ignorierte gänzlich jegliche Zwischenrufe. "Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen und setzte sie neben sich auf seinen kläglichem Thron? Warum mich, die Tochter der Ceres? O Mutter! Mutter! Wie dich deine Gottheit verläßt im Verlust deiner Tochter, die du glücklich glaubtest, hinspielend, hintändelnd ihre Jugend! Ach, du kamst gewiß und fragtest nach mir, was ich bedürfte, etwa ein neues Kleid oder goldene Schuhe?" Sich unter den Blicken der Menge aalend, drehte die Schöne sich auf der Bühne, strich eng ihr Kleid am Körper entlang und seufzte in tiefer Theatralik. "Und du fandest die Mädchen an ihre Weiden gefesselt, wo sie mich verloren, nicht wieder fanden, ihre Locken zerrauften, erbärmlich klagten, meine lieben Mädchen!"


    Hinter den Stoffen der Szenerie her schallte der klagende Ruf der Ceres. "Wohin ist sie? Wohin? Welchen Weg nahm der Verruchte? Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen? Wohin geht der Pfad seiner Rosse? Fackeln her! Durch die Nacht will ich ihn verfolgen! Will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde, eill keinen Gang scheuen hierhin und dorthin."
    Der Hintergrund der Bühne teilte sich nun in der Horizontalen, noch immer hing von oben herab der graufarbene wolkenbemalte Stoff, doch das blaufarbene Gewölk dahinter sank ein Stück zum Boden hinab, so dass ein Zwischenspalt entstand. Fackelschein wurden dort sichtbar, hinter der Bühne hin und herirrend.


    "O Mutter! Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu, aller Pfade gewohnt, folgen sie deinem Lenken: in der unbewohnten Wüste treibt dich's irre – ach, nur hierher, hierher nicht! Nicht in die Tiefe der Nacht, unbetreten den Ewiglebenden, wo, bedeckt von beschwerendem Graus, deine Tochter ermattet! Wende aufwärts, aufwärts den geflügeltem Schlangenpfad, aufwärts nach Jupiters Wohnung! Der weiß es, der weiß es allein, der Erhabene, wo deine Tochter ist! – Vater der Götter und Menschen!"

  • Im Hintergrund der schönen Proserpina erloschen die Flammen der Fackeln, hinterließen nur Dunkelheit. Kurz darauf wurde das blaufarbene Tuch wieder empor gezogen, so dass das Bühnenbild erneut geschlossen war. Die Schöne indes stand vorn am Rande der Bühne, blickte zum römischen Himmel empor. "Ruhst du noch oben auf deinem goldenen Stuhle, zu dem du mich Kleine so oft mit Freundlichkeit aufhobst, in deinen Händen mich scherzend gegen den endlosen Himmel schwenktest, daß ich kindisch droben zu verschweben bebte? Bist du's noch, Vater? – nicht zu deinem Haupte in dem ewigen Blau des feuerdurchwebten Himmels, hier! Hier!– –"


    "Ja, hier! Ich komme, Püppchen, ich komme!" Trunken vor Wein drängte Pintelus durch die Zuschauer, stieß ein um den anderen bei Seite, besessen vom Anblick der Schönen, welche so drängend nach ihm verlangte. Längst hatte er Ragettix abgehängt, welcher mit seinem schmächtigen Leib nur halb so überzeugend durch die Passanten schiffte.


    "Leite sie her! Daß ich auf mit ihr aus diesem Kerker fahre! Daß mir Phöbus wieder seine lieben Strahlen bringe, Luna wieder aus den Silberlocken lächle! O, du hörst mich, freundlichlieber Vater, wirst mich wieder, wieder aufwärts heben; Daß, befreit von langer, schwerer Plage, ich an deinem Himmel wieder mich ergetze! Letze dich, verzagtes Herz! Ach! Hoffnung! Hoffnung gießt in Sturmnacht Morgenröte! Dieser Boden ist nicht Fels, nicht Moos mehr; Diese Berge nicht voll schwarzen Grauses! Ach, hier find ich wieder eine Blume!" Geschmeidig beugte Proserpina sich hinab und als sie sich wieder erhob hielt sie eine kleine Blume in Händen. Einige Zuschauer applaudierten ob des gelungenen kleinen Zaubers.
    "Dieses welke Blatt, es lebt noch, harrt noch, daß ich seiner mich erfreue!" Sie drehte sich zum schemenhaften Baume hin und erstarrte. "Seltsam! Seltsam!" In einer fließenden Bewegung hob sich ihre Hand, streckte sich ihr Arm.


    "Nein! Nicht! Verzweifel nicht!" Endlich war Pintelus am Rande der Bühne angelangt, erklomm eilig die nur wenige passus erhöhten Bretter. "Hier bin ich! Ich hab dich gefunden! Ich werd' dich retten, Püppchen! Komm zu mir, komm zu mir!" Er lachte rau und schien nicht im Mindesten sich bewusst, dass er das Stück ruinierte. Einige Zuschauer begannen zu lachen, andere feuerten Pintelus an.


    "Was ist da vorne los, Kynastos?" flüsterte eine Stimme laut hörbar hinter dem Vorhang, merklich tiefer nun als noch zuvor der Ceres zugehörig, doch eindeutig die selbe.


    Ungnädig blickte die schöne Proserpina dem kahlen Pintelus in die Augen und zischte boshaft. "Du ruinierst das Stück, Trunkelbold. Verzieh' dich!"


    "Aber ich rette dich! Was jammerst du die ganze Zeit, wenn du nicht in meinem Bett landen willst, Püppchen?" Er kam bedrohlich näher, so dass einige ehrbare Bürger schon der schönen Proserpina zu Hilfe wollten eilen. Diese jedoch hob nur ihre Hand und winkte ihnen ab. Mit einem Satz war Pintelus bei ihr, atmete seine Alkoholfahne ihr ins Gesicht, so dass sie dieses zu einer leidenden Fratze verzog, legte einen Arm um ihren Rücken, mit der anderen Hand zog er den Saum ihrer Tunika ein wenig empor. Fröhlich johlten einige Männer im Hintergrund, denn ein zotiges Possenspiel war ihnen ohnehin viel angenehmer denn jene Darbietung der Göttergeschichten ohne Beischlaf und Gewalt. Stück um Stück wanderte Pintelus' Hand an der schönen Proserpinas Schenkel entlang, bis dort er angelangt war, wo zu enden er hoffte.


    Pintelus' Gesicht erstarrte, hastig zog er seine Hände zurück, stolperte einige Schritte rückwärts. Jegliche Farbe verließ sein Antlitz, warf das maliziöse Lächeln der schönen Proserpina nur matt zurück. "Idiot", ließ jene mit dunkler Männerstimme vernehmen, holte aus und traf mit ihrer nun gar nicht mehr zierlich erscheinenden Faust präzise auf das Kinn des Pintelus'. Der Störenfried schwankte, dann fiel er wie ein gefällter Baum in die Menge der Zuschauer, wo lachend er wurde aufgefangen. Benommen blinzelte er in die Augen Ragettix', welcher noch immer nicht begriffen hatte, was geschehen war.


    "Alles in Ordnung?" fragte ein nun am Rande der Bühne erscheinendes, kantiges Gesicht.


    "Alles bestens" entgegnete die schöne Proserpina, nun wieder in wohl klingenden Mezzosopran gehüllt. "Wir können fortfahren. Oder möchte hier noch irgendwer sich von meiner Jungfräulichkeit überzeugen?" Sie blickte milde lächelnd zu den Zuschauern hin, welche vorwiegend mit Gelächter ihr antworteten.

  • "Seltsam! Seltsam!" In einer fließenden Bewegung hob sich der schönen Proserpina Hand, streckte sich ihr Arm zu perfekter Pose dem Granatapfel am Schattenbaum hin. "Find ich diese Frucht hier? Die mir in den Gärten droben, ach! so lieb war." Sanft umschmeichelte sie die Frucht mit ihren Fingern, umfasste sie schlussendlich und zog sie ab. "Laß dich genießen, freundliche Frucht! Laß mich vergessen alle den Harm! Wieder mich wähnen droben in Jugend, in der vertaumelten lieblichen Zeit, in den umduftenden himmlischen Blüten, in den Gerüchen seliger Wonne, die der Entzückten, der Schmachtenden ward!"
    Die graufarbenen Stoffbahnen wurden langsam hinter der Schönen gelüftet, so dass der blaufarbene Himmel wieder sichtbar ward. Als würde einige Kerne sie aus der Frucht entnehmen, drehte die Proserpina sie, hob ihre Hand, um die Kerne darin zu zeigen und steckte sich diese zum Mund. "Labend! labend!" Genießerisch verdrehte sie die Augen.


    Doch noch ehe die Kaubewegung der Schönen endete, sank das dunkle Tuch erneut herab, ein Zischen tönte hinter den Stoffbahnen hervor, erneut leises Stöhnen und Ächzen.
    "Wie greift's auf einmal durch diese Freuden, durch diese offne Wonne mit entsetzlichen Schmerzen, mit eisernen Händen der Hölle durch!" Entsetzen wand sich über ihre Miene, verzweifelt blickte sie über die Zuschauer hinweg. "Was hab ich verbrochen, daß ich genoß? Ach, warum schafft die erste Freude hier mir Qual? Was ist's? was ist's? – ihr Felsen scheint hier schrecklicher herabzuwinken, mich fester zu umfassen! Ihr Wolken tiefer mich zu drücken! Im fernen Schoße des Abgrunds dumpfe Gewitter tosend sich zu erzeugen! Und ihr weiten Reiche der Parzen ir zuzurufen: Du bist unser!"


    "Du bist unser!" riefen die Parzen mit hohen Fistelstimmen aus dem Hintergrund hervor. "Ist der Ratschluß deines Ahnherrn: nüchtern solltest wiederkehren; Und der Biß des Apfels macht dich unser! Königin, wir ehren dich!"


    "Hast du's gesprochen, Vater? Warum? warum?" Von Desperation erfasst irrte die schöne Proserpina über die Bretter der Bühne, so herzzerreissend erneut, dass viele Augen mit leidendem Blicke ihr folgten. "Was tat ich, daß du mich verstößest? Warum rufst du mich nicht zu deinem lichten Thron auf! Warum den Apfel? O verflucht die Früchte! Warum sind Früchte schön, wenn sie verdammen?"


    "Bist nun unser! Warum trauerst du? Sieh, wir ehren dich, unsre Königin!"


    O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung, daß ich euch hin verwünschen könnte! O wäre der Kokytos nicht euer ewig Bad, daß ich für euch noch Flammen übrig hätte! Ich Königin, und kann euch nicht vernichten! In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! – so schöpfet, Danaiden! Spinnt, Parzen! wütet, Furien! In ewig gleich elendem Schicksal. Ich beherrsche euch und bin darum elender als ihr alle." Von Wut verzerrt schmetterte die Schöne ihren Schmerz in die Welt hinaus.


    "Du bist unser! Wir neigen uns dir! Bist unser! Unser! Hohe Königin!"


    "Fern! weg von mir sei eure Treu und eure Herrlichkeit! Wie haß ich euch! Und dich, wie zehnfach haß ich dich – Weh mir! ich fühle schon die verhaßten Umarmungen!" Die Arme um ihren Körper geschlungen irrte die schöne Proserpina hin und her, sank schlussendlich auf die Knie herab.


    "Unser! Unsre Königin!"


    "Warum reckst du sie nach mir? Recke sie nach dem Avernus! Rufe die Qualen aus stygischen Nächten empor! Sie steigen deinem Wink entgegen, nicht meine Liebe. Wie haß ich dich, Abscheu und Gemahl, O Pluto! Pluto! Gib mir das Schicksal deiner Verdammten! Nenn es nicht Liebe! – Wirf mich mit diesen Armen In die zerstörende Qual!" Verloren in ihrer Hoffnungslosigkeit sank die Schöne auf die Bretter der Bühne, verbarg ihren Kopf in ihren Armen.


    "Unser! unser! hohe Königin!"


    Begleitet vom Ruf der Parzen senkte sich das graufarbene Tuch nun auf die Bühne herab, wurde von den beiden Ceres-stimmigen Parzen, welche nun sich an den Seiten der Bühne zeigten und sich bis auf die Farbe ihrer Gewänder glichen, nach vorn hin gezogen, so dass es auch die schöne Proserpina verbarg, hernach versanken beide selbst in einer Verbeugung, so dass sie beinah neben der Bühne verschwanden.


    ~~~ finis ~~~

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