Helena war nun erst einmal versorgt. Sie schlief und würde morgen hoffentlich schon wieder etwas froher auf ihr Leben blicken. Auch wenn das eigentliche Problem noch lange nicht gelöst war. Gab es dafür überhaupt eine Lösung? Vermutlich nicht. Wenn überhaupt, dann nur mit Corvinus zusammen. Er war nicht nur Ursache, sondern auch der Schlüssel.
Ursus wußte, daß er Corvinus über alles informieren mußte. Und er mußte ihn informieren, bevor er irgendwelchen Tratsch hörte. Also ging er am besten jetzt gleich zu ihm. Trotz der unmöglichen Zeit. Denn Ursus wußte, wenn er sich jetzt hinlegte um zu schlafen, würde er sicherlich nicht als erster am Morgen wieder wach sein. Jetzt, wo die Anspannung abgefallen war, fühlte er die Erschöpfung wie Blei in seinen Gliedern. Es kostete ihn schon alle Willenskraft, nicht gleich ins Bett zu gehen, sondern das Zimmer von Corvinus aufzusuchen.
Ohne anzuklopfen trat Ursus in das Zimmer ein und stellte die mitgebrachte Öllampe auf den Tisch. Einen Moment lang blickte er aus dem Fenster und atmete tief durch. Die Nacht war fast schon vorbei. Ein erster Silberstreif war bereits am Horizont zu sehen, der den beginnenden Tag ankündigte. Was für eine Nacht! Doch für die Welt da draußen war es eine Nacht wie jede andere gewesen. Was interessierte die Welt schon die Tragödie einzelner Menschen?
Schließlich riß Ursus sich von dem so erholsam friedlichen Anblick los. Er trat an das Bett heran und faßte den schlafenden Onkel an der Schulter, um ihn ganz sanft zu schütteln. "Marcus? Marcus, wach auf..."
Es war Ursus in diesem Moment gar nicht bewußt, was für einen Anblick er bieten mußte. Blut im Gesicht, auf der Tunika, an Armen und Händen. Naß war er mittlerweile nicht mehr, doch man konnte der Tunika ansehen, daß sie heute Nacht nicht nur mit Blut in Berührung gekommen war. Zerknittert und fleckig war sie auch an den Stellen, die nicht mit Blut besudelt waren. Die Haare waren zerzaust und strähnig. Er mußte aussehen, wie einem feuchten Grab entstiegen. Wie ein fleischgewordener Albtraum.