• …hatten sich nach langer Zeit wieder in die Arme schließen können. Sie waren gemeinsam aufgewachsen, hier in der Casa, in die sie nun zurückgekehrt waren. Sie waren getrennter Wege gegangen, hatten sich kaum gesehen und ihre jeweiligen Ideale ausgelebt, fernab voneinander. Jeder der Beiden hatte seine Erfahrungen gemacht und neue Freunde, ja fast schon neue Familie, kennengelernt.
    Doch nun schloss sich der Kreis wieder. Sie hatten beide die Welt bereist, viele Eindrücke gesammelt und waren nun zurückgekehrt zu ihren Wurzeln.
    Die Casa der Gens Iulia hatte sich die Jahrzehnte über nicht verändert, sie war nur älter geworden.
    Und so lebten sie glücklicher Tage in ihrem Haus, holten nach, was sie an familiären Pflichten all die Jahre vernachlässigt hatten. Doch das Schicksal der Beiden war besiegelt, schon mit den ersten Atemzügen, die sie in ihren Leben getan hatten. Eines Tages, es war Winter und sie wollten sich von einem anstrengenden Tag erholen, machten sie es sich in der Wohnstube im ersten Stockwerk gemütlich. Es war ein schöner Tag gewesen, einer der Schönsten, den sie je verbracht hatten, und nichts deutete auf das jähe Ende hin.
    Doch Balken krächzten, der Boden gab nach und der rechte Flügel des alten Bauwerks sank in sich zusammen. Weder Seneca, noch Lepidus hatten registriert, was vor sich ging, ehe sie in das Nichts stürzten.

  • Die Brüder starben an einem Nachmittag im Winter. Vöglein zwitscherten in den Bäumen im Garten und die Sonne strahlte so kraftvoll wie an jenen Tagen, an welchen die Iulier ihre ersten Atemzüge getan hatten.
    In den Trümmern des Hauses würde man schon bald eine Urkunde finden, das Testament von Iulius Seneca. Er hatte es zusammen mit seinen Kameraden im Verlauf des Sertoriusfeldzuges niedergeschrieben. Keiner der jungen Männer hatte damals gewusst, wen es als nächstes treffen würde. Und einige der Männer hatten ihr Testament zu Recht verfasst. Lepidus hatte hingegen keinen Grund gehabt, ans Sterben zu denken und so hatte er auch keine Niederschrift hinterlassen.

    ICH, CAIVS IVLIVS SENECA, GEBOREN AM PRIDIE ID APR DCCCXXVIII A. V. C.,
    WOHNHAFT IN TARRACO, LEDIG, ERRICHTE NACHFOLGENDES
    TESTAMENT:



    MEINE GRVNDSTVECKE IM WERT VON INSGESAMT 30 000 SESTERZEN SOLLEN VNTER FOLGENDEN VERWANDTEN AVFGETEILT WERDEN
    SOMIT ERHALTEN:
    TIBERIVS IVLIVS NVMERIANVNS II GRVNDSTVECKE(10 000 SESTERZEN)
    GAIVS IVLIVS OKTAVIANVS I GRVNDSTVECK (5000 SESTERZEN)
    IULIA HELENA I GRUNDSTUECK (5000)
    MARCVS IVLIVS LEPIDVS II GRVNDSTVECKE (10 000 SESTERZEN)



    MEIN BARVERMOEGEN IN HOEHE VON 34 000 SESTERZEN SOLL EBENFALLS VNTER FOLGENDEN VERWANDTEN AVFGETEILT WERDEN.
    SOMIT ERHALTEN:
    IVLIA HELENA 3000 SESTERZEN
    GAIVS IVLIVS OKTAVIANVS 3000 SESTERZEN
    IVLIA LIVILLA 3000 SESTERZEN
    TIBERIVS IVLIVS NVMERIANVNS 10 000 SESTERZEN
    MARCVS IVLIVS LEPIDVS 10 000 SESTERZEN
    IVLIA SEVERA 5000 SESTERZEN


    DIE ACTA DIVRNA SOLL EBENFALLS NICHT LEER AVSGEHEN VND SO VERMACHE ICH IHR EBENFALLS 5000 SESTERZEN


    MEIN EINSTIGER DECVRIO DECIVS CAECILIVS SABINVS SOLL MEINE VIER SKLAVEN ERHALTEN


    ICH BITTE MEINE BRVEDER TIBERIVS IVLIVS NVMERIANVNS VND MARCVS IVLIVS LEPIDVS DARVM MEINE VRNE OHNE VMSTAENDE IN DER CASA IVLIA IN ROMA NIEDERZVLEGEN



    MOEGEN MICH ALLE VERWANDTEN VND FREVNDE IN GVTER ERINNERVNG BEHALTEN VND MEINE FEINDE MIR VERZEIHEN
    ICH HABE IMMER FVER DIE LEGIO IX HISPANA GELEBT
    MOEGE SIE AVCH WEITERHIN RVHMREICHE TATEN VOLLBRINGEN


    AUF DEN ELYSISCHEN FELDERN WERDEN WIR VNS WIEDERSEHEN


    GEZ.
    CAIVS IVLIVS SENECA


    Es war sicherlich nicht die Art von Abgang gewesen, die sich vor allem Seneca gewünscht hätte. Aber es war sein Schicksal und er vermochte es nicht zu ändern, ja wollte es nicht ändern.
    Sein Körper war unter den Trümmern der Decke zerquetscht worden. Nur sein Augenlicht war ihm noch nicht genommen worden und so öffnete er sie. Es war dunkel und der Iulier konnte seinen Bruder nirgends entdecken. Er wollte etwas sagen, "Lepidus", aber er brachte keinen Ton hervor. Auf dem Rücken liegend verharrte er, aber er hoffte nicht auf Hilfe, als vielmehr auf Erlösung. Unter der Last der Holzbalken viel ihm das Atmen immer schwerer. Seine Augen schlossen sich und sein Leben zog an ihm vorbei, er sah sich als Kind, wie er mit Lepidus im Garten spielte, später, als er seinen großen Traum verwirklichte und in den Legionen Roms ins Feld zog, in seiner Legion, der IX.
    Es war wie ein Traum, er hatte viele Schlachten geschlagen, war dies doch für ihn immer das Tugendhafte und Ruhmreiche im Leben. Doch Familie hatte er nie gehabt, zu sehr hatte er sich in die Legion verliebt, sie war seine Familie gewesen. Aber was war aus seinen Eltern geworden? Sie waren schon früh gestorben und nun würde er ihnen folgen.
    Eine Träne löste sich aus seinem Auge, er weinte. Zugleich versuchte er die Finger seiner rechten Hand zu bewegen. Sie streiften die Hand seines Bruders und beide wussten, sie waren nicht allein.
    Lepidus lag etwa ein bis zwei Meter neben seinem Bruder, aber auch er vermochte keinen Ton hervorzubringen und so starben sie vereint im Glauben, sie würden sich auf den elysischen Feldern wiedersehen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!