Ein Opfer für Iuno

  • Auf dem Platz vor dem Palast des Statthalters hatten sich zwei Duzend Bedienstete versammelt. Sie standen um einen provisorisch errichteten Altar herum. Der war nur aus Holz, aber mit Tüchern verhüllt, die in reinem Weiß erstrahlten. Ebenfalls weiß war der Baldachin, der über dem Altar gespannt war und Schatten spendete.


    Im römischen Festtagskalender war dies der Festtag von Iuno Februar und der Statthalter Decius Germanicus Corvus hatte seiner Gattin versprochen, dieser Göttin ein Opfer zu bringen.
    In der griechischen Welt verehrte man Iuno als Hera. Doch hier, in Alexandria, beteten viele zu Isis und darum gab es zwar unzählige Isis-Tempel in der Stadt, aber nur wenige und kaum bedeutende zu Ehren der Iuno.
    Also hatte der Statthalter entschieden, der Göttin vor seinem Palast, unter freiem Himmel zu opfern.

  • Der Praefectus Alexandriae et Aegypti Decius Germanicus Corvus erschien. Er wurde von seiner Gemahlin begleitet und von einigen Gästen, die er zu dieser feierlichen Opferung eingeladen hatte. Drei Priesterinnen schritten ihnen voran.


    Corvus hatte seine schönste Tunika angelegt. Sie war cremeweiß. Ein schmaler, dunkelroter Streifen hob sich deutlich davon ab und wies ihn als Angehörigen des Ordo Equester aus.


    Er blinzelte zum wolkenfreien Himmel empor. Die Sonne strahlte und beschien die Szenerie freundlich, ohne so gleißend und unbarmherzig zu brennen wie sie es im aegyptischen Sommer zu tun pflegte. Der Winter war in Alexandria wirklich eine angenehme Jahreszeit.
    Corvus fasste das gute Wetter schon einmal als gutes Omen auf.

  • Ein Festtag zu ihren Ehren, da durfte Iuno nicht fehlen. Auch wenn sie überall im Reich gefeiert wurde, sie war überall dort präsent. Götter - und natürlich Göttinnen ebenso - waren ja nicht im gleichen Maße an Zeit und Ort gebunden wie Sterbliche.


    Also schaute sie interessiert zu, was hier folgen würde.

  • Eine junge Tempeldienerin, fast noch ein Kind, trat an die älteste und ehrwürdigste der Priesterinnen heran. Das Mädchen hielt eine flache, irdene Schüssel mit Wasser in den Händen. Die Alte tauchte einen Bund weißer Federn hinein, zog ihn wieder heraus und bespritzte die Anwesenden. Corvus spürte den feinen Regen im Gesicht. Die Priesterin wiederholte den Vorgang, der dazu diente, alle Teilnehmer des Opfers symbolisch zu reinigen.
    Es dauerte, bis alle ausreichend durchnässt und sie zufrieden war. Sie schickte das Mädchen weg und krächzte: “Favete linguis!“ – was nichts anderes bedeuten sollte, als dass alle ihren Mund zu halten hätten, um das Opfer nicht zu ruinieren.
    Dann kam das Mädchen mit der irdenen Schüssel zurück und hinter ihr noch zwei weitere, die ebenfalls solche Schüsseln trugen. Sie gingen zu jedem Einzelnen und ein jeder benetzte die Hände und trocknete sie dann mit einem gereichten Tuch, dem malluium latum. Die Priesterinnen der Iuno legten wirklich großen Wert auf innere, wie äußere Reinheit.


    Als das erledigt war begannen die anwesenden Musikanten zu spielen und zwei männliche Helfer brachten das Opfertier. Es war ein fettes, weißes Lämmchen. Dahinter schritt der cultrarius, der 'Opferstecher', ein hagerer, überaus hässlicher Kerl mit kahlem Schädel und buschigen Augenbrauen...

  • Die beiden Helfer hielten das Lamm mit geübtem Griff fest, während die alte Priesterin das Tier mit Wein der Göttin Iuno weihte. Anschließend reichte der hässliche Schlächter Corvus das Opfermesser. Er nahm es und strich dem zitternden Geschöpf mit der flachen Seite der Klinge einmal vom Kopf, über den Rücken bis zum Hinterteil, womit er es symbolisch 'entkleidete'. Danach gab er das Messer dem cultrarius zurück.


    Die Priesterinnen strecken die Hände vor, so dass die offenen Handflächen gen Himmel zeigten und die Älteste von ihnen begann ihr Gebet an Iuno:
    “O ewig Junge, o Hüterin der Ehe und des Viehs von kleiner Gestalt, o Gemahlin des Iuppiter, die du deine schützenden Hände über unsere Familien hältst, o Iuno; wir bitten Dich in Ehrfurcht und demütiger Anbetung deiner strahlenden Göttlichkeit; nimm dieses reine Tier als unser Opfer an dich und erhöre uns und unsere Gebete.“


    Als sie geendet hatte erfolgte das Trankopfer und gleich darauf trat der Opferstecher vor und hielt sein Messer an die Kehle des Lämmchens. Es war eine Opferung nach römischem Ritus und darum fragte er auch auf Latein “Agone?“ – 'Soll ich das Opfer vollziehen?' – und die Priesterin antwortete ebenso auf althergebrachte Art: “Age!“ – 'Tu es!'
    Er stieß dem Tier sein Messer in den Hals, hellrot schoss das Blut aus der tödlichen Wunde, die Helfer ließen es los und das Lamm brach zusammen. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden galt nun dem roten Fleck, der sich auf dem Boden ausbreitete. Je größer, desto besser, denn es galt als schlechtes Omen, wenn nur wenig Blut bei der Opferung floss...

  • Das Blut floss, wie es aufgrund physikalischer und anatomischer Gesetze fließen sollte. Es war nicht übermäßig viel, aber es war auch nicht wenig.


    Damit hatte Iuno allerdings nichts zu tun, genau so wenig wie irgend ein anderer Gott. Ihr großer Auftritt würde noch kommen.

  • Das Lämmchen gab nicht viel Blut her. Rasch versiegte die Wunde und die Pfütze, eben noch hellrot und warm, wurde dunkel und kalt.
    Man drehte das Tier auf den Rücken. Seine Bauchdecke wurde mit wenigen, Schnitten geöffnet – vorsichtig, denn es durften keine Organe verletzt werden. Kundige Hände zogen die Wundränder auseinander. Mit spitzen Fingern wurde hinein gegriffen und das Innere des Kadavers genau begutachtet.
    Die alte Priesterin hielt zwischendurch immer wieder inne und blickte zum Himmel, als erwarte sie eine göttliche Eingebung.


    Germanicus Corvus sah dem Treiben aus zwei Schritten Entfernung zu. Der Geruch des Blutes und der Innereien stieg ihm in die Nase. Gespannt erwartete er das Urteil darüber. Nahm Iuno das Opfer an, oder war es misslungen?

  • Hier war nun die Göttin gefragt. Sie trat - natürlich in einer Erscheinung, die kein Sterblicher vernehmen konnte - zum Opfer und blickte sich um. Ein Opfer unter freiem Himmel, das gefiel Iuno nicht wirklich. Schon alleine deswegen nicht, weil es eine Verlegenheitshandlung des Praefectus Aegypti war. Es fehlte ein Tempel, eines, das einer Göttin wie ihr standesgemäß war.


    Da sie aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wusste, dass die Sterblichen mit subtilen Anmerkungen kaum etwas anfangen konnten, in einer solchen Größenordnung erst recht nicht, musste die Göttin zu härteren Mitteln greifen. Sie gab der alten Priesterin eine Eingebung, ließ sie für einen kurzen Moment einen noch nicht gebauten Tempel erblicken, dann platzierte sie einen großen, schwarzen Knoten auf der Leber, den sie nicht übersehen oder gar überfühlen konnte.

  • Plötzlich weiteten sich die Augen der alten Priesterin und ein wilder Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht.
    “Ääääääääähhhhrrrrrrghh!“, kreischte sie und ihre Stimme war hässlich, schrill und klang aus tiefstem Herzen angewidert.
    Sie raufte sich mit ihren dürren, blutigen Fingern die Haare.
    “Ein Haus!“
    Sie griff mit beiden Händen in den Kadaver hinein.
    “Ein Haus! Ich sehe ein Haus!“
    Sie zerrte an der Leber herum.
    “Das ist nicht gut! Diesem Ort fehlt ein geweihtes Heim für die Göttin.“
    Wie von Sinnen zupfte, zog und zerrte sie weiter an der blutverschmierten Leber des toten Lämmchen herum. Dann entwand sie dem cultrarius sein Messer und schnitt das Organ mit wenigen Schnitten hastig heraus. Sie hielt es in die Höhe und zeigte auf eine Stelle. Eine schwärzliche Geschwulst war dort deutlich zu sehen.
    Die Alte spie aus.
    “Das Opfer ist misslungen! Iuno hat sich abgewandt! Wir haben ihr nicht genüge getan! Nein, Iuno weist dieses Opfer zurück. Sie erhört uns nicht!“


    Das alles war ein sehr theatralischer Auftritt der alten Priesterin und Corvus verfolgte ihn vollkommen gebannt. Hitze stieg ihm in den Kopf. Alles war vergeblich gewesen. Ihm wurde ziemlich warm und plötzlich fühlte er sich fast wie ein Nackter, inmitten einer Menschenmenge oder ein gesuchter Verbrecher, dessen Name laut gerufen wurde. Er war beschämt, ein wenig verängstigt und auch ein bisschen wütend. Der gute Vater Mars hatte ihm nie so viele Scherereien gemacht wie dessen Mutter, die launische Iuno.


    “Aus!“, rief die Alte. “Aus, es ist aus! Es ist vorbei!“


    Es war wirklich sehr theatralisch.

  • Noch immer enttäuscht über den ungünstigen Ausgang des Opfers gab Germanicus Corvus einem seiner Schreiber die Anweisung, dafür zu sorgen, dass man das unwürdige Opfertier entsorgte. Es würde wohl den Weg aller Küchenabfälle gehen. Außerdem sollte er die Priesterinnen und die Opferhelfer entlohnen. Trotz seiner Enttäuschung wollte er es sich nicht mit ihnen verderben, denn schließlich war es gut möglich, dass er ihre Dienste irgendwann wieder einmal benötigte.


    Schon wollte er sich abwenden und gehen, da trat die alte Priesterin noch einmal an ihn heran und raunte ihm mit krächzender Stimme zu:
    “Dieser Stadt fehlt es an einem geweihten Haus für die Göttin. Du musst Iuno ein Haus bauen! Sie verlangt es!“
    Dann ging sie, ohne eine Antwort abzuwarten oder sich auch nur noch einmal umzudrehen.


    Ein Haus sollte er bauen? Also einen Tempel der Iuno, hier in Alexandria? Corvus war kein sehr religiöser Mensch und bislang hatte er nun wirklich nicht daran gedacht, sein Geld für den Bau eines Tempels zu verschw... auszugeben. Zudem ausgerechnet ein Tempel für Iuno, er, ein Mann der es gewohnt war ein Gladius am Gürtel zu tragen! Wollte man ihn vielleicht nur ausnutzen?
    In sich versunken verließ er den Vorplatz der Regia, mit sich, den Göttern und seinen Zweifeln hadernd.


    Damit war diese Opferung endgültig vorüber.

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