• Macro trat stumm neben Linos und betrachtete den einstigen Gefährten. Unter einer heruntergekommenen Aufmachung erkannte er das alte Gesicht. Das warme Gefühl des Wiedererkennens wollte sich dennoch nicht einstellen.


    "Ich soll dich ins Lazarett bringen", erklärte er in sachlichem Ton. Eine gewisse Scheu hielt ihn davon ab, Linos die Hand zu reichen. Er wollte keinen Handschlag, auch keine Hilfestellung, die als solcher interpretiert werden konnte. Aus dem einstigen Vertrauten, der einen Blick in Macros Innenleben werfen durfte, war ein Unberechenbarer geworden. Das Unkalkulierbare schreckte Macro ab, es ließ ihn auf Distanz bleiben. Im Grunde war mit Linos der letzte Vertraute der einstigen Sklavenriege gegangen. Zurückgekehrt war ein Fremder.


    "Kannst du laufen?"

  • Mein Gefühlsleben welches gerade alle Höhen und Tiefen durch machte, wurde mit dem Erscheinen von Macro in ein vollendetes Chaos gestürzt. Vielleicht war er der Einzige hier der mich verstand, auch wenn er kein in Freiheit geborener Sklave war. Wie viele Sklaven hatte er schon in seinem Leben kennengelernt? Wie viele hatten sich ihm anvertraut? Ihre Gedanken ihm mitgeteilt. Wir beiden hatten auch einmal ein Gespräch zum Thema Flucht. Damals hatte ich ihm meinen Standpunkt klar gemacht.
    Fast schon freudig, sofern man das in meinem Zustand und in meiner Lage konnte, grüßte ich Macro. „Hallo Macro, wie bin ich froh dich, … zu sehen“, kam dann nur noch langsam zögernd von mir. Was ich jetzt sah, versetzte mich noch mehr in Panik, als alles vorher. Das Verhalten von Macro zerstörte ihn. Jenen winzigen Funken Hoffnung oder Gottvertrauen, der noch in mir geschlummert hatte. Ich spürte wie eine eisige Hand nach mir griff und mit meiner Fassung war es zu Ende. Eine Träne suchte sich ihren Weg.“ Macro du verstehst mich doch?“ Flehend kamen meine Worte. „Ich musste ihr einfach helfen und ... die Gelegenheit dann nutzen.“ Fügte ich noch resigniert hinzu.
    Er wäre meine Brücke zu einem nochmaligen Gespräch mit Menecrates gewesen. Doch die war jetzt auch zerstört. Trotz seines Verhalten klebten meine Augen an seinem Gesicht um jede Mimik jedes regen eines Gesichtsmuskels, ein flackern in seinen Augen, zu entdecken.
    Noch einmal kam von mir der Ansatz eines Versuches, „Macro, bitte.“
    Doch dann gab ich auf. Ich hatte das Gefühl mich aufzugeben.
    „Nein, ich kann nicht laufen, das rechte Bein soll ausgekugelt sein“. Ich hörte meine eigene Stimme, fremd war ohne Leben war sie geworden.

  • Macro konnte nicht genau sagen, warum er vieles, aber kein Latein erwartet hatte, als Linos den Mund aufmachte. Vielleicht weil jemand, der mit allem brach, auf ihn generell unverständlich wirkte. Er selbst liebte Sicherheit und Stetigkeit. Er verabscheute Veränderungen, weil sie ihn zwangen, sich auf Neues einzustellen, was ihn jedes Mal viel Kraft kostete. Macro liebte Gewohnheiten. Nie im Leben, nicht für Geld und nicht für Bitten, nicht für schöne Worte und auch keinem wichtigen Menschen zuliebe würde Macro aus seinem bisherigen Leben ausbrechen. Gewohnheiten gaben ihm Sicherheit. Alleine der Umzug nach Germania brachte Veränderung genug. Andere Räumlichkeiten, andere Menschen, anderes Klima und vieler Orts eine andere Sprache. In seiner Vorstellung musste auch Linos nunmehr anders sprechen, aber anstelle von unverständlichem Griechisch schlugen Macro Aussagen entgegen, auf die er reagieren konnte. Fast fühlte er sich dazu gezwungen zu reagieren.


    "Es klingt unglaubwürdig, wenn jemand zwangsweise zurückkehrt und dann behauptet, er würde sich freuen, mich zu sehen. Findest du nicht?" Was sollte er Linos noch glauben? Die Skepsis überwog. Verblüffung hingegen stellte sich ein, als er eine Träne gewahrte. Wie passte denn das? Vermutlich trauerte Linos seiner verlorengegangenen Freiheit hinterher. Was auch sonst? Es fiel Marco schwer, sich in den einstigen Kameraden hineinzuversetzen.


    "Aus meiner Sicht ist dein Handeln schwer zu verstehen. Du kennst schließlich meine Vergangenheit, ich würde derartiges niemals tun." Andererseits kannte er auch die Vergangenheit des anderen. Na gut, Linos bat ihn um Verständnis, aber vor einem möglichen Verständnis brauchte Macro notwendige Erklärungen.
    "Wem musstest du helfen? Wer hat dir diesen Auftrag gegeben, zu dem du dich gezwungen gefühlt hast? Und wem warst du verpflichtet, die Gelegenheit zur Flucht nutzen zu MÜSSEN?" Das waren schließlich seine Worte. Während er auf die Antwort wartete, überlegte er sich, wie er Linos zum Lazarett bringen konnte. Laufen fiel demnach aus.

  • Undurchdringlich, wie meist, war der Gesichtsausdruck von Macro. Nur wer ihn näher kannte wusste wann es in ihm arbeitete. Hätte ich ihn angesehen, wäre mir bestimmt aufgefallen, dass doch noch etwas von ihm kommen würde, doch so überrumpelte mich der plötzliche Klang seiner Stimme.
    Verwirrt schaute ich Macro an, denn ich war anderer Ansicht. „Auch wenn man gerne von einem Ort weg geht kann man doch Menschen zurücklassen an denen einem etwas gelegen ist. Es war der Ort und die Situation vor der ich weg lief. Du würdest doch auch Germanien freudig verlassen, sollte Menecrates hier weggehen. Würdest du nicht auch dann, wenn du hier einen Freund hättest, ihn verlassen? Habe ich nicht immer gesagt ich wäre frei geboren und würde gerne nach Hause, nach Kreta zurückkehren?“ Ich hielt kurz ein und überlegte ob dies die richtigen Worte gewesen waren um mich Macro verständlich zu machen. „Macro ich freute mich dich zu sehen weil ich dich mag. So einfach ist es.“ Wieder kaute ich an meiner Unterlippe, bekam ein Zipfelchen der losgelöste spröden Haut zu fassen und riss es ab. Ein blutiger Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, wieder schob ich die Unterlippe nach innen und meine Zunge strich über Stelle. Nachdem ich leicht an meiner Lippe gesaugt hatte schaute ich Macro fest an. „Du fragst jetzt wirklich allen ernstes, wer mir den Auftrag gab zu helfen?
    Stell dir vor du stehst auf dem Markt und vor deinen Füßen fällt eine Frau hin, fragst du dich wirklich zuerst, darf ich der Frau helfen, habe ich einen Auftrag dazu?“
    Nochmals Macro fragend anschauend fuhr ich fort. „Eine schwangere Frau braucht nach meiner Überzeugung Hilfe. Gezwungen fühlte ich mich durch meine Glaubensüberzeugung.
    Obwohl ich dies niemals als Zwang ansehen würde. Dies auch als Flucht zu nutzen war in diesem Augenblick einfach logisch. Ich hätte es mir niemals selber verziehen wenn ich es nicht getan hätte. Außerdem ließ sich die Flucht bei der Hilfe gar nicht vermeiden, selbst wenn ich nicht hätte fliehen wollen. Ohne Flucht wäre die Hilfe nicht möglich gewesen. Ich hoffe es war nun nicht zu verwirrend was ich dir sagte. Für einen Außenstehenden hört sich vieles bestimmt seltsam an.“ Erneut eine kurze Pause einlegend, dann tief durchatmend stellte ich Macro zögerlich eine Frage: „Weißt du was Menecrates mit mir vorhat?„

  • "Mhm", brummte Macro, nachdem Linos mit seiner Erklärung über die unvermutete Freude des Wiedersehens fertig war. Überzeugen konnte ihn Linos nicht, weil in Macros Umfeld automatisch Unfreiheit für Sklaven herrschte, aber er honorierte den Versuch der Erklärung. Er wiegte zweimal den Kopf, weil er zumindest die Aussage, dass Linos ihn mochte, nicht anzweifelte. Und selbstverständlich fragte Macro, wer den Auftrag zur Flucht gab, denn für ihn galt nur das Wort seines Herrn, und dem wäre ein solcher Auftrag gewiss nicht zuzutrauen.


    "Linos, das ist ein hinkender Vergleich", antwortete er auf das Beispiel mit der Frau auf dem Markt. "Um jemanden aufzufangen, egal ob schwangere Frau Kind oder Veteran, muss ich niemanden fragen, weil ich mich mit der Hilfeleistung nicht strafbar mache. Auf die Beine stellen und einen guten Tag wünschen - wo wäre das Problem gewesen? Wenn sie gar nicht mehr laufen konnte, hättest du sie noch zu einem Sitzplatz oder in ihr Haus bringen können, aber eine Flucht?" Macro schüttelte den Kopf. "Das stinkt nach Eigennutz, musst du zugeben."
    Während er sich bückte, überlegte er, wo er am besten Linos anfassen sollte. Wenn Laufen nicht mehr ging, dann folgte zwangsläufig das Tragen, aber wo fasste man jemand an, dessen Bein ausgekugelt sein soll? Auf den Arm mitsamt Bein nehmen musste genauso weh tun, wie das Bein herunterhängen zu lassen.


    "Sag mal, wie haben die dich denn bisher transportiert?
    Und nein, ich habe keine Ahnung, was Menecrates vorhat. Aber ich kann ja mal die Ohren aufhalten."

  • “Hm, na ja, so fing es an, doch dann mussten wir schon, gleich mitten auf dem Markt flüchten, weil da so eine eingebildete Frau uns unbedingt ans Leder wollte. Wie gesagt, es ergab sich aus der Situation. Zu Hause wäre es ihr noch schlechter gegangen. Ich versprach bei ihr zu bleiben und mich zu kümmern. Es passierte vieles und leicht war es nicht. Bequemer wäre es gewesen sich raus zu halten. Überhaupt …. Aber lassen wir das es ist wie es ist, ich kann die Zeit nicht zurückdrehen.
    Normalerweise hätte ich nicht nötig gehabt mich zu erklären, doch mir war es schon wichtig das Macro mich verstand. Meine Handlungsweise würde er nie akzeptieren, doch sollte er meine Beweggründe wissen.
    “Der eine, der große Soldat hat mich über seine Schulter geworfen und dann stundenlang getragen.” Bei dieser Erklärung konnte ich nicht verhindern, das Bewunderung in meiner Aussage mitschwang. “Später trugen sie mich auf der Trage, kurze Stücke fasste er mich unter die Arme und schleifte mich.
    Mach nur wie es für dich am besten ist, ich werde dieses Stück auch noch durchhalten. Dann wird man mir hoffentlich bald helfen.” Danach würde es sowieso nur noch schlimmer werden.

  • Als Antwort auf die Erklärung kam wieder Macros "Mhm." Er würde noch einmal über alles nachdenken, aber erstens brauchte er für sowas Zeit und zweitens galt es jetzt, den Verletzten ins Lazarett zu bringen. Immerhin wurde die gebückte Haltung auch langsam unbequem. Er hörte sich die verschiedenen Transportmöglichkeiten an und scheinbar gab es keine, die Linos bevorzugte oder ablehnte. Die Trage schied ohnehin aus, denn dafür brauchte man noch einen Helfer, wenn sie nicht an einem Ende auf dem Boden Dreck schleifen sollte. Macro liebäugelte mit der Variante, Linos über die Schulter zu legen. Alleine deswegen, weil es ihn irgendwie tangierte, dass etwas wie Anerkennung, Bewunderung oder Begeisterung in dessen Stimme mitschwang, als er von dem Kerl erzählte, der ihn auf diese Art transportierte. Nicht dass Macro sich beweisen müsste, aber die Trainingsmöglichkeiten in Germanien fielen nicht eben reichlich aus. Sich beweisen ging bei dem Leichtgewicht Linos auch gar nicht.


    "Also dann nicht lange Federlesen, ich nehm dich jetzt als Rucksack", kündigte er an, bevor er zugriff. Die eine Hand packte Linos am Oberarm, um ihn zunächst aufzurichten. Anschließend fasste er ihn unter den Achseln und hob ihn wie ein Baby nach oben, bevor er ihn auf der Schulter ablegte. Er musste noch einmal nachfassen, sodass Linos kopfüber noch ein Stück nach unten rutschte. Dann hüpfte er einmal kurz, damit sich die Falten aus seiner Kleidung glätteten, bevor Linos wieder auf der Schulter landete. Sie waren startklar und strebten in lockerem Schritt dem Valetudinarium des Lagers zu.

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