cubiculum | Aurelia Minervina

  • Ursus wartete. Und wartete. Er konnte hören, daß sich drinnen etwas bewegte. Also war Minervina auf jeden Fall da. Vermutlich hatte er einen ungünstigen Moment erwischt und sie mußte sich erst bereit machen, Besuch zu empfangen. Also wartete er weiter geduldig. Bis endlich die Aufforderung zum Eintreten kam. Er öffnete die Tür und ging auch gleich freudig auf Minervina zu, die mitten im Raum stand, und umarmte sie erst einmal herzlich. "Schwesterchen! Endlich! Na, sag mal, wo hast Du denn die ganzen letzten Tage gesteckt? Ich habe Dich vermißt. Dabei habe ich Dir doch sogar etwas aus Germanien mitgebracht. Schau." Er löste sich aus der Umarmung und reichte ihr das Päckchen, freudestrahlend und in Erwartung ihrer Freude. Das war schließlich das schönste am Schenken: Die Freude des anderen beobachten zu können.


    Doch als er sie jetzt genauer anblickte, sah er die dunklen Schatten unter ihren Augen, die geröteten, leicht geschwollenen Augen, den müden Zug in ihrem Gesicht, der von ihrem Lächeln kaum übertönt werden konnte. Die strahlende Freude erlosch von seiner Miene und machte Besorgnis Platz. "Was ist denn los? Bist Du krank? Niemand hat mir etwas davon gesagt..."

  • Ausgerechnet er! Es war niemand geringeres als ihr Bruder Titus Aurelius Ursus höchstpersönlich, der in ihr cubiculum eintrat. Dabei war er der letzte Mensch, der sie so elendig sehen sollte. Doch davon bemerkte er zunächst nichts, sondern schritt auf sie zu und umarmte die völlig verdatterte Minervina herzlich. Es muss ein seltsames Bild abgeben, dachte sie sich. Während ihr lieber Bruder geradezu die Heiterkeit in Person war, kam sie sich wie ein Häufchen Elend vor. "Ich habe dich auch sehr vermisst. Ach Titus, es tut so gut, dass du wieder hier bist." Jetzt, wo er wieder in ihrer Nähe war, würde es ihr bestimmt bald wieder besser gehen. Ja, da war sie sich ganz sicher! Doch als ihr ein kleines Paket in die Hände gedrückt wurde, fühlte sie sich allerdings keineswegs besser. Schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit. Hatte sie denn so etwas überhaupt verdient? Schließlich hatte sie es aufgrund ihrer Trauer nicht einmal geschafft, ihm während seines Aufenthalts in Germanien einen einzigen Brief zu schreiben. Von einem Geschenk ihrerseits ganz zu schweigen. Was für eine Rabenschwester sie doch war! "Oh, ein Geschenk? Für mich?" stammelte sie verlegen. "Aber das wär doch nicht nötig gewesen. Ich hoffe, du hast dir meinetwegen keine Umstände gemacht. Vielen lieben Dank."


    Plötzlich zeigte Ursus sich besorgt. Er musste ihr angemerkt haben, dass es ihr nicht gut ging. "Nein, nein." Sie wandte ihren Blick von ihm, denn sie hasste es nahestehenden Menschen mitten ins Gesicht zu lügen. "Es geht mir blendend. Ich habe in den letzten Tagen nur etwas schlecht geschlafen." fügte sie mit einem erzwungenen Lächeln hinzu und ärgerte sich im gleichen Moment, dass sie alles andere als überzeugend klang. Doch was sollte sie ihm sonst erzählen? Sie wusste ja selbst nicht einmal, woher diese quälende Trauer kam. Sie war doch sonst immer ein so glücklicher Mensch gewesen. Abgesehen davon war Minervina davon überzeugt, dass ihr Bruder bestimmt wichtigeres zutun hatte, als sich mit solchen Belanglosigkeiten herumzuplagen. Daher setzte sie eine halbwegs fröhliche Miene auf. Zumindest versuchte sie das. "Komm, setz dich doch erst einmal." Minervina bot ihrem Bruder Platz einen Sessel an, während sie selbst sich auf ihrer cline niederließ. Auf ihrem Schoß ruhte das Päckchen, doch sie wusste nicht so recht, ob sie es sofort öffnen sollte. Schließlich beschloss sie damit noch zu warten und stattdessen ihre ganze Aufmerksamkeit ihrem Bruder zuzuwenden, immerhin hatte sie in der Hinsicht einigen Nachhohlbedarf. "Sag, wie ist es dir im fernen Germanien ergangen? Du hast sicherlich einiges zu erzählen."

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