Im Kräutergarten

  • "Ich habe keine Geschwister. Meine Mutter war nur einmal verheiratet." Erklärte Callista und wunderte sich, dass sie gar keinen Fehler gemacht hatte. Sie lächelte und grub ihre mittlerweilen schwarz-erdigen Finger tiefer in den Dreck um das Unkraut zu beseitigen. Die frische Luft, die leichte Arbeit und nicht zuletzt die aufbauende HIlfe von Elfleda hatten ihre Laune deutlich verbessert und ihre Zukunft sah nicht mehr ganz so bedrohlich und trübe aus wie noch vor Minuten. Sie lächelte dankbar und sandte ein Dankgebet zu Iuno, aber nicht laut, um Elfleda nicht zu stören. Sie hatte durch Phelans Erklärungen und auch durch ihren Mann schon begriffen, dass die anderen im Haushalt nicht viel von den römischen Göttern hielten. Sie feierten nicht ihre Feste, hatten nicht ihre Statuen aufgestellt und das war für die Römerin wohl mit der schlimmste Schock gewesen. Die Sprache, der lässige Umgang mit den anderen Familienmitgliedern, all das war verständlich. Aber die römische Religion, die auf die penibel genaue Einhaltung von Ritualen zielte, war ihr sehr wichtig und anders als viele andere Römer glaubte sie wirklich daran und machte nicht nur, was man von ihr verlangte. Die Existenz der Götter wurde ja nicht mal von den größten Philosophen angezweifelt! Aber hier im Haus verlor man kein Wort über sie. Callista seufzte kurz und leise und suchte dann wieder nach der guten Laune, die sie vor diesem Gedankengang gehabt hatte.


    "Vielleicht du willst Hilfe lernen Latein? Ragin und ich üben germanisch und viel reden, du kannst kommen dazu und wir helfen Latein zu lernen dich." Nun war es an ihr aufmunternd zu lächeln, denn sie wußte wie nervenaufreibend die Sprachbarriere sein konnte und daher auch, wie sehr man sich manchmal wünschte zu verstehen, was gesagt wurde.

  • Keine Geschwister? Gar keine? Nichtmal welche, die dann gestorben waren? Elfleda schaute Callista einen Moment in etwa so an, als hätte diese gesagt, der Mond bestünde aus grünem Käse. Und selbst das wäre in Elfledas Ansicht wahrscheinlicher gewesen, als dass ein Mensch keine Geschwister hatte.
    “Hat die Sippe deiner Mutter keinen Mann mehr für sie gefunden? Oder die Sippe deines Vaters? Hatte er keine Brüder mehr oder Vettern, die sie geheiratet hätten?“
    Dass eine Frau nicht zurück zu ihrer Sippe ging, das verstand Elfleda ja. Meistens hatte sie ja schon Kinder, die in der Sippe ihres Mannes aufwuchsen, und so blieb sie mit diesen dann in der vertrauten Umgebung. Aber normalerweise war dann auch immer schnell ein Mann da, der eine noch gebärfähige Witwe heiratete. Immerhin war die Frauensterblichkeit aufgrund der Strapazen der Geburt nicht kleiner als die der Männer aufgrund von Krieg. Da durften schlichtweg keine vorhandenen Ressourcen so verschwendet werden.
    Elfleda schüttelte einfach nur den Kopf und widmete sich wieder dem Unkraut. Zumindest solange, bis Callista auf die Idee kam, Ragin könne ihr Latein beibringen. Skeptisch sah sie zu ihrer Schwägerin auf.
    “Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist.“
    Zum einen sollte Callista vernünftig germanisch lernen. Und zum anderen wollte sich Elfleda nicht unbedingt die Blöße geben, sich von einem Jungen, dem noch nichtmal ein Bart wuchs, irgendwelche lehrerhaften Vorhaltungen machen zu lassen. Sie verstand ja auch ganz gut, mit ein wenig Übung würde es mit dem Sprechen schon werden.
    “Wenn du möchtest, kannst du mir ja ein wenig beibringen.“ Da Callista auch eingeheiratet war, war das doch weit weniger peinlich.

  • Der Blick, den Elfleda ihr zuwarf, hätte entsetzter nicht sein können. Callista runzelte die Stirn und sah sich natürlich direkt gezwungen, sich zu erklären. "Römische Frau heiraten einmal. Das Ideal. Dann man ist Matrona. Matrona sind gute Römerin, die ist vielleicht Witwe, lebt göttergefällig und kümmert um Haus und Hof." Wie sonst sollte sie der Germanin erklären, dass ihre Mutter sehr wohl im Sinne der römischen Tugenden gehandelt hatte? Natürlich hätte sie zu ihrer Familie zurück gehen können oder aber zu Balbus nach Rom, sie hätte neu heiraten können und auch eine zweite Familie gründen können. "Römisch Frau sind treu, ich auch nicht heirate nochmal, wenn Witjon stirbt eher als mich." Ja, soviel stand fest. Sollte sie ihren Ehemann überleben würde sie sich keinen neuen nehmen, sondern wahrscheinlich als Priesterin den Rest ihres Lebens in den Dienst der Iuno stellen. Und sich natürlich um ihre Kinder kümmern, also höchstwahrscheinlich in Mogontiacum bleiben, denn ihre Kinder würden ja zu den Ducciern gehören. "Wenn Mann stirbt und man neu Mann nach ... wie heißt ... zehn Monaten, dann man wird ehrlos. Große Schande. Daher Mama gemacht alles richtig." Und davon war Callista überzeugt.


    Sie arbeiteten weiter und irgendwann kam Elfleda dann doch auf die Sprache zurück. "Ja, ich gerne helfen dir. Du kannst helfen mir und ich dir." sagte sie fröhlich und lächelte. Wenn Ragin ihr nicht helfen sollte, konnte sie es tun. Auch wenn sie nicht verstand, warum Ragin Elfleda nicht helfen sollte, denn er konnte das gut und sprach auch germanisch, was es viel leichter gemacht hätte. Oder aber Lando hätte seiner Frau helfen können. Allerdings hielt der ja nicht soviel davon, wenn in der Casa Latein gesprochen wurde.

  • Da konnte Elfleda nur den Kopf schütteln. Wie sollte es göttergefällig sein, wenn eine Frau allein lebte? Wie sollte das bitte gut gehen, wenn sie sich um Haus und Hof nur für sich allein kümmerte, nicht für die Sippe und den Mann an ihrer Seite? Die Römer hatten schon sehr abstruse Vorstellungen, oder einen enormen Überhang an Frauen, dass sie sich so etwas leisten konnten.
    Aber das schlimmste daran war, dass Callista im Brustton der Überzeugung auch meinte, dass sie nie wieder heiraten würde, wenn Witjon stirbt. In diesem Moment merkte Elfleda erst richtig, wie weit ihre beiden Welten voneinander weg waren. “Und was machst du, wenn er jung stirbt, bevor ihr Kinder habt?“ Elfleda konnte es ja verstehen, dass eine alte Frau von über 35 nicht wieder heiraten wollte. Dann könnte sie vielleicht noch 2 oder 3 lebende Kinder bekommen, aber der Körper war dann schon fast über die Zeit hinaus. Dass eine Frau dann einen ruhigen Lebensabend genießen wollte, vielleicht sogar richtig alt werden wollte, das konnte sie sehr gut verstehen. Aber doch nicht jetzt in ihrem Alter, wenn man noch keine lebenden Kinder hatte. “Nie ist eine sehr lange Zeit, Callista.“
    Elfleda widmete sich wieder dem Unkraut. “Bei uns wird auch getrauert, und in der Zeit wird nicht geheiratet. Man wartet auch ein Jahr, in etwa.“ Allerdings diente dieser Brauch eher der Tatsache, um sicherzugehen, dass kein Kind mehr vom verstorbenen Mann kam. Eine Frau, die von einem anderen Mann schwanger war, durfte nicht heiraten, das war ungültig. In einigen Stämmen schwor die Sippe der Frau sogar darauf, dass diese von keinem anderen Manne schwanger sei, um die Verlobung gültig zu machen. “Aber danach heiraten die meisten Frauen, oft jemanden aus der Sippe des verstorbenen Mannes. Es ist nicht gut, wenn eine Frau allein bleiben muss.“


    Auf Callistas Vorschlag hin, dass sie sich gegenseitig mit der Sprache helfen könnten, lächelte Elfleda dann aber wieder. Sie hatte sogar eine Idee. Sie überlegte kurz, und sprach dann in Callistas Muttersprache – oder versuchte es.
    “Wir tun das. Ich spreche Latein, und du Antwort… antworten… ich antworte, du antwortest… du antwortest in meine Sprache. Dann wir beide lernen… nein, dann lernen wir beide. So.“ Sie glaubte, es war einigermaßen richtig. Und hoffentlich verständlich. Aber wenn die beiden Frauen unter sich waren, taten sie so beide etwas für ihre Weiterbildung, und niemand musste sich für falsche Worte oder Satzbaufehler schämen, da der andere mindestens genauso viele machte.

  • "Wenn Witjon stirbt morgen und ich keine Kinder, vielleicht heirate nochmal. Das Onkel entscheidet. Aber wenn ich darf entscheiden selbst, dann nicht wieder heirate." Sie überlegte und versuchte es noch einmal, der Germanin dieses Bild von der idealen römischen Ehefrau zu erklären. Auch wenn sie nicht ganz sicher war, ob diese sie überhaupt verstehen konnte. "Das von den männlichen Römern propagierte Idealbild der Frau ist mit der Wirklichkeit in keinster Weise mehr vereinbar. Im Vordergrund steht die Matrona, die vor allem seit der Moralgesetzgebung des Augustus zum unerreichbaren Ideal hochstilisiert wird. Zunächst hatte man unter einer Matrone lediglich eine verheiratete Frau verstanden, doch in konservativen Kreisen macht man ein strengeres Bild: schön und unnahbar, verheiratet, treu, kinderreich und perfekt in der Organisation des Haushalts sowie die eigenhändige Verrichtung der speziellen Hausarbeit und man propagiert die univira, also die nur einmal verheiratete Frau. Manch ein verkorkster Zeitgenosse will sogar die Frau zum Selbstmord nötigen, wenn ihr Mann den Tod gefunden hatte." Das hier musste sie natürlich auf Latein sagen, denn zum einen wollte sie es korrekt wiedergeben und dazu war ihr germanisch zu schlecht und zum anderen waren auch viel zu viele Wörter dabei, die sie noch gar nicht in ihrer neuen Sprachen sagen konnte. Sie hoffte Elfledas Latein war gut genug, dass sie verstand. Denn es war der Römerin wichtig, dass es keine Missverständnisse gab. Daher wechselte sie noch einmal zurück ins Germanische. "Das ist Ideal. Nicht Wirklichkeit. Frauen sind nicht so, wie Männer wünschen. Aber so sollen sie sein."


    Sie arbeitete weiter und hörte gespannt zu, wie Elfleda Latein sprach. Es klang ulkig und sehr ungewohnt und irgendwie fand die Rothaarige das es zu ihr nicht richtig passen wollte. Dennoch war es richtig und sie nickte anerkennend. "Wie ist das gesellschaftliche Ideal einer Germanin? Gibt es ... Dinge die sie niemals tun darf? ... Nein, Dinge die sie niemals tun sollte?" fragte sie neugierig und korrigierte ihr schmächtiges germanisch, als sie glaubte einen Fehler begangen zu haben. Und wo sie jetzt schon so fleißig lernten war es auch keine schlechte Idee gleich weiterzulernen und die kulturellen Unterschiede auszuloten.

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