Leone lagen so einige Fragen auf der Zunge, als er die kleine Sklavin ins Atrium führte, die Menas hergebracht hatte. Aber Merit-Amun machte nicht den Eindruck, als ob sie im Moment in der Lage wäre, auf irgendeine davon zu antworten. Und sobald sie mit Corvinus gesprochen und ihm ihre Geschichte erzählt hatte, würden sich die Neuigkeiten schnell in der gesamten Villa herumsprechen. So lange konnte er sich noch gedulden. Allerdings wirkte die Sklavin so verängstigt, dass er sich doch dazu veranlasst fühlte, ihr ein freundliches, breites Lächeln zu schenken, bei dem sich seine Zähne weiß von seinem dunklen Gesicht abhob. „Nana, guck nicht so verschreckt. Hier wird dich keiner fressen.“ Er ließ nach Corvinus schicken, nickte Merit-Amun noch einmal zu und verschwand dann wieder auf seinen Posten an der Tür.
atrium | Die Ausreißerin
- Leone
- Geschlossen
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Und kurz darauf fühlte sich die kleine Ägypterin einfach nur noch verlassen, wie sie da in dem großen Saal stand, der in der Mitte ein Loch in der Decke hatte. Da konnte es reinregnen, aber das schien hier keinen zu stören. Irgendwo hörte sie leise Stimmen, die sich entfernten, dann war wieder alles still. Bis auf das Schlagen ihres eigenen Herzens. Merit-Amun sah sich genauer um. Neben vielen Steinen in Form von Gesichtern von alten Römern gab es hier wunderschöne Bilder an den Wänden und Säulen, die das Dach trugen. Hinter einer solchen versteckte sich Merit-Amun jetzt ersteinmal, um ihre Umwelt genauer in Augenschein zu nehmen.
Sie verfluchte all diese Römer. Wenn sie sie nur damals schon in Ruhe gelassen hätten! Aber nein, sie hatten sie fangen müssen und nun war sie hier, im Haus ihres sogenannten Besitzers, der ihr vermutlich beide Hände abhacken würde für ihre Flucht damals. Der kühle Stein der Säule kühlte gleichsam auch Merits Gemüt ein wenig ab, doch als sie plötzlich ein Gesicht direkt vor sich gewahrte, konnte sie einen erschrockenen Aufschrei nicht mehr unterdrücken und stolperte einige Schritte zurück, bis ihr Rücken die Wandmalerei eines detailreichen Schiffes beruhrte. Panisch starrte sie das blond eingerahmte Gesicht an und brachte keinen Ton heraus.
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Siv war es gewesen, die Leone kurz vor dem Atrium erwischt hatte, und die Germanin hatte sich sofort auf den Weg gemacht. Corvinus holen, weil… eine Sklavin angekommen war, begleitet von einem Menas. Ganz verstanden hatte Siv nicht, was es mit dieser Sklavin auf sich hatte – neu war sie offenbar nicht, aber Leone hatte auch nicht wirklich eine Ahnung, wer sie war. Mit einem Achselzucken wandte sie sich um und ging zu Corvinus’ Officium, wo er um diese Tageszeit meistens anzutreffen war – und wo sie ihn auch heute fand. Sie überbrachte ihm Leones Botschaft, so wie sie sie verstanden hatte zumindest. Ein Menas habe eine Sklavin hierher begleitet, die Corvinus gehöre, mehr wisse weder sie noch Leone. Den Namen der Sklavin verhunzte sie ziemlich – sie hatte ihn nicht richtig verstanden, und kombiniert mit ihrem germanischen Akzent, der es ihr schwer machte, die fremdartigen Laute getreu zu auszusprechen. Aus Merit-Amun wurde so jedenfalls Melletammu. Sie war sich nicht sicher, ob Corvinus überhaupt etwas damit anfangen konnte, weil er zuerst ziemlich überrascht wirkte. Eine Weile sah er sie nur nachdenklich an und sagte gar nichts, danach meinte er nur, dass die Sklavin warten sollte, bis er Zeit hätte. Wann das genau war, sagte er nicht, und auf eine entsprechende Nachfrage hin schüttelte er nur den Kopf. Siv war drauf und dran, nachzubohren, aber sie wusste inzwischen, dass er sich in so einem Fall selten dazu bringen ließ, doch noch etwas zu sagen. Hätte es sie betroffen, hätte sie das nicht davon abgehalten, dennoch zu fragen – bis entweder eine Antwort kam oder er sie hinausschmiss –, aber da es sie eigentlich nichts anging, zuckte sie schließlich mit den Achseln und verließ den Raum wieder.
Als sie ins Atrium kam, war auf den ersten Blick niemand zu sehen. Siv runzelte leicht die Stirn und begann, herumzugehen, während sie sich fragte, was es mit dieser Sklavin auf sich hatte. Leone kannte sie nicht, aber Corvinus scheinbar schon – aber die Germanin war sich sicher, dass er nicht erwartet hatte, sie hier zu sehen. In Gedanken versunken schaute sie um eine Säule herum – und erschrak, als sie plötzlich dicht vor sich ein Gesicht sah, nicht so dunkel wie Leones, aber doch dunkler als das der meisten hier, mit schwarzen Haaren und ebenso schwarzen Augen. Während Siv sich von ihrem Schreck bereits nach dem Bruchteil eines Augenblicks wieder erholt hatte, wich die Frau vor ihr zurück und sah sie mit angstgeweiteten Augen an. Siv trat ebenfalls einen Schritt zurück und hob beruhigend die Hände, während sie die Sklavin musterte, die ihr gerade mal bis zur Schulter zu reichen schien. "Ehm. Du bist… Melletammu? Du, du, nicht Angst haben." Sie lächelte freundlich. "Corvinus nicht hat eine Zeit. Nicht jetzt. Er kommt später, hat aber leider nicht gesagt wann. Er nicht, nicht… Ich nicht weiß wann."
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So helle Haut und so helles Haar - fast weiß! - hatte Merit noch nie zuvor gesehen. Dementsprechend verblüfft war auch der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie die Fremde anstarrte. Dieses Haus barg eine Überraschung nach der anderen. Zuerst der schwarze Hüne an der Tür, dann die weiße Frau hier vor ihr. Ob es in jeder Farbe einen Menschen hier gab? Rot und grün? Schnell schob sie die hinderlichen Grübeleien beiseite und konzentrierte sich wieder auf die Situation. Sie bedachte die Sklavin mit einem entsetzten Blick, als sie zu sprechen begann - rauh und schroff, gar nicht so melodisch wie ihre eigene Sprache oder so zungenbrecherisch wie das Latein der Römer. Melletammu? Es war grotest: Obwohl Merit-Amun die Knie schlotterten vor Angst, musste sie dennoch beinahe hysterisch grinsen, als sie die Verunstaltung ihres Namens hörte.
"Merit", sagte sie schließlich und deutete auf sich selbst. "Merit-Amun." Die Behauptung, sie müsse keine Angst haben, überging sie, denn es war ganz gleich, was die andere ihr sagte, sie hatte Angst. Es bereitete der kleinen Ägypterin Probleme, die Sklavin zu verstehen, und letzten Endes verstand sie gar nichts mehr außer gutturalen Lauten einer anderen Sprache. Ein wenig beruhigte es Merit, dass ihr Gegenüber genauso schlecht sprach wie sie selbst. Da kam ihr eine Idee, und sie versuchte es zuerst in ihrer Sprache und dann auf Griechisch. "Woher kommst du?" Ein fragender Blick. "Kannst du mich verstehen?" Doch die Versuche blieben fruchtlos, und so musste Merit-Amun in den sauren Apfel beißen und sich der römischen Sprache bedienen. "Ich warte dann. Weil muss." Und sie ließ den Kopf mutlos hängen.
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Die kleine Frau starrte sie an, als ob sie ein Geschöpf aus Hels Reich wäre und kein Mensch, aber daran hatte Siv sich gewöhnt – wieder, musste man fast schon sagen, denn nachdem sie in die Villa Aurelia gekommen war, hatte sie in ihren ersten Wochen nicht verlassen, und die Menschen hier hatten sich schnell an ihr Aussehen gewöhnt. Irgendwann aber hatte sie sich nicht mehr davor drücken können, in die Stadt zu gehen – angefangen mit ihrem ersten Marktbesuch, zu dem Brix und Dina sie mehr oder weniger gezwungen hatten –, und dort geschah es öfter, dass Menschen sie anstarrten, so wie Melletammu es gerade tat. Immer noch versuchte die Germanin, um Stadtausflüge herumzukommen wo es ging, aber in letzter Zeit wurde das immer schwieriger. Nach ihrem ersten Besuch bei diesem Senator hatte Corvinus es sich scheinbar in den Kopf gesetzt, sie ein für alle mal an solche Dinge zu gewöhnen, und er nahm sie immer häufiger mit, wenn er irgendwohin ging. Und er war erbarmungslos – es spielte keine Rolle, wie sie sich aufführte, ob sie bettelte, meckerte oder versuchte sich schlicht zu weigern. Sie konnte tun, was sie wollte, sie hätte schon krank sein müssen, damit er sie zu Hause ließ. Zu Hause… Einen Moment flog ein Schatten über ihr Gesicht, als ihr klar wurde, wie sie die Villa – wenn auch nur lautlos – soeben bezeichnet hatte. War es das? War es wirklich zu ihrem Zuhause geworden? Der Gedanke löste eine seltsame Mischung an Gefühlen in ihr aus, und ihre Kehle wurde auf einmal eng, und sie beeilte sich – wie jedes Mal, wenn ihre Gedanken auf dieses Thema oder ein ähnliches kamen – die Grübeleien zu verdrängen. Sie wollte nicht darüber nachdenken, sie weigerte sich schlicht, und meistens gelang ihr das ganz gut, schon allein weil sie genug zu tun hatte, um sich abzulenken. Kritisch wurde es nur abends, aber selbst dann fand sie immer noch etwas zu tun.
Corvinus jedenfalls wollte sie dabei haben, wenn er unterwegs war, was, soweit Siv es verstanden hatte, damit zu hatte, dass sie Cadhlas Platz als seine Leibsklavin einnehmen würde, wenn diese erst fort war. Der Gedanke an den Abschied von der Keltin tat immer noch weh, und was diese Leibsklavinnensache anging: So ganz wusste Siv noch nichts damit anzufangen, außer dass die – in ihren Augen – unangenehmeren Pflichten zunahmen. Sie mochte die Stadt einfach nicht, sie hievte lieber schwere Sachen durch die Villa oder putzte oder wusch, als durch Straßen zu laufen, mit hohen Häusern auf beiden Seiten, und dann irgendwann in einem dieser Häuser zu sein und in der Regel nichts zu tun zu haben außer dazustehen und zu warten. Sie fühlte sich wohler, wenn sie in einer abgerissenen Tunika arbeitete, die Haare unordentlich auf dem Rücken zusammengedreht, als so herausgeputzt herumzulaufen, wie Corvinus es von ihr erwartete, wenn er sie mitnahm. Und sie mochte es nicht, wenn zu viele Menschen sich um sie drängten, sie hatte nach wie vor Mühe, sich in diesem Steinlabyrinth zurecht zu finden, und sie begriff einfach nicht, warum bei Thors Hammer sie an diversen Türen ihren Herrn ankündigen musste, wenn er das doch genauso gut selbst machen konnte.
Aber während ihre Gedanken abschweiften, stand immer noch die kleine Sklavin vor ihr und versuchte, sich mit ihr zu verständigen. Siv lächelte entschuldigend und konzentrierte sich auf das, was sie sagte. "Me… Merrret. Merrrit. Merrrit-Ammuun. Ich kann sagen Merrrit?" Dann sprach Merit in einer anderen Sprache, ihre Heimatsprache, vermutete Siv, und gleich darauf wieder in einer anderen. Diese erkannte die Germanin – sie konnte zwar kein Griechisch, aber sie hatte es inzwischen oft genug gehört, um es an der Sprachmelodie identifizieren zu können. Allerdings konnte sie nur etwas hilflos mit den Achseln zucken, und während Merit wieder zu Latein überging, festigte sich die Idee, die sie seit ihrem ersten Treffen mit Straton gehabt hatte, zu einem Entschluss – sie würde Griechisch lernen. Allerdings hatte sie vor, das für sich zu behalten, jedenfalls bis sie einigermaßen verständliche Sätze hervorbringen konnte – was es schwieriger machen würde, einen passenden Lehrer zu finden… Auch diese Gedanken verdrängte Siv, verschob sie auf später, als die Frau weitersprach. "Mein Name ist Siv. Ich bin von Germanien. Im Norden. Du woher kommt?" Sie musterte Merit, die auf einmal den Kopf hängen ließ. Siv runzelte leicht die Stirn. Sie wusste nicht, was los war, aber irgendetwas schien die Sklavin zu bedrücken. "Du, du… traurig sein. Bist. Warum? Was los?"
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Befangen senkte Merit den Blick, als die Fremde ihren Blick so seltsam erwiderte. Sie überlegte - die andere konnte noch nicht lange mit Römern zutun haben, sonst würde sie bestimmt deren Sprache besser beherrschen, oder nicht? Die kleine Ägypterin nagte an ihrer Unterlippe und betrachtete Sivs Füße. Sie steckte in römischen Sandalen, wohingegen ihre eigenen von ägyptischer Machart waren, ebenso wie das fleckige, rotblaue Gewand, das sie trug. Sivs Kleidung dagegen war römisch, und so standen sich zwei Frauen gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein konnten.
"Ja", sagte Merit schlicht, als Siv, die deutliche Probleme mit ihrem Namen hatte, sie bat, auf einen Teil verzichten zu dürfen. "Siff", wiederholte sie dann und schüttelte den Kopf, kaum dass sie den Namen ausgesprochen hatte. "Ich weiß echt nicht, was ich hier mache." Sie zuckte seufzend mit den Schultern. "Germanien? Nicht kenne...ich. Es gibt großer Land in Süden, heißen Ägypten. Das mein Heimat. Viel warm, kein kalt wie hier", erklärte sie schließlich widerstrebend. Denn warum sollte sie der Sklavin etwas über sich erzählen, wo sie sie doch gar nicht kannte und eigentlich auch nicht kennenlernen wollte? Dementsprechend war auch der Ausdruck auf Merits Gesicht mit einem mal verschlossen, kaum dass Siv nach dem fragte, was sie beschäftigte. "Mir geht gut", war die abweisende Antwort, und der Trotz in ihr war kaum zu überhören. Merit-Amun schlang die baren Arme um ihren Körper und sah an Siv vorbei. Um abzulenken, deutete sie auf das Dach. "Warum Loch in...in...oben? Römer nichts haben Geld für machen zunes...oben?" fragte sie bissig.
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Siv grinste erleichtert, als Merit bewies, dass sie mit der Aussprache ihres Namens ebenso Probleme hatte wie die Germanin umgekehrt. Gespannt wie jedes Mal, wenn sie von fremden Ländern hörte, lauschte sie der anderen. Ein Land, im Süden, heißer als hier… Siv zog leicht die Nase kraus und lachte leise. "Du denkst hier kalt? Für mir, hier, hier… hier warm. In Germanien, da sein kalt, Winter. Viel kalt, mit Schnee, und, und Eis." Im Sommer konnte es in Germanien auch sehr warm werden, und Siv war gespannt darauf, wie heiß es wirklich hier werden würde, wenn erst die Sonne an Stärke gewann – und vor allem, wie lange die Hitze anhalten würde. Darüber, wie gut sie sie würde aushalten können, machte sie sich im Moment weniger Gedanken. Merit inzwischen wirkte eher widerspenstig und schließlich sogar abweisend, was den Eindruck, den die beiden Frauen auf einen Beobachter, wenn denn einer da gewesen wäre, gemacht hätten, noch unterschiedlicher werden ließ – da Sivs Gesicht und Haltung nur die Offenheit und Neugier widerspiegelte, die sie empfand. Aber sie sah Merits Gesichtsausdruck, hörte den Trotz in ihrer Stimme, und sie fühlte sich nur zu sehr an ihre ersten Tage hier zurückerinnert. Wenn Merit ihr auch nur ansatzweise ähnlich war und ähnlich empfand, dann würde es nichts helfen, wenn sie auf sie einredete – oder sich beeindruckt zeigte von der Schroffheit. So zuckte die Germanin nur mit den Achseln. "Wunderbar, wenn gut geht dir. Du wollen trinken was, oder haben hungrig?" Als die Ägypterin auf das Loch im Dach deutete, musste Siv schon wieder grinsen. Das war auch so eine Sache, die sie bis heute nicht begriffen hatte. In jedem Haus, das sie bisher von innen gesehen hatte, war so ein Loch in der Decke im Atrium. Warum, wusste sie nicht, und es hatte ihr auch noch keiner so erklären können, dass sie es wirklich verstanden hätte. Regenwasser auffangen, schön und gut – aber wenn das Dach zu war, dann musste Regenwasser gar nicht aufgefangen werden. "Keine Ahnung, das ist mir ein Rätsel. Ich nicht weiß. Römer… spinnen eben. Römer sein, sein…" Sie vollführte mit ihrer rechten Hand eine drehende Geste in der Nähe ihrer Schläfe. "…sein… wirr… in Kopf. Manchmal."
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Zum Lachen war merit eindeutig nicht zumute, dementsprechend grimmig blickte sie auch drein, während Siv sich zu amüsieren schien über das unterschiedliche Wetter in ihrer jeweiligen Heimat. Oder lachte Siv sie am Ende aus, weil sie gesagt hatte, es sei hier kalt? Missmutig sah Merit-Amun das Wasserbecken an, das von Statuen gesäumt wurde. Wann der Römer wohl Zeit für sie haben würde?
Unversehens wurde sie sodann gefragt, ob sie Hunger oder Durst hätte. Genaugenommen hatte sie beides, aber sihr Trotz schien vor ihr zu stehen, mit vor der brust verschränkten Armen und den Kopf schüttelnd. Und so sagte Merit-Amun nur "Nein. Nicht habe." und schüttelte bockig den Kopf. Sie wollte weder auf die Freundlichkeit der anderen Sklavin eingehen, noch irgendetwas von ihr annehmen, obwohl sie doch genau wusste, dass sie es früher oder später ohnehin tun würde, weil sie es musste. Aber noch war ihr Stolz zu stark - und Hunger und Durst nicht zu sehr ausgeprägt. Auf ihre Frage wusste die Germanin auch keine Antwort, wohl aber sagte sie etwas, dass Merit verblüfft innehalten und sie anstarren ließ. War das wirklich ihre Meinung? Obwohl sie ganz die brave römische Sklavin spielte, dachte sie so etwas? Vielleicht, entschied Merit, war es doch nicht so schlecht, sich an diese Sklavin zu halten. Am Ende ergab sich noch die Möglichkeit, hier wieder fort zu kommen, obwohl es sich in einem Land voller Römer als schwieriger erweisen würde denn als in einem Land, in dem die Römer selbst nur Gäste waren. Merit seufzte und deutete auf die Sitzgruppe. "Dürfen sitzen da? Oder ist nur für römisches...römisches Leuter? Und was macht Römer? Ich hab vieler Zeit nicht", maulte Merit und marschierte dann einfach auf die Gruppe zu, hoch erhobenen Hauptes und mit katzengleichem Gang.
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Siv unterdrückte einen zweifelnden Blick, als Merit-Amun darauf bestand, weder Hunger noch Durst zu haben. Sie vermutete, dass die kleine Ägypterin beides hatte, aber auch da erkannte sie sich selbst wieder – sie hatte sich an ihrem ersten Tag hier ja noch nicht einmal waschen und umziehen wollen, obwohl sie es dringend nötig gehabt hatte. Merits Verhalten aber berührte eine Saite in ihr, ließ sie schwingen, erzeugte Resonanzen, und etwas in ihr antwortete darauf. Auch wenn sie immer noch, sowohl innerlich als auch äußerlich, von Zeit zu Zeit rebellierte und widerspenstig war, hatte sie sich doch im Vergleich zu Merit ihr Leben als Sklavin gewöhnt. Was das bedeutete, konnte sie im Moment nicht sagen, aber das Echo hallte noch länger in ihrem Körper nach.
Für den Moment allerdings musterte sie nur die andere Sklavin und zuckte dann leicht die Achseln, als ob sie sagen wollte: Wie du willst. "Wenn du doch Hunger, mich sagen. Ich hole, für dich." Merits Überraschung über ihren Kommentar über die Römer entging der Germanin auch nicht, und wieder klang etwas in ihr, was das Echo noch verstärkte. Irgendwo in ihr begann etwas, sich unwohl zu fühlen. Welchen Eindruck machte sie auf andere, in diesem Fall Merit, wenn es so überraschend kam, dass sie ihre Meinung sagte – auch wenn das bedeutete, etwas Negatives über Römer zu sagen? Unwillkürlich fuhr ihre Hand zum Nacken, wo das Zeichen in ihre Haut gestochen war, das Zeichen, dass sie als Besitz eines anderen auswies, als Corvinus’ Besitz. Sie benahm sich inzwischen so, meistens jedenfalls, verhielt sich wie eine Sklavin, war immer noch aufsässiger als andere, gelegentlich, aber im Großen und Ganzen hatte sie sich… nun ja, immer noch nicht direkt abgefunden, aber doch arrangiert mit dem, was nun ihr Leben war. Wobei nicht zuletzt Cadhla eine große Hilfe gewesen war, dass Siv überhaupt so weit gekommen war zu akzeptieren, dass es auf Dauer kein Zustand war, immer Ablehnung und Hass zu versprühen – was sie ohnehin nicht ständig gekonnt, aber doch anfangs versucht hatte. Jetzt, Merits abweisende Haltung sehend und spürend, begann sich die Germanin wieder zu fragen, ob es richtig gewesen war, ihre eigene Ablehnung aufzugeben, zweifelte an ihrem Verhalten, ihrer Einstellung, ihrem Leben.
Merit riss sie aus den Gedanken, als sie auf die Sitzgruppe wies, danach fragte und sich im selben Atemzug darauf zu bewegte, und Siv folgte ihr. "Klar kannst du dich setzen." Im nächsten Augenblick wiederholte sie, nur auf Latein. "Du sitzen kannst. Nur, wenn Römer kommen, du aufstehen. Mehr gut, weil, weil… Wir dürfen eigentlich nicht… Nicht darf, Sklave da sitzen. Aber wenn nicht einer sieht…" Siv zuckte mit den Achseln. "Du nur schnell sein musst, wenn kommen. Oh, und ich nicht weiß, was macht. Er nur sagt er nicht, nicht… haben Zeit. Nicht jetzt." Siv legte den Kopf schief und war drauf und dran, zu schmunzeln, aber auch das unterdrückte sie rechtzeitig – nur das Funkeln in ihren Augen konnte sie nicht verbergen. Merit sprach so, als ob sie Corvinus einen Gefallen damit tat, dass sie ihn besuchte, und er besser zu kommen hatte – nicht als ob sie seine Sklavin war. Aber Siv sparte es sich, sie darauf hinzuweisen. "Ich gehe muss, noch tun. Wenn du brauchen, dann ruf." Irgendetwas sagte Siv, dass die kleine Ägypterin kaum nach ihr rufen würde, selbst wenn sie etwas brauchte, aber wenn sie wirklich so stolz war wie Siv vermutete, dann musste sie da durch. Die Germanin nickte ihr noch einmal zu und verschwand dann, um sich dem Garten zu widmen.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Am Abend ~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Siv werkelte den ganzen Nachmittag im Garten herum. Matho war nirgendwo zu sehen, vermutlich gerade in der Stadt unterwegs, und Corvinus wollte auch nichts von ihr, also stand es ihr frei, sich den Aufgaben zu widmen, die sie am liebsten mochte – und das war nun mal eindeutig der Garten. Inzwischen hatte sie sich auch reichlich Wissen darüber angeeignet, wie die südlichen Pflanzen zu versorgen waren, die sie bisher nicht gekannt hatte, und sie war nach wie vor fasziniert von der Vielfalt, die es im Pflanzenreich gab – und dabei waren in dem Garten nur ein Bruchteil der Pflanzen, die es bei ihr zu Hause gab, und sie ging davon aus, dass es sich mit den Gewächsen aus anderen Gegenden genauso verhielt.
Erst als es dunkel wurde, ging sie ins Haus, und auf dem Weg zu den Schlafunterkünften kam sie am Atrium vorbei – wo sie eine kleine, bekannte Gestalt sah. "Merit?" Siv runzelte die Stirn und trat verwundert näher. Es war tatsächlich die Ägypterin, die nach wie vor hier war. "Wieso du hier bist? Corvinus nicht gekommen?"
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Merit-Amun nickte lediglich auf das Angebot Sivs hin. Auch, wenn sie wusste, dass sie es nicht annehmen würde. Nicht einmal, wenn sie halb am Verdursten wäre. Zumindest glaubte sie das zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch, aber es war schließlich auch noch nicht soweit, dass Merit dem Verdursten nahe war.
Für's erste zog sie die Brauen nach oben und starrte Siv nur an. "Nicht darf sitzen Sklave? Wie komische Römer", stellte sie sarkastisch fest, ging hinüber und setzte sich schwungvoll auf die gepolsterte Bank. War ihr doch egal, ob jemand sich aufregte, nur weil sie sich hier setzte. Viel schlimmer als die Strafe, die sie ohnehin schon erwartete, konnte es schließlich nicht werden, wenn man sie erwischte. Zu Siv gewandt, nickte Merit-Amun nur wieder und sah der weißen Sklavin hinterher, während sie verschwand. Was folgen sollte, war eine zermürbende Zeit des Wartens.
Während Merit-Amun dasaß und wartete, kamen ab und an geschäftig wirkende Slaven durch das atrium. Einer war bärtig und zottelig, wieder einer wirkte eher wie eine Frau denn ein Mann, eine Sklavin sprach mit sich selbst und eine andere trällerte ein Lied, während sie frische Wäsche trug. Es schien alles normal zu sein, wie immer, keiner nahm Notiz von ihr und keiner störte sich an ihr. Merit fühlte ganz deutlich, dass sie hier nicht hingehörte, dass sie niemals hierher gehören würde. Als die Dämmerung näher rückte, was sie am Himmel in der Dachöffnung erkennen konnte, war der Herr und mit ihr die Strafe immer noch nicht gekommen. Ein vager Hoffnungsschimmer bemächtigte sich Merits Geist: Vielleicht hatte er sie vergessen und sie würde noch ein paar Stunden zu leben haben. Wieder etwas später kam Siv dann erneut vorbei, und es wäre gelogen gewesen, hätte Merit behauptet, nicht erleichtert zu sein. Die kleine Ägypterin stand auf und umschlang den Körper mit ihren Armen. "Nein. Nichts kam zu strafen", erklärte sie Siv und scharrte daraufhin ein wenig mit dem Fuß. "Du sagst, Essen gibst für mir? Ich magen. Mögen. Mögen jetzt", sagte sie scheu.
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Siv starrte die Ägypterin an und bemerkte kaum, dass diese ihre ablehnende Haltung inzwischen aufgegeben hatte. Corvinus war noch nicht aufgetaucht? Im ersten Moment war da einfach nur Verblüffung in ihr, aber allmählich machte sich Empörung breit. "Er war noch nicht hier? Bei jedem heruntergekommenen Boten tanzt er sofort hier an, und dich lässt er warten? Was fällt ihm eigentlich ein?" Dann wurde ihr bewusst, dass Merit sie nicht verstehen konnte, und sie wechselte die Sprache. "Er nicht hier sein, das, das… unmöglich sein! Er nicht haben sooo vieles arbeiten, dass nicht können kommt." Sie konnte sich nicht vorstellen, was Corvinus dazu gebracht hatte, diese Sklavin warten zu lassen, aber Tatsache war, dass er inzwischen mit Sicherheit Zeit gehabt hätte. Und selbst wenn er in Arbeit versunken wäre, irgendwann zwischendrin hätte er sicher einen Moment gefunden, um ins Atrium zu kommen. Nein, dass er nicht hier gewesen war, musste einen anderen Grund haben.
Sie zog eine Grimasse und winkte Merit erst einmal, ihr zu folgen. Jetzt hatte sie Hunger, oder zumindest war sie soweit, es zuzugeben und etwas anzunehmen, und das hatte Vorrang, so sehr Siv sich auch über Corvinus ärgerte. Gemeinsam gingen sie zur Culina, und während sie Niki und Merit einander vorstellte, machte Siv der Ägypterin etwas zu essen, stellte ihr eine Schüssel mit Suppe hin, dazu Brot, etwas Käse und einen Becher voll Wasser. Dann, während sie sich ihr gegenüber setzte, fiel ihr wieder ein, was Merit noch gesagt hatte. Strafen. Strafen? Irgendetwas musste sie also angestellt haben, sonst würde sie keine Strafe erwarten. Einen Augenblick grübelte Siv darüber nach, was das sein mochte, aber es konnte alles mögliche sein. Und zumindest für Siv war das auch egal, jedenfalls soweit es Corvinus’ Verhalten betraf. Nichts rechtfertigte es, jemanden einfach so warten zu lassen. Siv konnte es nicht ausstehen, nicht beachtet zu werden. Sie bekam nicht mehr ihren Willen wie früher immer, da hatte sie sich sehr umstellen müssen, und sie war inzwischen auf dem Weg dahin, was sie letztlich zu einer angenehmeren Zeitgenossin machte – aber nicht beachtet, ignoriert, als zu gering erachtet zu werden, das war etwas, was sie nie würde leiden können. Und dementsprechend konnte sie mit Merit mitfühlen in diesem Moment, regte sich über ihren gemeinsamen Herrn auf, weit mehr wahrscheinlich als die Ägypterin selbst. Sie musterte Merit-Amun, während sie aß, und platzte dann heraus: "Das nicht Recht ist. Dass, dass, er warten dir lasst. Egal was du getan. Ich soll holen Römer?"
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Siv starrte die Ägypterin an und bemerkte kaum, dass diese ihre ablehnende Haltung inzwischen aufgegeben hatte. Corvinus war noch nicht aufgetaucht? Im ersten Moment war da einfach nur Verblüffung in ihr, aber allmählich machte sich Empörung breit. "Er war noch nicht hier? Bei jedem heruntergekommenen Boten tanzt er sofort hier an, und dich lässt er warten? Was fällt ihm eigentlich ein?" Dann wurde ihr bewusst, dass Merit sie nicht verstehen konnte, und sie wechselte die Sprache. "Er nicht hier sein, das, das… unmöglich sein! Er nicht haben sooo vieles arbeiten, dass nicht können kommt." Sie konnte sich nicht vorstellen, was Corvinus dazu gebracht hatte, diese Sklavin warten zu lassen, aber Tatsache war, dass er inzwischen mit Sicherheit Zeit gehabt hätte. Und selbst wenn er in Arbeit versunken wäre, irgendwann zwischendrin hätte er sicher einen Moment gefunden, um ins Atrium zu kommen. Nein, dass er nicht hier gewesen war, musste einen anderen Grund haben.
Sie zog eine Grimasse und winkte Merit erst einmal, ihr zu folgen. Jetzt hatte sie Hunger, oder zumindest war sie soweit, es zuzugeben und etwas anzunehmen, und das hatte Vorrang, so sehr Siv sich auch über Corvinus ärgerte. Gemeinsam gingen sie zur Culina, und während sie Niki und Merit einander vorstellte, machte Siv der Ägypterin etwas zu essen, stellte ihr eine Schüssel mit Suppe hin, dazu Brot, etwas Käse und einen Becher voll Wasser. Dann, während sie sich ihr gegenüber setzte, fiel ihr wieder ein, was Merit noch gesagt hatte. Strafen. Strafen? Irgendetwas musste sie also angestellt haben, sonst würde sie keine Strafe erwarten. Einen Augenblick grübelte Siv darüber nach, was das sein mochte, aber es konnte alles mögliche sein. Und zumindest für Siv war das auch egal, jedenfalls soweit es Corvinus’ Verhalten betraf. Nichts rechtfertigte es, jemanden einfach so warten zu lassen. Siv konnte es nicht ausstehen, nicht beachtet zu werden. Sie bekam nicht mehr ihren Willen wie früher immer, da hatte sie sich sehr umstellen müssen, und sie war inzwischen auf dem Weg dahin, was sie letztlich zu einer angenehmeren Zeitgenossin machte – aber nicht beachtet, ignoriert, als zu gering erachtet zu werden, das war etwas, was sie nie würde leiden können. Und dementsprechend konnte sie mit Merit mitfühlen in diesem Moment, regte sich über ihren gemeinsamen Herrn auf, weit mehr wahrscheinlich als die Ägypterin selbst. Sie musterte Merit-Amun, während sie aß, und platzte dann heraus: "Das nicht Recht ist. Dass, dass, er warten dir lasst. Egal was du getan. Ich soll holen Römer?"
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Erschrocken zuckte Merit zusammen, als Siv fluchte. Zuerst dachte die Sklavin sie meinte sie, dann aber sprach Siv von Corvinus, und Merit entspannte sich wieder etwas. Sie verstand nicht alles, denn Siv sprach schnell und aufgewühlt und teilweise auch Germanisch, doch den Kern der Aussage verstand die kleine Ägypterin durchaus. Sie wollte etwas sagen, wusste aber nicht was, und war noch am Überlegen, als Siv schnaubte, ihr winkte und davonstieb. Merit-Amun wartete nur einen Herzschlag, dann folgte sie der Germanin durch das geräumige Haus und viele Gänge bis zur Küche, die sie am Geruch bereits erkannte. Ihr Magen knurrte vernehmlich und sie wechselte kurz einige Worte mit der griechischen Köchin, erfreut darüber, zumindest jemanden zu haben, mit dem sie etwas verständlicher sprechen konnte.
Stumm kauend und schluckend schaufelte sie die Schale Suppe ratzeputz leer, aß auch Brot und Käse auf und fühlte sich schließlich angenehm gesättigt. Ein wenig zufriedener lehnte sie sich dann zurück und seufzte, nur um erschrocken zusammenzuzucken und hastig den Kopf zu schütteln, als Siv vorschlug, ihren Herren zu holen. "Nicht gehen. Nicht. Bitte", stammelte sie leise und sah Siv aus großen Augen an. Bisher war es so gut gegangen, vielleicht würde es noch ein paar Stunden gutgehen... Sie schob ihre leere Schüssel ein wenig näher zu Siv hin und schnitt ein anderes Thema an. "Ich...ich mehr?"
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Siv regte sich innerlich immer noch darüber auf, aber nachdem die erste Empörung sich gelegt hatte, bemerkte sie, dass die Ägypterin eigentlich ganz froh war, dass Corvinus nicht aufgetaucht war. Was die Germanin wieder rätseln ließ, was wohl passiert war, dass sie zwar hier auftauchte, Corvinus aber offensichtlich nicht wirklich gegenüber treten wollte. Schweigend hörte sie, wie Merit mit Niki ein paar Worte wechselte in der Sprache, die sie inzwischen immerhin als Griechisch erkannte, und ebenso schweigend saß sie anschließend Merit gegenüber und ließ ihr Zeit, das Essen zu vertilgen, das erstaunlich schnell weg war – bis auf eben diese eine Frage. Siv konnte nicht einmal so genau sagen warum, aber es störte sie einfach, dass Corvinus die kleine Ägypterin offenbar so gering achtete. Dass er zu solchen Mitteln griff. Sie hätte sich das nicht gefallen lassen, von keinem, egal um welche Strafe es gegangen wäre. Aber Merit-Amun reagierte deutlich auf ihre Frage, und nachdem sie sie einen Moment lang aus großen Augen angesehen hatte, seufzte Siv schließlich und nickte. "In Ordnung. Also dann nicht… Ist gut. Ich nicht gehe zu, zu Römer."
Sie lächelte Merit an und nickte dann. "Ja, natürlich." Sie nahm die Schale und füllte sie erneut mit Suppe. An Essen mangelte es ihnen in der Villa der Aurelier nicht, soviel musste man diesen Römern immerhin lassen – genauso wenig wie an irgendwelchen anderen Dingen, die für das tägliche Leben benötigt wurden, und sogar ein wenig darüber hinaus, was zum Beispiel Baden und dergleichen anging. Da gab es für die Sklaven fast schon wieder zu viel, Sivs Geschmack nach jedenfalls. Ihr hätte es gereicht, ab und zu draußen in den Teich zu springen, ohne Seife – obwohl man damit recht gut spielen konnte – und erst recht ohne irgendwelche Duftmischungen und Öle und ähnliches. Nur die Tinkturen für die Haare nutzte Siv gern und ausgiebig, aber das war auch das einzige, den Rest nutzte sie zwar, aber eher sparsam. Zusammen mit einem neuen Stück Brot stellte die Germanin die Schüssel erneut vor Merit auf den Tisch, bevor sie sich wieder setzte. Einen Moment musterte sie sie, dann nahm die Neugier schließlich überhand. "Warum du bist hier? Du sein lange… fort gewesen, warst fort… sein weg, für lange. Warum du hier, jetzt, bist, und Corvinus ohne wissen? Und warum du, du haben, hast Angst? Und du hast Angst, das klar", fügte Siv noch an, bevor Merit die Gelegenheit hatte zu widersprechen.
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Die Anspannung fiel jäh von ihr ab, als Siv schließlich versprach, Corvinus nicht holen zu gehen. Sie schloss einen Moment die Augen und war einfach nur dankbar darüber. Als sie sie wieder öffnete, fand sie einen neuen Teller Suppe vor sich, und etwas langsamer und bedächtiger als zuvor begann sie zu essen. Die Suppe war gut, besser als Brühe von ausgekochten Knochen. Es befand sich Gemüse darin und sogar ein wenig Fleisch, wenn auch nicht viel. Während Merit löffelte, herrschte Schweigen in dem geräumigen Raum. Niki werkelte nebenan in einer kleinen Kammer - wohl die Speisekammer - und Siv sah ihr nachdenklich zu. Merit-Amun hatte die Schale beinahe wieder geleert, da stellte sie plötzlich wieder eine Frage, die die kleine Ägypterin innehalten und aufsehen ließ, den Löffel auf halbem Weg zum Mund erstarrt. Schon wollte sie widersprechen, doch Siv hatte auf das bedacht, und so klappte Merit ihren Mund wieder zu und ließ den Holzlöffel langsam sinken.
Eine geschlagene Minute starrte sie in die Suppe, sich fragend, ob es eine Rolle spielte, wenn sie Siv erzählte, was geschehen war. Im Grunde machte es keinen großen Unterschied, es würden wohl ohnehin bald alle erfahren. Und Siv hatte sich als recht freundlich und nett herausgestellt. Merit-Amun seufzte tief. "Ich Angst wegen Strafe weil ich verdienst und weiß, dass muss kriegt bestraft", flüsterte sie und hob langsam den Blick, um Siv anzusehen. Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen, lächelte dann gequält. "Sklave das lauft weg nichts anders bekommt." Sie griff nach dem Brot und begann, es in die Schale zu krümeln. Einfach, damit sie etwas zu tun hatte. "Rhomäer ge..genommen? Genommen mich in Land wo geht für Wissen. Nicht weiß wie heißt in Rhomäersprache....ist Land wo kommt Niki", erklärte sie und meinte natürlich Griechenland. "Wenn es gibt guter Möglichkeit zu...verschwinden...sein weg, ich weg. Gegeht zu Hause zu mein Land. Mein Heimat, Ägypten. Rhomäer nicht mich finden. Nicht... bis nun. Ich un...ungescheckt...geschickt auf Markt, nehmen Geld von reiches Mann und werden beobachtet von Sklave von hier." Merit sprach nun immer hastiger. Es tat ihr wider Erwarten gut, zu erzählen, und das tat sie auch, in dem ihr eigenen, Singsang ähnlichen Latein. "Heißt Menas. Er nett ist, aber mag Rhomäer. Er nehmt mich mit, mit Schiff. Er gebringt mich hier. Und jetzt habe Angst ich, weil vor Zorn von Rhomäer. Wegen weglauft vor...vor vieles Jahre. Ich ganz schrecklicher Angst." Merit-Amun zog eine Grimasse und seufzte tief. ganz ins Detail gegangen war sie nicht, aber Siv konnte nachfragen, wenn sie mehr wissen wollte. Nur hatte Merit jetzt schon erhebliche Schwierigkeiten mit der Sprache, wie sicher auch Siv bewusst war.
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Die Überraschung war Merit deutlich anzusehen, kaum dass Siv ihre Frage gestellt hatte, aber es dauerte ein Weilchen, bis die Ägypterin antwortete, und Siv war sich gar nicht sicher, ob sie am Ende nicht doch darauf bestand, dass es ihr gut ging und sie weit davon entfernt war, Angst zu haben – oder ob sie überhaupt antworten würde. Sie selbst jedenfalls hätte so reagiert. Siv musterte die andere schweigend und wartete einfach erst mal ab, und schließlich kam ein Seufzen, und Merit-Amun erzählte, was sie bedrückte. Die Germanin zog die Beine an und setzte sich mit gekreuzten Beinen auf die Bank, während sie der anderen Sklavin zuhörte. Auch wenn es ihr nicht leicht fiel, den Worten in dem fremdartigen Akzent zu folgen, stellte sie doch fest, dass sie Merits Aussprache mochte. Aber das bemerkte sie nur nebensächlich. Viel zu sehr beschäftigte sie das, was sie hörte. Merit war also geflohen, vor Jahren? Geflohen… Möglich war es also, zu fliehen. Aber Merit war erwischt worden, und nun war sie wieder hier. Siv brannten weniger Fragen nach der Flucht auf der Zunge, als sie selbst geglaubt hätte, aber darüber dachte sie gerade nicht nach. Im Moment sah sie nur Merit vor sich, die in sich zusammengesunken zu sein schien, und Siv hatte das Bedürfnis, ihr zu helfen. Sie verstand, warum Merit so trotzig gewesen war, verstand, warum sie Angst hatte, auch wenn sie nicht glaubte, dass sie wirklich Grund dazu hätte. Wenn Corvinus wütend gewesen wäre, hätte er anders reagiert, als Siv ihm davon erzählt hatte, dass Merit da war – aber sie warten zu lassen, obwohl er doch genau wissen musste, wie sich die kleine Sklavin fühlen würde…
Siv veränderte wieder die Position ihrer Beine und kniete jetzt auf der Bank, die Zehen aufgestellt, die Oberschenkel auf den Unterschenkeln, der Rücken durchgedrückt. Wieder sprühte Empörung aus ihren Augen. "Er sollte dich nicht warten lassen. Er nicht lasst warten, das sein, sein, das ist nicht Recht. Das ist, ist, gemein das ist!" Ihr war durchaus klar, dass das an sich schon eine Form von Strafe war, aber es war gemein, jedenfalls in ihren Augen – sollte er Merit doch alle möglichen unangenehmen Arbeiten geben, und das für die nächsten Wochen, aber sie so in der Unsicherheit hängen zu lassen… Siv war drauf und dran, nun doch zu Corvinus zu gehen und ihn herzuholen, in die Culina, wenn es sein musste, aber sie erinnerte sich noch rechtzeitig an Merits Bitte zuvor, und an ihren Gesichtsausdruck, und die anschließende Erleichterung. Offenbar dachte sie, dass die Strafe, die sie erwartete, schlimmer war als das Warten, und ihre nächsten Worte bestätigten das. Jetzt war es Siv, die seufzte. "Hör mal… Corvinus nett. Er nicht, nicht… er gibt Strafe, ich denke, aber… nicht schlimm Strafe. Und er… früher, als ich sein zu ihn, er nicht hat Zorn. Er nur… hat überrascht. Du nicht musst Angst hat."
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"Er Römer. Er tun was will. Weil er kann", erwiderte Merit ironisch und zog eine Grimasse. Merit hatte ihren Herrn nicht lange genug kennen gelernt, um sich ein Bild über dessen Charakter bilden zu können. Daher wanderten ihre Augenbrauen nun fragend nach oben, als Siv davon sprach, dass Corvinus nett sei. Wie konnte ein Römer nett sein? Für Merit war das unvorstellbar. Gut, Menas war auch ein Römer. Aber er war auch ein Sklave, und kein reicher Patrizier... Da musste es doch einen Unterschied geben! Vielleicht war Siv aber auch nur zulange in diesem Haus und damit den Römern zu lange ausgesetzt, als dass sie noch unbefangen wirken konnte. Vielleicht sollte sich Merit besser nicht mit ihr abgeben. Das letzte, was sie wollte, war sich kampflos zu fügen in ein Dasein, dass sie nicht wollte. Ob Siv ihre Heimat bereits vergessen hatte?Schließlich schien sie ganz die brave Sklavin abzugeben.
"Nett? Er Rhomäer, und Rhomäer nicht nett. Rhomäer brutal und nur denken an sich selbst. Ich nicht glaubt dass überrascht und kein Zorn. Überrascht vielleicht, nichts böser aber nicht." Davon war Merit überzeugt. Und bewies die Wartezeit nicht, dass er sauer war? "Früher? Was hat du getan?" wollte sie wissen. Merit griff nach dem Löffel und begann, damit zu spielen. Es war schon eine komische Situation: da war sie vor Jahren geflohen, wurde von einem Sklaven in Ägypten aufgegriffen und saß nun in einer römischen Küche und sprach mit einer Germanin über den verhassten Herren. Trotzdem mochte sie Siv. Die hellhäutige Sklavin schien nicht gutzuheißen, dass Corvinus sie warten ließ. Außerdem wirkte sie nervös, wie sie ständig das Gewicht auf ihren Beinen verlagerte. Merit wusste nicht, was sie von Siv halten sollte. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihr. "Ich müde", sagte Merit dann plötzlich.
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Merit-Amun glaubte ihr definitiv nicht, was Corvinus betraf. Und ihre heftigen Worte trafen Siv. Wo war ihr eigener Wille hin, der Wille sich nicht zu abzufinden, sich nicht zu fügen, sich nicht zu unterwerfen? War sie noch sie selbst, hatte sie es irgendwie geschafft, sich selbst zu bewahren, obwohl sie sich inzwischen doch, wenigstens einigermaßen, eingefügt hatte und das tat, was von ihr erwartet wurde? Oder bedeutete das schon, dass sie aufgegeben hatte? Siv wusste es nicht. Sie fühlte sich wohl, im Großen und Ganzen, sie hatte Freunde gefunden, und auch wenn ihr selbst es nicht so bewusst war, tat es ihr doch gut, ein festes Gefüge zu haben, ein paar Regeln, nach denen sie schlicht leben musste. Sie war ruhiger geworden in der letzten Zeit, nicht viel, aber in manchen Situationen machte es sich doch bemerkbar, positiv sowohl für sie als auch für andere. Siv selbst war das bisher nicht wirklich bewusst geworden, sie spürte nur, dass ein Leben als Sklavin nach wie vor nicht unbedingt das war, was sie wirklich wollte, aber dass sie gegenwärtig eigentlich ganz zufrieden war. Es gab immer noch Momente, in denen sie sich aufregte über Römer, Momente, in denen sie Heimweh hatte und Sehnsucht danach, einfach frei zu sein und tun zu können, was sie wollte – aber diese Momente waren weniger geworden. Und sogar ihr war klar, dass sie auch zu Hause nicht immer hatte tun können, was sie wollte, nicht mehr in den letzten Jahren – und das hätte sich fortgesetzt, spätestens wenn sie wieder geheiratet hätte. Sie hätte kaum darauf hoffen können, ein zweites Mal einen Mann wie Ragin zu bekommen.
Jetzt aber, durch Merits Verhalten, durch ihre Worte, brachen alte Wunden wieder auf, kam alter Groll hoch, gemischt mit Unsicherheit und Zweifeln und Zerrissenheit über das eigene Verhalten, die Situation, die relative Zufriedenheit, die Siv empfand. So wie die Ägypterin sprach, hatte sie vor noch gar nicht allzu langer Zeit selbst geredet und gedacht. Der Kampf in ihr, den ihre wilde, trotzige Seite focht mit der, die durchaus anerkannte, dass ihr Leben in Rom nicht wirklich schlecht war, dass sie vieles hatte, womit sie zufrieden sein konnte, dass ihr mehr Möglichkeiten offen standen als bisher – dieser Kampf war noch lange nicht vorbei, war höchstens in eine Phase des Waffenstillstands getreten, der in diesem Augenblick aber beendet wurde. Die Germanin konnte auf Merits Worte kaum etwas erwidern, wusste nicht, was sie sagen sollte – die eine Seite in ihr gab ihr recht, die andere nicht, und Siv, mittendrin, konnte sich einfach nicht für eine entscheiden, wusste aber genauso wenig, wie sie diese beiden Seiten miteinander vereinen konnte – was sie irgendwann würde tun müssen, wollte sie diesen Kampf wirklich beenden, ohne entweder aufzugeben oder zu verbittern und in beiden Fällen unglücklich zu werden. Nur eines konnte sie mit Gewissheit sagen: "Corvinus nett. Er… manche mal, er… ist komisch. Manche mal, er ist Römer. Und nicht nett ist, dass lasst warten du. Aber andere mal, er einfach Mensch, ist normal, lacht und Spaß. Und redet." Siv zuckte hilflos die Achseln. Sie konnte so schlecht ausdrücken auf Latein, was sie wirklich meinte. Dass es einfach keine Rolle spielte, dass Corvinus Römer war, wenn sie zusammen waren, mal abgesehen von den Gelegenheiten, bei denen er sie wirklich wie eine Sklavin behandelte – was selten genug vorkam.
Dann runzelte Siv kurz die Stirn, als es ein Missverständnis gab. "Wie, ich getan?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich nichts getan. Ich, früher… vor, vor… wenn du kommen hier, ich geht zu Corvinus – da früher. Ich gesagt ihn du da – und er nicht Zorn." Sie zuckte erneut andeutungsweise die Achseln und lehnte sich etwas zurück. Ob Merit-Amun ihr glaubte oder nicht, konnte sie nicht beeinflussen, das hing von der anderen ab. Aber warum Corvinus die Ägypterin warten ließ, verstand Siv nicht – im Grunde war ihr klar, was er damit bezweckte, aber wirklich wahr haben wollte sie es nicht. Als Merit schließlich meinte, dass sie müde war, versuchte Siv sich wieder an einem Lächeln. "Ich dir zeige, wo können Schlaf du." Sie erhob sich und winkte der Ägypterin, ihr zu folgen, führte sie durch die Gänge zu den Unterkünften, wo die Sklavinnen schliefen, und deutete auf ein freies Bett. "Wenn du Wasch willst, du könnst da", Siv deutete auf die Tür, die zum Baderaum der Sklavinnen führte, und lächelte Merit noch einmal zu. "Ich auch schlafen hier, aber ich gehe, müss tun was."
~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Wenig später ~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Siv ging mit schnellen, leichten Schritten erneut durch die Gänge. Kurz musste sie schmunzeln, als sie daran dachte, wie sie anfangs hier herumgeirrt war, ähnlich wie Merit-Amun es wohl die nächsten Tage tun würde, aber der Gedanke verflog schnell wieder. Sie hatte der Ägypterin zwar gesagt, dass sie nicht zu Corvinus gehen würde, aber sie konnte nicht anders – sie war viel zu aufgewühlt, um jetzt zu schlafen, und sie störte sich noch immer zu sehr daran, dass er Merit warten ließ, um nicht zu ihm zu gehen. Und eigentlich hatte die kleine Ägypterin ja nur gewollt, dass sie Corvinus nicht holte, nicht dass sie nicht zu ihm ging. Und holen würde sie ihn ja nicht. Sie würde ihn nur fragen, was das sollte.Als sie vor Corvinus’ Cubiculum angekommen war, hielt Siv sich nicht lange mit Klopfen auf. Der Weg hierher mochte nicht lang gewesen sein, aber er hatte ausgereicht, dass Siv die Empörung in sich wieder angestachelt hatte. Ohne zu klopfen riss sie die Tür auf und wirbelte in das Gemach hinein – und blieb dann zunächst wie angewurzelt stehen, als sie Corvinus sah. Er war offenbar dabei ins Bett zu gehen, jedenfalls zog er sich gerade seine Tunika über den Kopf, und ihr Blick sog sich wie von selbst an seinem Körper fest. Unwillkürlich öffnete sich ihr Mund ganz leicht, und ihre Zungenspitze fuhr über die Oberlippe. Dann, sich darüber bewusst werdend warum sie eigentlich hier war, riss sie sich von dem Anblick los – allerdings einen Moment zu spät, als dass es nicht hätte auffallen können – und sah in Corvinus’ Gesicht. "Warum du sie lasst warten? Was soll das, warum machst du so was? Hast du eine Ahnung wie sie sich fühlen muss?"
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Nach einem erfrischenden Mahl - Niki hatte eine neue Kreation ausprobiert - hatte ich mich in mein Zimmer zurückgezogen, um noch ein wenig zu lesen. Mit einem Stück eines wenig bekannten Autors in der Hand hatte ich noch den einen oder anderen Becherwein genossen, ehe es Zeit für mich wurde, ins Bett zu gehen. Nachdem das Schriftstück gut verstaut auf meinem Schreibtisch lag, hatte ich alle Lichter im Raum bis auf die Öllampe neben meinem Bett gelöscht und stand nun mitten im Raum, wo ich mir soeben die tunica über den Kopf zog. Der dunkle Stoff verdeckte mein Sichtfeld noch, als Siv bereits im Raum stand. Kaum hatte ich mich befreit, starrte ich sie entgeistert an. Sie hatte nicht geklopft. Und überhaupt - was wollte sie denn hier? Schon glaubte ich, zu wissen, weshalb sie gekommen war, was mir zugegebenermaßen schmeichelte, als sie mich anfuhr. Kurz stand ich noch mit gerunzelter Stirn da, dann begab ich mich gemächlich zu meinem Bett, setzte mich auf dessen Rand, und wandte erst dort wieder den Blick zu Siv. "Wie?" fragte ich sie, noch ehe es mir wie Schuppen von den Augen fiel: Sie meinte Merit. Verwundert darüber, dass sie mich deswegen aufsuchte, musterte ich Siv. Ihr Germanisch bereitete mir noch Schwierigkeiten, daher verstand ich sie nicht. "Du meinst Merit? Meinst du nicht, dass sie es verdient hat? Immerhin hat sie mich jahrelang warten lassen. Hat sie dir das erzählt? Sie ist ein Früchtchen sondergleichen, Siv."
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Corvinus schien reichlich überrascht zu sein über ihr plötzliches Auftauchen, aber sie fand ihre Fassung schneller wieder als er, und als sie mit ihrem Anliegen herausgeplatzt war, reagierte er zunächst gar nicht. Einen Moment blieb er noch wo er war, dann bewegte er sich mit aufreizender Langsamkeit zu seinem Bett und setzte sich, und Siv wünschte sich, er hätte diese blöde Tunika noch an, weil sie sich dann wesentlich besser auf das konzentrieren könnte, weswegen sie eigentlich hier war. Mit ihm vor Augen, so wie ihn die Götter geschaffen hatten, fiel ihr das wesentlich schwerer, und sie musste sich anstrengen, ihren Blick auf seinem Gesicht zu lassen. Kurz überlegte, so noch mehr zu sagen, als Corvinus doch etwas sagte. Und jetzt war es an Siv, die Stirn zu runzeln. "Ja, Merit. Sie… Frücht…chen? Frucht? Wieso-" Siv hielt inne, als ihr bewusst wurde, dass das im Moment eigentlich egal war, was er denn mit Früchtchen genau meinte. "Sie erzählt ja. Dass gefliehen, dass Jahre vor, vor jetzt. Und davor, sie nicht eine Sklavin sein." Sie presste kurz die Kiefer aufeinander, aber so gern sie getan hätte, sie fing nicht mit einer Diskussion darüber an, ob es überhaupt rechtens war, Sklaven zu halten, jedenfalls solche, die zuvor ein freies Leben gehabt hatten und einfach eingefangen worden waren. Er dachte anders darüber, das musste er, sonst würde er kaum Sklaven haben, und davon abgesehen gab es vieles, was nicht gerecht war.
So blieb es bei diesem einen Kommentar – auch wenn Siv aus ihrer Sicht nicht viel falsches daran entdecken konnte, dass Merit geflohen war. "Sie jetzt hier ist, sie kommt, zu dich. Und du, du… lasst warten. Du, sie, das nicht ist schön, das… zu fühlen, so. Nicht wissen was sein, aber wissen das sein, sein abhängig, und sein mehr wenig Mensch, mehr wenig wert wie andere." Dass Siv im Moment nicht darüber redete, wie Merit sich fühlte, sondern wie sie selbst sich in so einer Situation fühlen würde, war ihr gar nicht klar. Aber das war ja auch der Grund gewesen, warum sie sich von Anfang an so sehr über Corvinus’ Verhalten aufgeregt hatte – weil sie von sich ausgegangen war. Während sie heftig gestikulierend gesprochen hatte, hatte sie die Tür hinter sich geschlossen und war in den Raum hinein gekommen. Jetzt glitt erneut ihr Blick über seinen Körper, und diesmal drehte sie sich entnervt um und griff nach seiner Tunika. Mit ein paar Schritten überwand sie die Distanz zum Bett und hielt sie ihm hin, während sie mit der anderen Hand schon wieder am Gestikulieren war. "Du das anziehst, bitte? Ich nicht kann so denken, oder, oder…" mich über dich aufregen – das sagte sie nicht laut, aber man musste sie nicht sonderlich gut kennen, um ihre Gedanken erraten zu können. "oder reden, oder so. Das ablenkt."
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