Eine dringende Angelegenheit

  • Die Pyrtanen hatten die Ekklesia zu diesem Tag einberufen. Nikolaos war daher bereits sehr früh von seinem Landhaus aufgebrochen, so dass er beim ersten Morgenrot die Stadt erreicht hatte und vor den meisten anderern Bürgern im Theatron war. Nur einige Männer waren auch so früh erschienen, wohl um sich gute Plätze zu sichern. Die Plätze der Pyrtanen waren noch leer. Nikolaos spürte ein unangenehmes Kribbeln im Hals und in der Brust. Er hatte sehr wenig geschlafen in der letzten Nacht. Es würde ihn einiges an Überwindung kosten, die Nachricht tausenden Bürgern mitzuteilen. Er musste auf jeden Fall verhindern, dass Unruhe entstand. Seine Epheben, die schon vor ihm im Theatron gewesen waren, denn er hatte sie sehr früh hierher bestellen lassen, verteilte er auf das Theatron. Sie sollten in ihrer Nähe die Menschen beobachten und deren Reaktionen auf die Rede, die Nikolaos bald halten würde. Langsam spürte der Exegetes eine Entspannung in seinem Körper. Er hatte im Reisewagen, hinter den Vorhängen, die ihn vor Blicken und vor Staub geschützt hatten, einige Krümel Opium geschluckt. Er hoffte nur, dass der Strategos bald mit der Stadtwache anrücken würde, aber ohne es mit der Präsenz der Stadtwache zu übertreiben. Dies würde die Bürger noch mehr beunruhigen, andererseits würde die bloße Anwesenheit der Stadtwache, wenn auch sie bisher nur leichtbewaffnet war, die Menge vor Aufruhr zurückschrecken lassen. Die Menge, in seiner zweiten Pyrtanie waren die meisten Bürger nur noch dies für ihn. Selbst die Pyrtanen betrachtete er inzwischen als willenlose Werkzeuge. Die Macht, so lächerlich sie in Nikolaos Fall angesichts der Macht der Rhomäer auch sein mochte, stieg ihm schneller zu Kopf als das Opium. Doch noch konnte er beides verbergen.

  • Natürlich erschien auch ich zur Ekklesia, besonders wo ich vermutete doch ein wenig Anteil daran gehabt zu haben, dass sie einberufen wurde. Die Anwesenheit der Stadtwachen sah ich sehr kritisch, was sollten sie hier? Gab es dazu einen Anlass? Ich würde darauf zu sprechen kommen.

  • Natürlich erschien auch ich, schließlich war das Zusammentreten der Ekklesia ein wichtiger Anlass, den es nicht zu verpassen galt. Mein Vater war bereits eingetroffen, ich setze mich neben ihn und wir unterhielten uns etwas. Er wies mich auf die Anwesenheit der Stadtwachen hin und machte mir seine Meinung darüber mehr als klar. Auch, wenn wir nicht oft einer Meinung waren, er hatte recht. Seine Meinung über die Anwesenheit der Legion teilte ich jedoch nicht so ganz. Sicher, formal hatte er recht, aber der Realität entsprachen seine Vorstellungen kaum.

  • Mithridates hasste die Ekklesia. Unzählige Menschen dicht zusammengedrängt, der Lärm, die immer etwas aufgeheizte Stimmung unter den Teilnehmern, und das alles nur, um den Bürgern die Illusion zu lassen, sie selbst bestimmten über das Schicksal der Polis. Und der heutige Anlass bot auch noch zusätzlich Grund zur Besorgnis.
    Von diesen Gedanken geplagt nahm der Agoranomos schließlich seinen Platz unter den Pyrtanen ein und begrüßte seine Kollegen.
    "Chaire werter Exegetes! Ich hoffe für uns alle, du findest heute die richtigen Worte", sagte er leise an Nikolaos gewandt. Daran, dass der Archipyrtan diese etwas undankbare Aufgabe zu übernehmen gedachte, bestand wohl kein Zweifel.

  • Inzwischen war auch der Agoranomos erschienen. Nikolaos bedachte ihn mit einem Nicken. "Chaire, Agoranome.", sagte er, ebenfalls leise. Dann näherte er sich dem hässlichen Zwerg noch weiter. Zwar war Nikolaos keineswegs auf Vertraulichkeiten mit diesem Mithridates aus, im Gegenteil, doch die Situation gebot es, dass er nun flüsterte. "Wie steht es um das Opfertier? Es würde mich beruhigen, wenn ich gleich heute einen Tag für das Opfer bekannt geben könnte." Nachdem er das geflüstert hatte, nahm er wieder einen gewissen Abstand zu dem Mann ein. Zwar gab der Agoranomos keine unangenehmen Körperausdünstungen von sich, dennoch fand Nikolaos ihn abstoßend.


    edit: Pleonasmus ausgemerzt.

  • Als sich ihm sein Kontrahent näherte, fragte sich Mithridates Castor einmal mehr, welche Gedanken sich hinter der scheinbar undurchdringlichen Fassade des Exegetes verbargen. Es wurde wirklich Zeit, diesen Nikolaos einmal in seinem privaten Umfeld zu bespitzeln und vielleicht auch das ein oder andere diffamierende Gerücht über ihn in Umlauf zu bringen.
    "Das Opfertier wurde besorgt und und wartet nun bei bester Pflege darauf, seiner Bestimmung entgegenzutreten", erwiderte Mithridates. "Ein prachtvolles Kalb im Übrigen!" Wenn sich der göttliche Iulianos damit nicht zufrieden gab, hatte er es wohl auch nicht verdient, von den Alexandrinern geehrt zu werden.

  • "Sehr gut.", antwortete Nikolaos knapp. "Dann werde ich in dieser Ekklesia einen Tag für das Opfer bekannt geben, wenn du nichts dagegen hast, ist dies der dritte Tag nach dem heutigen." Zwar erwartete Nikolaos keinen Widerspruch, er hatte sich schon darauf versteift, das Opfer dann, und genau an diesem Tag abzuhalten, doch er hielt es für klug, dem ihm nicht wohlgesinnten Agoranomos das Gefühl von Mitbestimmung zu geben. "Weißt du im übrigen, wo sich der Strategos herumtreibt?", fragte Nikolaos, gänzlich respektlos in der Erwähnung des Strategos. "Er scheint seine Pflichten nicht so ernst zu nehmen, wie es nötig wäre. Vielleicht sollten wir Pyrtanen ihn in einem Koinon darauf hinweisen."

  • "Das Opfer so bald wie möglich durchzuführen, entspricht auch meinen Vorstellungen", sagte er, ziemlich sicher, dass sein Gesprächspartner nicht ernsthaft an seiner Meinung interessiert war.
    Auch Mithridates hatte sich schon über die chronische Abwesenheit des Strategos in den Versammlungen gewundert. Dennoch ließen ihn die etwas abfälligen Worte des Exegetes aufhorchen, denn bisher hatte er den Ägypter für einen besseren Lakaien des Nikolaos Kerykes gehalten.
    "Solange er nur dafür sorgt, dass die Stadtwachen in angemessener Zahl erscheinen und die Situation im Griff haben!" antwortete der Agoranomos, wobei sein Blick ein wenig besorgt über die Ränge schweifte.

  • "Nun gut.", murmelte Nikolaos und strich sich mit den Fingern über die Stirn. "Dann werde ich nun beginnen. Ich denke nicht, wir sollten es noch weiter hinauszögern, eine Unruhe bei den Bürgern ist das nicht, was in unserem Sinn sein kann." Er nickte dem Agoranomos zu und wandte sich dann von ihm ab. Mit einer plötzlich sehr aufrechten und würdevollen Haltung betrat Nikolaos die orchestra. In der Nähe des Altares stellte er sich auf und sah über die Ränge hinweg. Der große Ansturm auf die Plätze schien vorrüber zu sein, nur noch vereinzelt kamen Nachzügler. Er räusperte sich.
    "Polites! Wir sind heute hier zusammengekommen aus einem traurigen und erschütternden Anlaß." Er legte eine Pause ein, um etwas Spannung zu erzeugen. Schließlich war ein Beamter auch nicht viel mehr als ein Schauspieler, und das Volk wollte gut unterhalten werden. "Im Kampf gegen die Feinde der Polis Rom, der Freundin der Polis Alexandria, hat der göttliche Basileus sein Leben als Sterblicher gegeben und ist zurückgekehrt in den Kreis der Unsterblichen." Eine weitere Pause. "Wir werden dem göttlichen Basileus in drei Tagen im Kaisareion ein Opfer bringen, auf dass er auch als Unsterblicher über die Rhomäer und über die Freunde der Rhomäer, über uns, wacht und seine Hand schützend legt. Auf der Agora wird eine Prozession zum Tempel beginnen. An diesem Tag soll niemand in Alexandria Unzucht, Säuferei oder Glücksspiel betreiben. Auch soll die Straße von der Agora zum Kaisareion frei gehalten werden von allem, was unwürdigen Lärm erzeugt." Wieder eine Pause. "Zwar ist unsere Trauer nicht zu lindern, doch zumindest unser aller Sorge kann getröstet werden. Der göttliche Basileus hat einen Nachfolger bestimmt, Ilpios Ailianos Valerianos. Es ist unsere Pflicht, diesen gütig zu stimmen, auf dass die Freundschaft zwischen Rhomäern und unserer Polis weiterhin blühe. Sobald er eine Reise in die benachbarte rhomäische Kolonie macht, werden wir ihm alle Ehre erweisen, die seiner gebührt." Er blickte sich in den Reihen um. Beinahe hätte er gelacht. Doch das verkniff er sich, es hätte die Wirkung der pathosschwangeren Rede zerstört. Inzwischen hatte Nikolaos gut gelernt, heiße Pathosluft in leere Worte zu blasen. Er war einigermaßen zufrieden mit sich.

  • Mithridates verfolgte die Ansprache von seinem Platz aus. Bei aller Abneigung, die er dem jungen Redner gegenüber empfand, kam er doch nicht umhin, diesem gewisse Fähigkeiten in den Bereichen Rhetorik und Schauspielerei zu attestieren.
    Als Nikolaos schließlich zum Ende kam, warteten der Agoranomos und seine Sitznachbarn gespannt auf die Reaktion der Menge. An einigen Stellen des Versammlungsortes schien zwar leichte Unruhe aufzukommen, doch solange die Wortführer und Aufrührer die Massen nicht anstachelten, sollte auch diese Ekklesia ordungsgemäß ablaufen.
    Und die schlimmsten Demagogen der Polis waren ja sowieso im Koinon anzutreffen.

  • Nikolaos wartete die Reaktionen auf seine Rede ab. Es gab, was ihn beruhigte, keine Entrüstungsstürme, keine Hetzreden gegen die Rhomäer. Alles blieb sehr ruhig. Ohnehin schien dieses Thema eher wenige Bürger zu interessieren, das Theatron war nicht einmal ganz gefüllt. Als die Unruhe bei den Zuhörern nach seiner Rede wieder abgeschwollen war, begann Nikolaos mit seinem Schlusswort."Polites! Kommt in drei Tagen an die Straße von der Agora zum Kaisareion und erscheint in schwarzen Gewändern. Wir wollen gemeinsam trauern und das Opfer für den Göttlichen abwarten. Nun aber laßt uns auseinandergehen und im Stillen den Göttlichen ehren." Nikolaos wartete einen Moment. Die ersten Bürger erhoben sich und brachen auf. Dann kehrte auch Nikolaos von seinem Platz neben dem Altar in der orchestra zu den Plätzen der Pyrtanen zurück.

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