atrium | Ankunft des Nero Claudius Tucca

  • [Blockierte Grafik: http://i173.photobucket.com/albums/w57/miimii85/x%20other%20stuff%20x/sharifds4.jpg] | Sharif


    Mit gemäßigten Schritten ging der Ianitor voran und führte den Besucher und seinen Sklaven ins atrium. Dieses war heute durch die Strahlen der Frühlingssonne in ein besonders angenehmes Licht eingehüllt. Allerdings blieb diese harmonische Atmosphäre dem stumpfsinnigen Sharif verborgen. Für solche schönen Dinge hatte er keinen Blick, er verrichtete nur seine Arbeit. Im atrium angekommen, deutete er auf eine marmone Bank. "Bitte warte hier. Ich werde den Hausherren über deine Ankunft informieren." Während er sich auf den Weg zu Claudius Menecrates machte, nickte er kurz einer jungen Sklavin zu, die sich in der Zwischenzeit um den Ankömmling kümmern sollte. Diese verstand sofort und trat gleich an den Gast heran. "Herr, kann ich dir etwas zu Trinken anbieten?"

  • Tuktuk folgte dem Sklaven und ich Tuktuk, und weil ich jeden Schritt zählte, zog die Welt der Villa an mir vorbei, ohne dass ich viel davon mitbekam. Für schöne Dinge hatte ich auch keinen Blick. Im Atrium angekommen verließ uns der Türwächter und wir blieben stehen. Tuktuk sagte kein Wort und ich hörte in den Raum hinein. Das Wasser im Impluvium plätscherte sanft vor sich hin, links ein Stück in einen Gang öffnete sich eine Tür, eine zierliche Person trat heraus und entfernte sich vom Atrium. Eine Sklavin vielleicht, wer wusste das schon. Es würde vermutlich eine Weile dauern, bis ich all die fremden Gangarten zuordnen konnte. Vorausgesetzt, ich würde bleiben. Von der anderen Seite her schreckte mich auf einmal eine Frauenstimme aus meinen Überlegungen. Natürlich war man in einer patrizischen Villa nie allein, doch diese Villa war für mich ein großer, leerer Fleck und ich versuchte noch, mich halbwegs zu orientieren, so dass ich die leisen Schritte erst kurz vor der Frage vernommen hatte.

    "Nein, danke, ich habe keinen Durst."


    Die Wahrheit war das nicht unbedingt, aber meine Gedanken waren in diesem Augenblick nicht mit meinem Körper in Einklang. Ich hatte selten Probleme mit mir und meiner Welt. Sie war nun einmal so, wie sie war, und ich versuchte nicht ständig einen Sinn dahinter zu finden. Ich hatte nie das Gefühl, etwas zu verpassen. Doch es ist eine Sache, wie du dich selbst siehst - vor allem, wenn du dich sowieso nicht siehst -, jedoch eine ganz andere, wie andere dich sehen, vor allem die Familie, die Menschen, die um dich herum sind. In Ravenna hatte ich mich nie versteckt, doch wenn ich ehrlich war, hatte ich mich lange in Ravenna vor Rom und dieser Familie versteckt. Ich war ein mündiger Bürger, konnte auf mich selbst achten und brauchte niemanden, traf meine eigenen Entscheidungen. Trotzdem hatte ich die Befürchtung, sie würden mich wieder fort schicken, denn viele Menschen erlagen dem Irrtum, das Leben habe keinen Sinn, wenn man keinen visuellen Sinn mehr hat. Der einzige Nutzen, den ich für diese Familie hatte, war, dass ich nicht davor zurückschrecken würde, die hässlichste Frau der Welt zu heiraten, wenn man mich darum bat. Allerdings hatte ich mir vorgenommen, nie wieder zu heiraten, womit ich dann im Grunde völlig nutzlos war.


    So stand ich völlig nutzlos im Atrium, zögerte, nahm dann aber doch meine Hand von Tuktuks Schulter, der etwas zur Seite trat, womit ich nicht nur völlig nutzlos, sondern auch völlig hilflos im Raum stand. Natürlich würde ich mich umdrehen und meinen Weg zur Tür zurückverfolgen können. Doch jede verbale Aufforderung Platz zu nehmen, einem Sklaven zu folgen oder dem Hausherrn entgegen zu gehen würde mich vor ein nicht unbeträchtliches Hindernis stellen. Ich mochte diese Aussicht nicht. Doch ich vertraute darauf, dass Tuktuk wenn ich ihn brauchte genau da stand, wo er immer stand, wenn ich ihn brauchte, seitlich, ein Stück vor mir. Dennoch war mir unwohl. Nicht meinetwegen, sondern weil ich keine Ahnung hatte, wie Menecrates auf meinen Wunsch in Rom zu bleiben reagieren würde. Ich glaube, ich bin auf Menecrates Hochzeit gewesen, aber vielleicht war es auch eine andere. Vermutlich habe ich in meinem Leben mit der alten Vespa aus Ravenna mehr Worte gewechselt als mit meinem Vetter. Und die alte Vespa war in ganz Ravenna für ihre Schweigsamkeit bekannt.

  • Das Alter forderte mehr und mehr seinen Tribut und so fand der Ianitor den Hausherren schlafend vor, als er die Ankunft des nahen Verwandten melden wollte. Nichts rührte sich hinter der geschlossenen Tür, ein gleichmäßiges Grunzen zeugte vom ausnehmend guten Schlaf, in den Menecrates versunken war. Jedes Hämmern an das massive Holz blieb ohne Erfolg, ein Rufen verklang ungehört. Sharif runzelte missmutig die Stirn, denn er wusste aus Erfahrung, dass Menecrates auf das nunmehr notwendige Rütteln an der Schulter äußerst gereizt reagieren würde. Er seufzte, bevor er eintrat, winkte eine Sklavin herbei und bat sie flüsternd, einen Becher Wein bereitzuhalten, um ihn sofort nach dem erwachen dem Herrn unter die Nase zu halten. Nicht immer gelang dieses Ablenkungsmanöver, aber man würde sehen…


    Auf das Rütteln hin folgte - wie erwartet - eine unwirsche Armbewegung, die unglücklicher Weise den dargereichten Becher mit einem Salto auf die Bettdecke beförderte, wo der klebrige Rebensaft alsbald versickerte.


    "Was zum Hades…!", setzte Menecrates an, bevor er auf den Rest der Erklärung achtete, die der Ianitor eiligst hervorbrachte. Hier wollte also jemand zu ihm, seinem Vetter.


    Während sich Menecrates ankleiden ließ, ging er in Gedanken die Palette der möglichen Claudier durch, die ihn als Vetter bezeichnen könnten. Bald darauf gab er das unsinnige Unterfangen auf, denn die Liste der Kandidaten nahm kein Ende. Nachfragen wollte er aber auch nicht mehr. Am, Ende würden die Sklaven noch an seiner Auffassungsgabe zweifeln.


    Entsprechend missmutig gelaunt, wenngleich auch durchaus neugierig betrat er wenig später das Atrium und musterte den Besucher. Um sich jedoch keine Blöße zu geben, trat er auf ihn zu, breitete die Arme aus und fasste ihn an der Schulter.


    "Willkommen in Rom, Vetter!", begrüßte er den ihm vom Angesicht unbekannten Mann und hoffte auf eine spätere Auflösung des Rätsels.

  • Als ich so im Atrium herumstand, kam mir der Gedanke, dass es vielleicht ein bisschen töricht gewesen war, um diese Zeit nach Menecrates zu fragen. Ich wusste, dass er Senator war, vielleicht war er gar nicht zuhause. Dann aber näherten sich feste Schritte. Menecrates oder ein anderer Claudier, Sklaven bewegen sich anders. Im nächsten Moment hatte ich auch schon eine Hand an meiner Schulter und eine freundliche Begrüßung im Ohr. 'Willkommen in Rom, Vetter!', das hörte sich an wie 'Lass' deine Truhen auspacken und bleib' solange du willst.' Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte. Merkwürdigerweise war das die Reaktion, mit der ich nicht wirklich gerechnet hatte, obwohl es eigentlich die war, weswegen ich überhaupt nach Rom aufgebrochen war.


    "Salve, Menecrates!"


    Anfangs habe ich versucht, dorthin zu schauen, wo ich die Gesichter, die Augen meines Gegenübers vermutete. Ich hatte geglaubt, sie würden dann nicht bemerken, dass ich nichts sah. Schwer ist es nicht, zumindest wenn das Gegenüber schon einen Ton von sich gegeben hat, denn für gewöhnlich liegen die Augen bei jedem Menschen nun einmal über dem Mund und auf welcher Höhe dieser ist, hört man schließlich, wenn man nicht auch noch taub ist. Doch irgendwann sagte mein Onkel zu mir: 'Das ist ein unguter Blick, der dir geblieben ist, mein Junge. Du stierst die Menschen an als wolltest du ihnen das Hirn durch die Nase ziehen.' Nichts lag mir ferner, darum versuchte ich es nicht mehr. Im Laufe der Jahre verlor ich dann allmählich mehr und mehr den Bezug zur visuellen Welt. Es erschien mir völlig belanglos, wo meine Augen hin blickten. Tuktuk sagt, ich schaue zumeist nach unten, drehe manchmal leicht den Kopf, so dass ein Ohr das Gesagte schneller aufnehmen kann, doch ich selbst habe das Gefühl dafür verloren. Ich habe auch das Gefühl für Mimik und Haltung verloren, obwohl ich zumindest versuche aufrecht zu stehen, wie sich das für einen Patrizier gehört. Doch wenn man nicht ständig auf Mimik und Haltung der anderen achtet, wenn sie nicht wichtig sind, die Erscheinung des Gegenübers zu komplettieren, dann geht einem auch an sich selbst das Bewusstsein dafür verloren. Manchmal merkte ich nicht, wenn ich lächelte oder wenn ich die Augenbrauen zusammen zog. Manchmal fragte mich Tuktuk, weshalb ich so ein böses Gesicht machte, dabei konzentrierte ich mich nur auf etwas, ein Geräusch, ein Geruch vielleicht. Oder eben auf mein Gegenüber, denn neben Worten kann man auch Gestik hören. Der Stoff der Kleidung reibt aneinander, bei ausladenden Bewegungen spüre ich den Luftzug, nicht zuletzt erzeugt die Bewegung selbst ein Geräusch und manchmal auch der Körper.


    In diesem Augenblick versuchte ich, mich ganz auf Menecrates zu konzentrieren und dabei nicht zu vergessen, weswegen ich eigentlich hier war. Doch ich wollte ihn nicht gleich überfallen.


    "Wie geht es dir, und wie geht es der Familie?"

  • Obwohl die Aufmerksamkeit des Besuchers vollständig auf den Hausherrn gerichtet war, beschlich Menecrates gleich zu Beginn ein merkwürdiges Gefühl, weil er keinen Blickkontakt herstellen konnte. Ein willentliches Ausweichen seines Gastes schloss er aus, da dies der ihm entgegengebrachten Aufrichtigkeit widersprochen hätte, die sich in der Haltung, der Stimmlage und der Form der Zuwendung nur allzu deutlich zeigte. Er zog die Brauen verwirrt nach oben, doch als auch sein fragender Blick ohne jede Reaktion blieb, keimte der Gedanke in ihm auf, sein Gegenüber könnte ein ernsthaftes Sehproblem haben. Menecrates fühlte sich kurzfristig unwohl, weil sich zu der Ungewissheit über die Identität seines Vetters nun auch noch dieses Handycup gesellte. Einfühlungsvermögen gehörte ebenso wenig zu den Stärken des Claudiers wie der souveräne Umgang mit Behinderten.


    Daher rutschte ihm ungewollt ein "Ähh … gut, gut" als Antwort auf die Frage nach der allgemeinen Zufriedenheit heraus. Menecrates wollte sich zur Sitzecke des Atriums flüchten, um möglichst schnell den Bogen zu einem unverfänglichen Gespräch zu bekommen. Also hob er den Arm und wies auf die unweit entfernten Möbel, die sich halblinks neben Tucca befanden, öffnete den Mund, holte bereits Luft, aber schloss ihn unverrichteter Dinge wieder, weil ihm klar wurde, dass der Gast dem Führungswink vermutlich nicht würde Folge leisten können und sich Menecrates auch nicht in der Lage sah, seinen Vorschlag blindengerecht an den Mann zu bringen. Der Not gehorchend, verblieb er am Platz und widmete sich stattdessen den Kommandos an die Sklavenschaft.


    "Warum wurde weder Speise noch Trank angeboten?", fragte er mit einem kritischen Unterton. "Wasser und Wein, aber schnell! Ich möchte binnen Kurzem einen Imbiss vor mir stehen sehen!" Wo der allerdings kredenzt werden würde, war Menecrates nicht klar, aber irgendwann würde sich Tucca ja einmal hinsetzen wollen, darauf hoffte er.


    "Es freut mich, dass du dir die Zeit für einen Besuch genommen hast", erklärte Menecrates aufrichtig, während er die Erinnerung nach einem sehbehinderten Vetter durchforstete. Es war von Übel, dass er das Castellum um Längen besser kannte als die eigene Verwandtschaft. Hinzu kam Tuccas noch junges Alter, vermutlich hatte er ihn zuletzt als Kind gesehen und da sich Menecrates herzlich wenig für Kinder interessierte, fehlte ihm jetzt der Rückgriff auf mögliche Hinweise in seinem Langzeitgedächtnis. Eine dunkle Ahnung kam zwar in ihm auf, aber er war noch nie ein Meister im Merken von Namen gewesen und beim Militär war dies auch nicht nötig - milites passte immer.


    "Komm, berichte! Wie geht es deinem Vater, deiner Mutter?" Die Erleichterung über den ausgesprochen guten Einfall war Menecrates anzusehen. Auf diese Art sollte das Namensgeheimnis bald gelüftet sein und während der Antwort konnte er sich eine Lösung für das Lotsen zu den Sitzmöbeln überlegen.

  • Menecrates schien mir ein bisschen durcheinander, doch ernsthafte Bedenken bekam ich erst, als er sich nach meinen Eltern erkundigte. Wie alt war er wohl? Er hatte schon erwachsene Kinder, das wusste ich. Gegen Ende seiner Zeit hatte mein Onkel, der mich in Ravenna aufgenommen hatte, die letzten Jahre komplett aus seinem Gedächtnis verloren. Er erzählte von seiner Frau und seinem Bruder, die schon seit Jahren tot gewesen waren, so als würden sie jeden Moment zur Tür hinein kommen, er regte sich über Staatsmänner auf, die längst unter den Göttern weilten, und berichtete über lange zurückliegende Ereignisse als wäre er gestern dabei gewesen. Vielleicht war Menecrates auch schon so weit und hatte einige Jahre aus seiner Geschichte gestrichen? Andererseits hörte er sich so alt noch nicht an. Die Stimme verliert an Kraft im Alter, wird rauer. Vielleicht konnte er mich auch einfach nur nirgendwo einsortieren. Konnte ich alle meine Vettern aufzählen, die Väter und Mütter dazu? Vermutlich nicht. Noch dazu hatte ich bisher immerhin auch keine sonderlich große Familienpräsenz gezeigt und meine Brüder hatten wohl kaum mit meiner Existenz geprahlt. Da ich merkwürdige Fragen durchaus gewohnt war, wenn sie sich auch sonst eher auf meine Blindheit bezogen, fiel meine Antwort recht locker aus.


    "Ich wollte eigentlich schon vor den Parentalien in Rom sein, um am Grab meiner Eltern zu speisen. Allerdings hat sich in Ravenna der Winter dieses Jahr lange gehalten."


    Um uns herum huschten Sklaven, vermutlich um die Anweisungen des Hausherrn auszuführen. Hinter mir klackte es als Geschirr auf einen Tisch gestellt wurde. Ich schnippte mit den Fingern und hob meine rechte Hand, unter die sich im nächsten Augenblick Tuktuks Schulter schob. Zuhause wusste ich genau, wo sich Möbel und Gegenstände befanden, und fand mich sehr gut allein zurecht. Doch in fremden Häusern war ich ohne Tuktuk schon nach dem ersten Schritt aufgeschmissen.


    "Ich würde gerne eine Weile in der Stadt bleiben", platzte ich dann doch schon mit meinem Wunsch heraus noch bevor wir saßen.


    Geduld war noch nie meine Stärke gewesen, außerdem war ich es gewohnt zu sagen, wenn ich etwas wünschte oder brauchte, denn oft blieb mir sowieso keine andere Möglichkeit. Natürlich würde ich auch irgendwo anders unterkommen können, aber daran hatte ich noch nicht gedacht. Außerdem würde es zugegeben schon ein merkwürdiges Licht auf die Sache werfen.


    "Ich werde auch niemandem zur Last fallen, ich komme sehr gut alleine zurecht. Anspruchslos bin ich zudem auch, mir reicht sogar ein Zimmer ohne Fenster", fügte ich nicht ohne ein leichtes Grinsen hinzu.


    Natürlich stand ich über den unkenden Stimmen, die mir meine Selbstständigkeit absprachen. Natürlich tat ich stets so, als würden ihre Worte spurlos an mir vorüber ziehen. Und natürlich entsprachen meine Worte der Wahrheit, denn Tuktuk zählte unter 'alleine', und mit seiner Schulter unter meiner Hand gab es kaum etwas, was ich nicht wie der Rest der Welt auch tun konnte - abgesehen vom Sehen. Doch leider haben viele Menschen die Angewohnheit, einem der nichts sieht, der sich deswegen vielleicht ein wenig unorthodox bewegt, gleich auch noch geistige Zurückgebliebenheit unterzujubeln. Ich würde das zwar hinsichtlich meiner eigenen Person nicht gänzlich ausschließen wollen, wer wusste schon, was sich damals noch alles in meinem Kopf verabschiedet hatte, und wer wusste, ob ich das selbst überhaupt bemerken würde, doch es wurde mir immer wieder von verschiedenen Seiten versichert, dass ich nicht dümmer war als der Rest der Menschheit auch.

  • 'Uh, Volltreffer!', dachte Menecrates, als er vom Grabbesuch hörte. Hatten die Götter heute eine umfangreiche Prüfung in Diplomatie für ihn vorgesehen? Darin war er nie gut. Er schob es dennoch auf die strahlende Frühlingssonne, als winzige Schweißperlen auf seiner Stirn entstanden.


    Ganz so schlecht meinten es die Götter aber nicht mit ihm, denn sein Gast strebte nunmehr selbstständig einem Platz zu. Menecrates atmete auf und schlenderte hinter dem ungleichen Paar her. Er nahm sich in diesem Fall vor, ausnahmsweise einmal einen Sklaven zu beachten und wenn nötig sogar über ihn zu kommunizieren, da Tuktuk auf ihn wie ein Bestandteil seines Herrn wirkte, durch den dieser letztlich vollständig wurde.


    "Du möchtest bleiben?", wiederholte Menecrates, um sich wieder auf den Inhalt des Gespräches zu konzentrieren. Die Antwort musste jedoch warten, bis er sich niedergelassen hatte, was mit einem wohligen Seufzer geschah. In letzter Zeit spürte er vermehrt schmerzende Glieder, die sich bereits während seiner Zeit in der Legion bemerkbar gemacht haben. "Kein Problem, Platz ist genug." Menecrates wunderte sich flüchtig über die Bemerkung wegen des Zimmers ohne Fenster. Der fast schon schwarze Humor löste nicht unbedingt Belustigung bei ihm aus, sondern sorgte für ein schiefes Grinsen. "Nein, also so geht das nicht", entschied Menecrates und stand auf, um besser reden bzw. denken zu können.


    "Weder ein Gast noch ein Familienmitglied muss im Hause der Claudier anspruchslos oder bescheiden sein. Das wäre nicht nur beschämend, sondern auch vollkommen unangemessen und unwürdig. Allerdings muss ich meine Hilflosigkeit in Bezug auf die besonderen Bedürfnisse eines …" Menecrates suchte nach Worten, was eine unangenehme Pause verursachte. "… Sehbehinderten eingestehen."
    Der ansonsten resolute Mann machte im Augenblick einen eher jämmerlichen Eindruck. Um der Situation zu entgehen, setzte er sich wieder und griff nach einem Gebäckstück, was inzwischen neben anderen Esswaren auf dem Tisch Platz gefunden hatte. Während er es in den Mund schob, grübelte er darüber nach, ob er für die unmittelbare kulinarische Versorgung seines Gastes zuständig war und wenn ja, wie er das bewerkstelligen sollte.

  • Eine leichte Drehung, dann wenige Schritte, schon nahm Tuktuk meine Hand von seiner Schulter und schob mich noch zwei Schritte vorwärts, bevor er meinen linken Unterarm nahm und leicht nach unten zog. Ich folgte der Bewegung und meine Hand berührte das Sitzpolster der Kline. Nachdem ich ein Stück nach rechts und nach links getastet hatte, setzte ich mich, ließ die Füße allerdings auf dem Boden. Bei Gelegenheit würde ich die Dimensionen dieser Klinen erforschen, einmal um sie herum gehen, mich darauf setzen und ihre Umrandung mit den Händen abfahren, so dass ich auch wissen würde, wo ich meine Füße hinpacken sollte, doch vorerst reichte es mir aus, zu sitzen. Der Stoff unter meinen Händen war weich und wies eine feine Struktur auf und ich fragte mich doch insgeheim, wie pompös dieses Atrium gestaltet war - ich würde Tuktuk später danach fragen. Dieser war neben der Kline in die Hocke gegangen.


    Kurz nachdem Menecrates meinem Verweilen in Rom zugestimmt hatte, was mich zugegeben doch irgendwie erleichterte, stand er schon wieder auf. Erst glaubte ich, es war vielleicht jemand im Kommen, den ich nicht gehört hatte, doch Menecrates nachfolgende Worte und sein etwas rastloser Schritt erklärten sein Verhalten. Viele Menschen reagierten ähnlich wie er auf mich und machten sich das Leben nur unnötig kompliziert. Natürlich legte auch ich Wert auf ein Fenster, denn auch wenn ich mit dem einfallenden Licht wenig anfangen konnte, sorgte es im Raum für frische Luft und brachte die Gerüche und Geräusche von draußen herein. Doch ich habe festgestellt, dass die Unsicherheit der Sehenden meistens etwas gelockert werden konnte, wenn ich selbst Humor zeigte. Menecrates allerdings schien seine Schwierigkeiten damit zu haben.


    "Eines Blinden, du kannst es ruhig aussprechen, es färbt nicht ab. Und blind trifft es genau, denn ich sehe nicht das geringste, nicht einmal den Unterschied zwischen Tag und Nacht."


    Ich wandte den Kopf zu Tuktuk hin und senkte meine Stimme ein wenig.
    "Was gibt es?"
    "Gebäck, länglich mit Nusssplittern, in Form der Sonne mit Honig überzogen oder mit getrockneten Trauben gespickt."
    "Gib mir eines mit Honig", forderte ich Tuktuk auf und hielt ihm meine Hand hin, worin kurz darauf ein rundes Honiggebäck landete.


    Noch ehe ich davon abbiss, wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Menecrates zu.


    "Besonderheiten gibt es keine zu beachten. Ich mag es nicht, behandelt zu werden als wäre ich nicht nur blind, sondern gleichzeitig auch noch taub, schwachsinnig oder ein kleines Kind, doch ich denke, das sollte verständlich sein. Vielleicht braucht es in der Kommunikation ein paar Worte mehr, denn ich reagiere nicht auf missbilligende Blicke oder zustimmendes Nicken. Ansonsten braucht sich niemand um nichts zu sorgen, denn für alles, was ich nicht selbst erledigen kann, habe ich Tuktuk hier, meinen Sklaven."


    Den Zusatz hätte ich beinahe vergessen. Tuktuk war für mich weit mehr als ein Sklave, vielleicht noch nicht einmal ein Sklave, aber in der Gesellschaft, gerade in der patrizischen, war es doch meistens wichtig. Natürlich sah man ihm sofort an, dass er ein Sklave war, denn er hatte fast schwarze Haut, und manchmal glaubte ich, mein Onkel hatte ihn gerade deswegen ausgewählt. Doch ich sah seine Haut nicht, hatte sie nie gesehen, und wenn man tagtäglich bei so vielem auf einem Menschen - oder Sklaven - angewiesen ist, wie ich auf Tuktuk, dann kann man Unterschiede leicht vergessen.


    "Wenn du Fragen hast, dann frage einfach, und falls sonst etwas sein sollte, dann sage es. Auch wenn ich manche Bedürfnisse der sehenden Welt nicht nachvollziehen kann, ich bemühe mich doch, ihnen nachzukommen."


    Beispielsweise sorgte Tuktuk jeden Morgen dafür, dass ich vorzeigbar war, obwohl ich die visuellen Ansprüche an die Erscheinung eines Menschen nie ganz verstehen konnte. Ob die Togafalten bei einem Senator nun richtig lagen oder nicht, das machte ihn doch zu keinem besseren Redner, und ein Klecks auf dem Kleid einer Frau konnte ihr nichts von ihrer menschlichen Schönheit rauben. Trotzdem zählte beides zu mehr oder minder skandalösen Fehltritten in der Erscheinung einer Person. Und auch, wenn ich sie nicht sah, wollte ich solche und ähnliche Fehltritte vermeiden, denn sie lenkten nur unnötige Aufmerksamkeit auf einen.


    "Wer von der Familie wohnt derzeit noch alles in Rom?" wechselte ich das Thema und biss von dem Gebäckstück ab.

  • Blindheit färbt nicht ab? Menecrates strich sich nachdenklich über das Kinn, ohne jedoch die Qualität der Rasur bewusst wahrzunehmen. Vielmehr fragte er sich, ob er tatsächlich wie ein Tollpatsch agierte, wenn zu seiner Beruhigung erwähnt werden musste, dass Blindheit nicht ansteckend war. Es musste wohl so sein, Menecrates seufzte, nahm wieder Platz und benötigte einen großen Schluck unverdünnten Wein. Eine Sklavin reagierte prompt und schenkte ein.


    "Ich sehe, dass du für die alltäglichen Bedürfnisse gut gerüstet bist", bestätigte er, als nach dem Aufsuchen der Sitzmöglichkeiten auch die Essensversorgung im Zusammenspiel mit diesem Sklaven reibungslos funktionierte. Menecrates nahm sich vor, in besonderem Maße für die gute Unterbringung und Versorgung dieses Sklaven Sorge zu tragen.
    Er nahm einen Schluck Wein und räusperte sich, als er den Becher absetzte.


    "Du hast natürlich Recht. Ich werde mich umstellen müssen, was die nonverbale Konversation betrifft, und ebenso müssen das alle anderen. Ich bin im Übrigen nicht aus Zucker, du kannst mir jederzeit Hinweise geben, was ich diesbezüglich verbessern kann. Nur keine Hemmungen. Genauso werde ich dir am besten geradeheraus sagen, sollte ich mal über eine Sache stolpern. Mit Offenheit kommt man immer am weitesten, denn sie schließt Missverständnisse weitgehend aus."


    Der Blick des Claudiers weilte auf Tuccas Gesicht, während er für sich feststellte, dass er bei keiner seiner täglichen Pflichten auf sein Augenlicht verzichten könnte. Im Lararium wollte er ungestört sein, ebenso beim Spiesen. Selbst bei seiner Arbeit war Menecrates als Einzelgänger bekannt gewesen, ein hilfreicher Schatten, wie es dieser Sklave war, hätte ihn unendlich gestört. Aus diesem Gedankengang erwuchs eine Frage.


    "Gehst du täglichen Pflichten nach? Ich meine außerhalb der Villa?"
    Er fragte sich, wie ein Händler, ein Amtskollege, ein Untergeordneter oder Vorgesetzte in seinen Absichten und Einstellungen zu bewerten war, wenn die Mimik als Informant fehlte. Die Frage nach der Familie riss ihn aus seinen Gedanken.


    "Meine beiden Töchter und mein Sohn weilen in Rom, aber sie sind dennoch selten anzutreffen. Überhaupt ist es ein Kommen und Gehen in dieser Villa. Verwandte reisen an, bleiben für gewisse Zeit und reisen wieder ab. Selbst meine Frau weilt hier nur besuchsweise. Deine Gesellschaft zum Frühstück solltest du daher nicht allzu lange im Voraus planen, die Posten als Onkel, Weib oder Neffe werden hier genauso regelmäßig an neue Personen vergeben wie der Tribunus Laticlavius im Kastell."

  • Das Gebäckstück zerbröselte in meinem Mund und ließ die Süße des Honigs frei, während ich Menecrates zuhörte. Eine leichtes Wippen erfasste meinen Kopf, ein Art Nicken, wenn auch vermutlich eine etwas verunglückte Art Nicken.


    "Danke, ich weiß diese Offenheit sehr zu schätzen."


    Mir selbst blieb kaum etwas anderes übrig als verbale Offenheit, doch ich hatte viele Menschen kennen gelernt, die nichts mit mir anzufangen wussten und sich durchgehend ausschwiegen. Weshalb auch ich letztlich nicht viel mit ihnen anfangen konnte. Ein Nachteil dieser Offenheit war allerdings die Tatsache, dass früher oder später die Frage aufkam, was ich den lieben langen Tag so tat. Menecrates garnierte es gleich noch mit dem Wort Pflichten. Meistens tat ich sogar recht viel am Tag, doch mit Pflichten konnte ich kaum dienen. Während man einer Frau so einen pflichtlosen Tag noch ziemlich gut ausschmücken konnte, brachte mich diese Frage vor einem Mann, ganz besonders einem Verwandten und insbesondere einem Senator - der damit schon einige Pflichten hinter sich gebracht hatte - doch etwas in Verlegenheit. Ich hatte natürlich genügend Männer kennen gelernt, Söhne gut betuchter Eltern, die nur dem Leben frönten und auch nicht mehr taten als ich. Trotzdem haftete diesem Eingeständnis gegenüber einem Claudier, dass ich im Grunde nichts tat, zumindest nichts, was dem Staat dienlich wäre, ein negativer Beigeschmack an.


    "Gib mir etwas zu Trinken", forderte ich Tuktuk leise auf, nahm das Gebäckstück in die Linke, und hielt die Rechte bereit für Glas oder Becher.


    Ich hörte, wie aus zwei Kannen Flüssigkeit gegossen wurde, verdünnter Wein also. Zugegeben, in diesem Augenblick wäre mir unverdünnter Wein lieber gewesen, doch natürlich nahm ich das Glas ohne Widerworte entgegen. Es war angenehm kühl, ebenso wie der Wein, der kurz darauf meine Zunge umspülte. Caecuber, wie ich glaubte, mit mildem, aber erfrischendem Geschmack.


    "Nein, ich gehe keinen Pflichten außerhalb der Villa nach. Es gibt wohl auch nicht viel, was ich besonders gut könnte, außer Zuhören."


    Die Rechtfertigung war vielleicht etwas übertrieben, doch die Welt um mich herum war einfach nicht auf jemanden ausgelegt, der nichts sah. Alleine brauchte ich für alles, was ich tun wollte, eine ganze Weile länger als ein Sehender. Oder aber ich brauchte jemanden, der für mich sah, und Tuktuk zählte im öffentlichen Leben nicht, weshalb ich neben jedem anderen letzten Endes überflüssig gewesen wäre. Ein Kontrollamt fiel deswegen aus, ebenso alles, was Schreiberei beinhaltete. Ich schaffte es, meinen Namen auf einer Linie zu schreiben, bei ganzen Sätzen über mehrere Zeilen hinweg verlor ich völlig die Ausrichtung. Lesen ging schon mal gar nicht, es sei denn in Stein gemeißelte Inschriften, beim Militärdienst würde ich ausgemustert, und beim Opfer scheiterte ich schon an der Auswahl der passenden Fellfarbe, ganz zu schweigen vom Lesen der Innereien. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann hielt mich natürlich auch meine Blindheit von nichts ab, doch der Wille allein reichte nicht für ein öffentliches Amt. Im alten Griechenland wäre ich ein Philosoph oder Orakel geworden, doch Philosophieren zählte in Rom leider nicht als Pflicht, und dass Blinde zu übersinnlicher Weissagung fähig sind, ist auch nur eine Mär der griechischen Sagenwelt.


    Das marode Gesellschaftsleben der Villa Claudia gab mir gleich den nächsten Dämpfer. Ich war froh, dass ich das Glas noch immer in meiner Hand hielt, und nahm einen Schluck, ehe ich es Tuktuk überließ. Andererseits hatte Menecrates nur vom Frühstück gesprochen, und wer brauchte schon die Familie, um eine Villa mit abendlichem Leben zu füllen? Ich hatte das über Jahre hinweg ganz ohne die meine geschafft - und dass Menecrates' Frau nicht in Rom weilte, bot immerhin die besten Voraussetzungen, wenn auch nicht die Anwesenheit seiner Kinder.


    "Ich bin es gewohnt, den Tag allein zu beginnen, und lange im Voraus plane ich auch selten. Wie sieht es mit dem gesellschaftlichen Leben der Gens Claudia aus? Und ganz allgemein, dem in Rom?"


    In meiner Vorstellung traf sich die halbe Welt in Rom beim abendlichen Gelage. Lenker und Denker des Staates, Philosophen und Dichter, dazu die reizendsten und intelligentesten Frauen, und das alles untermalt von köstlichen Speisen und angenehmer Musik. Im Grund also ganz ähnlich wie in Ravenna, nur dass Lenker und Denker sehr selten ihren Weg dorthin fanden, Philosophen und Dichter schon einmal in Rom durchgekaut waren, bevor sie dort ankamen, und die Frauen immer die gleichen blieben, wie die Männer auch, denn Ravenna war nun einmal eine Kleinstadt. In Rom kam eine Abendgesellschaft sicherlich kaum zweimal in der gleichen Konstellation zusammen.

  • Menecrates versuchte, sich ein Leben ohne Pflichten vorzustellen. Der Gedanke hatte kurzfristig einen positiven Beigeschmack, weil sich der Claudier recht abgearbeitet vorkam, aber bereits bei den Überlegungen, wie er sonst den Tag verbringen sollte, verschwand die angenehme Aussicht. Ein Lebemann war Menecrates noch nie gewesen, eher ein Einzelgänger, und dann auch noch blind und nicht lesen können …? Er schüttelte den Kopf. Nicht auszudenken, wie lebendig begraben er sich ohne Verpflichtungen fühlen würde, die ihn zwangen, vor die Tür zu treten.


    "Tja …" Etwas Gescheiteres fiel ihm auf Anhieb als Erwiderung nicht ein. Was entgegnet man auch? 'Das tut mir Leid?' Oder vielleicht: 'Ist ja auch besser so.' Um von diesem Glatteis herunterzukommen, widmete er sich lieber dem nächsten Thema – dem gesellschaftlichen Leben. 'Auch kein besseres', dachte er und verzog den Mund.


    "Nun ja, allzu viel Leben findet innerhalb dieser Mauern sicher nicht statt, denn derzeit hat daran wohl keiner Interesse. Die eine Tochter heiratet bald, die andere schirmt sich ab. Mein Sohn sitzt an Prüfungen, um seine Karriere zu starten. Na, und ich selbst bin sicher alles, aber kein Mensch, der Trubel, Fresssucht und Heiterkeit in Unmengen mag. Auf jeden Fall organisiere ich derartige Gelage nicht, aber wenn du dafür Zeit, Interesse und Geschick hast, steht deiner Eigeninitiative von meiner Seite her nichts im Weg." Menecrates überlegte kurz. "Wobei sicher nicht jeder hier gern gesehen ist ..." Und Schlaf wollte er ab und an auch noch finden …

  • Der Rest des Honigteilchens landete in meinem Mund, zerbröselte zwischen meinen Zähnen und wanderte in meinen Magen hinab. Menecrates' Ausführungen hörten sich fast an, als hätten sich in dieser Villa schon alle Bewohner verabschiedet. 'Rom sehen und sterben' war wohl nicht wortwörtlich zu nehmen, sondern bildlich gesprochen. Nachdem man Rom gesehen hatte, lebten man dort wie lebendig begraben weiter.


    Zeit hatte ich für Gelage natürlich immer, Interesse noch mehr und am Geschick fehlte es mir auch nicht. Nur wusste ich kaum, wen ich in Rom zu so etwas laden sollte. Außerdem machte mich dieser Zusatz etwas stutzig, 'wobei sicher nicht jeder hier gern gesehen ist'. Für das erste war es wohl besser, sich auswärts zu vergnügen, bis ich eine genauere Vorstellung vom Leben in dieser Villa hatte.


    "Ich verstehe. Momentan würde mir sowieso niemand einfallen, den ich einladen wollte. Aber vielleicht komme ich bei Gelegenheit auf die Möglichkeit zurück."


    Zumindest die baldige Hochzeit versprach ein Fest. Für die Hochzeit seiner Tochter würde sich Menecrates sicherlich nicht lumpen lassen und als Verwandter des Brautvaters würde ich den Vorteil haben, schon im richtigen Haus zu sein. Gleichzeitig würde das eine gute Gelegenheit sein, die Crème de la crème des römischen Adels kennen zu lernen.


    "Gibt es eigentlich eine Bibliothek in diesem Haus?"


    Natürlich las ich nicht. Tuktuk las und ich hörte zu. Das Problem an öffentlichen Bibliotheken war jedoch, dass es dort nicht gerne gehört wurde, wenn jemand laut las. Deswegen hatte ich zuhause in Ravenna eine reichhaltige Sammlung Schriften angehäuft. Was die Lyrik betraf kannte ich viel auswendig, ein paar Klassiker hatte ich mir mitgebracht, doch ich hoffte natürlich auch auf neues.

  • Immer wieder verblüffte es Menecrates, wie oft er sich in der Beurteilung der ausstehenden Reaktion eines Gesprächspartners täuschte. Hatte er bei Tucca schon fast mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwartet, dass sich dieser sofort auf die Planung der kommenden Abende IM Hause der Claudier stürzen und diesbezüglich Unmengen an Informationen erfragen würde, zeigte der Verwandte deutliches Desinteresse. Dementsprechend verdattert blickte Menecrates, bevor er sich fing und der Folgefrage widmete.


    "Selbstverständlich existiert eine gepflegte Bibliothek in diesem Haus. Ich besitze sämtliche militärische Literatur, Schriftstücke, Erfahrungsberichte und sonstiges, die man sich denken kann." Für Menecrates zählte allein Fachliteratur. Schöngeistige Literatur stufte er als minderwertig oder gar unnütz ein. Er hatte deswegen keine Ahnung, was diesbezüglich an Werken vorhanden war, kam aber auch nicht auf die Idee, dass sich ein Mann überhaupt damit befassen könnte.


    Zufrieden über die Auskunft setzte er sich gemütlich hin und ließ sich schmackhafte Teigstücke zur Auswahl präsentieren. Er ahnte zwar, dass der Genuss dieser Gebäckwaren großen Anteil daran hatte, dass er seine trainierte Offiziersfigur annähernd verloren hatte, wollte sich aber nicht einschränken. Von minderwertigem Essen hatte er lange genug in der Legion gelebt.

  • Meine Begeisterung hielt sich für den Anfang deutlich in Grenzen.


    "Militärische Literatur? Nun denn, immerhin werde ich dabei nichts finden, was ich schon kennen würde."


    Vielleicht würde einiges davon sogar ziemlich spannend sein. Die Ilias war schließlich auch eine Art militärischer Bericht und die Beschreibung einer soldatischen Reise war sicher nicht großartig anders als der Reisebericht eines Abenteurers. Ich lauschte ausnehmend gern Berichten über ferne Länder, andersartige Kulturen und fremde Landschaften. Wahrscheinlich weil ich wusste, dass ich selbst kaum jemals meinen Fuß über die Grenzen der Provinz Italia setzen würde.


    "Du warst selbst im Militär, nicht wahr? Bist du weit im Imperium herum gekommen?"

  • Menecrates ließ die Bemerkung, Tucca könne bei militärischer Literatur auf nichts stoßen, was er bereits kennen würde, gehörig lange nachklingen. Er grübelte selbst dann noch, als sein Gast bereits die nächste Frage gestellt hatte. Er fragte sich, wie ein Mann dies derart kategorisch ausschließen konnte, schließlich hatte er die ersten Berichte bereits als Knabe aufgesogen. Ganz abgesehen von den Erklärungen zur Bedienung von Steingeschützen und ähnlichem. Für so was interessiert sich doch ein normaler Junge! Erstmals kam ihm der Gedanke, dass Tucca neben seiner Blindheit auch sonst kein üblicher Mann sein könnte. Das herauszufinden, war sicherlich nicht wichtig und es entsprach auch keinem Grundbedürfnis des Claudiers.


    Er konzentrierte sich daher schleunigst auf die bereits gestellte Frage, ob er bereits weit im Imperium herumgekommen sei. Menecrates musste sich ein Grinsen verkneifen.


    "Im Rahmen meines Militärdienstes habe ich den Großraum Mantua bestens erkunden können." Menecrates grinste erneut. "Das ja, aber sonst eher nichts Erwähnenswertes. Ich bin dem Militär beigetreten, als der Feldzug gegen Laeca annähernd beendet war und habe mich in den Ruhestand versetzen lassen, kurz bevor die ersten Informationen über den Aufstand in Parthien nach Rom gedrungen waren. Die Götter hatten offenbar vorgesehen, mich nur in Friedenszeiten dienen zu lassen und so habe ich mich voll und ganz auf die Ausbildung des Nachwuchses konzentriert. Es war befriedigend, auch wenn es nicht danach klingt."


    Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände am Hinterkopf.


    "Aber mir wäre es bedeutend lieber, wenn du einmal ein paar Geschichten zum Besten geben würdest. Ich höre lieber zu als dass ich rede."

  • Römische Soldaten waren keine versteckten Partisanenkämpfer und wenn sie kamen, dann hörte man sie schon von weitem. Trotzdem stellte ich mir bei Menecrates' Worten unwillkürlich eine Einheit vor, die im Mangel eines Feindes heimlich, still und leise durch das Unterholz der Region um Mantua kroch und das Gelände erkundete. Als Junge hatte ich natürlich davon geträumt, eines Tages zur Legion zu gehen, obwohl mir der Kampf mit meinen Brüdern regelmäßig einen Haufen blaue Flecken eingebracht hatte. Als sechster Sohn der Familie standen meine Chancen, diesem Wunsch folgen zu dürfen, auch nicht schlecht, bis es dann unmöglich wurde. Ich hatte auch danach noch versucht, mit einem Gladius zu kämpfen, doch obwohl ich die Bewegungen meines Gegners hören und den Luftzug spüren konnte, war meine Reaktion nie schnell genug gewesen, darauf angemessen zu reagieren. Mein Kopf schwankte ein wenig hin und her.


    "Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Ausbildung der Legionäre eine befriedigende Beschäftigung war. Obwohl es sicherlich viele Faktoren gibt, die zu Sieg oder Niederlage führen, ist eine fundierte Ausbildung meistens der Anfang jeden Erfolges. Sei es im Militär oder in anderen Bereichen."


    Das war zumindest die Theorie, denn ich war nun einmal in vielen Bereichen nur ein Theoretiker. Doch wo sich mir die praktische Möglichkeit bot, hatte ich mir großzügig eine Ausbildung zukommen lassen. Es war der Vorteil des Spross einer patrizischen Familie, man konnte sich auch vermeintlich Unsinniges leisten, ohne es begründen zu müssen. Davon abgesehen, dass es für mich persönlich meistens keineswegs unsinnig war, immerhin war es trotz allem mein Leben.


    "Den Becher", wandte ich mich ein wenig leiser an Tuktuk und hielt die Hand auf, bis ich die kühle Oberfläche des Gefäßes spürte.


    Ich trank einen Schluck und reichte den Becher wortlos an Tuktuk zurück, der bereits darauf wartete. Außergewöhnliche Geschichten erlebte ich selten, mein Leben war mehr vom Alltag geprägt. Vermutlich sog ich deswegen die Abenteuer anderer begierig wie ein Schwamm in mich auf.


    "Ich kann dir von der Ankunft der Legio Prima in Ravenna berichten. Das war so ziemlich das größte Ereignis, das ich in der letzten Zeit erlebt habe. Es war schwer, zum Hafen durch zu kommen. Nachdem sich die Nachricht von der nahenden Ankunft verbreitet hatte, waren viele Angehörige nach Ravenna gekommen, um die Soldaten zu begrüßen. Es war unheimlich laut, allerdings angenehm laut."


    Ich war in diesen Tagen nur in Tuktuks Begleitung vor die Tür getreten. Trotz der Tatsache, dass die Legion nicht wirklich siegreich zurückgekehrt war, überwog die allgemeine Wiedersehensfreude eindeutig, und obwohl die Soldaten keinen Ausgang bekommen hatten, hatte das die Bevölkerung nicht davon abgehalten, ihre Rückkehr zu feiern.


    "Ich habe am Hafen mit einem Zenturio gesprochen. Er hat von den Parthern erzählt, von ihren Bogenschützen und wilden Reitern, Hinterhalten und feigen Taktiken. Trotz allem glaube ich, er war von ihrem Kampfeswillen beindruckt, obwohl er versucht hat, es nicht durchklingen zu lassen. Verwunderlich finde ich das jedoch nicht, den Kampfeswillen, immerhin verteidigten diese Männer ihre Heimat."


    Selbst ich würde mich mit meinem Spaten in den Garten stellen, um mein Land zu verteidigen, wenn es notwendig sein würde. Und vermutlich würde ich dabei meine Nachteile im Kampf durch um so größeren Willen ausgleichen.


    "Ich frage mich, ob Valerian noch einmal Legionen nach Parthien schicken wird, um zu beenden, was begonnen wurde. Dass der Augustus dort fiel, wird der Sache sicherlich noch lange nachhallen."

  • Menecrates, der sich bereits gemütlich angelehnt, die Arme verschränkt und die Augen leicht geschlossen hatte, weil ihn Erzählungen meistens ermüdeten, richtete sich wieder auf. Anstatt irgendwelche Berichte zu erstatten, wagte sich Tucca doch tatsächlich auf militärisches Terrain vor.


    "Die Stärke der römischen Armee lebt von ihrer exzellenten Organisiertheit", pflichtete Menecrates bei. "Alles basiert auf der Grundlage einer hervorragenden Ausbildung: Die Waffenbeherrschung, die Taktiken, das Zusammenwirken der verschiedenen Einheiten, die Organisation von Nachschub und Versorgung, einfach alles."


    Als Tucca schließlich sogar die Prima erwähnte, saß Menecrates vollständig aufrecht. Zwar hatte sich die Einheit zuletzt mehr als krass geändert, aber es war und blieb seine Einheit. An ihr hingen sein Herz und seine Seele, mit ihr hatte er den Großteil seines Lebens verbracht. Er stellte sich den Einmarsch bildhaft vor, was ihm leicht fiel, hatte er doch einige Appelle und Opferzeremonien mit Aufmärschen organisiert. Kurzzeitig befand sich Menecrates geistig nicht in der Villa, sondern auf einem staubigen Exerztierplatz. Er ließ die Formalübungen in den verschiedenen Schwierigkeitsgraden vor seinem geistigen Auge ablaufen, nahm Belehrungen und Korrekturen an Soldaten und Probati vor, erteilte Kommandos bei der Geschossausbildung, überprüfte die Rüstungen, rügte und lobte gleichermaßen, wenngleich Letzteres eher sparsam.


    Der Hinweis auf das Gespräch mit dem Centurio riss Menecrates aus den Gedanken.
    "Was genau hat er über die Taktiken und Hinterhalte gesagt?", hakte er sofort nach und lehnte den Oberkörper nach vor, während sich die Unterarme auf den Schenkeln abstützten. Jetzt wäre er am liebsten Tucca in den Mund gekrochen.


    "Die römische Armee gibt sich nie geschlagen, sondern überlegt sich während eines taktischen Rückzugs bereits die nächste Angriffsstrategie. Selbstverständlich wird das Werk in Parthien vollendet werden."

  • Ich tastete mit der Rechten hinter mich und versuchte den Abstand zur Lehne nach Hinten halbwegs zu erfassen und ob es möglich war, mich zurück zu lehnen. Es war, zumindest nachdem ich ein Stück zurück gerückt war und ein Kissen in Position gebracht hatte.


    "Er erzählte, dass die Parther förmlich mit ihrem Land verschmelzen und das Gelände mit in ihre Taktiken einbeziehen. Sie stellen sich nicht unbedingt als Armee auf offenem Feld, sondern attackieren mit kurzen, blitzartigen Angriffen aus dem Nichts heraus. Sie schicken schwer gepanzerte, aber trotzdem schnelle Reiterei ins Feld, die ohne Rücksicht auf eigene Verluste durch die gegnerischen Reihen wüten. Sie täuschen Rückzüge vor, verbergen sich aber nur, um sich durch das Vorrücken des Gegners einen Geländevorteil zu verschaffen und dann um so heftiger noch einmal anzugreifen."


    Ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von all dem, die allerdings vermutlich mit der Realität so viel zu tun hatte wie ein Ei mit einem Würfel. Doch meine Phantasie war schon immer sehr ausgeprägt gewesen und natürlich machte auch ich mir ständig ein Bild von der Welt. Ob es mit der zu sehenden Welt halbwegs übereinstimmte, wusste ich nicht, denn ich hatte fast vergessen wie es gewesen war zu sehen. Was ich in meiner Kindheit gesehen hatte, verblasste mit den Erinnerungen daran. Die Erinnerungen an mein kindliches Leben waren nur noch Schemen, die manchmal aufblitzten, um wieder in der Versenkung zu verschwinden. Ich erinnerte mich an meine Geschwister und meine Eltern, zwei oder drei Kinder aus der Nachbarschaft, an unsere engsten Sklaven und meinen ersten Lehrer, aber ich sah sie nicht vor mir. Die Erinnerung war fast so, als würde ich sie auf meine spätere Art und Weise wahrnehmen. An die Ansicht alltäglicher Dinge in ihrer Gesamtheit erinnerte ich mich, vermutlich, weil ich sie so oft vor Augen gehabt hatte. Da war der Himmel, Gras, Bäume, Erde, gepflasterte Straßen, Regen und die Sonne. Aber auch diese Bilder sind im Lauf der Zeit verblasst und andere Wahrnehmungen davon hatten sich in den Vordergrund gedrängt. Die einzige Ausnahme war der Himmel. Es gab für mich keine Möglichkeit mehr, den Himmel wahrzunehmen.


    "So wie er es dargestellt hat, hörte es sich wie ein unkoordinierter, chaotischer Haufen an. In Anbetracht der Größe des parthischen Reichs und seiner nun schon eine ganze Weile anhaltenden Dauer, scheint mir das allerdings eher unwahrscheinlich. Es gibt viele Wege zu einem Ziel. Eine Kriegsführung, die auf den Gegner verwirrend wirkt, dabei aber im Hintergrund taktisch geplant ist, kann sicherlich auch ein zielführender Weg sein. Insbesondere gegenüber einem Gegner, der seine Stärke aus seiner Struktur zieht."


    Für Menecrates schien die Frage nach einem Sieg in Parthien keine Frage zu sein. Ich war selbst ein sehr patriotischer Römer und von der Übermacht unserer Armee überzeugt. Allerdings erwartete ich gerade deswegen, dass die Legionen erst dann zurück nach Italien kamen, wenn die fremden Gebiete erobert waren. Die Legio I passte deswegen nicht in meine Vorstellung, obwohl es vermutlich gute Gründe für ihre Rückkehr gab.


    "Die römische Armee verliert allerdings auch nicht oft einen Kaiser in ihren eigenen Reihen. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Legio I zumindest in Syrien zu belassen, wenn sie noch einmal ins Feld ziehen sollte? Die Asche des Kaisers nach Rom zu transportieren mag eine ehrenvolle Aufgabe sein, aber immerhin hat ein halbes Prätorianer-Regiment den Kaiser begleitet. Wer innerhalb des Imperium würde schon wagen, diese anzugreifen, um sich der kaiserlichen Überreste zu bemächtigen? Die Legion hätte sich eben so gut die beschwerliche Reise hin und zurück sparen können."

  • Menecrates hatte vor Minuten tatsächlich noch mit dem Gedanken gespielt, die Erzählungen seines Verwandten in zurückgelehnter Haltung und bei geschlossenen Augen über sich ergehen zu lassen, ohne darauf zu achten, ob er dabei einschlief oder nicht. Zwar wäre ein Wegnicken unhöflich gewesen, der Claudier war sich dessen bewusst, doch wusste im Grunde jeder in seinem Umfeld, dass er einen höchst ungeeigneten Gesprächspartner darstellte und selten über die Pflichtkonversation hinauskam. In diesem Augenblick jedoch wünschte er sich, dass Tuccas Bericht so schnell nicht abbrechen würde, weil er sich für jede Einzelheit brennend interessierte.


    Bei der Schilderung der zerstreuten Kampftechnik der Parther, nickte er.
    "Ist bekannt. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Reiterei der Parther bessere Qualitäten aufweist als unsere bestens ausgebildeten Auxiliareinheiten. Aber vielleicht hat ja die Zusammensetzung unseres Heeres nur unzureichend dieser Tatsache Rechnung getragen, ich weiß es nicht."


    Als die Schilderung der vorgetäuschten Rückzüge erfolgte, verzog Mencrates angewidert den Mund und lehnte sich zurück. Er konnte sich noch bestens an das dritte Examen auf der Akademie erinnern, bei dem er vermehrt graue haare bekommen hatte bei den Vorschlägen des Tiberius Vitamalacus, der - das wusste er schließlich - eine bedeutende Beraterfunktion innerhalb der Legio I zugewiesen bekommen hatte.


    "Tja, nicht jeder Offizier besitzt ausreichend Verstand, um dem Gegner ausgeklügelte Taktiken entgegenzusetzen", sagte er abfällig und griff zu einem Appetithappen.


    "Ich finde es im Übrigen auch sinnfrei, die Legio I nach Italia zurückkehren zu lassen. Dieser komplette Rückzugfehler wurde schon einmal im letzten Jahrhundert gemacht und es bedurfte einer jahrelangen Sammlung, bis die Truppen die Scharte endlich auswetzen konnten. Dadurch verschafft man dem Gegner Zeit für weitergehende Revolten, zur Koordination seiner Truppen und möglicherweise sogar Landgewinne an unzureichend geschützten Grenzgebieten."


    Claudius winkte ab. "Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mich nicht mehr mit militärischen Belangen zu beschäftigen, um meinen Magengeschwüren Ruhe zu gönnen. Ist nicht so angenehm, wenn es im Bauch zwickt. Deine Gesundheit ist ansonsten stabil?"


    Eine Rückfrage durfte der Höflichkeit halber einmal sein.

  • Welche Hilfstruppen in Parthien eingesetzt worden waren, davon hatte ich keine Ahnung. Über die einzelnen Legionen war ich schon aus patriotischen Gründen informiert. Es gab immer irgendwen, der irgendwen kannte, dessen Verwandter in einer Legion diente. Aber Auxiliareinheiten waren im Leben eines Römers nicht ganz so wichtig. Ab und zu kannte man jemanden, der irgendwen kannte, dessen Verwandter als Offizier dort diente. Doch der Großteil der Einheit - die Soldaten - bestand immerhin aus Peregrinen und ich kannte kaum Leute, die Peregrine kannten, die in Auxiliartruppen dienten. Allerdings gab es auch in unseren Legionen berittene Einheiten. Soweit ich wusste, wurden sie jedoch nur spärlich eingesetzt.


    Menecrates' Unterton bei seiner Erwähnung über Offiziere ließ mich aufmerken. Zuerst wollte ich etwas bezüglich des verstorbenen Imperators bemerken, der den Krieg immerhin lange Zeit taktisch geführt hatte. Zumindest nahm ich das an, denn andernfalls wäre er kaum ins Kriegsgebiet mit gezogen, sondern hätte nur seine Kommandanten entsandt. Als mein Vetter jedoch weiter sprach, schien es mir doch wahrscheinlicher, dass er sich auf die Kommandanten bezog, die nach dem Tod des Kaisers das Kommando übernommen hatten. Da ich jedoch ungern ein Anlass dafür sein wollte, Menecrates' Magengeschwüre in Aktivität zu versetzen, ließ ich das Thema fallen. Ich war in militärischen Dingen sowieso zu unbedarft, als dass ich mir ein fachliches Urteil über diese oder jene Strategie erlauben konnte.


    "Ja, doch, ich bin rundum bei bester Gesundheit."


    Das unscheinbare 'ansonsten' überhörte ich, denn aus meiner Sicht gab es nichts, was an mir nicht gesund war. Zugegeben, in letzter Zeit zwickte oder zog ab und zu der ein oder andere Muskel nach größeren Anstrengungen. Nach der langen Reise von Ravenna nach Rom spürte ich außerdem meine Schultern ganz besonders unangenehm. Aber ich schob das alles darauf, dass ich mich langsam aber sicher der Beendigung der dritten Dekade meiner Lebenszeit näherte. Danach würde es nur noch bergab gehen. Zumindest behaupteten das die meisten Männer, die diese Grenze bereits hinter sich gelassen hatten.


    "Ein bisschen verspannt von der Reise, aber das gibt sich wieder. Spätestens in den Thermen. Die Thermen des Agrippa sollen wirklich famos sein, kannst du das bestätigen?"


    Ich hatte schon mehrmals davon gehört, dass diese Thermen nicht nur ein großes Sportareal umfassten, sondern manchmal sogar Unterrichtskurse während des Badens stattfanden. Obwohl ich beides sehr reizvoll fand, glaubte ich noch immer, dass die Stadtrömer mit solchen Behauptungen den Rest der Welt auf den Arm nahmen und sich hinter vorgehaltener Hand über jeden amüsierten, der es glaubte. Deswegen fragte ich auch nicht explizit danach.

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