aus der Abgeschiedenheit gerissen

  • Meine Augen waren während der Fußmassage geschlossen. Auf diese Weise erhöhte sich der entspannende Effekt, aber leider auch die Aufmerksamkeit, denn der Grad zwischen Kitzeln und massierendem Druck war schmal. Ein Übertreten quittierte ich mit einem spitzen Schrei und heftigem Austreten, was aber nicht oft vorkam, denn meine Sensibilität in dieser Hinsicht kannte inzwischen jede Sklavin.


    „Herrin, die Post ist eingetroffen“, flüsterte Samira, die sich zu meinem Ohr hinabgebeugt hatte.


    „Jetzt nicht“, erwiderte ich mit einem unwilligen Kopfschütteln. Seit wann unterbrach ich die Massagestunde, um die Post durchzusehen?


    „Ein Brief aus Hispania, Herrin“, hakte Samira nach.


    „Hispania?“ Ich blies verwundert Luft durch die leicht geöffneten Lippen, weil mir partout niemand einfallen wollte, der mich aus Hispania kontaktieren könnte. Es gab weder Verwandtschaft noch Geschäftspartner.


    „Vielleicht ein Interessent für ein Pferd“, mutmaßte ich, öffnete die Augen und drehte den Kopf zu Samira. „Na, dann zeig mal her.“ Ich streckte die Hand aus, nahm den Brief entgegen und saß zum Glück, als ich den Absender las.


    „Das ist ganz sicher ein Irrtum, Catus ist seit Jahren tot. Wie geschmacklos, in seinem Namen einen Brief zu verfassen.“ Noch während ich das Pergament entrollte, weiteten sich jedoch meine Augen, denn erste Worte und die Unterschrift ließen mit das Blut in den Adern stocken. „Heilige Götter, das gibt es doch nicht!“ So einen unsinnigen Ausspruch hatte ich lange nicht von mir gegeben, aber es fiel zum Glück niemand auf. Ich las den Brief insgesamt dreimal, dann senkte ich das Schreiben und starrte Samira fassungslos an.


    „Das Schreibzeug! Und schaff mir den Assindius her.“ Wieder stierte ich den Brief an. „Villa Flavia in Tarraco …“, murmelte ich.

  • Ich sollte mich bei der Herrin melden. Was kam jetzt.


    Als ich den Raum betrat, blickte ich verwundert auf das Geschehen. ‚Was machen die da? Warum fummelt die Sklaven der Herrin an den Füssen rum? Hat die Herrin eventuell Hühneraugen oder Warzen? Das könnte natürlich bei den offenen Schuhen, die die hier tragen unschön aussehen.‘ Als ich dann dieses etwas von einem Schrei hörte, war meine Aufgabe doch völlig klar. Ich stampfte also auf die Sklavin zu und sah sie böse an.


    „Mach das noch mal und ich kümmre mich um dich.“

  • Nachdem Samira gegangen war, gab ich der Sklavin den Auftrag, mit der Massage fortzufahren. Hinter geschlossenen Lidern versuchte ich mir, Catus’ Antlitz in Erinnerung zu rufen, was jedoch nicht sonderlich gut gelang. Die Ereignisse lagen lange zurück und in meinem Leben war derart viel geschehen, dass es mir vorkam, als wären Jahrzehnte vergangen.
    Bald darauf öffnete sich die Tür. Ich vermutete Assindius, denn Samira besaß einen eindeutig geräuschloseren Gang.


    Wie von der Tarantel gestochen fuhr ich auf, als sein Ausspruch an mein Ohr drang.
    „Wie meinst du das?“, fragte ich verblüfft und entsetzt zugleich.


    In dem Moment kam Samira zurück und überreichte mir das gewünschte Schreibzeug. Ich nahm es entgegen, begann aber noch nicht den Brief zu verfassen, weil meine Augen gebannt an Assindius hingen. In Gedanken überlegte ich mir bereits eine Bestrafung für die respektlose Drohung, die er mir gegenüber gemacht hatte.

  • ‚Wie werde ich das wohl meinen. Ach so Moment, sie glaubt doch jetzt wohl nicht, dass ich sie meine, weil ich herkommen musste und dass ich sie jetzt, weil ich sauer bin, entsprechend quäle. Au Mann, das wollte ich doch auf keinen Fall damit sagen, da ist wohl etwas voll daneben gegangen. Ich und meine große Klappe! Das hab ich jetzt davon. Wie komm ich aus der Nummer wieder raus. Und ich kuck noch die Sklavin an, aber warum sollte jemand mit einer Sklavin sprechen, bevor er mit der Herrin gesprochen hat. Mich angemeldet hab ich ja auch nicht. Boah bin ich bescheuert! Gibt es hier auf dem Boden irgendwo Löcher in die ich versinken könnte? Natürlich nicht, wieso auch, ist ja ein ordentlicher Haushalt. Und was mach ich jetzt. Simuliere ich einen Schlafwandler oder sollte ich ihr sagen, dass ich einfach mein böses Gesicht und meine dazugehörige Stimme testen wollte. Das könnte als Leibwächter schließlich wichtig sein. Nä, das ist alles für’n Arsch, weil es unehrlich ist. Also lieber raus mit der Sprache.‘ Verunsichert sah ich die Herrin an.


    „Es wäre leicht, mir eine Ausrede einfallen zu lassen, Herrin, aber Unaufrichtigkeit verachte ich, also bleibe ich bei der Wahrheit. Ich als Leibwächter bin doch dafür verantwortlich, dass Euch nichts passiert und das Ihr nicht gequält werdet. Euer Aufschrei von grade ließ mich denken, dass man Euch Leid zu fügt. Sollte das so sein, kümmerte ich mich um die Verursacherin.“ Den letzten Satz sagte ich mit mehr Deutlichkeit in der Stimme und mit dem Blick auf diese Sklavin geheftet.

  • Während seiner Ausführungen musterte ich ihn und tippte mir mit dem Zeigefinger rhythmisch auf das Kinn.


    „Hm, Unaufrichtigkeiten hasse ich ebenso. Entweder halten wir es damit gleich oder du erinnerst dich an meine Prinzipien oder du hast bei Samira gut aufgepasst. Ich denk, ich kann ziemlich unangenehm werden, wenn mir gegenüber jemand unaufrichtig ist. Aber deine Erklärung für dein Auftreten ist witzig, wenn sie der Wahrheit entspricht.“ Ich musste schmunzeln. Das war ja fast der alte Assindius. Jemand, der sich nicht unbedingt gut als Begleitung zu einem Bankett eignete, aber als Leibsklave stets für freie Wege und keinerlei Belästigung von Händlern, Bettlern, ja selbst von Raubtieren sorgte.


    „Innerhalb dieses Haushalts musst du im Grunde nicht durchgreifen, das hoffe ich jedenfalls, aber ich werde in Kürze deinen Schutz bei einer Reise in Anspruch nehmen. Ich habe dich rufen lassen, um umgehend Erkundigungen über eine Reiseroute nach Tarraco einzuholen. Ich benutze aber ausschließlich den Landweg, ich werde leicht seekrank. Ich brauche ein Gespann und Wechseltiere, Unterkünfte und eine Auskunft, in wie vielen Tagen mit meiner Ankunft zu rechnen wäre. Und das alles am besten bereits gestern.“


    Ich setzte meine Füße zu Boden und gab den Sklavinnen einen Wink, damit sie mir die Sandalen anlegten. „Du findest mich in der nächsten Stunde im Triclinium.“ Ich wollte testen, ob er verstand, dass er nun auch ohne Aufforderung abtreten dürfte und sagte nichts dergleichen. Mein Blick verfolgte die Handgriffe der beiden Sklavinnen, die vor mir knieten.

  • ‚Die Mädels ziehen der Herrin die Schuhe an? Warum? Hat es die Herrin im Kreuz? Das ist bestimmt eine der typischen Gebräuche, von denen ich sowieso nichts verstehe; muss ich ja nicht, solange ich das tue was mir gesagt wird und ich dafür alles notwendige an Wissen habe bzw. Informatinen erhalten habe, um es auszuführen, reicht es doch.


    Also, nochmal sortieren: Eine Reise. Ziel ist Tarraco. Wir brauchen, eine Route über den Landweg, dafür ein Gespann und Pferde, Unterkünfte und wir müssen wissen, wie lange wir brauchen werden. Das wirft aber alles in allem noch weitere Fragen auf. Wenn sie schon zwei Sklavinnen braucht, um sich die Schuhe anzuziehen, braucht sie doch sicherlich für andere Tätigkeiten ebenfalls einige Sklaven. Die müssen doch dann wahrscheinlich auch alle mit. Außerdem, was heißt, dass sie ein Gespann braucht. Braucht sie eines nur für sich und dann noch drei für die Sklaven?‘
    Mit leicht schüchternem Ton richtete ich das Wort an die Herrin:


    „Ääääähm, Herrin, was ist mit Sklaven? Wieviel Sklaven sollen mit? Was ist dann mit Verpflegung, den Gespannen und Pferden. Das muss ja alles genau eingeplant sein.“

  • Na gut, etwas war ihm unklar, also waren Nachfragen besser als wenn er falsch organisieren würde. Ich beließ meinen Blick auf den Sandalen, während ich ihm noch einen kleinen Hinweis gab. Nur nicht zu viel verraten, schließlich wollte ich, dass er so selbstständig wie früher wurde.


    „Wenn du dich an der Landreise nach Germanien orientierst, kannst du im Grunde nichts falsch machen.“
    Ich schmunzelte, ließ es mir aber nicht anmerken. Eigentlich konnte er jetzt das Zimmer verlassen und loslegen.

  • Das war ja eine hilfreiche Anwort. Meine Frage hätte ich mir also auch sparen können. Nun gut, so war das jetzt eben, dann müsste ich eben einen oder eine der Sklaven fragen. Die wüssten genau, wie viele Sklaven die Herrin mitnehmen würde. Oder bekäme ich das eventuell auch so hin? Ich überlegte und rief mir das Haus in meine Erinnerung zurück. Schließlich war ich in diesem Haus erwacht und dies könnte ein Orientierung für meine Planungen sein. Wie viele Zimmer, wie viele Betten? Nein, das war unnötig. Die Zimmer gehörten den Herrschaften, die Herrin aber wollte alleine fahren. Ich werde seekrank, ich nehme den Landweg, ich brauche usw. Führen wir mit mehr Leuten, hätte sie wir gesagt und nicht ich. Also nur sie allein.
    Sklaven? Es standen ungefähr zehn Betten in der Sklavenunterkunft, also würde sie sicherlich zumindest nicht mehr Sklaven mitnehmen wollen. Allerdings waren diese zehn Betten für zehn Sklaven und diese waren sicherlich auch für alle Herrschaften und waren nicht zehn Sklaven für eine Person. Nun gut, vielleicht standen auch mehr als nur zehn Betten in der Sklavenunterkunft, vielleicht waren es auch fünfzehn, aber das wäre dann unerheblich. Ich plante jedenfalls mit 10 Sklaven die mitkommen würden.„Ich kümmere mich um alles!“


    Sie hatte so etwas aufforderndes in der Stimme und ihre spärlichen Worte und ihr Hinweis wo ich sie fände ließen mich denken, dass ich nun gehen sollte. Also nickte ich und trat ab.

  • Nachdem Assindius gegangen war, setzte ich mich an den Schreibtisch und begann den Antwortbrief an Catus. Bereits nach der Anrede stockte ich, weil es einerseits schwierig war, die wirbelnden Gedanken zu bündeln, und mir andererseits unklar war, was genau Catus für mich darstellte. War er nur einer vom selben Stand? War er ein Bekannter oder war er zu einer Art Verbündetem geworden, als er in der damals schwierigen Zeit den Lebenswillen aufgegeben hatte? War er gar so etwas wie ein Freund, denn warum sonst setzte man sich derart für das Leben eines anderen ein? Ich schob diese Fragen weit fort, denn die Suche nach einer Antwort behinderte den Brieffortschritt. Trotz allem ergaben sich immer wieder Schreibpausen, in denen ich nach Worten suchte.


    Irgendwann entsprach der Brief annähernd meinen Vorstellungen, ich versiegelte ihn und übergab ihn der wartenden Samira. Die Gebühr gab ich ihr in kleinen Münzen mit.
    Als sie gegangen war, blieb ich nachdenklich sitzen. Der beabsichtigte Gang ins Triclinium fiel vorerst aus.

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