Der (neue alte) Hausherr

  • Avitus ließ sich auf einer Kline im Atrium nieder, schaute sich im Atrium um, während leichte Speisen und Getränke serviert wurden. Medeia hatte Geschmack bewiesen. Und ein kleines Vermögen ausgegeben, um hier in Rom dieses Haus zu erwerben und so einzurichten.
    "Du bleibst lange, Herr?"
    "Das weiß ich noch nicht"
    sagte Avitus.
    "Ich bin hauptsächlich hier, um mein examen tertium zu machen. Das findet in zwei Tagen statt. Bis dahin... nun ja"
    Avitus hatte die letzten Jahre, viele Jahre, in der Castra verbracht und das Leben in der Stadt erschien ihm irgendwie fremdartig, ungewohnt.


    "Das wichtigste zuerst. Sind die sterblichen Überreste meines Sohnes angekommen?"
    fragte er.
    "Ja, Herr. Alles ist erledigt worden. Sie sind in der letzten Ruhestätte der Atorier aufbewahrt. Hier ist ein Brief deines Vetters aus Germania"
    Archias reichte seinem Herrn den Brief. Avitus öffnete ihn nicht, wollte die Zeilen im Anschluss an dieses Gespräch in der Abwesenheit des Personals zur Kenntnis nehmen.
    "Gut. Das hast du gut gemacht"
    "Nicht der Rede wert, Herr. Es tut mir leid um den Verlust deines Sohnes"
    sprach der Freigelassene dem Artorier sein Beileid aus. Avitus blickte zu Archias.
    "Ja, ja ich weiß"


    Dann wechselte er das Thema.
    "Diese Sklaven.... taugen die was?"
    fragte er.
    "Eigentlich schon. Hier war es ruhig in den letzten Monaten, das kannst du dir vorstellen. Gelegentliche Besuche, darunter auch die von den aquarii des curator aquarum, die wir aber bisher abwimmeln konnten. Ich fürchte, auf lange Sicht kommt man um die Abrechnung nicht herum. Bisher haben die Kulanz bewiesen, aber... wer weiß, wie lange das noch so geht"
    "Gut, ich weiß dann bescheid"
    sagte Avitus.
    "Notier das"
    sagte er und Archias machte einen Vermerk in dem Notizbuch.
    "Was noch? Gab es Briefe von Commodus?"
    "Nein, Herr. Wir haben lange schon nichts mehr von ihm gehört. Wir wissen nicht mal, ob er weiß, was mit der domus passiert ist..."
    Archias berichtete weiter und Avitus hörte zu, aß währenddessen, ließ den Freigelassenen gelegentlich Notizen machen, so dass sich das Notizbuch langsam mit Terminen füllte. Er wollte später schauen, was davon gestrichen oder aufgeschoben werden konnte und was dringend erledigt werden musste... Irgendwann winkte er ab
    "... später..."
    und stand auf. Archias zog sich diskret zurück, die anderen Sklaven verließen auf ein Zeichen von ihm das Atrium. Avitus brach das Siegel des Briefes von Reatinus auf und begann zu lesen.

  • Mit Wehmut las Avitus den Brief seines Vetteres, der in Germania diente und dort eine Centuria der Legio Secunda führte. Eine Centuria, der auch sein Sohn angehörte, Cnaeus. Sein Sohn, der fernab von hier, in einem Valetudianrium irgendwo in Germania, an den Verletzungen starb, die ihm irgendjemand zugefügt hatte. Was Avitus am meisten wütend machte, war die Tatsache, dass er nach wie vor so gut wie nichts wusste. Die sterblichen Überreste seines Sohnes waren im Grabmahl der Artoria untergebracht. Doch die Umstände seines Todes blieben weiterhin im Nebel. Avitus rollte den Brief des Reatinus zusammen und legte ihn wieder ab. Auf ein Wink von ihm erschien Archias wieder, mit Schreibzeug bewaffnet, in seiner Vorausschau wohlwissend, dass Avitus eine Antwort würde aufsetzen lassen.


    Avitus begann zu diktieren.
    "Sei gegrüßt Vetter. Den Inhalt deines letzten Briefes habe ich jetzt erst zur Kenntnis nehmen können. Darum verzeih, dass meine Antwort eine Weile auf sich warten ließ..."
    Avitus machte eine Pause, während Archias seine Worte niederschrieb.
    "... warten... ließ..."
    murmelte er, während er schrieb.
    "Das wichtigste zuerst. Ich spreche dir meinen Dank aus, Vetter, dass du dich um die Überstellung der sterblichen Überreste meines Sohne gekümmert hast..."
    Avitus diktierte weiter. Minuten vergingen. Irgendwann stand der Text. Avitus überflog ihn nochmal, signierte und versiegelte den Brief dann.
    "Bringe das Schreiben zur mansio"
    trug er Archias auf, der gehorsam nickte, den Brief wie einen Schatz entgegennahm und sich abermals wortlos zurückzog.


    Avitus blieb alleine sitzen, in Gedanken vertieft...

  • Wie immer war es bereits jetzt ziemlich warm in der Stadt. Avitus saß alleine im großen Atrium, während Archias unterwegs war, um seiner Anweisung Folge zu leisten und den Brief dem Cursus Publicus zu übergeben. Seine Gedanken drehten sich um seinen Sohn, dessen Ermordung. Stets versuchte er, sich keine Bilder auszumalen, wie der Junge irgendwo im Lazarett der Legion blutüberströmt dalag, von Schmerzen geplagt und mit Sterbensangst in den Augen. Manchmal kamen die Bilder einfach, ohne, dass er sie verdrängen konnte, ohne, dass er sich ihrer irgendwie erwehren konnte. Dann zitterten die Hände des Avitus und viele verschiedene Gefühle vermischten sich in seinem Inneren zu einem Chaos, gegen das es schwer war anzukommen.


    Er stand auf und näherte sich dem Impluvium, das mit ein wenig Wasser gefüllt war. Sauberes Wasser, doch nicht tief, kaum ein Palmus. Er hockte sich neben dem Impluvium, senkte seine rechte Hand ins Wasser. Es war kühl und erfrischend. Er befeuchtete den Nacken etwas und erhob sich wieder, überlegte, das Atrium zu verlassen und in den Garten zu gehen, um dort es vielleicht leichter zu haben, die düsteren Gedanken an das Vergangene zu verdrängen. Ihn erwartete noch das Examen, welches in zwei Tagen stattfinden würde und er musste sich vorbereiten auf das Kolloquium. Doch das verschob er auf später. Das hatte noch Zeit.


    Das Haus wirkte leer, so, wie er hier alleine stand. Wirklich alleine, denn selbst die Sklaven hatten sich zurückgezogen. Wie gerne hätte er es erfüllt mit Leben gesehen. Mit Stimmen spielender Kinder, mit Musik vielleicht oder Gesang oder dem Rezitieren der Werke bedeutender Schreiber vergangener Zeiten durch eine Stimme aus dem Garten. Die Stimme einer Frau vielleicht. Oder die eines heranwachsenden Kindes. All das war ihm bisher nicht vergönnt gewesen, all das hatte er zugunsten seiner Laufbahn beim Militär Roms hintenanstellen müssen. Er bereute nicht, sich für's Militär entschieden zu haben. Schließlich hatte er einen Sohn. Doch nun, nachdem Severus tot, seine Mutter von ihm getrennt und Avitus alleine vor den Scherben dessen stand, was einmal sein Privatleben war - so bescheiden und zweitrangig es auch war - erkannte er, dass ihm im Grunde nichts anderes übrig blieb, als weiterzumachen. Von vorne anzufangen. Er war jung. Ein junger Vater war er gewesen, ein sehr junger Centurio und einer der jüngsten Primipili im Imperium. Noch hatte er die Möglichkeit, von vorne anzufangen. An Geld mangelte es ihm nicht. An Lebenskraft nicht minder. Tief atmete der Artorier durch und blickte durch die Öffnung im Atrium, durch die ein Sonnenstrahl hereinschien und teils aufs Wasser fiel. Ein schönes Bild. Ein schönes Haus. Ein schöner Traum. Etwas, wovon es sich lohnte, zu träumen, wofür es sich lohnte, weiterzumachen.


    Ende

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