Erkundung der Villa

  • Es war wichtig, den Weg zum Atrium zu kennen und ihn alleine zu finden. Davon abgesehen, dass es wichtig war, sich in seinem eigenen Heim zurecht zu finden, war das Atrium Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Wenn ein Gast kommen würde, dann würde ich ganz allein diesen Weg antreten und bis zum Anfang des Raumes gehen. 'Salve, mein lieber Gast', würde ich ihn begrüßen bevor ich das Atrium betrat. Er würde sich umdrehen, vielleicht ein paar Schritte gehen und die Begrüßung erwidern, so dass ich genau wissen würde, wo er stand und auf ihn zugehen konnte. Dann würde ich auf die Klinen weisen, von denen ich längst wusste, wo sie standen und wir würden uns setzen. Ich würde die Sklaven der Villa noch entsprechend erziehen müssen, dass die Klinen tatsächlich immer dort standen, wo ich sie erwartete.


    Aus diesem Grund hatte ich gemeinsam mit Tuktuk die Villa erkundet. Wir waren mehrmals den Weg von meinem Cubiculum bis ins Atrium abgegangen, ich hatte Schritte gezählt und er hatte mich auf alles hingewiesen, was wichtig war. Jetzt war ich alleine an der Reihe. Später würde ich den Weg ganz ohne Hilfsmittel gehen, doch noch hielt ich meinen Stock in der Linken. Ich brauchte ihn nur dann, wenn ich ohne Tuktuk unterwegs war, denn sonst gab dieser den Weg vor. Wenn ich allerdings alleine war, vor allem außerhalb der Villa, verhinderte der Stock, dass ich über unvorhergesehene Hindernisse stolperte oder jemanden anrempelte, gleichzeitig lieferte er mir Information über die Bodenbeschaffenheit und den Weg. Er war aus Kirschholz, und zwar nicht aus einem wild gewachsenen Ast, sondern aus einem Stamm geschnitten, zuerst als Vierkantholz und danach rund gefeilt, weshalb er schnurgerade war. Er war glatt poliert und der Griff mit einem weichen Band aus Rehleder umwickelt, welches in einer Schlaufe endete. Die Spitze wurde von einem Eisenhut umfasst, denn das Geräusch von hartem Eisen auf irgendetwas anderem war eindeutiger als das von weichem Holz auf irgendetwas. Natürlich war es eine Maßanfertigung, auf meine Größe zugeschnitten, und mehr wert, als die meisten Römer an einem Tag verdienten - nicht nur im ideellen Sinn für mich, sondern auch als Investition gesehen - wenn auch vermutlich außer mir niemand einen Preis dafür zahlen würde


    Mein Schritt war trotzdem ziemlich vorsichtig als ich durch die Gänge schlich. Ab hier fünf Schritte, dann nach links. Ich streckte meinen linken Arm zur Seite, dann noch ein Stück bis ich ein leises Klacken hörte. Dann drehte ich mich und ging vorsichtig ein paar Schritte weiter. Da sich vor mir keine Wand auftat, war ich wohl noch auf dem richtigen Weg. Vier Schritte, dann rechterhand auf den Sockel mit der Marmorbüste des Kaisers Claudius aufpassen. Nochmal sechs Schritte, dann war ich im Atrium. Ich spürte es an dem Lufthauch, der dort wehte. Egal wie gut eine Fußbodenheizung war und wie viele sonstige Wärmequellen im Raum aufgestellt waren, in einem Atrium herrschte immer eine andere Luftqualität als in den übrigen Räumen, eine frischere.


    Jetzt musste ich nur noch die Klinen finden und aufpassen, dass ich nicht im Impluvium landete. Welcher Architekt hatte sich nur so einen Schwachsinn ausdenken können - ein Wasserbecken inmitten eines Raumes? Blind war er mit Sicherheit nicht gewesen. Ich hatte es bisher auch versäumt, die Umrandung des hiesigen Impluviums zu suchen, und solange Tuktuk nicht bei mir war, wollte ich vermeiden, ihm zu nahe zu kommen. Zu meiner Verteidigung muss ich anbringen, dass ich bei den seltenen Gelegenheiten, wenn meine Füßen Kontakt mit dem Wasser gesucht hatten, nicht mehr nüchtern gewesen war.


    Fünf Schritte in den Raum hinein, drei nach rechts, dann wieder links, vier Schritte. Dann tastete ich langsam mit dem Stock nach vorne und wartete darauf, dass er gegen die Liegefläche der ersten Kline stoßen würde. Zögerlich rückte ich ein Stück weiter. Da war nichts. Dann stieß ich auf Stein. Ich tastete mit der Rechten vor mich und berührte die kühle Glätte einer Säule. Was machte eine Säule hier? Fünf Schritte in den Raum hinein, drei nach links, dann wieder rechts, vier Schritte - wo waren die Klinen? Natürlich war es möglich, dass irgendein putzwütiger Sklave sie verrückt hatte, aber nicht in so kurzer Zeit, und außerdem hätte er auch keine Säule stattdessen stehen lassen.


    Ich hatte die Orientierung verloren und das ärgerte mich. Natürlich würde Tuktuk bald nachkommen, doch ich hatte mir vorgenommen, dann schon triumphierend auf einer Kline zu liegen. Vielleicht schon mit einem Becher Wein in der Hand protzend und bis dahin dem Atrium zuhörend. Kein Raum war selbst unbeachtet so geschäftig wie das Atrium eines Hauses. Natürlich ließ sich dem auch zuhören, während man an einer Säule herum stand. Aber an einer Säule herum stehen, das war etwas für Sklaven, nichts für mich. Sitzen vielleicht, aber an eine Säule gelehnt auf dem Boden sitzen, das war nichts für einen Patrizier. Es blieb also nur Plan B, jemanden fragen, der sich damit auskannte.


    Wenn man in einer Welt, in der so viel aufs Sehen ausgelegt war, nichts sah, dann gewöhnte man sich zwangsläufig an, unverblümt Hilfe einzufordern, wenn man sie brauchte. Das hatte nichts mit Selbstsucht zu tun und das letzte, was ich mochte, war ein Eimer voller Mitleid dazu. Ich brauchte nur einfach ab und an einen Hinweis, und auf diesen bestand ich dann auch. Ich verstand natürlich, dass in dieser Welt so viel auf das Sehen ausgelegt war, wo es doch so bequem war, wenn man es konnte. Doch dann musste es für einen, der es nicht konnte, möglich sein, sich mal eben ein paar Augen auszuleihen.


    Ich drehte mich also zurück in den Raum und räusperte mich lautstark. In einer patrizischen Villa war man nie allein. Immer standen irgendwo Sklaven herum, viele nahm ich nicht bewusst wahr, denn sie standen still und stumm herum, rochen nicht nach Duftwasser oder Ölen, sprachen nicht, schienen manchmal sogar das Atmen zu unterdrücken. Doch da waren sie fast immer.


    "Ist zufällig irgend jemand hier?"



    Sim-Off:

    Frei für Mitschreiber. :)

  • Endlich waren wir bei unseren Verwandten in Rom angekommen. Der gestrige Tag unserer Ankunft war ziemlich stressig gewesen. Nicht nur wegen der Verzögerung am Stadttor, sondern auch wegen den anderen Pflichten, die uns nach unserer Ankunft erwartet hatten. Zunächst empfing uns Menecrates und danach erhielt jeder sein Cubiculum, was auch seine Zeit brauchte. Es war deshalb ziemlich spät, als ich mich endlich in mein Zimmer zurückziehen konnte. Die lange Reise erforderte ihren Tribut. Ich legte mich auf mein Bett und schlief direkt ein.


    Am anderen Morgen wachte ich ziemlich spät auf, aber fühlte mich sehr erfrischt und voller Tatendrang. Zunächst wollte ich einmal das Haus erkunden. Außer dem Atrium und meinem Cubiculum hatte ich ja noch nichts gesehen und meine Neugierde war deshalb geweckt. Nach kurzer Überlegung wollte ich im Impluvium beginnen, denn es lag nahe am Atrium. Für die ersten Erkundungsgänge wollte ich mich nicht so weit von bekanntem Terrain entfernen, wer wusste schon ob man sich nicht in den Weiten der Gänge verirren konnte.


    So trat ich also vor die Tür. Das Atrium lag im Erdgeschoss, mein Cubiculum im ersten Stock. Also musste ich zuerst einmal die Treppe wiederfinden. Nur wo war die noch gleich? Gestern war ich einfach zu müde und ich konnte mich einfach nicht an den Weg erinnern. Nach einigem Herumirren hatte ich schließlich den Treppenabgang gefunden. Gegenüber der Treppe stand eine Büste von einem berühmten Vorfahren, dem Kaiser Claudius.


    Langsam ging ich die Treppe hinunter und wollte mir die Büste aus der Nähe betrachten, als ich plötzlich ein Räuspern vernahm. Irgendjemand musste hier sein, aber ich sah niemanden. Nur ein paar Sklaven standen im Atrium herum, doch die hatten sich bestimmt nicht so geräuspert. Neugierig drehte ich mich um und wollte ein paar Schritte weiter ins Atrium hineingehen, doch schon vernahm ich eine mir bekannte Stimme. Der gute alte Tucca war auch hier in Rom. Wir hatten uns in Ravenna oft getroffen, aber er hatte mir gar nichts von seinem Vorhaben erzählt, seine Verwandten in Rom zu besuchen. Über seine Pläne hier musste ich mehr erfahren.


    "Salve Tucca, das ist ja eine Überraschung, dich hier zu treffen. Wie geht es dir denn und was machst du denn hier?"

  • Ich lauschte in das Atrium und hörte den Ankömmling noch bevor er etwas sagte. Da ich in diesem Haus noch niemanden an seiner Gangart erkennen konnte, war es nicht verwunderlich, dass ich auch diese Person nicht kannte. Zumindest glaubte ich, sie nicht zu kennen, bis ich seine Stimme hörte.


    "Verus?"


    Nicht nur meine Stimme klang ziemlich erstaunt, auch die tiefen Furchen in meiner Stirn zeugten von meiner Überraschung. Dass jeder Blinde eine einmal gehörte Stimme jederzeit wieder erkennt, ist natürlich vollkommener Unsinn. Es erkennt immerhin auch nicht jeder Sehende jedes einmal im Leben gesehene Gesicht wieder. Aber Verus' Stimme hatte ich nicht nur einmal gehört, ich kannte sie gut. Er hatte mich einige Mal in Ravenna besucht und obwohl wir beinah ein Jahrzehnt auseinander waren, hatten wir uns immer gut verstanden. Er war ein kluger Kopf und einer dieser Claudier, die dem Ruf ihres Namens folgen wollten, Politik, Ämter und Ehren eingeschlossen. Ich hatte geglaubt, er wäre derzeit in Athen, denn wie die meisten klugen Patrizier, die dem Ruf ihres Namens folgen wollten, hatte er sich dort gemeinsam mit seinem Bruder einem Studium gewidmet.


    "Was ich hier mache? Ich mache mich mit dieser Villa vertraut. Aber was mich viel mehr interessieren würde ist, was du hier machst?"


    Warum hatte Menecrates seine Anwesenheit nicht erwähnt? Hatte er ihn vergessen? Mir fiel wieder ein, dass ich Tuktuk immer noch nicht danach gefragt hatte, wie alt Menecrates ungefähr genau war.


    "Doch bevor wir hier im Herumstehen ein Gespräch anfangen, würdest du mir helfen? Denn anscheinend bin ich ohne Tuktuk leider noch nicht sehr vertraut mit dieser Villa."


    Ich drehte meinen Stock zwischen den Händen. Es war eine Geste der Verlegenheit, der ich mir jedoch nicht wirklich bewusst war, da ich sie niemals offen gezeigt hätte.


    "Eigentlich wollte ich zu den Klinen hier im Atrium. Es sind drei Stück um einen Tisch herum, bezogen mit weichem Stoff, der am summus in imo schon leicht aufgeraut ist. Drauf liegen große Kissen, etwa so breit."


    Ich nahm meine Hände so weit auseinander, wie ich mich daran erinnerte, ein Kissen dazwischen gehalten zu haben.


    "Sie sind mit dem gleichen Stoff bezogen und mit einer gezackten Borte gesäumt. Die Kanten am Tisch sind abgerundet, das Holz ist glatt poliert. Wenn man auf der lectus medius liegt, dann hat man das impluvium im Rücken."


    Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass je genauer man zu beschreiben wusste, wo man hin wollte, desto seltener landete man irgendwo, wo man nicht hin wollte.


    "Sie müssen hier ganz in der Nähe sein."


    Vermutlich standen sie nur ein paar Schritte neben uns. Aber da sie keinen Ton von sich gaben und sich auch nicht bewegten, war es für mich beinah unmöglich, sie wahrzunehmen.


    "Wenn du mich zu ihnen bringst, erzähle ich dir auch, was mich nach Rom getrieben hat."


    Ganz davon abgesehen, dass ich Verus darüber ausquetschen würde, was er in Rom machte. Auffordernd schob ich meinen rechten Ellenbogen ein wenig nach vorn, so dass er mich führen konnte.

  • "Ja, Tucca!"


    Langsam näherte ich mich der Stelle, an der Tucca stand. Er schien erstaunt zu sein, dass er mich hier traf. Zumindest spiegelte das seine Mimik. Er stand neben einer Säule und hatte seinen Blindenstock dabei, mit dem er gerade eine Säule vor ihm ertastet hatte.


    "Du scheinst erstaunt zu sein, mich hier zu sehen. Aber ich bin auch erst seit gestern hier in Rom und wollte mich gerade auf einen Rundgang durch die Villa machen, um hier alles kennenzulernen. Und später möchte ich auch noch auf die Märkte."


    Also zu den Klinen wollter er. Ich hatte mich auch schon gewundert, wieso er hier so nahe an der Säule stand. Er musste die Orientierung verloren haben. Während er mir eine Beschreibung der Klinen gab, drehte er seinen Stock zwischen den Fingern. Es wäre mir nicht weiter aufgefallen, wenn er darin nicht eine Art Kunst entwickelt hätte. Seine Beschreibung wäre allerdings auch nicht unbedingt nötig gewesen, denn die Klinen standen ganz in der Nähe. Ich hatte sie schon beim Hereinkommen ins Atrium gesehen. Sie standen linkerhand von der Säule, ungefähr fünf Schritte entfernt.


    "Natürlich helfe ich dir! Die Klinen sind gar nicht weit entfernt. Linkerhand von der Säule stehen sie."


    Tucca streckte schon seinen Ellbogen aus, damit ich ihn führen konnte. Deshalb hakte ich mich ein und ging mit ihm zu den Klinen. Es war mir unangenehm, ihn ohne zu fragen einfach zu einer Kline zu führen, deshalb hakte ich nochmal nach:


    "Bevorzugst du einen bestimmten Sitzplatz? Oder ist es dir gleich, wo du sitzt?"


    Neugierig war ich total, auf das was Tucca mir gleich berichten würde, wir hatten uns immerhin zehn Jahre nicht gesehen. Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor und es gab bestimmt viel zu erzählen. Auch er hatte bestimmt eine Menge Fragen.


    "Tucca, ich bin schon ganz gespannt, was du mir alles zu erzählen hast. Es ist ja so lange her. Und du möchtest bestimmt auch wissen, wie es mir ergangen ist"

  • Dass Verus erst seit einem Tag in Rom war, erklärte zumindest, warum Menecrates nichts von ihm gesagt hatte. Ich folgte ihm zu den Klinen, von denen ich die erste Kante schon nach ein paar Schritten mit dem Stock fand. Es ärgerte mich, dass ich ihnen so nah gewesen war, vermutlich war ich nur einmal nach rechts statt links. Hätte mir Tuktuk nur den Weg beschrieben, hätte ich es auf ihn geschoben, denn Tuktuk hatte schon immer Schwierigkeiten mit Rechts und Links gehabt. Allerdings war ich den Weg selbst mit ihm gegangen und hatte die Schritte gezählt. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich schon ziemlich lange keine neuen Wege mehr beschritten hatte. In Ravenna kannte ich mich längst aus und wenn ich einmal aus der Stadt raus gekommen war, dann nie lange genug als dass es nötig gewesen wäre, mir Wege zu merken.


    "Nachdem wir nicht vorhaben, ein gesellschaftliches Ereignis aus unserem Gespräch zu machen, ist mir der Platz völlig gleich."


    Ansonsten legte ich durchaus Wert auf meinen Platz, vor allem außer Haus. Ich stand in der Ämterhierarchie natürlich ganz unten, doch ich war ein Claudius und hatte eine der großartigsten Familiengeschichten, die ein Römer haben konnte. Meine Vorfahren hatten Rom und dem Imperium viel von seiner Pracht gegeben. So viel, dass es auch auf mich noch nachwirkte und mich in den meisten Fällen vor einem Platz am Ende der Klinen bewahrte - zumindest in Ravenna. Vielleicht hätte ich nicht ganz so viel Wert darauf gelegt, wenn es mir nicht gleichzeitig auch einen Vorteil bei der Unterhaltung geboten hätte. Vor allem bei regen Tischgesprächen war es einfacher für mich, mich mit jemandem direkt neben mir zu unterhalten, als von irgendwo auf der anderen Seite des Tisches die Stimme meines Gesprächspartners aus den anderen Gesprächen herauszufiltern.


    Ich löste meinen Arm von Verus und fuhr mit der Hand den Stock entlang nach unten bis ich die Kline berührte. Dann prüfte ich den Platz nach rechts und links, bevor ich mich setzte und den Stock vor die Kline auf den Boden legte. Nachdem auch Verus Platz genommen hatte, ergriff ich das Wort.


    "Ich bin auch erst vor ein paar Tagen angekommen. Um ehrlich zu sein, mir ist in Ravenna die Decke auf den Kopf gefallen. Nautius Carbo ist letzten Winter über den Styx gesegelt, so dass die gesellschaftlichen Großereignisse in diesem Jahr rar werden."


    Carbo hatte hinter vorgehaltener Hand den Beinamen Caesar Ravennae getragen und sein Vermögen in das Allgemeinwohl der städtischen Oberschicht gesteckt. Seine Gelage waren legendär gewesen, sein Ende nicht ganz unerwartet. Dennoch hatte es uns alle getroffen und in einem erlahmten Alltag zurück gelassen.


    "Ein Philosoph aus Rhodus, den ich für den Mai eingeladen hatte, hat kurzfristig abgesagt, weil er einen Ruf nach Athen bekommen hat. Und Servilius Ruso hat sich in den Kopf gesetzt, die nächsten Jahre Ägypten zu bereisen, so dass ich zwar interessante Berichte von dort erhalte, mir allerdings nicht nur ein Ludus Latrunculorum-Gegner fehlt, sondern mit ihm auch das Leitpferd zum Ausreiten. Deswegen hielt ich es für eine äußerst gute Idee, endlich doch noch einmal Rom zu besuchen und meiner Verwandtschaft ein bisschen auf die Nerven zu fallen."


    Ich grinste ein wenig schief.


    "Ich muss allerdings gestehen, dass ich mir die Stadt lange nicht so groß vorgestellt habe. Ich war bei einem Theaterstück zu den Megalesia. Das Stück war wirklich gut, aber ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Haufen erlebt."


    Obwohl mir das Treiben in der Stadt wirklich gut gefiel, war ich mir noch nicht sicher, wie lange ich es aushalten würde. Natürlich konnte ich immer auf Tuktuk vertrauen, doch ich legte auch Wert auf meine Selbständigkeit. Momentan konnte ich mir allerdings nicht vorstellen, in Rom jemals irgendwo hin allein zu gehen.


    "Aber nun sag schon, Verus, warum bist du hier? Hast du dein Studium abgeschlossen oder wirst du bald wieder nach Athen zurück kehren?"


    Mit einem Mal drehte sich mein Kopf zur Seite, so dass mein Ohr in direkter Linie zu Verus lag. Es war eine unbewusste Reaktion, weil ich so nun einmal mein Gegenüber am besten hörte. Ich versuchte es normalerweise zu vermeiden, da es durchaus als unhöflich angesehen werden konnte. Es erweckte oftmals den, allerdings falschen, Eindruck, ich würde mich abwenden. Aber manchmal, wenn ich erstaunt oder überrascht war, vergaß ich es. Im Moment war ich überrascht über den Gedanken, der mir eben gekommen war. Verus war nun etwa so alt wie ich damals, als meine erste Ehe geschlossen worden war.


    "Du bist doch nicht etwa nach Italia gekommen, um zu heiraten?"


    Eine Hochzeitsfeier in Rom wäre genau nach meinem Sinn.

  • Also auch Tucca war neu eben erst in Rom angekommen. Was ich eigentlich schade fand, denn ich hoffte, von ihm auch Neuigkeiten aus der Hauptstadt zu erfahren. Nichts Überraschendes war es für mich, als ich hörte, dass es Tucca in Ravenna langweilig fand, da ich ihn und seine Vorlieben für Gelage kannte. Aber auch mir ging es da nicht anders. Wir, die Mitglieder der römischen Aristokratie, schätzten die abendlichen Gelage, sie gehörten zu unserem Tagesablauf. Und wenn sie dann einmal über längere Zeit ausblieben, dann fehlte uns einfach ein Stück Lebensqualität.


    "Eine gute Idee, hier deine Verwandten zu besuchen. Du weißt ja, Rom ist immer eine Reise wert. Und hier erlebt man was und es wird einem nie langweilig, zumindest sagen das die Leute."


    Noch hatte ich ja nicht die Gelegenheit gehabt, es auszutesten, ob es wirklich stimmt. Aber ich wollte es so schnell wie möglich nachholen.


    Das Fest der Megalesia. Ein Fest zu Ehren der Magna Mater. Ich hatte davon gehört, aber noch nie daran teilgenommen. Deshalb war ich neugierig, was es von dem Fest zu erzählen gab.


    "Erzähl mir mehr von den Megalesia dieses Jahr. Gab es irgendwas Besonderes?"


    Dann wollte Tucca wissen, wie ich meine Zeit in Athen verbracht hatte.


    "Weißt du Tucca, meine Studien in Griechenland waren sehr gut. Nicht nur, dass ich Gelegenheit hatte Athen kennenzulernen und wichtige Kontakte zu knüpfen, sondern auch um meine Kenntnisse in Rhetorik stark zu verbessern."


    Plötzlich war ich etwas verdutzt, als ich Tuccas Bewegung wahrnahm und folgte seinem Kopf. Hatte er irgendwas gehört, ich jedenfalls konte weder was hören noch was sehen. Wir waren ganz allein im Atrium. Wenn man mal von den Sklaven absah, die herumstanden, aber die zählten ja nicht.
    Während ich noch über den Grund für Tuccas ruckartige Bewegung nachdachte, hörte ich auch schon seine nächste Frage und musste herzlich lachen.


    "Erst einmal möchte ich in die Politik hier einsteigen, darauf habe ich in Athen hingearbeitet. Aber da ich vorhabe lange Zeit hier in Rom zu bleiben, werde ich sicherlich auch Gelegenheit finden zu heiraten. Wir werden sehen... Und nach Athen zurückkehren werde ich deshalb in den nächsten Jahren wohl nicht. Wie steht es mit dir, wie lange wird dein Besuch hier in Rom dauern? "


    Wo blieben eigentlich die Slaven, um uns verdünnten Wein und Knabbereien zu bringen? Ich schaute nach allen Seiten, doch keiner der Sklaven machte Anstalten, uns etwas zu bringen.

  • "Viel mehr als das Theaterstück habe ich von den Megalesia nicht mitbekommen. Die Feiertage danach sind mir entgangen."


    Die Eröffnung war kurz nachdem ich in Rom angekommen war. Die gewaltige Menschenmenge im Marcellustheater hatte mich doch etwas überfordert, und die kleine Auseinandersetzung im Theater mit dem Kerl vor mir hatte dem die Krone aufgesetzt. So etwas war mir schon recht lange nicht mehr passiert, wenn auch nicht zum ersten mal. In Ravenna kannte mich die halbe Stadt, vielleicht auch die ganze. Doch hier in Rom würde ich mich vermutlich daran gewöhnen müssen.


    "Das Stück selbst war etwas unkonventionell, der Protagonist war ein Satyr. Aber es war sehr unterhaltsam. Einer der Aedile hat es ausgerichtet."


    Meine Nase richtete sich wieder in Richtung Verus. Ich bezweifelte nicht, dass die Studien meines Vetters erfolgreich gewesen waren. Wenn ein Claudier etwas anfing, dann kam auch meist etwas dabei raus. Ich selbst war dabei eher eine der sprichwörtlichen Ausnahmen, die die Regel bestätigten.


    "Auf deine erste Rede bin ich schon gespannt. Sag mir Bescheid, wenn du dich auf die Rostra wagst. Willst du direkt in den Cursus Honorum einsteigen oder erst in die lokale Verwaltungspolitik?"


    Ganz sicher war ich nicht, was man in Rom überhaupt außer dem Cursus Honorum an Politik treiben konnte. Aber vermutlich war dagegen sowieso alles andere Kinderkram. In meinen eher schwachen Momenten dachte ich tatsächlich manchmal über eine politische Karriere nach, eine kleine vielleicht. Eine Rhetorikausbildung hatte ich mir gegen Ende meiner Jugend ebenfalls zukommen lassen, wenn auch nicht im schönen Griechenland, wo einem die Sprachgewandtheit mit dem Abendessen serviert wurde. Die passenden Gesten vergaß ich auch immer, aber um überzeugend sprechen zu können, brauchte man Gesten ebenso wenig, wie man sehen musste. Unser Vorfahre Appius Claudius Caecus war das beste Beispiel dafür.


    Glücklicherweise dauerten diese schwachen Momente nie allzu lange an. Ich hatte nichts gegen ein gutes Streitgespräch, doch politische Diskussionen wurden meiner Meinung nach vorwiegend mit dem Holzhammer geführt. Jeder versuchte, seine Meinung möglichst schlagkräftig zu verteilen. Mag sein, dass junge Männer wie Verus noch Ideale in ihrem Sinn hatten - für das Wohl des römischen Imperium, für das Volk, für den Kaiser, und so weiter, doch irgendwann verloren sie sie. Spätestens, wenn sie wirklich wichtige Ämter inne hatten, in denen sie tatsächlich etwas bewegen konnten, ging es am Ende meist doch nur noch um persönliche Macht, persönlichen Reichtum und persönlichen Einfluss. Reichtum reichte mir, solange er mir reichte, und den Nervenkitzel von Macht und Einfluss hatte ich nie ganz durchschaut. Darüber hinaus fehlte es mir völlig am notwendigen Ehrgeiz.


    "Die Dauer meines Aufenthalts werde ich davon abhängig machen, wie gut es mir hier gefällt."


    Es gab schließlich nichts, weswegen ich dringend hier oder dort sein musste. Der Nachteil des Ungebunden-Seins war manchmal, dass man an nichts gebunden war.


    "Du weißt, dass ich meine Unabhängigkeit schätze, und momentan ist Rom für mich noch ein einziges diffuses Chaos. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwohin ohne Tuktuk zu gehen. Aber ein paar Wochen werde ich mindestens mal bleiben, die lange Reise muss sich schließlich gelohnt haben. Und ich werde auf jeden Fall da sein, wenn du dann heiratest. Dafür würde ich sogar noch einmal von Ravenna anreisen."


    Ich grinste und drehte erneut meinen Kopf, dieses mal allerdings nur leicht und wegen des Geräusches hinter mir. Ich kannte den leisen, runden Schritt so gut wie meinen eigenen.


    "Da bist du ja", begrüßte ich Tuktuk und dachte gar nicht daran, zu erwähnen, dass ich die Klinen ohne ihn nicht gefunden hatte.


    "Du kannst uns direkt etwas zu trinken bringen. Was meinst du, Verus, ist es schon spät genug für unverdünnten Wein? Ach, egal, bring einfach noch eine Kanne Wasser mit, Tuktuk."


    Ich selbst hatte kein Problem, schon vor dem Mittag mit unverdünntem Wein anzufangen. Andererseits hatte ich auch noch nicht entschieden, was ich mit dem Rest vom Tag anfangen würde.

  • Gespannt hörte ich den Ausführungen Tuccas über den Besuch im Marcellustheater zu. Das Theater wurde von Augustus gebaut und seinem im Jahre 23. v. Chr. gestorbenen Neffen und designierten Nachfolger gewidmet. Es lag nördlich des Forum Holitorium. Als kleiner Junge war ich öfter im Theater des Marcellus, aber seit meinem letzten Besuch war eine Ewigkeit vergangen.


    "Hättest du nicht Lust mich bei der nächsten Gelegenheit zu einer Aufführung zu begleiten? Gerne würde ich mal wieder ins Theater, es ist schon eine Ewigkeit her, dass ich im Marcellustheater war. Wir könnten einen Familienausflug dorthin machen, mit meinem Bruder und Priscilla"


    Ah, ein Aedil war der Ausrichter des Stücks. Das interessierte mich.


    "Ah, ein Aedil. wie heißt er denn? Hast du denn seit du hier in Rom bist gehört, wer dieses Jahr im Cursus Honorum tätig ist?"


    Dann wandte sich Verus wieder mir zu. Langsam wurde ich ungeduldig, da immer noch kein Sklave erschienen war, um uns etwas zu bringen.


    "Natürlich sage ich dir Bescheid, wenn ich zum ersten Mal die Ehre habe eine Rede auf der Rostra zu halten. Na ja, also mal sehen. Ich bin ja noch jung und muss noch einige Erfahrung sammeln, trotzdem würde ich irgendwie schon gerne direkt in den Cursus Honorum, aber darüber muss ich mich noch genauer mit Menecrates unterhalten."


    Für eine Quaestur war ich sowieso noch zu jung. Zunächst würde ich noch ein Jahr in den Priesterkollegien oder als Militärtribun dienen. In dieser Zeit konnte ich die Erfahrung sammeln, die mir danach als Quaestor nützlich sein konnte.


    "Du wirst dich noch an Rom gewöhnen. Rom ist etwas chaotisch, aber ich werde es genießen, denn ich habe mich in Athen nach Rom gesehnt. Ich bin froh, wieder in der Hauptstadt zu sein. Was das Heiraten betrifft, es muss nicht heute und auch nicht morgen sein. Das wird sich ergeben."


    In dem Moment hörte ich hinter Tucca ein Geräusch und wir beide wandten die Köpfe. Es war Tuktuk, der schlurfend hinter Tucca auftauchte und sich auch gleich wieder entfernte, um uns endlich was zu trinken zu bringen.


    "Also ich finde es nicht zu früh für verdünnten Wein. Es kommt ja immer auf das Mischverhältnis an, und am frührn Morgen mag ich ihn sehr verdünnt. Deshalb ist eine zusätzliche Kanne Wasser sehr gut"


    Man musste ja nicht gleich am frühen Morgen übertreiben, denn schließlich wusste man nie, was der Tag noch mit einem vorhatte.


    "Hast du Lust mich später zu den Märkten zu begleiten? Gerne würde ich noch Priscilla fragen, ob sie uns nicht begleitet. Was hältst du davon, sie nachher in ihrem Cubiculum aufzusuchen? Weißt du, wo das Zimmer liegt?"


    Alles war noch so neu für mich hier in der Villa. Wo die ganzen Familienmitglieder ihre Unterkünfte hatten, war mir noch völlig unbekannt. Hoffentlich wusste Tucca Bescheid.

  • "Dein Bruder und deine Schwester sind auch in Rom?" fragte ich erstaunt nach.


    Sabinus war wie Verus in Griechenland gewesen. Womöglich war er sogar mit ihm zurück gekommen. Ihre Schwester Priscilla kannte ich nur so weit, wie man eine beliebige Cousine kannte, vorwiegend aus unserer Kindheit. Ich weiß noch, dass ich sie als kleiner Junge einmal dazu überredet hatte, ihren Haarschmuck als Zierde für meine kleine Corbita zur Verfügung zu stellen. Leider musste sich mein stolzes Schiff aus Zweigen den Frühlingsfluten des Tibers geschlagen geben und hatte dabei ihren Schmuck mit auf den Grund gezogen. Vermutlich wusste sie es nicht mehr, doch mir war es im Gedächtnis geblieben.


    "Der Aedil ist dieser Flavier, der Mann deiner Schwester Antonia. Wie heißt er noch gleich? Crassus? Gracchus? Catus? Kennst du ihn? Wann hast du Antonia das letzte Mal gesehen, warst du auf ihrer Hochzeit?"


    Ich wusste nicht einmal, ob sie überhaupt in Rom wohnte. Es war nichts ungewöhnliches daran, wenn patrizische Ehefrauen den Großteil ihrer Zeit irgendwo fernab der Stadt in den Landvillen verbrachten. Patrizische Ehen wurden immerhin nicht geschlossen, damit man zusammen lebte - zumindest nicht primär. Vielleicht hätte ich sie bei den Megalesia gesehen, hätte ich sehen können, doch vermutlich hätte ich sie auch dann nicht erkannt. Auch sie hatte ich eine halbe Ewigkeit lang nicht mehr getroffen.


    "Seppius Septimus bekleidet das Konsulat zusammen mit einem Silicier. Bisher haben sie allerdings nichts sonderlich Aufregendes durchgesetzt. Vettulenus Civica ist Praetor Urbanus. Ich habe gehört, er greift bei geringen Verbrechen hart durch, ist aber bei den großen Fischen wie die meisten anderen auch bestechlich. Der Flavier ist Aedilis Curulis, den Namen des Plebis vergesse ich immer. Irgendwas mit P. Pilius oder Pinnius?"


    Ich schüttelte den Kopf.


    "Ich weiß es nicht. Na und die Quaesturen und Vigintivirate merke ich mir auch selten."


    Bei den höheren Ämtern war ich meistens recht gut informiert. Auch fernab der Hauptstadt war die Politik immer ein gefragtes Gesprächsthema.


    "Auf die Märkte?"


    Tuktuk kam in diesem Moment mit den Getränken zurück und ich war froh über den kurzen Aufschub. Es gab wenig, was ich lieber tun wollte, als jede Ecke Roms zu erkunden. Allerdings war es nicht immer ganz so einfach, sich jemandem anzuschließen, der meine Begleitung nicht gewohnt war. In unbekanntem Gelände war ich auch mit Tuktuk nicht sonderlich schnell unterwegs, da jeder Schritt ein Schritt auf unbekanntem Terrain war. Viele Menschen um mich herum machten es mir nicht einfacher, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren. Dann nebenbei auch noch ein Gespräch zu führen oder sich für irgendwelche Waren zu interessieren konnte eine echte Herausforderung sein.


    Zwei Kannen und zwei Becher wurden auf dem Tisch abgestellt. Dann rann einen kurzen Moment eine Flüssigkeit je in einen Becher, anschließend etwas länger die zweite. Ich hoffte für Tuktuk, dass er zuerst Wasser eingeschenkt hatte, allerdings war ich mir so gut wie sicher, dass es erst der Wein gewesen war. Mein Weinkonsum war die einzige Sache, bei der mein Sklave mich manchmal bevormundete. Im Grunde wusste ich, dass das vermutlich ganz gut so war. Dennoch warf ich im entsprechenden Zustand ab und zu mit Gegenständen nach ihm - meist mit den leeren Weinbechern, die er nicht mehr auffüllen wollte -, wenn er glaubte, das Ende eines Bacchanals bestimmen zu können. Tuktuk klopfte zwei mal mit den Fingern neben meinen Becher auf den Tisch, so dass ich wusste, wo er stand. Ich beugte mich vor, tastete danach und nahm das Gefäß in die Hand. Doch ich trank nicht sofort, sondern beantwortete erst Verus' Frage.

    "Ich werde gerne mitkommen."


    Was war das Leben schon ohne Herausforderungen.


    "Priscillas Cubiculum wird sich schon finden. Auch wenn sie wirklich unauffällig sind, es stehen immerhin genügend Sklaven in diesem Haus herum, die Auskunft geben können."


    Das Cubiculum einer Frau würde ich noch immer finden.

  • "Ja, Sabinus ist zusammen mit mir aus Athen gekommen und Priscilla hält sich auch hier auf. Das meine Schwester hier ist, wusste ich bis gestern auch nicht, Menecrates hat es mir erzählt."


    Meine Schwester hatte ich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, deshalb freute ich mich sehr auf unser Wiedersehen. Unser Verhältnis war immer prächtig gewesen und ich war einfach nur gespannt, was sie hier in Rom wollte. Sie war jetzt eine junge Frau und hatte sich bestimmt sehr verändert.


    "Ah, unser Verwandter. Gracchus ist sein Name. Vielleicht werde ich bald die Gelegenheit haben ihn kennenzulernen, denn ich kenne ihn noch nicht persönlich. Und was Antonia angeht, ich habe sie vor ein paar Jahren das letzte Mal gesehen. Wir haben uns ein paar Mal geschrieben während meines Aufenthaltes in Giechenland, zum letzten Mal habe ich sie zur Heirat beglückwünscht. Bald werde ich sie und ihren Ehemann mal besuchen."


    Von den anderen Namen, die Tucca danach noch aufzählte, hatte ich noch nicht gehört. Doch was Tucca über sie erzählte, waren sie in der Öffentlichkeit wohl wenig beliebt. In den nächsten Tagen würde ich mir noch mein eigenes Bild machen können, bei meinen Ausflügen durch Rom. Man brauchte nur einige Vormittage auf dem Forum zu verbringen, um ein genaues Bild von der momentanen politischen Situation in Rom zu bekommen. Das war schon seit den Tagen der Republik so und das hatte sich bis heute nicht verändert.


    Zunächst reagierte Tucca auf meinen Vorschlag durch Rom zu streifen etwas verdutzt. Hatte er etwa Bedenken? Er schien sichtlich dankbar für die Denkpause, die ihm Tuktuk bei seinem Eintreten gewährte. Er brachte die beiden Krüge mit Wein und Wasser. Es war immer wieder faszinierend, den beiden bei ihrer Verständigung zuzusehen, alles ging so einfach.


    Dan kam endlich Tuccas Zustimmung, worüber ich herzlich froh war.


    "Ja, da hast du Recht. Das Zimmer wird schon nicht so schwer zu finden sein. Bevor wir uns zu Priscilla aufmachen, was hältst du davon, noch etwas das Haus näher zu erkunden? Selbstverständlich aber erst, wenn wir unsere Becher geleert haben!"


    Es war nicht meine Art ein gemütliches Beisammensitzen einfach überstürzt abzubrechen, aber vielleicht wollte ja Tucca nicht enfach nur so herumsitzen.
    Schon griff ich nach dem Becher, um einen Schluck verdünnten Wein zu trinken.

  • Ich trank einen Schluck und natürlich war es Wasser mit einer Spur Wein darin. So wenig Wein, dass ich nicht einmal sagen konnte, was für eine Sorte. Tuktuk platzierte sich neben der Kline und kam noch einmal ohne eine Rüge davon. Zurechtweisungen seiner Person waren nichts, was ich vor anderen ausbreitete. Natürlich war Tuktuk 'nur' mein Sklave, doch er war auch nicht 'nur' mein Sklave. Wenn man bei vielem auf eine andere Person angewiesen ist, dann kann man sie schlecht als ersetzbaren Gegenstand ansehen. Ganz davon abgesehen, dass Tuktuk nicht ersetzbar war und es Monate, wenn nicht vielleicht sogar Jahre gedauert hätte, einen anderen Sklaven auf seinen Stand zu bringen.


    Verus wusste natürlich genau Bescheid über die Verhältnisse in seiner Familie. Für ihn konnte die Ehe seiner Schwester sicherlich noch von Vorteil sein. Je mehr Senatoren er schon durch die Familienbeziehungen auf seiner Seite oder zumindest nicht gegen sich hatte, desto weniger musste er überzeugen oder bestechen.


    "Zieht es Sabinus auch in die Politik?"


    Vermutlich war es so und es wäre auch nicht überraschend. Früher oder später strebte jeder Claudier in die Politik - von einigen, wenigen Ausnahmen abgesehen.


    "Das Triclinium habe ich schon begutachtet. Ziemlich pompös, alles in allem."


    Die ganze Villa war ziemlich pompös. Natürlich legten wir Patrizier auch in unseren übrigen Villen Wert auf Standesangemessenheit, doch in Rom musste alles immer noch ein bisschen größer, schöner und repräsentativer sein.


    "Vom restlichen Haus habe ich zugegeben auch noch nicht viel gesehen. Menecrates' bejahte meine Nachfrage nach einer Bibliothek, diese würde ich gerne noch einmal aufsuchen. Und den Hausaltar. Kannst du ihn von hier aus sehen?"


    Es war üblich, dass der Altar direkt an das Atrium anschloss oder auch nur aus einer Nische in diesem Raum bestand. Tuktuk hatte nichts diesbezüglich erwähnt, doch er hatte auf so etwas auch nicht viel Acht. Tuktuk glaubte an andere Götter und näherte sich nur äußerst ungern den Verehrungsstätten römischer Gottheiten an.

  • Als Tucca auf Sabinus zu sprechen kam, fiel mir auf, dass ich mein Bruder heute noch gar nicht aufgetaucht war. Und es war schon später Vormittag. Wahrscheinlich lag er noch in seinem Cubiculum und schlief. Die Reise schien ihn doch etwas mitgenommen zu haben.


    "Was Sabinus in Rom vorhat, kann ich dir nicht sagen. Wir haben uns zwar während unserer Reise hierher nach Rom darüber unterhalten, doch mein Bruder hatte noch keine genaue Vorstellung. Er wollte es sich in Ruhe überlegen."


    Ich trank noch einen Schluck Wein. Beim Erwähnen des Triclinums, bemerkte ich, dass ich heute noch gar nicht gefrühstückt hatte.


    "Was hältst du von einem gemeinsamen Frühstück? Ich könnte etwas zu Essen vertragen!"


    Und pompös war es. In einer Stadtvilla waren natürlich fast alle Räume pompös eingerichtet. Ich staunte nicht schlecht, woher wusste Tucca, dass es pompös war? Er sah doch gar nichts? Aber wahrscheinlich hatte es ihm Tuktuk einfach geschildert und Tucca hatte sich sein eigenes Bild gemacht.


    "Die Bibliothek, sehr interessant. Bei Gelegenheit könntest du mir den Weg dorthin zeigen. Wenn ich die Muse habe, werde ich mich dort in die politischen Schrften vertiefen. Ja, der Altar steht hier gleich rechts in eine Nische. Soll ich dich hinführen?"


    Ich wartete, was Tucca vorschlagen würde, wollte er zum Altar oder ins Triclinium?

  • "Frühstück, Verus? Es geht schon bald auf Mittag zu. Es scheint mir, du hast ein rechtes Studentenleben in Griechenland geführt."


    Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Mein Frühstück lag schon ein paar Stunden zurück und es war ziemlich üppig gewesen. Während halb Rom von einem Haus zur nächsten Villa gerannt war, um seinen Klientelspflichten nachzukommen, die Patrone schnell ein paar Bissen hinunter geschlungen hatten, um ihr Klientel empfangen zu können, und während der Rest der Bevölkerung bereits seiner Arbeit nachgegangen war, hatte ich mich ausgiebig dem Frühstück gewidmet. Es war einer der Vorteile, wenn man wie ich keine Verpflichtungen hatte. Außerdem füllte es den ersten Teil des Tages, denn ich war ein Frühaufsteher.


    "Einen kleinen Imbiss könnte ich allerdings durchaus vertragen."


    Das war nicht die ganze Wahrheit. Ohne genügend Wein zum Herunterspülen der Nahrung war ich eigentlich kein großer Esser. Mit ausreichend Wein hatte ich keine Schwierigkeiten, mich der bei so manchem Gelage geforderten Völlerei anzuschließen, notfalls konnte man immer noch zur Gänsefeder greifen. Allerdings wollte ich Verus nicht von seinem Frühstück abhalten, und ob wir nun im Atrium oder im Triclinium saßen, war völlig einerlei. Deswegen trank ich noch einen Schluck aus dem Becher und stellte ihn dann vorsichtig auf dem Tisch ab, bevor ich meine Füße über den Rand der Kline schwang und mich kurz zur Seite wandte.


    "Tuktuk, sag' in der Küche Bescheid, dass noch ein Frühstück angerichtet wird, und komme anschließend ins Triclinium."
    "Ja, njaatigi."


    Leises Rascheln und ein leichter Luftzug kündeten davon, dass Tuktuk sich erhob und in Richtung Küche verschwand. Im Gegensatz zu mir kannte er schon die halbe Villa, denn wegen mir hatte er sich angeeignet, einen einmal gegangenen Weg nicht mehr zu vergessen.


    Über den Rand der Kline griff ich zum Boden unter mir und nahm meinen Stock in die Hand. 'Hier gleich rechts' war natürlich keine Aussage, mit der ich viel anfangen konnte. 'Hier' und 'dort' waren räumlich gesehen einfach zu ungenau, um als Wegbeschreibung zu dienen. Ich stand auf und trat, den rechten Unterschenkel immer an der Kante der Kline entlang, neben den Tisch. Den Stock nahm ich in die linke Hand, den rechten Unterarm schob ich etwas zur Seite, in Erwartung, dass Verus mich führen würde.


    "Lass' uns beim Altar vorbei zum Triclinium gehen. Ich habe zwar keine Ahnung, ob es auf dem Weg liegt, aber das werden wir dann sehen. Das Triclinium ist den Gang linker Hand am Ende des Atriums hinaus wenn man mit dem Rücken zum Eingang vom Vestibulum her steht. Direkt neben dem Gang steht eine griechische Vase mit einem Basilisken drauf."


    Tuktuk war ganz begeistert gewesen als er die Vase mit dem Tier entdeckt hatte. Plinius der Ältere hatte über dieses merkwürdige Geschöpf berichtet, auch, dass es in den afrikanischen Ländern weit im Süden lebte. Ich hatte Tuktuk einmal gefragt, ob er schon einmal einen Basilisken gesehen hatte. Seine Antwort war 'Sei nicht albern, njaatigi.' gewesen und ich hatte mich nicht getraut, noch einmal danach zu fragen. Ich wusste bis heute nicht, ob es albern war danach zu fragen, weil dieses Tier so selten war, dass es so gut wie niemand je gesehen hatte, deswegen, weil niemand den giftigen Hauch aus seinem Maul überlebte, oder deswegen, weil es an jeder Ecke im Süden Afrikas lebte und natürlich jeder Bewohner der Prärie schon einmal eines gesehen hatte. Einen Römer zumindest hatte ich noch nicht getroffen, der von einem solchen Tier berichtet hatte. Aber vielleicht hatte auch nur keiner die Begegnung überlebt.

  • Zerknirscht schaute ich drein. Durch das späte Aufstehen und das Zusammentreffen mit Tucca musste ich wohl die Zeit vergessen haben.


    "Das Leben in Griechenland hat mir sehr viel Freude bereitet. Ist es denn wirklich schon Mittag? Irgendwie habe ich noch überhaupt kein Zeitgefühl. Etwas Hunger hätte ich jetzt aber trotzdem, egal ob Mittag oder nicht. Dann machen wir uns auf zur Küche."


    Tuktuk übernahm es freundlicherweise seinem Sklaven den Befehl zu geben etwas zu Essen vorzubereiten. Dabei fiel mir ein, dass ich Andronicus heute noch nicht gesehen habe und ich nahm mir vor, ihn nachher in der Sklavenunterkunft zu suchen.
    Während ich noch am Grübeln darüber war, wo sich die Sklavenunterkunft befinden konnte, stand Tucca mühsam auf und stellte sich neben den Tisch. Während ich aufstand und seinen Unterarm einhakte um ihn zu führen, gab er mir eine Wegbeschreibung zum Triclinum.


    "Der Altar liegt nicht direkt auf dem Weg. Wiir können ja nachher auf dem Rückweg noch vorbeigehen, wenn du willst. Dann gehen wir jetzt direkt ins Triclinum"


    Also nahm ich einfach mal an, dass das in Ordnung war und versuchte mir die Wegbeschreibung nochmal in Erinnerung zu rufen. Gang am Ende des Atriums, Griechische Vase mit einem Basilisken...Mein Blick schweifte über die Räumlichkeiten und die verzierte Vase war leicht zu entdecken.


    Schon setzte ich mich mit Tucca im Arm in Richtung Gang in Bewegung, als mein Magen ein leichtes Brummen hören ließ und ich leicht darüber grinsen musste.

  • Während ich mich noch darauf einstellte, mir den Weg zum Altar zu merken, schlug Verus schon den Weg zum Triclinium ein. Das ging etwas zu schnell, als dass ich noch die Orientierung behielt. Daher verwarf ich den Gedanken, mir irgend einen Weg merken zu wollen, und folgte einfach nur meinem Vetter. Mit dem Wissen, dass es schon auf Mittag zu ging, war sein Hunger vermutlich noch mehr angewachsen. Darauf ließ auch das Brummen aus seinem Magen schließen, welches die Stille um uns herum mehr als deutlich durchbrach.


    "Warte."


    Ich hielt ihn zurück und lauschte.


    "Hörst du das?"


    Um uns herum war alles still. Natürlich war es nicht völlig still. Die Welt ist unglaublich geschwätzig, wenn man ihr nur zuhört. Doch abgesehen von dem Hintergrundrauschen, das beinahe jede Szenerie einrahmt, war nichts zu hören, was auf Aktivität schließen ließ.


    Wenn man wie ich vermehrt auf Geräusche angewiesen ist, dann sorgt Stille dort, wo eigentlich keine sein sollte, ziemlich schnell für ein Gefühl der Beklemmung. Zuhause hätte ich sofort gewusst, dass etwas nicht stimmte. Ich hätte angefangen, mir darüber Gedanken zu machen, ob meine Sklaven den Aufstand geprobt und allesamt geflohen waren. Oder darüber, ob irgendwo etwas passiert und alle dorthin zum Gaffen gerannt waren. Womöglich auch darüber, ob ein Bürgerkrieg begonnen und jeder außer mir mit Sack und Pack das Haus verlassen hatte.


    Hier in Rom schien alles anders. Seit meiner Ankunft war das ganze Haus ständig von einer Stille durchwirkt wie ein Mausoleum. Es schien kaum Sklaven zu geben, und wozu auch, nachdem es kaum Bewohner gab, zumindest keine sichtbaren - Sklaven wie Bewohner.


    "Merkwürdig, oder? Man sollte nicht meinen, dass dieses Gebäude in der lautesten, geschäftigsten Stadt des Imperium steht."


    Ich deutete Verus am Arm an weiter zu gehen und folgte ihm.


    "Dieses Haus könnte wirklich ein bisschen mehr Leben vertragen. Und ich dachte immer, ich würde in Ravenna etwas verpassen."


    Zumindest aus dem Triclinium war nun leises Geschirrklappern zu hören.

  • Sim-Off:

    Ich husche mal vorbei, damit es euch nicht so langweilig wird, wenn´s recht ist. ;)


    Ein roter Haarschopf huschte geschäftig durch die Gänge der Villa. Fiona war damit beschäftigt, Ordnung zu schaffen. Um genauer zu sein, sollte sie Ordung in die privaten Sachen der Herrin Epicharis bringen. Da nun ihre Hochzeit nicht mehr allzu fern war, wurde dies einfach notwendig.
    Dabei hatte sie die Welt um sich herum völlig vergessen. Die Anwesenheit der beiden jungen Männer war ihr dadaher auch entgangen. Sie hatte zwar von der Ankunft einiger Familienmitglieder gehört, doch war sie in den letzten Tagen so sehr beschäftigt, daß es bislang noch zu keiner Begegnung kam.
    "Wo ist denn nur dieses verflixte Ding? Wie kann man nur soviel unnützes Zeug besitzen?" haderte sie mit sich selbst. Sie war auf der Suche nach einem bronzenen Spiegel ihrer Herrin. Dummerweise erwies sich dieser als äußerst widerspenstig, denn er blieb unauffindbar. "Das gibt´s doch nicht! Der muß doch irgendwo sein!" Mitterweile suchte sie sogar an den unwahrscheinlichsten Stellen in der Villa. Man konnte ja nie wissen!
    Jetzt beschloß sie, auch noch im triclinium nachzusehen. Auf dem Weg dorthin erblickte sie zwei fremde Männer.

  • Auch Tucca entging mein Hungergefühl nicht. Er lachte verschmitzt und hielt mich dann zurück. Er lauschte, was um ihn her geschah. Zunächst war ich etwas verwundert, da ich im Moment nicht wusste, aus welchem Grund er so angestrengt die Ohren spitzte. Irgendwie konnte ich kein Geräusch ausmachen. Dann wurde ich gewahr, dass es genau darum ging. Stille um uns herum.


    "Es ist schon etwas seltsam, Tucca. Eigentlich sollte man meinen, in der Villa einer so angesehenen Familie wie der unsrigen ginge es etwas lebhafter zu."


    Dann bedeutete mir Tucca weiterzugehen in Richtung Triclinium. Dort schien geschäftiges Treiben zu herrschen, denn man hörte eifriges Geschirrklappern.


    Sim-Off:

    Also ich finde es gut, wenn sich uns noch Personen anschließen möchten. Von mir aus gerne :).


    Schon waren wir fast im Triclinium angelangt, als sich uns eine Frau näherte. "Sieh mal", sagte ich zu Tucca, "Wir scheinen doch nicht die Einzigen hier in der Villa zu sein!!"


    Die Frau schien etwas zu suchen, denn sie murmelt etwas vor sich hin und schien in Gedanken versunken zu sein. Meine Neugier war geweckt, es war doch jedesmal etwas Spannendes, neuen Menschen zu begegnen. Doch ich musste vorsichtig sein, dass ich nicht zu schnell der Frau entgegenging. Schließlich musste ich auf Tucca Rücksicht nehmen.
    Sie hatte uns schon entdeckt und erwartete uns an der Tür zum Triclinium.

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