interludium | Matho und der Übermut

  • Nach einem Moment der Stille tat sich dann doch etwas im Dunkel des Kellers. Merit-Amun balancierte ihre Gaben und legte sie schließlich auf eine Holzkiste, an die sie eben gestoßen war. Das Wasser im Krug schwappte gefährlich, blieb jedoch drinnen. Merit indes starrte schockiert in die Dunkelheit. Sie hatte eben ein Schluchzen gehört. Oder nicht? War das wirklich Siv, die da weinte? Das war für die Ägypterin fast unvorstellbar. Schließlich war Siv die Stärke in Person. Niemals hätte Merit-Amun geglaubt, dass sie weinen konnte, würde, wenn sie in Gegenwart anderer war. Fürchtete sie sich etwa so sehr vor dem Keller? Oder der Dunkelheit?


    Während die Ägypterin noch dastand und den näherkommenden Schemen zu erkennen suchte, stieß Siv sie bereits an. "Dir sein gut, Siv?" hakte sie zweifelnd und mit besorgtem, für Siv wohl unsichtbaren Gesichtsausdruck nach. "Nie laut. Nie...nicht. Matho nicht denken ich hier", erzählte sie Siv und drückte ihre Hände. Siv war ganz kalt. "Ich denken er schlecht. Ich gebringt für essen und trinkern. Nicht gedenkt an...Licht. Flamme. Für mehr wenig Angst. Du Angst, Siv? Nicht. Ich da. Aber du sagen was war. Ja? Sagen was war mit Soldaten. Matho sagt alle, er wissen dass böse und...untroi. Was das ist? Untroi?"

  • Es war Merit. Als Siv das realisierte, wäre sie beinahe erneut in Tränen ausgebrochen, diesmal vor purer Erleichterung. Sie hatten sie nicht vergessen, sie war nicht allein, sie würde nicht hier unten bleiben müssen… "Merit", trotz aller Versuche, es zu unterdrücken, war das Schluchzen doch zu hören, "oh, Merit…" Siv achtete nicht mehr darauf, dass sie gar nicht sehen konnte, wo sie hinlief, und prompt stolperte sie erneut, riss sich den Stoff der Tunika und ein Knie auf, aber auch das ignorierte sie. Stattdessen sprang sie sofort wieder auf die Beine und tastete sich weiter vorwärts, immer noch zu schnell, aber etwas vorsichtiger diesmal. Dann, endlich, erreichte sie Merit-Amun, rempelte vielmehr gegen sie, schlang die Arme um die zierliche Ägypterin. Nun konnte sie nicht mehr verhindern, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier unten war, sie hatte jedes Zeitgefühl verloren, aber Merits Worten und dem nur um eine Winzigkeit helleren Fleck nach zu schließen, der die offene Kellertür anzeigte, musste es wohl mitten in der Nacht sein.


    Die Germanin ließ Merit-Amun schon bald wieder los, obwohl sie es eigentlich nicht wollte, obwohl sie sich nach dem Körperkontakt sehnte – stattdessen fuhr sie sich mit beiden Händen über das Gesicht und wischte die Tränen fort, bemühte sich, wieder die Kontrolle zurück zu bekommen, sich nicht zu sehr gehen zu lassen. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihr Atem schnell ging und sie am ganzen Körper zitterte. "Nein, nicht gut. Angst… Ich…" Ihr Tonfall war eine Mischung aus Schluchzen und einem leisen, aber eher verzweifelt klingendem Lachen. Bebend atmete sie ein. "Ich, ja, ich Angst haben, vor, vor Raum, und unten sein, unter Erde, in eng mit Wande und… Geeinsperrt, ohne Luft, das ist…" Siv unterbrach sich selbst und atmete erneut tief ein. Langsam ließ sie sich sinken, setzte sich auf den Fuß der Treppe, die von der Tür noch ein Stück weiter hinunter führte. "Danke, Merit. Für da sein. Dunkel nicht ein Problem, nur allein sein, und Raum…" Dann biss Siv sich auf die Lippen, als sie Merits restliche Worte nachdachte. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was Matho den anderen erzählt hatte, und vor allem wie. "Untreu? Sein wenn du gebst Wort, und nicht so tust." Sie schlang die Arme um ihren Körper und starrte in die Dunkelheit vor sich, während sie in Gedanken wieder zum Nachmittag zurückwanderte, zu diesem einen Moment, in dem sie wie gebannt gewesen war von dem Anblick, den ihr das offene Stadttor offenbart hatte.


    "Ich gegeht, aus Tor, raus aus Stadt. Ich… nicht haben denken, gedenkt, weißt du? Ich nur gesehen Wald… in Sonne… Und da nicht sein Gedanken, nichts von Menschen hier, von du, oder Hektor oder Cadhla", oder Corvinus "und auch nicht von sein Sklavin, oder frei, oder Familie… nur… da war nur ein Gefühl, ich hab nicht nachgedacht, ich war irgendwie… gar nicht wirklich da, so kommt’s mir jetzt vor… Sein wie… ein wenig wie Traum, weißt du? Bin gegeht auf Tor, durch Tor… dann sein da Soldaten." Jetzt wurde ihre Stimme bitter, und gleichzeitig fing sie wieder an zu zittern – die alte Angst vor allem, was eine römische Uniform trug, konnte sie in ihrem momentanen Zustand noch schwerer unterdrücken als ohnehin schon. "Und ich geben Angst. Kriegen Angst. Soldaten sind…" Sie hob den Kopf und sah Merit an, versuchte ihren Gesichtsausdruck zu erkennen und konnte in der Dunkelheit doch nicht mehr sehen als nur eine vage schimmernde, hellere Fläche mit dunkleren Konturen, wo Augen und Mund waren. "Ich habe Angst, vor Soldaten. Sie tun schlimm, getan schlimm, als sie fangen, mir, bei erster Mal. Sie… Als Soldaten da sein, bei Tor, da… ich, ich gekriegen Angst, viel viel Angst, da nicht eins Gedanken mehr, nur Angst. Und ich gelaufen."

  • Die salzigen Tränen auf Merits Haut irritierten und verwirrten sie, auch wenn sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Für sie war Siv seit ihrem ersten Aufeinandertreffen ein Bollwerk gewesen, jemand, der stark und gefasst war, der klug und ein wenig störrisch, aber noch dazu auch liebenswert war. Dass die Germanin nun weinte, war für Merit irgendwie falsch. Vor einigen Wochen und noch vor Tagen war Merit es gewesen, um die man sich kümmern musste. Nun war sie es selbst, die Siv umarmte und ihr sachte über das Haar strich.


    "Du macht Augen zu und denken in Wald mit viel frisch Luft", sagte Merit. "In weit weg, da ist Wasser das...das...geht? Das geht in kleine Ecken." Sie verstummte. Wenn sie nur halb so gut Latein sprechen könnte, wie sie wollte! Missmutig seufzte sie und ließ die Schultern hängen. "Ich so wenig gut redet. Sagen magt vieler, aber da sein wenig Worter. So wenig zu versteht", erklärte sie frustriert und griff kurz darauf nach Sivs Hand, um gemeinsam mit ihr zu der Kiste zurückzugehen, auf der sie Essen und Trinken deponiert hatte.


    "Ich giben dir für essen. Und Wasser. Du tust aber weg den Tonzeugs, für wenn Matho nicht seht. Sonst er schlecht zu alles, weil denken haben verrät. Ja?" sagte sie und drückte Siv den Käse in die Hand. "Nicht gewisst was du magst. Aber Käse, gut. Und Brot. Für nicht hungrig." Merit lächelte Siv in der Dunkelheit an und setzte sich so auf den Boden, dass sie mit dem Rücken an der Kiste lehnte. Aufmerksam lauschte sie den Worten, die Siv sprach. Der Erklärung des Wortes untreu, und dem, was sie über Soldaten sagte. Als Siv geendet hatte, schwieg Merit noch eine Weile. "Du gehst Strafe", sagte sie dann leise. "In Rom, du gehst Strafe. Vielleicht mehr schlimm als in Keller. Ich gegehen Strafe, für laufen weg. Du weißt? Ich weg, in... Griechenland. Wenn gekauft, Herr hat mir. Er nicht ge..geaufpasst? Und ich dann gehen auf Boot. Für gehen nach Hause. Lange ich in Heimat, aber leben, schlecht leben. Nicht gut. Wenig für essen. Anderes Ort für schlafen, sehr oft. Und dann ich in Falle. Weil genimmt...Münzer. Münzer von Römer, und er gesieht. Ich gehen muss nach Rom, wegen Ding...auf Arm. Geschreibt auf Arm. Und du weißt Schluss. Mich schickst Herr auf Reise, für...für nicht mehr Luft, für...gehen zu Götter. Ich denke. Er nicht will ich gehen zurück. Besser nicht leben. Aber ich da bin, immer noch. Und habe gelernt für besser." Merit-Amun seufzte tief und griff wieder nach Sivs Hand. "Du nicht Angst. Sagen, wie Traum. Sagst Corvinus. Er leiden, dich. Er nicht böse, für dich", versuchte sie Siv Mut zu machen. "Bald, wir zurück auf Weg zu Rom. Dann nicht in Keller mehr müssen. Und Merit dir kommt zu bringt Essen, wenn Matho nicht sehen. Und bringt Licht, bei...für nächste Zeit."

  • Siv versuchte zu lächeln – und war zum ersten Mal dankbar für die Dunkelheit, spürte sie doch selbst, wie kläglich es ihr misslang. "Ich versucht, vorstellen. Aber Luft hier unten nicht ist frisch, nicht wie bei Wald, wie bei draußen…" Sie atmete erneut tief ein und grub gleichzeitig ihre Fingernägel in die Handinnenflächen. Der scharfe Schmerz, der sie durchzuckte, half ihr etwas – mit dem Erfolg, dass sie wieder die zahllosen anderen kleinen Blessuren zu spüren begann, die sie sich zugezogen hatte in den letzten Stunden. Aber sie biss die Zähne zusammen und war letztlich froh darüber, bedeutete es doch Ablenkung. "Ich weiß. Weiß wie ist, mit wenig Worte können. Aber du lernst." Siv lächelte erneut, und diesmal gelang es ihr etwas besser. Merit aufmuntern zu können, oder es wenigstens zu versuchen, half ihr auch selbst. Aber schon bald wandte sich das Gespräch wieder ihr zu, ihrer Situation, und die Germanin musste wieder mehr Selbstbeherrschung aufbringen, musste sich wieder bewusst zusammenreißen, um ruhig zu bleiben. Sie wollte raus hier, sie wollte nicht hier unten bleiben… Aber sie wusste auch, dass Merit nichts tun konnte, dass allein ihr Hiersein schon riskant war – wenn Matho davon Wind bekam, würde sie darunter leiden müssen, und das wollte Siv um jeden Preis vermeiden. Als die Ägypterin ihr den Käse in die Hand drückte, stiegen ihr erneut Tränen in die Augen, aber diesmal blieben sie dort. Stattdessen bemühte sie sich erneut um ein Lächeln. "Danke. Vielen Dank. Ich tun weg, der Krug, wenn Matho kommt." Sie griff nach dem Krug und nahm einen tiefen Schluck daraus, bevor sie in das Brot biss. Erst jetzt merkte sie, wie hungrig und durstig sie tatsächlich war – die Panik hatte sie bisher in so festem Griff gehabt, dass diese Bedürfnisse gar nicht wirklich durchgedrungen waren. Dafür machte sich vor allem der Durst umso mehr bemerkbar, und in kürzester Zeit hatte sie die Hälfte des Krugs geleert, bevor sie absetzte und sich erneut dem Brot und nun auch dem Käse widmete.


    Erst als Merit das Schweigen unterbrach und zu reden begann, wurde Siv etwas langsamer. Sie starrte vor sich hin, während sie der Ägypterin zuhörte und mit jedem Wort betroffener wurde. Sie wusste es. Sie wusste es nur zu gut, dass sie bestraft werden würde. Und auch wenn sie es sich im Moment kaum vorstellen konnte, wusste sie auch, dass die Strafe möglicherweise schlimmer ausfiel, als hier im Keller eingesperrt zu sein. Ihr Magen zog sich unangenehm zusammen, und plötzlich verging ihr der Hunger, der einen Moment zuvor noch da gewesen war. Plötzlich mutlos geworden, ließ sie Brot und Käse sinken und stellte es neben dem Krug auf der Kiste ab, während sie Merits Erzählung von ihrer Geschichte lauschte. Ihre Zeit in Freiheit schien nicht schön gewesen zu sein – Siv seufzte lautlos, als sie daran dachte, dass das bei ihr mit Sicherheit anders gewesen wäre. Ihre Heimat war nach wie vor frei, nicht in römischer Hand, im Gegensatz zu Merits. Zögernd streckte sie ihre Hand aus und ergriff die der Ägypterin. "Nein, Corvinus nicht will, dass du bist tot, auf Reise. Er nicht so ist." Dann schwieg sie wieder, während Merit versuchte, sie aufzubauen. Wieder stiegen Tränen in ihr auf, diesmal, als sie begann von Corvinus zu sprechen. Sie hatte ihn doch nicht enttäuschen wollen… aber sie meinte zu wissen, zu ahnen, wie er reagieren würde. Sie wusste, wie sie reagieren würde. "Er werden böse. Ich weiß das. Er werden böse, und nicht mehr wird mögen mich. Er sein enttäuscht… Und ich nicht kann sagen, dass wie Traum, und wie gesein, mit Soldaten. Er nicht versteht. Nicht geversteht, wenn ich gebin bei ihm wegen dir. Und nicht wird versteht, wenn ich zurück sein, in Rom."

  • "Ja. Ich lernst. Aber nicht dich Hilfe jetzt", erwiderte Merit-Amun und seufzte tief. Sie konnte Siv immer noch nicht sehen, und umgekehrt war es wohl genauso. Die Ägypterin lächelte breit und schüttelte den Kopf - für Siv als schwaches Rascheln der Kleidung hörbar. "Du nichts danke. Ich hab Sorger bei dir." Wie zur Bestätigung nickte sie nun und lauschte dem leisen Mümmeln Sivs. Ihr kam dabei der Gedanke an ein weiteres Problem. "Du - nicht wissen wie Matho sagen für bleibt hier? Für lange?" erkundigte sie sich bei Siv und legte den Kopf schief.


    Als sie Sivs Hand spürte, blickte Merit darauf hinab - oder auf die körperliche Schwärze, die mit viel Fantasie Sivs Hand darstellte. Die gesprochenen Worte klangen ehrlich, aber Merit-Amun wusste es inzwischen besser. Sie hatte die gegenwart Sachmets gespürt, die Präsenz Anubis' und die unsichtbare Macht Amuns, des Unsichtbaren. Doch sie wusste auch, dass dies für Siv nicht wichtig war, denn es waren ägyptische Götter und keine germanischen. So schwieg sie dazu vorerst - auch wenn sie anderenorts einmal aneinandergeraten würden deswegen. "Er wie dann? Nicht gesehen die Augen, bei mich. Er nicht geseht mich, aber ich da. Das... Er hat das mit Absicht gemacht, mich ignoriert." Merit-Amun seufzte. "Das er gewillen so. Gewillt. Er weiß, ich nicht mag. Er zeigt, ich Sklave." Sie runzelte nachdenklich die Stirn und fügte eine Phrase an, die sie eben bei Siv aufgeschnappt hatte. "Ich weiß das."


    Schweigen breitete sich aus nach Sivs letzten Worten. Und eine Ahnung keimte auf in Merit-Amun. "Dich hat er geschickt für hier weil wegen..nicht sehen?" fragte sie sie und schüttelte den Kopf. "Ich lange in mein Heimat. Aber wenn ich da, ich sehe. Und ich gesehe er dich mag. Er gefasst dir, Haare.", sagte Merit-Amun und nickte wissend. "In Ägypten, das machen für... für zeigen dass mag anderes. In Rom auch, ich weiß das. Denken das."

  • Unwillkürlich musste Siv lächeln, diesmal wirklich, als Merit ihr in gebrochenem Latein mitteilte, dass sie sich Sorgen gemacht hatte. "Nein, nicht weiß wie lange. Aber ich Matho kenne. Ich muss sein hier bis gehen weg, nach Rom, ich denke." Dass Merit zu ihr hielt, ließ das Schreckgespenst der kommenden Tage hier im Keller etwas kleiner werden. Siv wollte sich gar nicht vorstellen, was die anderen sagen würden, vor allem dann nicht, wenn sie erst auf sie traf, nachdem Matho in aller Ruhe Zeit gehabt hatte, irgendwelche Schauergeschichten über sie zu erzählen. Sie hatte doch nicht fliehen wollen… Sie hätte nachdenken sollen, das wusste sie nun, aber in dem Moment war sie gefangen gewesen in dem Anblick, und die Sehnsucht war so groß gewesen, die Sehnsucht nach Freiheit, nach dem Leben im Wald, in einer einfachen Hütte, immer in unmittelbarer Nähe zur Natur, die Sehnsucht nach frischer Luft und danach, eben nicht alles planen und vorhersehen zu können, sich den Unwägbarkeiten eines solchen Lebens auszusetzen, im Vertrauen auf sich selbst und auf die Götter… Sie war nun mal ein Naturkind, ein Skradan, Waldteufel, wie ihr Vater sie immer liebevoll genannt hatte. Sie hatte sich an das Leben in einem steinernen Haus, inmitten einer steinernen Stadt voll solcher Häuser, gewöhnt, was zum großen Teil daran lag, dass das Haus, in dem sie wohnte, groß war, mit großen, hellen Räumen und einem großen Garten. Aber es änderte nichts an dem, was sie war, und das ein Teil von ihr sich nach dem sehnte, womit sie aufgewachsen war – und diese Sehnsucht hatte einfach überhand genommen, in jenem Augenblick. Trotzdem bedeutete das nicht, dass sie wirklich wieder zurück wollte. Sie konnte dort leben, in der aurelischen Villa, und sie wusste durchaus auch die Annehmlichkeiten zu schätzen, die ein solches Leben mit sich brachte – was sie betraf vor allem, dass ihre Neugier, ihr Wissenshunger auf eine Art befriedigt wurde, wie sie es sich noch vor einem Jahr nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Und die Menschen, die sie kennen gelernt hatte… Und Corvinus. Siv fuhr sich mit beiden Händen über ihr Gesicht. Sie hatte so großes Glück gehabt, von jemandem wie ihm gekauft worden zu sein, das war ihr klar. Ein ganz anderes Schicksal hätte sie treffen können, sie hätte gebrochen werden können – andere hätten es versucht, und auf Dauer wäre es ihnen gelungen. Corvinus hatte nichts dergleichen getan, obwohl sie mehr als einmal seine Geduld strapaziert hatte, in einer Weise, die selbst dann unangemessen gewesen wäre, wäre sie nicht seine Sklavin gewesen. Und das war noch lange nicht alles, was er ihr bedeutete, er war mehr für sie als nur ihr Herr, so viel mehr… Und das wusste sie, auch wenn sie es immer noch verdrängte – jetzt, im Bewusstsein dessen, was sie erwartete, erst recht. Sie hatte Angst vor dem Moment, in dem sie ihm gegenüber treten musste, hatte Angst nicht die richtigen Worte zu finden, die ihr Verhalten erklärten, und die deutlich machten, warum sie nicht geflohen war… Ihr wurde flau im Magen, wenn sie nur daran dachte, aber gleichzeitig gab es für keine andere Alternative.


    Und Merits Worte erinnerten sie wieder an den Zusammenstoß, den sie mit ihm gehabt hatte. Ihr seid nur Sklaven… Erneut wollte ein Schluchzen in ihrer Kehle aufsteigen, als die Worte in ihrem Kopf hallten. Spätestens wenn er von dem erfuhr, was sie getan hatte, würde sie vermutlich nicht mehr sein als das. "Ja, das gesein Absicht. Nicht zu sehen, nicht zu merken dich. Zeigt dass du Sklave, genau das… Aber er nicht gewollt dass du tot bist auf Reise. Er gewollt…" … dass du merkst, dass du eine Sklavin bist. Dass du Unrecht getan hast, als du geflohen bist. Und genau das war der Punkt, an dem Siv immer noch zu knabbern hatte. Natürlich hatte Corvinus Konsequenzen ergreifen müssen, natürlich hatte er sie auf die ein oder andere Art bestrafen müssen, und natürlich war es von seinem Standpunkt aus Unrecht – aber vom Standpunkt jedes Sklaven aus, zumindest jedes Sklaven, der irgendwann mal frei gewesen war, war es doch kein Unrecht, sondern nur zu verständlich, es wenigstens zu versuchen… Hatte er das einfach nur nicht zugeben wollen? Dass er es wenigstens ein stückweit verstehen konnte? Oder hatte er es tatsächlich nicht verstanden… Siv seufzte, als Merit meinte, Corvinus würde sie mögen. Sie wollte es glauben, hoffte es und wusste es irgendwie auch – nur, wie sehr würde er sie noch mögen, wenn sie erst zurück war, wenn er Bescheid wusste? "Ich denke, er mich geschickt hier… Weil hier meine Heimat. Weil, wegen Gefallen. Weil er weiß, das freut mich." Dass das der Grund gewesen war, war deutlich gewesen, als er ihr gesagt hatte, sie würde mit nach Germanien reisen können. "Er sein werden wütend. Er… Er gebt Gefallen, und ich enttäuschen. Ich bin versuchen, zu erklären. Zu sagen warum, was gesein hier. Aber… ich nicht weiß, wie reagiert, er, wenn er hört das. Ich habe Angst, nicht weil Strafe, aber weil wenn er nicht versteht… weil ich ihn mag." Das letzte war nur noch geflüstert.

  • Das hatte sich Merit schon so gedacht, dass der alte Stinkstiefel es auskosten würde, sivbefreit die Villenherrschaft an sich reißen zu können. Aber die Rechnung hatte er ohne Merit-Amun gemaht, und mindestens von Alexandros wusste die schmale Ägypterin, dass er ebenfalls nicht guthieß, wie Matho Siv sanktionierte. "Hm. Dann du lieber viel wenig trinkt. Weil..." Merit-Amun wandte den Kopf Siv zu. "Giben schlecht riechen, wenn hier unten du... Nicht geht zu Ort. Na. Du weiß das", erklärte sie kategorisch und fing im nächsten Moment zu lachen an. Ein Weilchen später schlug sie sich die Hände vor den Mund und flüsterte Siv zu: "Aufpassen, Matho."


    Merit wusste nichts von besagtem Zusammenstoß. Sie nickte nur, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, und als ihr auffiel, dass Siv sie nicht sehen konnte, sagte sie schlicht: "Ja." Und auf Sivs geflüsterte Worte hin sagte sie erstmal nichts, sondern dachte nach. Merit-Amun hatte sich sowas in der Art schon gedacht, denn sie hatte nicht nur seine Berührung gesehen, sondern auch ihre. Damals hatte sie es nicht verstanden, allein schon aus dem Grund, dass Corvinus für sie ein Barbar und Unmensch gewesen war. Doch die Läuterung, die ihr widerfahren war, hatte große Kreise gezogen, und wenn ihr auch diese gegenseitige Anziehungskraft noch immer ein Rätsel war, so nahm sie sie dennoch hin und respektierte sie. Vermutlich kannte Siv ganz andere Seiten des Herren als sie selbst. "Du gleich finden musst. Gleiches. Dann er verstehst", gab sie schließlich ihren Rat ab. "Er Sprecher. Für Volk. Du findet Gleiches, da. Und er verstehst." Merit überlegte. Sie hatte nicht das ausdrücken können, was sie wollte, doch vielleicht würde Siv die Sache mit dem Vergleich doch verstehen. "Du gesagst für ihn?" fragte sie schließlich, bezogen auf Sivs kaum hörbaren Satz.


    Der Duft des halbgegessenen Käse stieg derweil in ihre Nase, und sie wünschte sich, ein größeres - oder zweites! - Stück mitgebracht zu haben. Dabei kam ihr eine Idee. "Du weißt? Morgen, ich bringst Essen mit wieder, und Flamme. Und dann ich esse dich!" teilte sie Siv eifrig mit. "Du mögst sondern? Sondersbar? Sondersbar Essen? Ich giben."

  • Als die Ägypterin von den Problemen anfing, die es bedeuten konnte, wenn Siv länger hier unten blieb und körperlichen Bedürfnissen nachging – was sie irgendwann tun musste –, konnte die Germanin nicht anders, als in Merits helles Lachen einzufallen. Es hatte etwas Befreiendes an sich, und es schien die Dunkelheit ein bisschen zu vertreiben – wenigstens bis Mathos Name wieder fiel, und Siv erschrocken schwieg. Ihr konnte es kaum noch schlechter ergehen als sowieso schon, aber sie wollte Merit nicht in Schwierigkeiten bringen. "Ich tut leid. Aufpassen, ja – du auch krieg Strafe sonst, wenn Matho seht dich hier." Und eigentlich war das Thema auch nicht sonderlich lustig – Siv hatte wenig Lust, sich einfach in irgendeine Ecke zu setzen, um sich zu erleichtern, aber so dunkel wie es hier war, würde sie kaum Erfolg haben, wenn sie auf die Suche ging nach einem irgendeinem Gefäß, das sie verwenden konnte. Und der Krug, den Merit-Amun mitgebracht hatte – wenn sie den nutzte, würde Matho Wind davon bekommen, dass jemand da war. Oder gab es solche Krüge hier unten? Siv versuchte es sich ins Gedächtnis zu rufen, hatte sie doch erst neulich hier alles blitzblank geputzt… Sie meinte sich zu erinnern, ähnliche Krüge gesehen zu haben, die hier unten aufbewahrt wurden, aber ganz sicher war sie sich nicht. Mit einem Seufzen schob sie dieses Problem schließlich weg und beschloss sich damit zu beschäftigen, wenn es soweit war.


    Nach Sivs geflüstertem Geständnis – für sie jedenfalls war es eines –, herrschte eine Weile Schweigen. Merit schien darüber nachzudenken, und Siv wusste nicht so recht, was sie sagen sollte, also knabberte sie erneut an dem Brot herum. Sollte Matho morgen nicht vorbei kommen und ihr etwas zu essen und trinken bringen, würde sie darauf auch achten müssen – wenn Matho dann kam, musste sie dementsprechend entkräftet sein, oder zumindest so wirken, und das konnte sie am besten, wenn sie tatsächlich Hunger und Durst hatte. Also legte sie mit einem Seufzen das Brot wieder weg. Sie wollte um jeden Preis vermeiden, dass Merit dafür büßen musste, dass sie ihr half. Die Ägypterin dagegen schien fertig zu sein mit ihren Grübeleien, denn sie begann wieder zu reden. Zuerst begriff Siv nicht ganz, was sie sagen wollte – nur, dass Merit-Amun versuchte, eine Lösung zu finden. "Gleiches finden. Gleiches? Wie, was… gleiches…" Siv seufzte leise, dann ging ihr ein Licht auf. "Du meinst einen Vergleich? Aber… ich wüsste nicht was, nichts, womit ich wirklich dafür sorgen kann, dass er versteht…" Sie zuckte hilflos mit den Achseln und musste schon wieder Tränen unterdrücken. Langsam nahm es wirklich überhand, aber zumindest im Moment war Siv in keiner Verfassung, um sich besser zu beherrschen. "Ich nicht weiß was. Und… ich nicht weiß, dass er nicht versteht – oder nicht will versteht. Weißt du? Wenn er nicht will versteht… dann nichts gleichen finden kann, nichts was kann ändern, wie er denkt." Einen Moment schwieg sie, dann starrte sie überrascht in Merits Richtung, ohne sie wirklich sehen zu können. "Ihm gesagt? Dass ich ihn mag? Nein! Also… ja… ich meine… ich gesagt, dass er nett, dass ich ihn mag. Aber nicht, dass ich ihn mag so. Wie. Wie sehr. Ich… ich nicht weiß, was das ist. Oder wie das ist, ich nie gehaben das, und er ist Römer, ist Herr, und ich gar nicht wollen gehaben das, weißt du? Nicht mit egal wen Mann, und nicht Römer, und jetzt…"


    Siv zog die Beine an, schlang die Arme um ihre Knie und seufzte. Sie konnte sich doch nicht tatsächlich in diesen Mann verliebt haben, ausgerechnet sie, die gegen die Liebe gewettert hatte seit sie denken konnte… Dass sie sich jetzt so unwohl fühlte, wenn sie nur an ihn dachte, lag sicher daran, dass sie einfach ein Mensch war, der nicht gern sein Wort brach und Vertrauen missbrauchte, egal wessen es war. Darüber hinaus mochte sie ihn ja, das war gefahrlos zuzugeben. Und doch… wusste sie, dass es mehr war. Und genau das verwirrte sie so sehr. "Ich nicht mag unehrlich sein. Nicht von andere, nicht von mir. Nicht mag enttäuschen, wenn Vertrauen da – und Corvinus Vertrauen für mir. Sicher da ist Grund, weil Angst habe." Gleich darauf sah sie Merit zunächst erfreut, dann irritiert, dann belustigt an. "Du kommst morgen, das schön. Aber nicht essen mich – essen mit mich. Mit mir. Wenn du essen mich, ich bin weg. Wobei… vielleicht wär das ja eine Lösung… Was du meinst, sondern? Sonderbar?"

  • "Wenn schafft du es bist ich da, du geht kann zu Ort", schlug Merit-Amun vor. Da würde Siv sich ihr Wasser einteilen müssen, damit sie nicht Mittags schon dringend musste. Nur wäre es wohl auch Merit schwer gefallen, hier unten im Dunkel die Zeit richtig einzuschätzen, und damit war das dann wohl eher keine gute Idee. Sie zuckte mit den Schultern. Wenn sie einen der Eimer fortnahm, würde Matho es wohl merken. Andererseits konnte sich Merit auch nicht vorstellen dass der maiordomus so gemein war.


    Sivs Schultern begannen erneut zu beben, und Merit-Amun legte ihr vorsorglich den Arm um die Schultern. "Na!" sagte sie und knuffte Siv in die Seite. "Du nichts weint. Du größes, starken Germane. Die nicht weint. In Anfang, ich gedenken, du Hauptsklave. Von Haus. Du tun, um mich. Nicht Matho. Caelyn, sein sondersbar Sklave? Sklave von anderes Römer. Uhsuss. Ja? Gehen mit Rom, nein? Und Sertorrrió, auch nein? Ha, dann du starken Sklave sein müss, weil Matho weniger zu anschreit. Ja? Nicht weint du. Und wenn er will versteht, dann er macht mit Gleiches." So einfach war das. Zumindest jetzt, wo das alles noch in weiter Ferne lag und mach Pläne schmieden und sich Worte zurecht legen konnte. Merit-Amun drückte Siv kurz an sich und fuhr fort. "Du sagt. Dann er... ...Dann küsst er dich, dann ist alles prima, und ihr seid glücklich und alles ist vergessen. Mist. Was heißt denn bloß küssen? Oder zumindest Lippen? Blödes Latein!.... ...er macht-" Ein Schmatzgeräusch war zu hören. "- und nicht ist böse. Du weißt das, er ist gleich?" hakte sie nach. "Neinneinnein. Nicht Grund für Angst. Wenig Grund. Mehr Grund, weil denkt du, hast Vertrauen weg gemacht. Und Vertrauen da, wenn haben auch da", sagte sie und legte beim letzten Wort ihre Hand auf die Stelle über Sivs Brust, unter der ihr Herz schwer und behäbig schlug.


    Ein Geräusch von außerhalb des Kellers ließ beide Frauen erschrecken. Merit-Amun sog die Luft ein, Adrenalin überschwemmte ihren Körper, und sie meinte fast, Matho zu sehen, wie er in den Keller kam. Aber es war nur eine Täuschung. So wurde Sivs Frage ein wenig verzögert beantwortet. "Oh, ja, ich essen, mit dir. Sprache schwer." Erneut seufzte sie. "Sondersbar essen. Du mögst essen lieb. Mehr lieb. Argh! Du weißt das, was du essen mehr lieb gegen Käse?" fragte sie. "Und ich besser geht, dann", flüsterte Merit-Amun nun traurig. "Bringt Flamme, für morgen."

  • Siv grinste etwas schief bei Merit-Amuns Vorschlag. "Ich kann versuchen, mindest." Auch wenn sie dieselben Zweifel hegte wie die Ägypterin insgeheim – es würde ihr schwer fallen, die Zeit richtig einzuschätzen, ganz davon abgesehen, dass das wieder etwas war, was Matho auffallen würde. Nein… sie würde so sehen müssen, wie sie zurecht kam. Damit dem Maiordomus nicht auffiel, dass jemand hier gewesen war außer ihr und ihm. Wahrscheinlich würde er vermuten, dass von den anderen jemand vorbei gekommen war – aber solange nichts wirklich darauf hindeutete, konnte er auch niemanden bestrafen. Danach musste Siv wieder lachen, wenn auch unter Tränen. Aber immerhin lachte sie, wobei sie diesmal darauf achtete, leise zu sein. Sie verstand nicht alles, was Merit sagen wollte, aber sie meinte zumindest den Sinn zu begreifen. "Ich, Hauptsklave? Nein, nicht bin. Aber… ach, ich nicht mag weinen. Ich bin stark, sein stark, nächste Tagen." Sie biss sich auf die Unterlippe. Es hatte gut getan, mit Merit zu reden, sich etwas zu öffnen – zumal die Panik sie zuvor beinahe überwältigt hatte. Aber das war eigentlich nicht ihre Art, das war nicht sie… jedenfalls glaubte sie das, nach wie vor, und langsam begann sich ein Teil von ihr dafür zu schämen. Dennoch freute sie sich über Merits Zuspruch, auch wenn sie ihn nicht ganz teilen konnte. "Ich sehen. Werde sehen, wenn da bin, in Rom. Ursus gesagt hat, ich kann Corvinus Brief geben, Brief wo geschreibt was gesein. Ich kann reden mit Corvinus, erst. Vielleicht… ich denke das gut, das ist… Chance." Doch obwohl sie das selbst sagte, konnte sie nicht so recht daran glauben. Vielleicht lag es an der bedrückenden Atmosphäre hier im Keller, aber sie war mutlos. Als sie das Kussgeräusch hörte, musste sie unwillkürlich grinsen, aber gleich darauf seufzte sie wieder, diesmal lautlos. Corvinus würde sie nicht küssen, so sehr sie sich auch wünschte, dass es so passieren würde – dass er verstand, und dass er ihr verzieh… Noch ein Seufzer hob ihre Brust. Er würde sie nicht küssen, er würde wütend sein und enttäuscht… und er würde ihr nicht mehr vertrauen. Vielleicht nie mehr. Aber sie sagte nichts mehr dazu.


    Stattdessen schrak sie, ebenso wie Merit-Amun, zusammen, als plötzlich ein Geräusch ertönte. Ein Moment verging in atemlosem Schweigen, angespannt lauschte sie, mit klopfendem Herzen, ihre Gedanken rasten bereits auf der Suche nach einer Möglichkeit, Merit irgendwie zu beschützen, falls Matho auftauchen sollte – aber was auch immer das Geräusch verursacht hatte, Matho war es nicht gewesen. Ein weiterer Moment verging, dann atmete Siv erleichtert auf und wandte sich wieder Merit zu. "Käse und Brot ist gut", versicherte sie, eingedenk daran, dass sie Matho würde täuschen müssen. Als die Ägypterin dann davon sprach, dass sie nun besser ging, biss Siv sich erneut auf die Unterlippe. Der Keller flößte ihr immer noch Furcht ein, und sie hatte immer noch Angst vor dem Treffen mit Corvinus – und ihr graute davor, wieder allein zu sein, weil sie dann weder das eine noch das andere auf Dauer würde verdrängen können. Aber Merit-Amun hatte Recht. Es war besser wenn sie ging – beim nächsten Geräusch war es vielleicht wirklich Matho. Die Germanin griff nach der schmalen Hand der Ägypterin. "Ja, du Recht. Besser du gehst. Danke, viele Danke, für hier sein. Für kommst wieder. Sei vorsichtig."

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