[Capitolium] Der Kaiser opfert

  • Es war noch immer der Tag der Ankunft und Ausrufung des neuen Kaisers, jedoch einige Stunden später als die Zeremonie auf dem Forum. Die Sonne hatte ihren Höhepunkt längst überschritten und befand sich schon wieder auf dem Weg Richtung Horizont. Vor dem Tempel auf dem capitolinischen Hügel herrschte indes noch große Geschäftigkeit, denn am Morgen hatte der neue Kaiser angekündigt, noch am selben Tag ein Opfer im Andenken an seinen Verstorbenen Vater darbringen zu wollen. Obwohl es daher ein rein privates Opfer war, implizierte die herausragende Bedeutung des Opferherrn die Anwesenheit einer ganze Schar von Mitglieder des Cultus Deorum und verschiedener Collegien einschließlich des Collegium Pontificium, die an dem Opfer in der einen oder anderen Forum teilnehmen würden.


    Noch war vom Opferherrn allerdings nichts zu sehen, der sich nach dem anstrengenden Vormittag auf dem Forum erst einmal in seinen Palast zurückgezogen hatte.

  • Der tiberische Pontifex war selbstverständlich direkt nach der Zeremonie auf dem Forum auf das Capitol gestiegen, wo er sofort einige Bekannte aus dem Cultus Deorum traf. Unter anderem erblickte er auch den Rex Sacrorum Fabius Antistes höchstpersönlich! Nur der Flamen Dialis war wieder einmal nicht erschienen - er laborierte ja seit Längerem an einer Krankheit.


    Nach dem Opfer würde möglicherweise Zeit sein, mit dem neuen Imperator Caesar Augustus - Durus stieß es immer noch auf, dass man diese Würde hergegeben hatte wie die eines Kellners in der Taverna Apicia - über religiöse Belange zu sprechen. Schließlich musste er ins Collegium Pontificium kooptiert werden, möglicherweise galt es auch Vorkehrungen für eine eventuelle Vergöttlichung des Iulianus zu treffen.

  • Vom palatinischen Hügel her kommend erschien schließlich auch Valerianus vor dem capitolinischen Tempel, in einer Sänfte getragen. Langsam stieg er aus und ließ seine Kleider ordnen, während er die wartenden Männer betrachtete, von denen er einige schon am Morgen auf dem Forum gesehen oder sogar gesprochen hatte.


    "Rex Sacrorum, lass mich noch einmal betonen, welche große Ehre es für mich ist, dass du dieses Opfer begleiten wirst. Flamines, Pontifices, auch euch danke ich für eure Anwesenheit. Das Opfertier ist bereits vorbereitet?"


    Tatsächlich stand schon ein prachtvolles Rind bereit, welches sich in allen Belangen als würdig für ein Opfer des Kaisers zeigte. Er hatte für viele zu danken und erachtete es aufgrund seiner langen Krankheit keineswegs als Selbstverständlichkeit, überhaupt hier in Rom angekommen zu sein und die Kaiserwürde angenommen zu haben. Entsprechend drängte es ihn, sich den Göttern gegenüber dankbar zu zeigen. Da er außerdem keine Lust verspürte, vor dem Tempel in der Sonne zu stehen, zog er sich schon bald für das Voropfer in das Innere des Tempels zurück.

  • Es dauerte eine recht lange Zeit, bis Valerianus das Innere des Tempels wieder verließ und sich am Altar vor dem Tempel zeigte. Offenbar hatte er ein sehr langes und ausführliches Gebet an die capitolinische Trias gerichtet. Angesichts seiner Ausrufung zum Kaiser, der hinter ihm liegenden Reise und der bevorstehenden Aufgaben war das allerdings auch kaum verwunderlich.


    Schon lange hatte er kein großes Opfer mit einem Rind mehr durchgeführt, erst Recht nicht in Rom. Mit langsamen Kopfbewegungen ließ er seine Blicke über die Szenerie gleiten, als wolle er durch den Anblick Erinnerungen an frühere Aufenthalte in Rom oder die Handlungen seines Adoptivvaters hervorholen, um sich daran festhalten zu können. Dann nickte er den Opferhelfern zu, die das Wasser zum Besprengen der Anwesenden und für die sonstigen rituellen Reinigungen bereit hielten.


    "Wir können beginnen."

  • Der Tiberier reckte erneut den Hals, als der Augustus aus der Sänfte stieg. Man konnte ihm ansehen, dass die letzten Tage anstrengend gewesen waren. Gemeinsam mit dem Rex Sacrorum und den übrigen Pontifices begrüßte er Valerianus und geleitete ihn in den Tempel.


    Die Zeremonie war prunkvoll, aber offensichtlich doch darauf ausgerichtet, den neuen Kaiser nicht zu überanstrengen. Kurz darauf traten die Priester mit ihrem zukünftigen Oberhaupt wieder aus dem Tempel und an den Altar. Durus sah, dass ein Collega das Rind persönlich herbeiführte, sodass Valerianus es begutachten konnte. Selbstverständlich war es bereits mehrfach überprüft worden, dennoch gehörte es zu den kultischen Vorschriften für den Opferherrn, das Tier selbst zu überprüfen.


    Durus selbst hielt eine Schale und eine Kanne mit Wasser, um dem Opferherrn eine rituelle Reinigung seiner Selbst zu ermöglichen. Der Umstand, dass die Pontifices selbst als Opferdiener auftraten, unterstrich die Bedeutung dieses Opfers auf augenscheinliche Weise.

  • Den Versuch, bei jeder der folgenden Aktionen den Namen des Pontifex zu memorieren, der bei diesem Schritt assitierte, stellte Valerianus recht bald wieder ein. Zu viele unbekannte Gesichter waren das noch und bevor er sich etwas falsches einprägte, wollte er es in kleinerm Kreis noch einmal versuchen. Zweifellos gab man ihm durchaus etwas Zeit, bis man von ihm Sicherheit auf diesem Gebiet erwartete.


    Das vorgeführte Rind fand seine Zustimmung, wobei sein Missfallen wohl auch ein schlechtes Omen gewesen wäre, welches er sich nicht leisten wollte. Nach der Waschung nickte er dem dafür zuständigen Pontifex dankend zu und wartete darauf, dass auch die Umstehenden besprengt und zum Schweigen aufgefordert worden waren. Das einsetzende Flötenspiel klang laut und ungewohnt in seinen Augen, hatte man im Illyricum doch keine geübten Tempelmusiker in dieser Anzahl zur Verfügung gehabt und in der Stille des Praetoriums meist sowieso auf musikalische Untermalung verzichten können. Nachdem sich Valerianus das Opfermesser hatte reichen lassen, um dem Rind über den Rücken zu fahren, sprach er noch einmal ein kurzes Opfergebet für die capitolinische Trias. Gegenüber dem Aufenthalt im Inneren ging es schnell und war wohl nur eine Zusammenfassung dessen, was er dort den Göttern schon einem vorgetragen hatte. Dann verstummte er und wartete auf die entscheidende Frage des Schlächters.

  • Auch Durus bekam einen Tropfen des reinigenden Wassers ab. Er fragte sich dabei (seltsamerweise zum ersten Mal), ob diese kleinen Tröpfchen Wasserflecken geben konnten, beziehungsweise ob Kleidungsstücke solche bekommen konnten (auf Glas hatte er schon einmal welche gesehen - was dem Sklaven, der zuständig gewesen war, nicht gut bekommen war).


    Dann begann auch schon die Opferhandlung selbst. Durus hatte irgendwie ein ungutes Gefühl: Nicht nur, dass ihm alles etwas gekürzt vorkam (obschon er das nicht mit Sicherheit sagen konnte, denn er hatte seit langer Zeit keiner Opferhandlung an die Göttertrias beigewohnt), auch der Kaiser selbst wirkte, als ob ihm irgendetwas nicht gefiele - blieb zu hoffen, dass die Götter das Opfer trotzdem akzeptierten und dies nur ein Gefühl des Tiberiers war.


    Während Durus dies und vieles mehr dachte, erklang die Frage des Schlächters, der ausnahmsweise kein Pontifex war - die Kunst des Schlachtens war für handwerkliche Laien doch zu komplex.


    "Agone?"

  • Es war nur ein kleines Wort, welches nun von Valerianus erwartet wurde, aber seine Gedanken begannen plötzlich zu kreisen. So viele kurze Fragen gab es im Leben eines Mannes und so viele kurze Antworten, die trotzdem alles bestimmten. Er hatte Ja gesagt, als es um die Adoption durch Ulpius Iulainus ging. Er hatte Ja gesagt, als es um Kommandos ging. Und er hatte Ja gesagt zur Kaiserwürde. Geradezu lächerlich einfach war dagegen das rituelle Wort der Zustimmung beim Opfer. Und trotzdem kam sich Valerianus für einen Augenblick unheimlich getrieben vor, obwohl er gerne verharren würde. Aber nur einen Augenblick, dann waren seine Gedanken wieder bei der Sache.


    "Age!"

  • Kaum erklang das Wort des Augustus, da stieß der Opferhelfer sein Messer in die Kehle des Rindes, während gleichzeitig ein zweiter den Hammer auf den Schädel des Tieres niederfahren ließ. Es gab ein krachendes Geräusch - der Minister war wohl darauf bedacht gewesen, auf jeden Fall das Tier zu betäuben: Es durfte schließlich nichts schiefgehen beim großen Opfer des Augustus für seinen fast-göttlichen Vater!


    Ein leichtes Gewusel entstand, als ein Pontifex die Schale an den zu Boden gesunkenen Hals des Tieres hielt und das Blut auffing, während gleichzeitig der Opfermetzger zurücktrat und der für die Öffnung des Tieres verantwortliche Pontifex bereits zu Bauch trat.


    Dennoch war nun eine Pause gegeben, denn das Tier musste ein wenig ausbluten, ehe man die Vitalia entnehmen und somit prüfen konnte, ob das Opfer angenommen wurde.


    Durus stand ein wenig weiter weg und ging nun einen Schritt in Richtung des Augustus, um ihn von der Nähe zu betrachten. Den letzten Kaiser hatte er selten gesehen - Iulianus war nicht ein sehr zurückgezogener Herrscher gewesen. Ob Valerian es ihm gleichtun würde? Wenn die Gerüchte über seine Krankheit stimmten, war das wohl eine seltene Gelegenheit, ihn aus der Nähe zu betrachten.

  • Mit Wohlgefallen schaute die capitolinische Trias auf das Opfer. Am Opfertier würde kein Makel zu finden sein, so wie die Götter in den Gebeten des Opferherrn keine Fehler erkannt hatten. Ob die Umstehenden es ebenso sahen, lag jedoch nicht in der Hand der Götter.

  • Wenig später trat der Haruspex Primus hervor, der für diesen besonderen Anlass persönlich die Betrachtung der Vitalia übernahm. Durus blickte neugierig auf die goldene Schale, in der der Alte die Leber und andere Organe drehte und wendete.


    Dann plötzlich blickte er auf und hob die Leber ins Licht der Sonne. Noch einmal drehte er das Organ, dann sah er zu Valerianus.


    "Litatio!"


    Der Herold, der bereit stand, um der versammelten Menge das Ergebnis zu verkünden, wiederholte das Wort und ein leichtes Aufatmen ging durch die Menge, obschon niemand ernsthaft erwartet hätte, dass dieses Opfer misslang - wer wurde von den Göttern geliebt, wenn nicht der Imperator Caesar Augustus?

  • Das Aufatmen betraf auch Valerianus, der schon lange kein so wichtiges Opfer zelebriert hatte. Er richtete einige Worte des Dankes an die Pontifices und Opferhelfer, die sich nun um die weitere Zerlegung des Opfertiere kümmern würden. Dann hielt er nach dem Rex Sacrorum und den Mitgliedern des Collegium Pontificium Ausschau, mit denen es seine Einführung als Pontifex Maximus zu besprechen galt. Auch wenn er sich gerne schon bald zur Nachtruhe in seinen Palast zurückziehen wollte, so war es immerhin besser, schon jetzt darüber zu sprechen als einen weiteren Termin zu machen.


    "Können wir uns hier irgendwo ungestört hinsetzen? Ich denke doch, dass nicht alle bei der Vorbesprechung zuschauen müssen."


    Tatsächlich wichtiger war ihm allerdings das Sitzen, was auch damit verbunden werden konnte, dass man ihm einen Becher Wasser reichen konnte.

  • Fabius Antistes hatte beim Opfer nicht selbst assistiert - zum einen, weil er sich dafür zu alt, zum anderen, weil er sich zu ehrwürdig für den Minister-Dienst hielt. Dafür hatte er das Opfer jedoch durch seine Anwesenheit als wichtig unterstrichen und war direkt danach zu Valerianus geeilt. Er hatte schon auf dem Forum mit einem kleinen Gespräch gerechnet, doch da der neue Kaiser ohnehin etwas müde gewirkt hatte, hatte er sein Ansinnen auf das Opfer verschoben.


    "Gehen wir in meine Sänfte!"


    antwortete der Rex Sacrorum, da dies wohl der luxuriöseste Raum mit einem Platz zum Sitzen war. Da sie außerdem von ausnehmender Größe war, machte es überhaupt kein Problem, einen Kaiser darin zu beherbergen.


    Gemeinsam gingen sie zur Flanke des Tempels, wo die Diener des Rex Sacrorum die Sänfte geparkt hatten und schlüpften hinein. Antistes setzte sich auf die eine Seite und bot Valerianus die andere an. Dann begann er mit einer belanglosen Einleitung:


    "Ein würdiges Opfer, Augustus!"




  • Die Sänfte des Rex Sacrorum war nicht unbedingt der Ort, den Valerianus für die Bersprechung erwartet hatte. Offenbar hatte er sich getäuscht, dass es in den Nebengebäuden des Capitolstempels den einen oder anderen passenden Raum gäbe. Aber ein kurzer Weg war ihm auch Recht.


    "Danke. Ich habe die Götter nie vergessen und das regelmäßige Opfer an sie war mir bei der Krankheit und besonders seit dem Tod meines Vaters eine große Stütze. Aber der Rahmen dafür war im Illyricum ein völlig anderer."


    Dort konnte er auch bei einer Mahlzeit liegend opfern, mit kaum einer Handbewegung und einem langen Gebet. Hier in Rom schien ein Opfer mehr Kraft zu kosten, als es jemals bieten konnte.

  • Antistes hörte zu und tat interessiert. Allerdings beschloss er dennoch nicht, weiter darauf einzugehen, sondern direkt zum Geschäft zu kommen - er war heute Abend zu einer Cena mit einem Geschäftspartner eingeladen und neben dem sah Apicius blass aus! Also los.


    "Natürlich, Rom ist in vielen Dingen anders. Aber sicher weißt Du noch, dass es hier Usus ist, dass der Imperator Caesar Augustus auch das Amt des Pontifex Maximus wahrnimmt. Die Wahl erfolgt per Abstimmung im Collegium Pontificium, danach müsstest Du noch inauguriert werden.


    Ich würde Dir also vorschlagen, eine Sitzung einzuberufen und Dich dem Collegium vorzuschlagen."


    Er lächelte gewinnend und hoffte insgeheim, für seinen vorauseilenden Gehorsam auch gleich ein wenig belohnt zu werden. Mit dem neuen Kaiser zu feilschen wagte er nicht.




  • Auch wenn Valerianus gesundheitlich schwach und permanent müde war, waren ihm wichtige Sitten noch gut präsent.


    "Selbstverständlich ist mir bekannt, was unsere alten Gebräuche sind. Kannst du diese Sitzung des Collegiums in meinem Namen einberufen? Auch wenn das Anliegen von großer Bedeutung ist, bitte ich um einen Termin nicht früher als in drei Tagen."


    Jede Pause, die er sich verschaffen konnte, wollte er sich erhalten, solange es ging.

  • Nicht früher als in drei Tagen? War der Kaiser also tatsächlich so krank, wie es Antistes' Informanten gemeldet hatten? Ihm war er auf dem Forum noch rüstiger erschienen, aber wenn man ihn jetzt betrachtete...


    "In Deinem Namen? Ich würde sie wie üblich einberufen, solange Du noch nicht der Pontifex Maximus bist. Aber ich werde es selbstverständlich gerne bewerkstelligen."


    Es war höchste Zeit, dass es wieder einen Pontifex Maximus gab. Der Fabier hatte langsam keine Lust mehr, die gesamte Verwaltung des Cultus Deorum selbst zu übernehmen.




  • Einen Augenblick fragte sich Valerianus, ob er einen Formfehler gemacht hatte, als er um die Einberufung der Sitzung in seinem Namen bat. Immerhin war der Rex Sacrorum ebenfalls ein hoher Würdenträger und legte bestimmt Wert auf seine Rechte. Aber ein leichter ziehender Kopfschmerz von der Hitze und Belastung des Tages verdrängte den Gedanken wieder.


    "Sehr gut. Ich erwarte keinen größeren Rahmen, als für die Aufnahme nötig ist. Die Abläufe des Cultus Deorum hier in Rom werde ich mir erklären lassen müssen und ich verlasse mich da ganz auf dich und das Collegium."

  • Dem Rex Sacrorum kam es zwar etwas seltsam vor, dass der Kaiser über die Gebräuche in Rom so schlecht informiert war, aber andererseits war er nun Ewigkeiten in der Provinz gewesen, wo er selbst die Riten bestimmen konnte, wie sie ihm passten.


    Mit einem Lächeln auf den Lippen meinte er


    "Du kannst dich auf uns verlassen!"


    Es folgte ein kürzeres Gespräch über Religion im Allgemeinen und kultischen Pflichten des Pontifex Maximus im Besonderen, damit Valerianus auch wusste, auf was er sich da einließ...




  • Sich auf andere verlassen zu können, war für Valerianus in seinem neuen Amt lebenswichtig, und wenn er jemandem in Rom von Anfang an vergleichweise bedenkenlos vertraute, dann war es wohl der Rex Sacrorum oder die anderen Mitglieder des Collegium Pontificium.


    Die kurze Einführung in seine kommenden Pflichten ließ er gnädig über sich er gehen, auch wenn er in Zukunft noch einige Male würde nachfragen müssen. Mit einem Wort des Dankes und der Verabschiedung verließ er später die Sänfte, um in seiner eigenen zum Palast gebracht zu werden und den anstrengenden Tag zu beenden.

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