Würde Avitus zwei Jahrtausende später auf dem Exerzierplatz stehen, er gäbe einen rauhen, kampferprobten Stabschef im Range eines Colonello oder Generale ab, der seine Truppe, die Artillerie der Division, während einer Übung beaufsichtigte und mit einem Fernglas in die Ferne spähte, wo die Geschosse einschlugen. Hier aber stand ein Praefectus Castrorum und beobachtete die Ballistae und die Scorpione bei einer Übung. Die gesamte leichte und schwere Artillerie der Prima war aufmarschiert. Schon im Morgengrauen hatte man damit begonnen, die aufzubauen. In langer Reihe standen die Scorpione, diese bösartigen kleinen Dinger, einer ebenso langen Reihe manngroßer Pfähle gegenüber, die auch in der Breite kaum mehr hatten, als ein Mensch und die die Soldaten mit allerlei geschmückt hatten, um ihnen das Aussehen feindlicher Soldaten zu verleihen. Zumindest im Ansatz. So erinnerten manche Pfähle, denen man seltsame Fratzen gemalt und Kleidungsreste und improvisierte Schilder verpasst hatte, an leichte parthische Infanterie, die die Prima während ihres letzten Feldzuges niedergemäht hatte. Andere hatte man wie germanische Krieger aussehen lassen, indem man ihnen aus in Fetzen geschnittener Kleidung so etwas wie langes Haar verpasst und wilde Gesichter gemalt hatte, sowie runde, bemalte Schilder verpasst hatte. Jede Centuria war frei in der Wahl des Themas gewesen.
Avitus griff nach seiner Feldflasche und trank etwas Wasser. Wie immer trank er während der Übungen Wasser, denn er war der Meinung, Wein hatte auf dem Exerzierplatz nur dann etwas zu suchen, wenn kollektives Saufen auf dem Campus anstand. Was selten der Fall war. Während einer laufenden Übung, bei der mit scharfer Munition - vor allem bei den Scorpionen - geballert wurde, wollte er die Milites voll konzentriert wissen. Er reichte die Flasche wieder an eine Ordonanz - eines der Privilegien, die ihm zustanden war, dass er nicht einmal mehr die eigene Feldflasche zu schleppen brauchte, zumindest während einer Übung nicht - und blickte zu den Bedienungen der Geschütze. Das Wetter war zu Kotzen. Der Himmel war bedeckt, grau und unheimlich und es herrschte eine drückende, schwüle Hitze, die einen schwitzen ließ, dass man mit dem Trinken nicht hinterherkam. Avitus hasste dieses Wetter. Es wirkte sich natürlich auch auf die Sehnen der Geschütze aus, diese hohe Luftfeuchtigkeit und senkte ihre Effektivität etwas, aber allzu sehr fiel das nicht ins Gewicht. Die heutige Übung würde ausserdem zeigen, wie gut die Mannschaften auch damit zurecht kamen, denn das Wetter konnte man sich draussen 'im Felde' auch nicht aussuchen.
Avitus gab den Befehl an einen Melder weiter und per Signal, von den Cornicen weitergegeben, wurde den Mannschaften befohlen, selbstständig zu feuern. Fast gleichzeitig wurden an dutzende Bolzen auf ihre Bahn geschickt, hatten kaum länger als eine Sekunde gebraucht, um die Strecke bis zu ihrem Ziel zu finden und die feindlichen 'Soldaten' mussten einstecken, wurden hart getroffen. Das war einfach, denn da hatten die Milites Zeit, in Ruhe zu laden und die Geschütze zu spannen, sie genau auf das Ziel auszurichten. Nun ging es auf Zeit und nun würde sich zeigen, welche Mannschaften gut waren, welche weniger gut. Bestrafung stand für die Verlieren keine an, ebenso keine Belohnung für die Gewinner. Aber hier ging es um Größeres. Um die Ehre und das Ansehen in der Legion ging es und niemand wollte das Schlusslicht sein, niemand wollte sich vor den anderen die Blöße geben...
wer mag, der darf