Ähm Dass es im Garten eine Orchidee gibt, hat Corvi zuerst erwähnt, nicht Siv
Siv bemerkte nicht, dass Corvinus ihr Kommentar zu amüsieren schien. Wann immer sie ihn mit einem Seitenblick streifte, sah sie nur, dass er sie nicht wirklich wahrnahm. Die Antwort der Römerin dagegen zeigte erneut zu deutlich, was diese von ihr hielt. Diesmal fühlte sich Siv tatsächlich getroffen, und für einen Moment fragte sie sich, wie ein Mensch mit simplen Worten so verletzend sein konnte, während sie um ihre Fassung rang. "Ja, Mist", antwortete sie, ihre Stimme lange nicht so bissig, wie sie es eigentlich wollte, dafür schwankender, als ihr lieb war. "Schöne Dinge brauchen Mist, für sein schön, oft." Siv meinte diesen Satz so, wie sie ihn sagte – gerade die Exoten in diesem Garten brauchten irgendeinen Dünger, um gedeihen zu können. Hintergedanken waren ihr fremd, und Worten eine andere Bedeutung zu verleihen ebenso, selbst in ihrer Muttersprache. Daher fiel ihr selbst nicht auf, dass man diesen Satz auch als auf die Flavia gemünzt verstehen konnte.
Dieser ganze Tag schien bisher ein einziger Reinfall zu sein, und die Masse an Gefühlsstürmen, die sie heute schon durchlebt hatte, wurde langsam zuviel. Vermutlich lag es daran, dass es ihr ganz gegen ihre sonstige Art nicht gelang, sich in Wut zu flüchten, sondern sie ganz im Gegenteil Tränen unterdrücken musste. Mit Mist arbeiten. Das war also die richtige Aufgabe für sie. Sivs Hände zitterten, und der Blick, der Corvinus diesmal traf, war ein stummes Flehen. Tu mir das nicht an. Ich weiß, was ich alles falsch gemacht hab. Bestraf mich dafür wie du willst, aber tu mir das hier nicht weiter an. Wenn das so weiterging, würde sie auf kurz oder lang erneut die Beherrschung verlieren – und dann würde sie vermutlich etwas tun, wofür sie tatsächlich entweder weggesperrt oder verkauft werden würde, vorausgesetzt, sie schaffte es nicht wieder sich rechtzeitig in die Küche zu flüchten. Legte Corvinus es etwa darauf an? Dass sie ihm einen Vorwand lieferte, sie loszuwerden? Dass er keinen Vorwand brauchte, um eine seiner Sklavinnen zu verkaufen, daran dachte sie im Moment nicht. Stattdessen bemerkte sie nur, wie Corvinus sich wieder der Flavia zuwandte, und – ebenfalls ganz entgegen ihrer Art – ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, wandte sie sich ab. Auf einmal hatte sie es eilig, davon zu kommen, und so strebte sie der Orchidee entgegen, auch wenn sie an Corvinus’ Reaktion bemerkte, dass auch das falsch gewesen war – was sie nicht verstand, denn immerhin war nicht sie es gewesen, die von der Orchidee angefangen hatte, und davon, dass gerade bei dieser Pflanze die Pflege so schwierig war. Sie hatte das nur als Stichwort aufgefasst. Aber wer war sie schon zu verstehen, was Römer wie meinten. Worte schienen nicht ihre Stärke zu sein, nicht in der Art, wie die Römerin sie benutzte. Worte waren dazu da, etwas direkt zu sagen – nicht sie auf hinterlistige Weise so zu verdrehen, dass sie in Wahrheit etwas ganz anderes aussagten, und auf diese Weise sogar verletzten, ohne dass es allzu offensichtlich wurde, ohne dass man sich wehren konnte.
Stumm ging Siv zu dem Platz, wo die Orchidee hingebracht worden war, ihre Bewegungen bei weitem nicht so anmutig, wie sie es für gewöhnlich waren – zu groß war die Anspannung, unter die sie ihren Körper augenblicklich gesetzt hatte, um sich zu beherrschen. Ebenso stumm blieb sie stehen und wartete, beobachtete, wie beide Römer hinter ihr herkamen, wie sie die Orchidee betrachteten, wie sie über sie schwärmten. Erst beim letzten Satz der Flavia sah Siv wieder hoch, mit brennenden Augen. "Nichts ist vollkommen", meinte sie, ihre Stimme rau und mit einem seltsamen Unterton. So sehr sie selbst die Orchidee liebte, so viel Mühe sie bereits in sie investiert hatte, Siv wusste, dass auch diese Pflanze nicht perfekt war. Sie mochte wunderschön anzusehen sein, wenn sie erblüht war, ebenso wie die Flavia wunderschön anzusehen war. Genauso gut konnte sie aber im Inneren bereits verrottet sein, oder andere aussaugen für ihre eigene Perfektion – bei Pflanzen war alles möglich. Genauso wie bei Menschen. Sie sah wieder auf die Orchidee hinunter, musterte den noch winzigen Trieb, der bisher niemandem außer ihr aufgefallen zu sein schien, und schwieg erneut. Jetzt würde sie sich eher die Zunge abbeißen, als darauf aufmerksam zu machen – oder darauf, dass die Pflanze nicht mehr so kläglich aussah wie noch vor kurzem, als der Händler sie hatte bringen lassen. Sie hatte ihre Methoden, die Pflanzen in diesem Garten zum Gedeihen zu bringen, und sie hatte Erfolg damit – was brauchte es sie zu interessieren, was diese Römerin davon hielt? Zumal sie nicht die geringste Ahnung hatte, was Siv noch alles tat. Herauszufinden, welcher Dünger für welche Pflanze am geeignetsten war, war nur ein Aspekt. Die Erde musste die richtige sein, der Standort, die Temperatur, die Wassermenge… es gab so vieles, was stimmen musste, damit der Garten so aussah, wie er es tat. Es gab so vieles zu wissen, und abgesehen von dem Wissen, das sie über die Gewächse aus ihrer Heimat hatte, hatte sie sich alles hier angeeignet, hatte sich von Händlern und Laufburschen erzählen lassen, was die gekauften Pflanzen bevorzugten, hatte sie und andere gefragt, wie es in den Ländern aussah, wo die Gewächse herstammten, hatte Brix genervt, damit er mit ihr in die Bibliothek ging und nach Hinweisen aller Art suchte und sie für sie übersetzte. Sie wusste es nicht, aber sie ging davon aus, dass keiner, auch Corvinus nicht, eine Ahnung hatte, wie viel ihrer Zeit, gerade ihrer spärlichen freien Zeit, und wie viel Mühe sie tatsächlich in diesen Garten investierte. Brix mochte eine Ahnung davon haben, war er doch derjenige, den sie laufend um Übersetzungen gebeten hatte und immer noch bat, und der jetzt, als Maiordomus, noch mehr darüber informiert war, was sie tat. Ob er das allerdings weitergegeben hatte, wusste sie nicht, und sie bezweifelte es. Sie hob den Blick und sah hinüber in die Ecke, in der die große Eiche stand, in einigem Abstand dahinter ein paar Tannen, und dazwischen einige Beete, in die sie die Blumen und Kräuter eingepflanzt hatte, die sie von Germanien mitgebracht hatte. Danach glitt ihr Blick in die Richtung, in der der Stall lag, bevor sie ihn mit zusammengebissenen Zähnen auf den Boden vor sich richtete. Sie konnte hier nicht weg, und auch wenn es ihr mit jedem Moment schwerer fiel, sie würde sich zusammenreißen müssen.