Da waren sie dann doch. Die erste Boten einer schwachen und schweren Zukunft, die erste weniger zierreiche Dekoration des weiblichen Körpers. Die ersten Lachfalten gestalteten sich tiefer und weniger oberflächlich. Alt sah sie noch lange nicht aus, aber sie wollte die Jugend nicht hinter sich lassen. Eigentlich wollte sie ihr Leben stattdessen einmal richtig beginnen, wollte hinaus und vielleicht einen neuen Gemahl kennen lernen. Aber sie ging strikt auf die vierzig zu und hatte an Heiratsmarktwert verloren. Ihre Figur war noch immer schmal und ließ die Geburten nicht sehen, die sie hinter sich gebracht hatte. Drei Kinder. Nur eines davon hat die Kindheit überlebt und war nun eine junge Erwachsene. Ihre Tochter Minervina, aus der Ehe mit ihrem ersten Gemahl Tiberius Maximus. Sie hatte sie dafür gehasst, dass sie den ungewöhnlichen Schritt gegangen war und Rang und Namen nach dem Tode ihres Mannes abgab. Auch Minervina hatte sie zu diesem Schritt gezwungen. Und nun hatten sie schon über ein Jahr nichts mehr voneinander gehört. Die junge, gebürtige Patrizierin wollte nichts mehr von der Mutter hören und so oft Helena einst Mitleid dafür bekundete, dass es ihr leidtat, so selten hatte sie wirklich verstehen können, warum Minervina so verletzt darauf reagiert hatte, nun dem plebejischen Stand anzugehören. Aber allmählich begann sie zu begreifen. Die Tochter war in adligem Hause geboren und musste sich nun mit Plebejern auf einer Stufe betrachten. Und das nach der Erziehung durch Tiberia Claudia. Dann war verständlich, dass sie die plebejische Einfachheit nicht schätzte, so wie sie, Helena, dies tat, sondern sie verachtete. Doch selbst Helena sehnte sich allmählich nach dieser Zeit zurück. Sie hatte nun ihr Haus, aber sie war einsam. So einsam wie selten. Nur die Küchensklavin, der Ianitor und ein Dienstmädchen waren ihr geblieben, alle anderen Sklaven waren entweder verstorben, verkauft oder freigelassen worden. Es war sehr still geworden, nachdem auch Romanus an einem Fieber verstarb, Callidus sich das Leben nahm. Doch all das hatte sie nur einsam und alt werden lassen. Wirklich verletzt war sie nicht mehr. Sie hatte nie geglaubt, dass mit dem Alter Ruhe kam, doch langsam erlangte sie diese. Sie hatte schon viel gesehen und das Schicksal einzelner schmerzte nicht mehr allzu sehr. Auch eine Weltenverbesserin wollte sie nicht mehr werden, das lag alles hinter ihr. Sie war ein recht junger Pontifex gewesen und hatte viel erreicht, aber nun wollte sie nur das, was sie selbst aufgegeben hatte. Familie.
Mit einem Seufzen nahm sie ihre Hand von der Wange und ließ sie auf den Schoß sinken. Schweigend saß sie im stillen Raum und betrachtete die Fresken. Richtig heimisch fühlte sie sich hier nicht mehr, überall hafteten Erinnerungen. Erinnerungen an Romanus, ihren geliebten großen Bruder. Und Callidus, dem kleinen Bruder, der zwar stets sehr von sich eingenommen war, aber das Haus doch mit Leben erfüllt hatte. Minervina, die fröhlich durch die Zimmer lief, ihre Streitigkeiten miteinander. Die beiden Jungen, die laut schreiend in ihrem Arm lagen. Sie starben eines Kindstodes. Schweigend barg Helena die Augen in ihrer Hand und begann still zu weinen. Lediglich ihre Schultern zuckten heftig und ließen Aufschluss über den heftigen Schmerz in ihrem Herzen zu, für den Beobachter, der es sah, der aber nicht da war. Leises Schluchzen hallte durch den Raum und verstummte in den Ecken. Still... zu still...
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