Aventin, heute...
Von einer kleinen, ein halbes Dutzend Mann umfassenden Abteilung Praetorianer, die die ehrenvolle Aufgabe hatten, ihrem Tribun Geleitschutz zu geben, begleitet, die ihm den Weg durch die wie üblich überfüllten, teilweise sogar verstopften Gassen – anders konnte man die meisten Strassen in Rom wohl kaum bezeichnen – bahnte, schritt Avitus in Eile. Allen voran schritt Archias, sein treuer Diener, der ihnen den Weg zeigte. Archias war nicht wie die Praetorianer gekleidet, trug keine Toga, was ihm als Freigelassenem nicht zustand. Ungeachtet dessen reichten sein finsterer Gesichtsausdruck und seine Erscheinung insgesamt, dass die Leute ihm instinktiv lieber Platz machten. Irgendwas bedrohliches ging von ihm aus, etwas unheimliches. Avitus wusste, dass Archias diese Tatsache sehr wohl bewusst war und er sein Erscheinungsbild bewusst so hielt. Für den Fall der Fälle trug er unter der Kleidung – eine der wenigen Gemeinsamkeit mit den Praetorianern – eine kurze, aber vortreffliche zweischneidige Klinge und dazu einen mit Ringen verstärkten Caestus.
Eben Archias hatte ihn vor kurzem darüber informiert, dass jemand im Sterbebett lag. Jemand, den Avitus vor langer Zeit mal gekannt hatte. Ein alter Freund, dessen Name in dem Artorier zahlreiche Erinnerungen an die Vergangenheit wachrief. Der Name des Sterbenden war Marcus Silius Orestes. Wie Archias an die Information, dass er starb, kam, wusste Avitus nicht, aber wichtig war in diesem Moment ohnehin anderes. Sie näherten sich einem bescheidenen, zweistöckigen Haus, das sich von außen nicht im geringsten von den anderen in der Strasse unterschied. Avitus ließ die Praetorianer draußen warten, woraufhin sich diese etwas verteilten, um nicht unnötig aufzufallen, blieben jedoch wachsam und betrachteten jeden mit Argus Augen. Insofern war es schon bewundernswert, mit welcher Professionalität diese Männer an jede ihnen aufgetragene Aufgabe herangingen, aber vor dem Hintergrund ihrer Ausbildung, in der den Gardisten beigebracht wurde, zunächst in allem und jeden eine potentielle Gefahr zu sehen, nicht verwunderlich.
Avitus ließ Archias derweil an die Türe des Hauses klopfen. Man ließ sie etwas warten, ehe ein muskulöser, groß gewachsener, aber gepflegt wirkender Ianitor, ihnen die Türe öffnete. Er blickte Avitus an, erkannte im selben Augenblick, dass er jemand hochrangigen vor sich hatte. Zwar hätte er nicht genau zu sagen gewusst, wie hochrangig und wer Avitus war, war aber schlau genug, seinen Tonfall und Wortwahl entsprechend anzupassen.
"Sei gegrüßt, Herr"
sagte er mit einem kleinen Nicken. Eine Geste, die nicht so unterwürfig war, wie die Verbeugungen der Orientalier, die aber dennoch Respekt vor Avitus bezeugte.
"Verzeih. Mein Herr, Marcus Silius, kann dich leider nicht empfangen. Er liegt im Sterben. Bitte, Herr, erspare ihm, dem Sterbenden, die Anstrengungen eines Besuches"
Also doch. Orestes. Im Sterben. Doch Avitus wollte es mit eigenen Augen sehen.
"Ich bin Artorius Avitus..."
Avitus nannte vorerst nur seinen Namen. Er hoffte, er musste sich den Zugang zu Haus nicht mittels seines Ranges – und der ihn begleitenden Abteilung – verschaffen. Im selben Moment erhellte sich das Gesicht des Ianitor. Selbstverständlich kannte er diesen Namen, denn ihm wurde von seinem Herrn persönlich aufgetragen, denjenigen, der sich unter jenem vorstellte, vorzulassen. Da der Artorier jedoch weiter sprach, wagte der Sklave nicht, ihn zu unterbrechen.
"... und denke, dein Herr wird in meinem Fall eine Ausnahme machen und die Anstrengung in Kauf nahmen. Führe mich zu ihm"
Der Sklave öffnete die Tür ein wenig weiter.
"Selbstverständlich, Artorius Avitus. Du wurdest bereits erwartet, jedoch hatte mein Herr wenig Hoffnung, dass du auch tatsächlich herkommen würdest"
Seltsam. Doch Avitus schritt hinein...
reserviert