[capitolium] officium formationis

  • Und Serrana war durchaus zufrieden, schließlich hatte sie ja keinen stundenlangen Vortrag erwartet, sondern sicher gehen wollen, dass ihr junger Schüler bereits über einen guten Überblick über den Aufbau des Cultus Deorum verfügte. Und das tat er ganz offensichtlich, denn die Antworten des Flaviers waren zwar kurz, enthielten aber alle wichtigen Punkte, auf die es ankam.


    "Ich sehe schon, dass wir viele grundlegende Dinge gar nicht mehr durchgehen müssen." sagte sie mit einem Lächeln. "Bei der nächsten Frage erwarte ich keine bestimmte Antwort von dir, aber mich würde doch sehr interessieren, ob du dir vorstellen könntest, einem dieser von dir aufgezählten Kollegien in Zukunft beizutreten. Und warum du dich gerade für dieses entscheiden würdest."

  • Erleichtert nahm Flaccus wahr, dass die Aeditua sich mit seiner kanppen Antwort zufrieden zu geben schien. Bei der nächsten Frage musste er nicht lange überlegen.


    "Mein Ziel ist es, einmal dem Collegium Pontificium anzugehören. Ich weiß, dieses Ziel mag am heutigen Tage noch in weiter Ferne zu liegen, doch die letzten Worte meines Vaters und die flavische Ehre gebieten es mir, nichts Geringeres anzustreben."


    So erfüllt war die Stimme des jungen Mannes von Entschlossenheit, dass tatsächlich kein Zweifel bestehen konnte, dass er dieses Ziel einst auch erreichen würde. Während seiner Worte hatte er sich etwas aufgerichtet, wodurch auch seine Körpersprache signalisierte, dass er den festen Glauben besaß, dass für einen Flavier nahzu nichts unerreichbar war.

  • "Also war es der besondere Wunsch deines Vaters, dass du dem Cultus Deorum beitrittst?" fragte Serrana vorsichtig nach, in der Hoffnung keine allzu frische Trauer damit aufzurühren. Allzu vertraut war sie mit den flavischen Familienverhältnissen bislang nicht, aber sie war sich relativ sicher, dass neben Pontifex Flavius Gracchus auch noch andere Mitglieder dieser Gens im aktiven Dienst an den Göttern standen.
    Ganz im Gegensatz zu den Iuniern, die zumindest in den letzten Generationen keine Priester in ihren Reihen gehabt hatten, ebenso wenig wie die Familie ihres Mannes.
    "Nun, dein Ziel mag vom heutigen Standpunkt aus noch weit entfernt sein, doch sollte dich das nicht davon abhalten, es weiterhin zu verfolgen. Diese Ausbildung mag vielleicht nur der erste Schritt sein, aber sie wird dich ein gutes Stück weiter voranbringen." Serrana lächelte ihren Schüler erneut an, bevor sie kurz überlegte und dann entschied, zu einem etwas brisanteren aber leider zur Zeit sehr aktuellen Thema überzugehen.


    "Meine nächste Frage ist ein wenig ernster, aber es wäre albern, nicht über diese Angelegenheit zu sprechen, da sie schließlich uns alle im Cultus Deorum betrifft. Du hast sicher auch schon mitbekommen, dass zur Zeit die Pax Deorum hier in Rom empfindlich gestört ist, ausgelöst durch einen Frevel im heiligen Hain der Diana. Kannst du mir erkären, welche Auswirkungen das haben kann, und welche Maßnahmen den Kollegien, die du eben aufgezählt hast, zur Verfügung stehen um den Göttlichen Frieden wieder herzustellen?"

  • Leichenstarr und fahl kehrte das Gesicht des mit dem Tod ringenden Vaters aus der Dunkelheit der Vergangenheit zurück ans grelle Licht der Erinnerung. Als ob er dem Wahnsinn verfallen wäre schien er dem heimkehrenden Sohn, Schweißperlen auf der Stirn, die ebenmäßigen Züge vom Todeskampf entstellt. Mehre den Ruhm deiner Familie ... das ungefähr mochten die letzten Worte des Alten gewesen sein, bevor sich seine Augen für immer schlossen und der Sohn allein zurückblieb, verwirrt, verstört. Mit erdrückender Kraft drängten die Bilder auf den jungen Flavier ein, als er nun in jenem Officium der Regia saß, doch seltsamerweise berührten sie ihn nicht wirklich, schienen ihm wie die Erinnerungen eines anderen, weit weg, war doch auch unmittelbar nach des Vaters Tod die zu erwartende Trauer ausgeblieben.


    Mors ultima linea rerum est.


    "So könnte man es sagen...", erwiderte er also nur kühl, lächelte aber schon einen Augenblick später wieder, ob der ermunternden Worte der Aeditua. Das nun angesprochene Thema als brisant zu bezeichnen würde jedoch nahezu an Untertreibung grenzen, war die Pax Deorum durch jenen Frevel sondergleichen, der sich im Hain der Diana zugetragen hatte, doch massiv gestört.


    "Wenn es nicht bald gelingt die Götter durch eine procuratio, eine Sühnung, zu versöhnen, stehen uns wahrlich schlimme Zeiten bevor. An allen Grenzen des Reiches blicken neidische Nachbarn auf den Ruhm und Wohlstand des römischen Imperiums und können nur mühsam in Zaum gehalten werden ... würde Rom den Zorn der Götter auf sich ziehen, die Folgen wären undenkbar." Der junge Flavier dämpfte seine Stimme etwas. "Schreckliche Katastrophen stünden uns bevor! Ein Sühneopfer muss unverzüglich durchgeführt werden, eingedenk der Gravität des gegebenen Anlasses hielte ich persönlich selbst eine Befragung der Sibyllinischen Bücher durch die Quindecimviri für gerechtfertigt. Die Pontifices und Haruspices müssten den Magistraten in der Durchführung des Piaculums natürlich beistehen."

  • Der Gesichtsausdruck des jungen Flaviers wirkte für einen kurzen Moment ein wenig maskenhaft, und auch wenn sein Tonfall eher unbewegt klang, hatte Serrana das Gefühl, dieses Thema lieber ruhen zu lassen und sich lieber auf den Inhalt des Unterrichts zu konzentrieren. Während Flaccus die möglichen Folgen aufzählte, die der gestörte Götterfriede mit sich bringen konnte, spürte sie, wie sich die kleinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten und sich eine Gänsehaut auf ihren Armen bildete. Alles was er sagte, war zutreffend, und nichts davon war ihr neu, doch diesmal ging es nicht um theoretische und zum Teil auch abstrakte Unterrichtsinhalte sondern um ihrer aller Realität und Schicksal.


    "Ich wünschte, ich könnte dir widersprechen, aber leider liegen die Dinge genau so, wie du sagst." bestätigte sie mit einem Nicken und seufzte leise auf. "Der Unwillen der Götter kann sich auf vielfältigste Weise manifestieren, und ich fürchte, die Rinderherde, die im heiligen Hain so viele Gläubige getötet hat, war nur der Anfang. Soweit ich weiß, sind bereits einige Schritte von denen du gesprochen hast, in Gang gesetzt worden, und vielleicht werden auch wir beide einen kleinen Beitrag zur Wiederherstellung des Pax Deorum leisten können." Serrana räusperte sich kurz und straffte sich dann ein wenig, denn die bedrückenden Aussichten hatten sich kurzeitig auch in ihrer Körpersprache widergespiegelt.
    "Lass uns davon ausgehen, dass die zuständigen Pontifices und ihre Helfer bald eine Lösung finden, um die dunkle Wolke, die über ganz Italia schwebt, wieder zu vertreiben." fuhr sie fort. "Angenommen, die Götter sind wieder besänftigt, was können und müssen wir Gläubigen tun, damit die Pax Deorum auf lange Sicht erhalten bleibt?"

  • Mit einem Moment war die Stimmung im officium etwas angespannt, zunächst weil die Sprache auf Flaccus' Vater kam, und er sich über sein Verhältnis zu dem Verstorbenen selbst noch klar werden musste, dann allerdings ob der grauenhaften Zukunftsaussichten, die der discipulus als mögliche Folgen der Beinträchtigung der Pax deorum erläuterte. Ein Räuspern der Aeditua entspannte die Atmosphäre ein wenig, wohl, weil auch das nun zu besprechende Thema ebenfalls versöhnlichen Charakter trug.


    "Im Grunde, gilt es, lediglich die vorgeschriebenen Kulthandlungen korrekt auszuführen, um somit den althergebrachten Dienst Roms an den Göttern wieder zu restituieren. Vorraussetzung dafür ist allerdings, die Pax Deorum wiederherzustellen und die Götter zu versöhnen."


    Im Grunde war es kein nun wirklich kein Problem, gut mit den Göttern auszukommen - wenn man die überlieferten Riten und Kulthandlungen eben pflegte und nach bestem Wissen auszuführen versuchte.

  • Serrana nickte anerkennend. Der junge Flavier besass bereits ein ausgesprochen vielversprechendes Wissen, und nicht zum ersten Mal fuehlte sie Bedauern darueber, dass sie ihn beim praktischen und damit wirklich spannenden Teil seiner Ausbildung nicht wuerde begleiten koennen. Andererseits und weniger eigennuetzig gedacht, war es fuer ihn vermutlich von Vorteil, bei einer so erfahrenen Priesterin wie Pedania Iunor zu lernen und nicht bei einer jungen Anfaengerin, die kaum selbst die Rolle der Discipula abgestreift hatte.


    "Das, was du sagst ist richtig." nickte sie erneut. "Es gibt bei kultischen Handlungen kaum ein wichtigeres Gebot als absolute Wachsamkeit in bezug auf die Einhaltung aller Regeln. Nur, wenn von vornherein Fehler ausgeschlossen werden, koennen wir erwarten, dass die Goetter sich uns und unseren Anliegen wohlwollend zuwenden. Kannst du mir vielleicht ein paar praktische Beispiele geben, wo moegliche Fehlerquellen liegen koennten? Stell dir bitte vor, du moechtest einer bestimmten Gottheit ein Opfer darbringen: worauf musst du achten?"

  • Das anerkenndende Nicken der Iunia ließ ein Lächeln sich auf dem markanten Antlitz des Flaviers breit machen. Waren die bisherigen Fragen doch so allgemein und oberflächlich gewesen, dass wohl jedes römische Kind sie beantworten hätte können... Sah sich doch ein jeder frommer Römer ununterbrochen mit den eben besprochenen Themen konfrontiert. Sein bisheriges Leben in Paestum und Athen mochte nicht unbedingt am Nabel der römischen Religion stattgefunden haben, doch auch überall dort hatte man den Göttern geopfert und die religiösen Pflichten, denn letztendlich handelte es sich um eben solche, erfüllt.


    "Mögliche Fehlerquellen ...", murmelte er mehr zu sich selbst als zu Serrana. Keine Frage, die Möglichkeiten, bei einem Opfer etwas falsch zu machen waren schier zahllos, jedes Detail folgte einem geregelten Ablauf und musste vorschriftsgemäß erfüllt werden, doch die Aeditua schien konkrete Antworten zu erwarten.


    "Am Beginn steht wohl die Wahl des richtigen Opfers. Grundsätzlich unterscheidet man blutige und unblutige Opfer, wobei manchen Gottheiten, wie zum Beispiel der Dea Flora grunsätzlich unblutige Opfer dargebracht werden. Bei blutigen Opfern sollte jedenfalls darauf geachtet werden, dass ein der Gottheit angemessenes Opfertier gewählt wird. Für jedes Opfer ist die rituelle Reinheit der Teilnehmer nötig, ein Verstoß gegen dieses Gebot kann eine Ablehnung des Opfers provozieren. Alle Gebete müssen richtig gesprochen und von den korrekten Bewegungen begleitet werden. Scheitert die Litatio jedoch aus irgendeinem Grund, muss der Opfernde entscheiden, ob das Opfer abgebrochen werden soll, weil es nicht der richtige Zeitpunkt oder Anlass für die Annahme des Opfers durch die Gottheit war, oder ob ein Ersatzopfer durchgeführt werden soll und die Hoffung auf eine Litatio noch besteht."


    Zweifellos war es lediglich ein grober Überblick, den Flaccus bereitete, doch im Grunde war der Opferablauf an sich so komplex dass tatsächlich unglaublich viele Fehler auftreten konnten. Dennoch war es natürlich mit genügend Konzentration kein Problem ein erfolgreiches Opfer durchzuführen.

  • Als sie das Laecheln auf den Lippen des Flaviers sah, musste Serrana schmunzeln. Waren ihre Fragen zu einfach? Vermutlich, allerdings war dies ja auch ihre erste gemeinsame Stunde, und sie hatte ihn nicht direkt abfragen sondern sich einen ersten Ueberblick ueber seine allgemeinen Kenntnisse verschaffen wollen.


    "Stell dir bitte vor, du wuerdest ein Opfer fuer Apollon, deine favorisierte Gottheit planen und dieses auch selbst durchfuehren. Wie wuerdest du vorgehen und welche Details muesstest du im Vorfeld beachten?"

  • Die nächste Frage der Aeditua war bereits viel konkreter und spezifischer als die vorigen, sodass Flaccus einen Moment überlegte, bevor er zur Antwort ansetzte.


    "Als Opfertier würde ich eine junge weiße Ziege oder ein Lamm wählen, die äußerlich makellos erscheinen und sich somit als Opfergabe eignen. Außerdem sollten natürlich auch Wein und Kuchen für die Voropfer vorbereitet werden. Dann wird das Tier mit Blumen und Bändern geschmückt und in einer feierlichen Prozession zum Opferplatz, dem Tempel des Apoll, geführt. Zunächst bringe ich die Voropfer, also Kuchen, Obst und Wein im Tempelinneren dar, darauf folgt, am Vorplatz des Tempels das blutige Opfer. Am Beginn steht die Reinigung aller am Opfer beteiligten Personen durch Wasser aus einem fließenden Gewässer im Vordergrund, anschließend wird das Opfertier durch das Übergießen mit Wein und mola salsa geweiht. Nachdem der Schmuck entfernt ist, streiche ich mit dem Messer von der Stirn bis zum Schwanz des Tieres. Dann wird das Tier durch einen Schlag mit dem Opferhammer betäubt und die Halsschlagader durchtrennt. Sollte an den Eingeweiden des Tieres kein Fehler erkennbar sein, kann die litatio verkündet werden. Im Anschluss werden die Innereien am Altar verbrannt und das für die Sterblichen bestimmte Fleisch zubereitet und verzehrt."


    Noch einmal runzelte der Flavier die Stirn, offenbar um nachzudenken, ob er etwas Bedeutendes vergessen hatte, bevor er noch hinzufügte: "Das sind die grundlegenden Dinge, die ich bei einem Opfer für Apollo beachten würde."

  • Hatte sie es vielleicht überhört, oder hatte ihr Schüler wirklich ein kleines, aber doch sehr wichtiges Detail in Bezug auf das Opfertier nicht genannt? Vielleicht war es ihm auch zu selbstverständlich erschienen, und er hatte es deshalb nicht erwähnt. Serrana legte den Kopf leicht schräg und sah den jungen Flavier abwartend an. Vielleicht ergänzte er seine Angaben ja noch, ansonsten konnte sie immer noch nachhaken.

  • Dass das Opfertier für Apoll männlich sein musste war nun wirklich eine solche Selbstverständlichkeit, dass Flaccus sie schlichtweg nicht erwähnt hatte. Als die Aeditua nun also den Kopf schief legte und ihn fragend ansah, kam er nicht umhin, sich den Kopf zu zermatern, nach möglichen Fehlerquellen in seiner Antwort. Der Gedanke jedoch, dass es das Geschlecht des Opfertiers sein konnte, das die Iunia noch genannt wissen wollte, kam ihm allerdings nicht - wie denn auch, war es doch ein solch grundlegendes Merkmal, dass die Kenntnis desselben zweifellos bei jedermann vorauszusetzen war.

  • Flaccus wirkte jetzt aufrichtig irritiert wegen ihrer Nachfrage, und nach kurzer Zeit hob Serrana die Hand winkte lächelnd ab. "Entschuldige bitte, ich glaube, ich habe dich jetzt auf eine völlig falsche Fährte gelockt. Im Grunde wollte ich nur auf das Geschlecht des Opfertiers hinaus, aber das ist vermutlich selbstverständlich." Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Notizen, die sie vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte und hob dann den Blick, um Flaccus wieder anzusehen. "Ich denke, wir sollten an dieser Stelle für heute Schluss machen. Mir ging es in erster Linie darum, dich, deine Einstellung und deine Kenntnisse ein wenig kennenzulernen, damit ich den weiteren Unterricht besser planen und vorbereiten kann. Was hältst du davon, wenn wir uns morgen um die selbe Zeit hier wieder treffen? Dann würde ich gern auf die rituellen Besonderheiten der einzelnen Feiertage eingehen."

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