ARCHIV Morgens, halb zehn in Roma...

  • Calvia ließ es sich gut gehen. Auf einer bequemen Liege Platz genommen, mit einem gläsernen, blau schimmernden Becher in der Hand. Die andere Hand hatte sie in eine neben der Liege gestellte Schale mit warmem Wasser getaucht, um die Fingernägel aufzuweichen, die anschließend gepflegt würden. Die Sklaven, die sich einzig um ihr Wohlbefinden zu kümmern hatten, standen schon bereit, doch selbstverständlich blieben sie von Calvia solange unbeachtet, bis sie gebraucht wurden.


    Calvia blickte in die Richtung des Tablinum, da sie in diesem Moment eine Bewegung von dort vernahm. Es war ihr Ehemann in Begleitung dieses unheimlichen Griechen, der nur selten von seiner Seite wich und wenn, dann sicher nur, um irgendwas illegales zu tun. Calvia mochte den Griechen nicht. Sie mochte ihn nicht, als er ein Sklave war und jetzt, da er sich als Freigelassener noch mehr Freiheiten nahm, erst recht nicht. Am liebsten wäre es ihr, er würde verschwinden.


    Sie ignorierte den Griechen daher völlig und lächelte sanft zu Lucius, als er sich näherte.

  • Mit einem Gesichtsausdruck, der so etwas sein sollte wie ein Lächeln, trat Avitus aus dem Atrium in den Garten. Man hatte ihn darüber informiert, dass seine Frau anwesend war und er wollte nicht, dass jemand anders sie zuerst begrüßte. Warum er das wollte, wusste er aber selbst nicht genau zu sagen. Er erblickte Calvia, umgeben von einer kleinen Armee von Sklaven - die sie den Göttern sei Dank wenigstens selbst bezahlt hatte. Er schritt langsam auf sie zu, deutete Archias mit einer leichten Kopfbewegung an, zurückzufallen, da die kalten Blicke, die Calvia diesem immer zuwarf, dem Artorier nicht entgangen waren. Warum sie Archias so unausstehlich fand, wusste er nicht genau zu sagen, fand sich damit aber ab.


    Er trat auf sie zu, registrierte ihr wohlwollendes Lächeln, das sie ihm schenkte.
    "Du könntest wenigstens aufstehen, um deinen Ehemann zu begrüßen"
    sagte er gespielt beleidigt. Da sie allein waren - Sklaven zählten natürlich nicht und Archias war Diskretion in Person - konnte er sich erlauben, Calvia 'herzlich' zu begrüßen und nahm, nachdem er sich von ihr losgelöst hatte, Platz auf einer für ihn bereitgestellten Liege gegenüber seiner Frau. Avitus hatte großen Hunger und griff daher beherzt zu.
    "Wie war deine Reise?"
    fragte er auf einem kalten Stück Fleisch kauend.

  • Calvia wusste zu kontern.
    >Und du könntest zumindest auf die Knie fallen, um deine Ehefrau zu begrüßen, mein Lieber<
    Sie schmunzelte, als sie das sagte. Calvia fühlte sich ein wenig unwohl, von Avitus so 'herzlich' begrüßt zu werden, während der unheimliche Grieche am anderen Ende des Gartens stand und alles beobachten konnte. Doch sie ließ es ihrem Ehemann zuliebe zu. Bei der Frage nach ihrer Reise lehnte sie sich zurück.
    >Oh, ich bereue nicht, sie auf mich genommen zu haben, wenn du das meinst. Es tat mir gut, diese Ferne zur Stadt. Deine Mutter lässt dir übrigens Grüße ausrichten. Und ich soll dir sagen, dass sie sich von dir etwas vernachlässigt fühlt und verlangt, dass du dich bald wieder mal sehen lässt. Oder ihr wenigstens schreibst<
    Artoria Marcella hatte Calvia äußerst gerne als Gast gehabt. Nur die gelegentlichen Beschwerden der Dame Artoria ihren Sohn betreffend hatte Calvia hin und wieder ertragen und Verständnis zeigen -oder vorspielen, aber das blieb ihr Geheimnis- müssen.
    >Wie geht es dir?<
    Sie musste es nicht aussprechen, zielte aber natürlich auf Avitus' verstorbenen Sohn -dessen leibliche Mutter sie nicht war- und sein Überwinden der Trauer ab. Entsprechend ernst und besorgt, gleichzeitig aber hoffnungsvoll, war in diesem Moment ihr Blick. Calvia hoffte, dass Avitus den Tod von Severus, diesem störrischen, undankbaren Bengel, mittlerweile überwunden und wieder nach vorne in die Zukunft blicken konnte.

  • "Nun, es freut mich, dass du sie genossen hast. Du siehst erholt aus..."
    sagte er und dabei wäre es auch fest geblieben, doch dann fiel Avitus noch ein, dass dieses Kompliment von ihm, wenn so belassen, sich für seine Frau wohl so anfüllen musste, als hätte er eben einen Nachttopf über ihrem Kopf entleert.
    "... und natürlich so wunderschön, wie eh und je"
    Na, ob das ausreichte? Avitus war sich nicht sicher und fuhr daher fort, um Calvia nicht die Gelegenheit zu geben, darauf rumzureiten.
    "So, Mutter will also, dass ich mich mal wieder melde? Ihr geht es demnach gut, nehme ich an. Gut gut, ich werde mich mal bei ihr melden"
    sagte er, eher zu sich selbst, um sein Gewissen zu beruhigen,als zu Calvia.


    Dann wurde es ernst. Und an dem Gesichtsausdruck erkennte er die Sorgen seiner Frau um ihn. Einer zehn Jahre jungeren Frau, die mit ihm verheiratet wurde, ohne großartig - wenn überhaupt - gefragt zu werden. Ob diese Sorgen echt waren? Oder nur die Erfüllung einer... Pflicht als Ehefrau. Diese und ähnliche Fragen stellte sich Avitus manchmal. Meistens dann, wenn sie sich mal wieder trennen mussten. Manchmal aber auch dann, wenn es ernst wurde. So wie jetzt.
    "Ich bin über seinen Tod hinweg"
    sagte er und lächelte.
    "Es sind zwar noch einige Fragen offen, die ich klären muss. Aber ich akzeptiere, dass er nicht mehr da ist. Und ich ihn nie wieder sehen werde"
    Die Tatsache, dass sein Sohn war, akzeptierte Avitus in der Tat. Aber die nach wie vor im Dunkeln liegenden Umstände seines Todes ließen ihm keine Ruh nd er gedachte nicht, sich dafür zu rechtfertigen.

  • >Es freut mich für dich, Lucius<
    Calvia sagte das so, dass ihr Gatte heraushören konnte, dass sie es ernst meinte. Sie musste ihm nicht extra sagen, wie sehr es ihr leid täte, dass er seinen Sohn verloren hat. Das hat er von anderen bestimmt oft genug gehört.


    Die Stimmung war durch das Anschneiden eines traurigen Themas etwas düster geworden. Calvia mißfiel das, schließlich gab es Grund zur Freude, da sie und Lucius sich lange nicht gesehen hatten. Drum schwenkte sie um, wollte über Sachen reden, die einen nicht gleich deprimierten.
    >Es muss viel pasiert sein, während ich weg war aus Rom. Ich habe zwar versucht, mich so gut es geht auf dem Laufenden zu halten, aber bestimmt hast du noch etwas interessantes zu erzählen, Lucius<
    Sie drängte ihren Mann dazu, ihr möglichst von sich aus alles, was sich in der Zeit ihres Getrenntseins zugetragen hatte, ob nun in Rom oder sonst wo, zu erzählen. Schließlich wollte sie auf dem neuesten sein, was den Klatsch und Tratsch angeht, auch, wenn sie bezweifelte, dass Lucius eine gute Tratschtante abgeben würde. Einiges wusste sie bereits, denn auch die Sklaven waren weder dumm noch blind oder taub und bekamen mehr mit, als man ihnen zutraute.
    >Wie ist Valerian so?<
    Sie hoffte, dass Lucius diese Frage nicht zum Anlass nahm, zu grollen.

  • "Ähm..."
    gab Avitus von sich und überlegte, was genau Calvia interessieren könnte und womit er anfangen sollte.
    "Es ist einiges passiert. Ich erhielt vor einer Weile die Nachricht, dass Silius Orestes in Rom sei und..."
    er blickte zu Calvia und merkte, dass diese wahrscheinlich nicht die geringste Vorstellung davon hatte, wer Orestes war. Denn über seine Jugend hatte Avitus nur wenig geredet und so innig war die Beziehung zwischen ihm und Calvia dann doch nicht, dass er ihr jedes Detail seines gelebten Lebens erzählen musste.
    "Orestes war ein sehr guter Freund aus früheren Tagen"
    fügte er daher dazwischen ein und fuhr dann fort.
    "Ich erhielt also Nachricht, dass er hier in Rom sei und im Sterben liege"
    Avitus hielt kurz inne und seufzte. Irgendwie war es verrückt. Da sahen er und Calvia sich lange Zeit nicht, trafen sich nun wieder und hatten Grund zur Freude, Grund zum Lachen und zum intimen Beisammensein - was noch ausstand und worauf Avitus freute und in schwer aufzubringender Geduld übte. Und doch beherrschte der Tod anderer Personen die Unterhaltung. Irgendwie musste er weg davon...

  • Calvia hatte in der Tat nicht die blasseste Ahnung, wer der besagte Orestes war und wieso ihr Gatte es für wichtig befand, über dessen Gesundheitszustand zu berichten. Sie schüttelte leicht den Kopf, mt fragendem Gesichtsausdruck, als er den Namen nannte. Sie kannte Lucius zwar recht gut, aber angesichts des Umstandes, dass ihre Ehe -wie so viele andere- nunmal arrangiert war und er Soldat war und so oft abwesend war und die Gefühle, die sie nun für Lucius hatte, ihre Zeit gebraucht haben, sich zu entwickeln, verwunderte es kaum, dass sie -noch- nicht alles über ihn wusste. Sie ließ sich nicht grämen angesichts der Tatsache, dass ihre Unterhaltung sich um eher düstere Themen drehte und gab Lucius noch eine Chance, das Gespräch in eine andere, erfreulichere Richtung zu lenken, ehe sie ein sichtbares Signal senden würde, dass es sie zu ärgen und langweilen begann.

  • "Jedenfallsl..."
    fuhr Avitus fort
    "... habe ich ihn besucht und erfahren, dass er einen Sohn hinterlässt. Cnaeus Orestes. Orestes, der Ältere, bat mich, mich um den Jungen zu kümmern und ich habe zugestimmt"
    Und bevor gleich ein Aufschrei durchs Haus ging, wie er es wagen könne, einen Jungen zu adoptieren, ohne sich mit ihr abzusprechen, schob Avitus noch schnell nach, dass er den Jungen nicht adoptiert hatte.
    "Ich habe ihn zwar nicht adoptiert, mich aber zu seinem tutor bestellt und werde mich um die Erziehung und Ausbildung kümmern. Im Moment ist er beim Unterricht, aber du dürftest ihn bald kennenlernen. Der Junge wohnt ab jetzt hier"
    Das sagte er entschieden und vermied jeden Anflug von Unsicherheit. Darüber gab es keine Diskussion. Zumindest hoffentlich nicht.


    Das war eigentlich das wichtigste, was er allem anderen voran loswerden wollte. Zumindest war diese Neuigkeit wichtiger, als seiner liebreizenden Gattin zu erzählen, wie Valerian denn so war.
    "Und um auf deine Frage vorhin einzugehen, wie denn Valerian so ist, meine Teure... er scheint nach wie vor nicht ganz bei Kräften zu sein"
    Das war natürlich etwas, was Calvia nur bedingt interessieren musste, aber weder konnte noch wollte Valerian's Äußeres oder seine Charaktereigenschaften in der Art und Weise beschreiben, wie Calvia es hören wollte. Und überhaupt... es gefiel ihm noch nicht einmal, dass sie ausgerechnet ihn danach fragte. Erstens war sie seine! Frau und zweitens... sie würde noch ein Tratschweib aus ihm machen mit solchen Fragen.
    "Aber das wird schon. Ich denke, er ist auf einem guten Weg der Besserung. Übrigens hat er mir aufgetragen, mit deinem Verwandten, Decimus Mattiacus, zusammenzuarbeiten. Das wird aber, denke ich, wohl erst möglich sein, wenn Mattiacus zurückkehrt von der Mission, die er und dein Onkel Meridius vor sich haben"

  • Du hast was!? hätte Calvia beinahe aufgeschrien. Die Vorstellung, dass Lucius ohne mit ihr zu reden solch weitreichenden Entscheidungen traf, behagte ihr gar nicht. Zwar war sie kein intrigantes Biest, das die völlige Kontrolle über ihren Mann ausüben wollte, aber ab einer gewissen... Reichweite der Entscheidung verlangte sie, beteiligt zu werden. Und sie hätte niemals zugestimmt. Auch wenn sie wusste, dass Lucius sie dann wahrscheinlich übergangen hätte und es drauf hätte ankommen lassen.
    >Das muss ein sehr guter Freudn gewesen sein, wenn du bereit warst, so etwas für ihn zu tun. Oder für seinen Sohn<
    Natürlich wollte Lucius damit den Verlust von Severus kompensieren. Das verstand Calvia, aber wiklich glücklich war sie nicht, dass hier nun ein fremdes Kind herumschlich.


    Als Lucius ihre Frage nach Valerian zunächst völlig ignoriert, dann aber in seiner Antwort nur bedingt zufriedenstellend war, hätte sie am liebsten weiter gebohrt, wenn er Mattiacus und ihren Onkel Meridius nicht erwähnt hätte. Calvia kannte Mattiacus nicht besonders, wusste eigentlich nur, dass er ein ganz besonderer und namhafter Jurist war. Meridius hingegen war früher, als sie noch jünger war, so etwas ihr geheimer Liebling gewesen. Sie blickte zu Avitus. Irgendwo erinnerte er sie an Meridius. Sicher, er genoß bei weitem nicht denselben Ruhm, aber mit einem Meridius ließ es sich nur schwer messen. Aber er war ihm dennoch nicht unähnlich und vielleicht war das auch der Grund, warum nach anfänglicher Kälte in ihrer Beziehung langsam aber sicher Gefühle ins Spiel gekommen waren.
    >Sie wollen Livianus suchen?<
    Livianus, dem ihr Gatte so einiges verdankte. Seine steile Karriere, seinen Ordo und natürlich auch sie selbst.
    >Ich hoffe, dass sie ihn zurückbringen<
    Sie sagte das so, ohne aber viel Überzeugung oder Hoffnung, denn mit jedem Tag, der verstrich, schwand die Hoffnung ein wenig, bis irgendwann nichts mehr da war. Sie sagte, dass sie ihn zurückbringen, nicht, dass sie ihn lebend zurückbringen.

  • Was sollte er sagen.
    "Das war er"
    sagte er. Und in diesem Moment wurde ihm wieder mal bewusst, wie wenig sie ihn kannte. Und wie wenig er sie kannte. Der Scharfsinn seiner Frau entging ihm nicht, als sie erkannte, was Meridius und Mattiacus wohl vorhatten. Oder wusste sie es bereits? Avitus wusste nicht, wie gut der Kontakt zwischen Calvia und den hier ansässigen Decimer war.
    "Das hoffe ich auch"
    pflichtete er ihr bei, wenngleich er, wie seine Frau, wenig Hoffnung hatte.


    In diesem Moment erschien ein Sklave und überbrachte Avitus ein Schreiben. Oder besser gesagt zwei Schreiben. Beim ersten handelte es sich um eine Mitteilung, beim zweiten um eine Einladung zu einer Hochzeit. Beide stammen von Aristides, der offenbar im Begriff war, eine Claudia zur Frau zu nehmen.
    "Sieh an... das wird dich freuen"
    sagte er und blickte zu Calvia.
    "Wir sind zu einer Hochzeit eingeladen"

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