Nachdem wir das Museion verlassen hatten, ging ich zunächst in Richtung Xenai Agorai, um dann aber in eine Parallelstraße zum Meson Pedion einzubiegen. Ich hatte die Hände dabei hinter meinem Rücken verschränkt, so wie ich oft ging, wenn ich mein Schwert nicht dabei hatte. Der feine Sand, der aus der Wüste kam und in einer hauchdünnen Schicht auf dem Pflaster der Straße lag, knirschte kaum hörbar, aber durchaus spürbar unter den Sohlen meiner Schuhe. Ich wandte mich an Axilla.
"Ich soll dir also von meinen Reisen erzählen, ja? Und was möchtest du wissen?"
Auf dem Weg zur Basileia
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„Alles!“
Axilla musste lachen und verfiel für zwei, drei Schritte in einen beschwingten Hoppsergalopp. Für die anderen Passanten musste es sicher komisch aussehen, wie sie beinahe tanzte und Marcus mit verschränkten Armen ruhig daneben lief. Aber Axilla kümmerte das nicht weiter. Es war ein schöner Tag, die Mittagshitze war bereits vorbei und vom Meer her wehte eine frische Brise, die den Sandgeruch vertrieb.
„Wie sieht es da aus? Was trägt man da so? Sind die Frauen hübsch? Wie kam es überhaupt, dass du dort warst?“
Axilla fielen bestimmt noch hundert Fragen ein, wenn sie ein wenig überlegte. -
Ich musste lachen.
"So viele Fragen! Lass mich überlegen... Jede Reise hat einen Anfang. Vor 17 Jahren, damals war ich gerade 15 Jahre alt geworden, wurde mir Athen zu eng. Ich wollte die Welt kennenlernen. Mein Vater war ein Trierarchos, meine Mutter stammt aus einer wohlhabenden und vornehmen Athener Familie. Sie meinte, ich sollte nach Westen gehen, mir Rom ansehen, vielleicht Germanien, Hispanien, später im Süden Alexandria. Aber was sollte ich da? Das war ja schon alles bekannt. Da hätten Bücher genügt. Aber was war im Osten? Alexander kam bis Indien, aber was kam nach Indien? Ich wollte es heraus finden. Ich schloss mich, gegen den Willen meiner Mutter, einer Karawane nach Osten an. Sie zogen bis nach Parthien, wo sie Seide kaufen wollten. Aber Parthien war schon bekannt. Ich lernte etwas parthisch, während ich als Buchhaltr für einen parthischen Händler arbeitete. Dann kam meine Gelegenheit! Eine Karawane entlang der Seidenstraße. Es ging nach Osten, bis zu einem hohen, schneebedeckten Gebirge. Es war unüberwindlich, deshalb gingen wir zunächst nach Norden, um dann nach Osten in eine Wüste zu ziehen. Durch Oasenstädte und geheime Brunnen konnten wir die Wüste durchqueren, aber Sandstürme und Überfälle der Einheimischen hielten uns auf und dezimierten die Karawane. Es kam gerade einmal die Hälfte der Männer durch die Wüste. Und dann kamen wir nach Dunhuang! Der Anblick war unglaublich!" Meine Augen leuchteten, so wie damals, als ich das mächtige Stadttor und die Stadtmauer von Dunhuang zum ersten Mal sah. "Die Stadtmauer war so hoch wie fünf Männer, das Stadttor nochmal gut ein Drittel höher. Das Tor war gedeckt mit bunten, glänzenden Dachziegeln, die weit ausladend darüber hinaus ragten. An den Ecken des Daches waren goldene Drachen angebracht und überall an der Mauer wehten Flaggen. Zwischen den Zinnen standen die Soldaten... so etwas hatte ich noch nie gesehen. Nach all den Entbehrungen sah ich wieder so etwas wie Zivilisation. Es kam ein Beamter, komplett in Seide gekleidet, auf uns zu, betrachtete die Waren und verlangte die Steuern. Außerdem mussten wir alle Waffen am Stadttor abgeben. Wir bekam für beides eine Quittung und durften in die Stadt. Auf dem Weg hatte ich in den Oasen etwas von der Sprache aufgeschnappt, und so fragte ich den Beamten, ob ich bleiben könnte. Er brachte mich zum Provinzpräfekten, der gerade in der Stadt war. Die Residenz war von einer Mauer umgeben, hatte drei Innenhöfe und Gebäude aus Holz, die bunt angemalt waren. Grüne Dachziegel glänzten in der Sonne und überall waren goldene Verzierungen auf dam Holz angebracht worden. Der Präfekt war auf einem Stuhl, dessen Lehne von zwei goldenen Drachen gehalten wurde. Hinter ihm war eine Flagge. Es war alles so groß... ich fühlte mich an den Parthenon in meiner Heimat erinnert. Aber die Menschen sahen so ganz anders aus. Ihre Haut ist dunkler und die Augen sind mandelförmig. Ich habe auch nur schwarze Haare und dunkle Augen gesehen. Und gekleidet sind sie... naja, so wie ich jetzt." Ich breitete kurz meine Arme aus, um sozusagen meine Kleidung zu präsentieren. "Auch wenn der Stoff meist nicht ganz so edel ist." -
Wie sahen mandelförmige Augen aus? Axilla konnte es sich nicht wirklich vorstellen, wo da der Unterschied zu normalen Augen sein sollte. Ihre Augen waren ja auch nicht eckig. Aber vielleicht sah sie ja mal eines Tages einen… wie hießen die dann eigentlich? Haneser? Häner? Hanusianer? Egal, vielleicht sah sie einmal einen solchen Menschen und konnte sich dann ein Bild davon machen.
„Und ich habe mich schon gefragt, ob dieser Schnitt eine neue Mode ist, als ich dich auf dem Fest gesehen habe. Hier in Alexandria weiß man ja nie, hier sind alle immer so bunt angezogen und geschminkt.“
Manchmal kam Axilla sich dann richtig nackig vor, wenn sie nur mit einer einfachen Tunika und einem Ledergürtel bekleidet das Haus verließ, völlig ungeschminkt und un-bunt.
„Haben die in Han bunten Ton, oder haben sie so viel Geld, die Ziegel einzufärben?“
Axilla wusste natürlich, dass Farbe sehr teuer war. Sie kannte zwar nur die zum Färben von Kleidung, aber sie glaubte nicht, dass Ziegelfarbe sehr viel billiger sein würde. Und wenn es keine eigene grüne Farbe gab, sondern man blau und gelb erst mischen musste, dann war grün wirklich, wirklich teuer. Axillas bestes Kleid war grün und aus diesem Grund nicht gerade billig gewesen. -
"Ja, die Griechen... ähm... eigentlich war ich ja auch mal Grieche... egal, jedenfalls legen die sehr viel Wert darauf, gut auszusehen. Gut nach ihren Vorstellungen. Ich schätze es eher, wenn man seine Aufgaben gut erfüllt. Übrigens, mir fällt gerade ein, ich glaube das Volk von Han wird von euch Römern als Serer bezeichnet." Wie kam ich jetzt von Griechen auf Serer?
Zur Frage zu den Ziegeln antwortete ich: "Die haben das Geld. Der Staat ist ziemlich wohlhabend. Das mag damit zusammenhängen, dass der Staat das Monopol auf Eisen und Salz hat. Da kommt einiges bei zusammen. Ich habe ja nur von staatlichen Gebäuden gesprochen. Privathäuser haben nur sehr selten bunte Ziegel. Bunten Ton gibt es, so weit ich weiß, nicht."
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„Nunja, es gibt roten Ton und schwarzen und weißen, warum soll es nicht auch irgendwo blauen oder grünen geben?“
Axilla zuckte die Schultern. Sie hatte gehört, in Germanien gäbe es Hirsche mit drei Geweihen, und tief im Süden in Africa gäbe es sogar die gefürchtete Chimaera. Wenn es solche Tiere gab, was war dann ein bisschen bunte Erde im Vergleich dazu?
„Und die Frauen? Tragen die auch solche Sachen, oder andere? Können sie auch lesen und philosophieren, oder ist das nur etwas für Männer?" -
"Die Frauen? Also die Gewänder sind ziemlich ähnlich, zumindest die langen. Kurze Gewänder habe ich noch gesehen bei Frauen in Han und ich habe auch noch keine Frauen in Hosen gesehen, also denke ich mal, dass es so was nicht gibt. Andererseits erzählt man sich Geschichten von einer Schwertkämpferin, die bisher unbesiegt geblieben ist, aber ich habe sie noch nie getroffen also denke, ich, das es eher eine Erzählung ist. Eine Schwertkämpferin hat ganz sicher Hosen, weil sie sich ja sonst gar nicht richtig bewegen kann. Mit lesen und philosophieren ist so wie überall in Han. Die gehobenen Schichten können das, die unteren Schichten nicht. Die Beamtenprüfungen sind aber allein Männern vorbehalten. Das liegt daran, dass Meister Kong der Meinung war, dass Frauen dazu nicht fähig wären. Ich bin da anderer Meinung, aber letztlich entscheidet das der Kaiser und wer bin ich, dem Kaiser zu Widersprechen? Meine Frau konnte jedenfalls lesen, schreiben, philosophieren, den Garten pflegen und auch noch gut kochen. Naja, eigentlich hat sie unsere Diener kochen lassen, aber die Rezepte waren von ihr. Genauso wie der Garten nach ihren Plänen von Dienern gestaltet wurde."
Ich lächelte kurz, als ich an meine Jiao dachte. -
Seine Frau? Axilla fiel auf, dass sie über diese Möglichkeit bisher noch gar nicht nachgedacht hatte. Aber natürlich, er war ja bestimmt schon über dreißig, wie konnte sie so naiv sein, anzunehmen, er sei nicht verheiratet? Noch dazu als Beamter, da waren die meisten ja verheiratet. Manchmal war sie aber auch einfach zu kurzsichtig!
„Dann warst du verheiratet? Ist deine Frau auch von Griechenland mit dir mit gekommen?“
In ihrem Denken war verankert, dass jemand aus einem Volk nur jemand aus seinem Volk heiratete. Dass Marcus Frau eine Sererin sein könnte, daran dachte sie überhaupt gar nicht, obwohl es eigentlich logischer gewesen wäre. -
"Aus Griechenland? Nein, da war ich noch nicht verheiratet. Ich denke nicht, dass ich solche Strapazen meiner Ehefrau angetan hätte oder antun würde. Ich habe erst geheiratet, nachdem ich ein Jahr lang Beamter war. Da war ich schon acht Jahre in Han. Sie war die Tochter eines Generals und außerdem die hübscheste Frau der ganzen Region. Obwohl ich da sicher nicht ganz objektiv bin. Griechinnen gab es da leider keine. Nunja, war auch nicht sooo schlimm. Wir haben uns tatsächlich geliebt, also es war keine strategische Heirat. Allerdings hätte ihr Vater niemals seine Erlaubnis gegeben, wenn ich nicht so ein hoher Beamter gewesen wäre. Und das, obwohl ich mich mit ihm sehr gut verstanden habe. Der Status in der Gesellschaft ist dort für die Familienplanung schon sehr wichtig."
Ohne es zu merken, hatte ich die ganze Zeit gelächelt, als ich von Jiao sprach. -
Axilla lachte. „Na, ist es hier denn soviel anders? Patrizier heiraten nur Patrizier, Plebejer nur Plebejer. Ich würde auch niemanden heiraten, der unter meinem Stand ist. Wenn man als Frau den Schutz seiner Gens verlässt, muss man ja auch sicher sein, dass man gut versorgt ist.
Aber es ist schön, wenn man den heiraten kann, den man liebt. Nur aus Politik vielleicht sogar zwei oder drei Mal zu heiraten, das ist nicht gut. Aber den heiraten zu können, den Amor uns geschickt hat, unser Herz durch seinen bloßen Anblick zu erfreuen, das ist ein Segen.“
Bei den letzten Sätzen musste auch Axilla wieder lächeln. Sie liebte Silanus so unendlich. Und auch, wenn er sie wohl nicht heiraten würde, war das Wissen, dass sie es rein theoretisch könnten, wenn sie nur wollten, mehr, als Axilla sich je zu träumen erhofft hätte. Und es war ein wunderschönes Gefühl. -
Ich lächelte höflich.
"Ja, das ist es. Ich kann nur jedem Menschen wünschen, so eine Ehe zu haben. Wir lebten wirklich harmonisch zusammen. Es war schon eine schöne Zeit. Aber," mein Lächeln verschwand plötzlich, "Zeiten ändern sich. Aber das... die Götter werden sich schon was dabei denken, wenn sie einem harte Prüfungen auferlegen." -
Bei seinen Worten wurde auch Axilla etwas schwermütiger. Ja, die Götter waren grausam. Sie gaben einem, was man von Herzen begehrte, und nahmen es einem wieder weg. Sie ließen einem die Hoffnung auf Besseres, während sie einem das schlimmste Unglück schickten.
„Vielleicht stimmt es ja, was man sagt, und die Götter sind eifersüchtig auf das Glück der Menschen. Und durch diese Prüfungen erinnern sie uns daran, dass wir nur Sterbliche sind, sie aber Götter. Aber manchmal hoffe ich, dass der ein oder andere Gott die Menschen doch einfach liebt und ihnen ab und zu etwas schenkt.“
Sie war sie beispielsweise sehr sicher, dass das gute Schicksal sie auf Markus’ Fuß hatte treten lassen, damit sie ins Gespräch kamen und er sie noch einmal die Bücher im Museion lesen ließ. Und das war für sie ein unendliches Glück. Sie hoffte, dass es sich nie in Leid verwandeln möge.
Das Thema war traurig, und Axilla wusste nichts so recht mehr dazu zu sagen. Aber Schweigen empfand sie als bedrückend. Also überlegte sie schnell eine andere Frage, um sie beide auf andere Gedanken zu bringen.
„Kennen die Philosophen in Han eigentlich auch die griechischen Philosophen?“
Vielleicht war diese frage etwas plump, aber ihr viel auf die Schnelle keine bessere ein. -
"Nein, sie kennen keine griechischen Philosophen. Ein paar Einflüsse aus Indien gibt es, aber im wesentlichen beschäftigt man sich mit Philosophen aus Han. Die halten sich für das Zentrum der Welt. Kommt dir als Römerin das irgendwie bekannt vor?"
Ich grinste ironisch und zwinkerte ihr zu.
"Nimm's nicht persönlich, wer so weit wie ich gekommen ist, stellt irgendwann fest, dass die Welt mehr als ein Zentrum hat. Wenn ich die Philosophien vergleichen sollte, dann würde ich sagen, dass die Philosophie in Han eher Subjekt-orientiert ist und die griechische Philosophie eher Objekt-orientiert. Obwohl man das nie so ganz trennen kann." -
Warum sollte Axilla böse sein, wenn die Serer größenwahnsinnig waren? Wenn das Land so weit weg war, konnten sie ja nicht wissen, dass sie im Unrecht waren. Und hatten nicht auch die Perser sich einst für das größte Reich gehalten? Axilla nahm diesen Scherz auf Kosten der Römer nicht persönlich.
„Wie meinst du das: Subjekt-orientiert und Objekt-orientiert? Ich kenne ja bis auf dieses eine Gedicht von vorhin noch nichts aus Han, und selbst das hab ich nicht verstanden.“ -
"Nun, wenn ich Subjekt-orientiert sage, dann meine ich damit, dass die Philosophie sich mit Menschen und ihren Interaktionen untereinander und mit dem Kosmos beschäftigt, und zwar mit dem Ziel, den Menschen dadurch möglichst direkt zu nutzen. Im Gegensatz dazu beschäftigt sich eine Objekt-orientierte Philosophie vor allem auch mit Dingen, beispielsweise der Lehre der Elemente, Mathematik und so weiter, ohne dabei primär den Nutzen für den Menschen als Ziel zu haben. Das bedeutet nicht, dass es kein sekundäres Ziel sein kann. Hinzu kommt noch, dass Objekt-orientierte Philosophie auch den Erwerb von Wissen um des Wissens Willen fördert, während Subjekt-orientierte Philosophie Wissen um des Nutzens Willen fördert. Zugegeben, die Begriffe Subjekt und Objekt sind in diesem Zusammenhang etwas irreführend, aber mir fielen gerade keine besseren ein."
Ich zuckte mit den Schultern und lächelte etschuldigend. -
Nicken und lächeln, das war alles, was Axilla dazu einfiel. Wo hatte dieser Grieche eine so hochgestochene Sprache her? Da würde ja selbst jeder Philosophos vom Museion nur noch Wortfetzen verstehen. Wissen war Macht, war das nicht genug Nutzen? Axilla schwirrte irgendwie der Kopf. Sie hatte nie den Eindruck gehabt, dass die Lehren, die sie kannte, keinen Nutzen hätten. Zugegeben, beim Lernen bezweifelte sie das ein oder andere Mal die Nützlichkeit, vor allem wenn es um Mathematik ging. Aber Iason hatte ihr stets vermittelt, dass sie all dieses Wissen noch einmal wirklich, wirklich brauchen würde. Und jetzt sollte es eigentlich nutzlos sein, weil man es auf Menschen nicht anwenden könne? Irgendwie war das ganze sehr verwirrend.
„Aha“, war der intelligenteste Kommentar, der ihr dazu einfiel. Doch dann musste sie doch wieder grinsen.
„Also, falls du dir das mit dem Lehrer doch noch überlegen willst, musst du dir aber angewöhnen, den Schüler auf seinem Kenntnisstand abzuholen. Ich glaube, meiner ist weitaus kleiner als deiner.“ -
Ich lächelte schon wieder entschuldigend.
"Tut mir leid... die letzten Gespräche über Philosophie, die ich hatte, waren alle mit anderen, die wie ich jahrelang studiert hatten. Da vergesse ich manchmal, wie ich zu Beginn meiner Studien war und dass ich seitdem sehr viel gelernt habe. Diejenigen, die ich mal unterrichtet hatte, waren auch schon fortgeschrittene Studenten. Das ist etwas ungewohnt für mich. Ob ich deshalb Lehrer... also weißt du, in Han ist es üblich, dass man einfach jemanden fragt, ober einen unterrichten würde. Und der sagt dann ja oder nein. Und es ist auch üblich, dass die Lehrer sehr viel Disziplin von ihren Schülern verlangen. Jedenfalls beim Lernen. Außerdem sind Körper und Geist eine Einheit und müssen gleichermaßen geschult werden. Damit meine ich aber nicht die Athletik der Griechen." -
Übereifrig, wie sie war, wollte Axilla ihn schon gleich fragen, als das böse Wort „Disziplin“ in einem Atemzug mit „Lernen“ fiel und sie entschloss, besser den Mund zu halten. Axilla hatte alles Mögliche, aber keine Disziplin. Wenn sie etwas begeisterte und interessierte, konnte sie Stunden damit zubringen. Aber wenn sie etwas langweilte, wanderte ihr Blick gerne aus dem Fenster oder sie lauschte dem Lied der Vögel. Wie oft hatte Iason sich ihretwegen die Haare gerauft, als er wieder und wieder versucht hatte, ihr die mathematischen Erkenntnisse von Thales von Milet beizubringen. Dabei war sich Axilla sicher, dass er nur so vernarrt in diesen Kreistypen war, weil er auch aus Milet stammte. Und wozu musste Axilla schon wissen, dass der Winkel im Halbkreis ein rechter war? Wozu gab es denn schließlich Architekten?!
Bei seinen letzteren Worten musste Axilla schmunzeln. Sie musste an eine Satire denken, die sie bruchstückweise heimlich gelesen hatte. Vor allem wollte sie sie lesen, weil der Schreiber ein gewisser Decimus Iunius Iuvenalis war, und damit wohl um hundert Ecken oder so mit ihr verwandt. Bis sie dieses Schriftstück einer kichernden Sklavin weggenommen hatte, hatte sie noch nie etwas von ihm gehört, aber Tarraco war ja auch weit weg von Rom. Und sie erinnerte sich nun an seinen Ausspruch, dass man die Götter nur darum bitten solle, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper stecke, und sie sonst mit nichts belästigen solle.
„Was genau meinst du mit der Schulung des Körpers dann?“ -
"Ich meine damit Bewegunsgübungen und Atemübungen, die es einem erlauben, den Fluss der kosmischen Energie durch Körper und Geist zu lenken. Ganz nebenbei gewöhnt man sich dabei auch an fließende Bewegungen, die es einem ermöglichen, sich sehr elegant fortzubewegen - wenn man das will. Es gibt auch Übungen, die dem Kampf dienen, aber die sollte man eher Kriegern vorbehalten. Oder denen, die viel reisen und dadurch Gefahr laufen, überfallen zu werden. Gerade das Erlernen dieser Übungen erfordert sehr viel Disziplin. Aber die innere Ruhe, der innere Frieden, den man damit erhält, ist es wert. Man nimmt seine Umgebung auch viel bewusster wahr. Kleinigkeiten fallen einem auf, die man vorher übersehen hätte."
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„Hmmhmm.“
Es klang sehr interessant. Und Axilla würde es auch gerne mal versuchen. Aber das klang sehr schwer, so wie er es beschrieb, und bestimmt war sie dafür zu unruhig und zu quirlig, um das zu lernen. Das Chaos, dieser Hauch vom Geiste des Faunus, der sie stets umgab, vertrug sich sicher nicht gut mit mir Ruhe und Frieden, ganz zu Schweigen von Disziplin.
„Und das ist sehr schwer zu erlernen dann? Also, die Übungen und die Philosophie und die Disziplin und so?“
Axilla würde ihn ja wirklich gerne fragen, aber sie traute sich nicht. Nicht nur, weil sie davor wohl wirklich noch eine Erlaubnis ihrer Verwandten einholen müsste. Aber sie wusste einfach nicht, ob sie soviel Disziplin aufbringen könnte. Und wenn sie damit anfing und es dann nicht schaffte, wäre Marcus sicher sehr böse auf sie.
Axilla wusste, dass sie alles andere als perfekt war, aber sie gab sich stets Mühe, die Menschen ihrer Umgebung so wenig wie möglich zu enttäuschen. Soweit ihr das mit ihrem losen Mundwerk eben möglich war. Und sie wollte nicht, dass sie erst um Erlaubnis fragte, dann seine Zustimmung einholte und dann alle enttäuschte, weil sie es doch nicht konnte
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